BT-Drucksache 14/2931

Einführung von Einzelzellen in türkischen Haftanstalten

Vom 13. März 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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2931

14. Wahlperiode

13. 03. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Einführung von Einzelzellen in türkischen Haftanstalten

Seit 1996 versucht die Türkei, das auch gegenüber den zahlreichen politischen
Gefangenen verbreitete System des Strafvollzugs in großen Gruppenzellen
durch ein System der Einzelhaft, faktisch der Isolationshaft in Form von
„F-Typ-Zellen“ zu ersetzen. Die Gefangenen befürchten durch diese neuen Ge-
fängnisse eine zusätzliche Isolierung und noch mehr Schutzlosigkeit gegenüber
Angriffen der Gefängnisleitungen bzw. des Gefängnispersonals. Mit einem im
Mai 1996 begonnenen Hungerstreik und Todesfasten von politischen Gefange-
nen, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen, konnte 1996 dieser Versuch
noch verhindert werden.

Nun sollen nach einem am 6. Januar 2000 veröffentlichten Dekret Einzelzellen
vom Bautyp F bis Mai dieses Jahres in Betrieb genommen werden. Neben dem
bereits Anfang der 90er Jahre erbauten Isolationsgefängnis in Eskisehir sollen
weitere sechs Gefängnisse für die Isolationshaft bereit stehen. Das Gefängnis
Kartal in Istanbul wird gegenwärtig als Isolationsgefängnis belegt.

Die politischen Gefangenen in der Türkei und Menschenrechtsgruppen be-
fürchten, dass mit der Ausbreitung dieser modernen Isolationshaft auch die
Angriffe auf die Gefangenen weiter zunehmen. Neben der noch immer alltäg-
lichen Folter und den unwürdigen Haftbedingungen in der Türkei kam es in den
letzten Jahren immer wieder zu Angriffen der türkischen Sicherheitskräfte auf
die politischen Gefangenen. Hier nur die blutigsten dieser Übergriffe:





Am 4. Januar 1996 brachten paramilitärische Spezialeinheiten in Gefängnis
von Ümraniye/Istanbul drei politische Gefangene um. Weitere 59 Menschen
wurden schwer verletzt.





Am 24. September 1996 wurden acht politische Gefangene in Diyarbakir
von türkischen Sicherheitskräften umgebracht.





Am 25. September 1996 wurden weitere drei Gefangene umgebracht
(Quelle: Türkischer Menschenrechtsverein IHD, 26. September 1999).





Am 26. September 1999 fand ein erneutes Massaker im Gefängnis von
Ulucanlar statt. Dabei wurden zehn politische Gefangene umgebracht.

Mit der Einführung der Isolationshaft in Einzelzellen, so eine Vertreterin des tür-
kischen Menschenrechtsvereines IHD in einem bereits 1997 im „Kurdistan
Rundbrief“ veröffentlichten Interview, würden politische Gefangene in der Ein-
zelhaft lebensnotwendigen Schutz gegen Überfälle und Folter durch Sicherheits-
kräfte verlieren. Weitere Massaker wie die oben Genannten könnten oft nur auf-
grund der Solidarität der Gefangenen in den Gruppenzellen verhindert werden.
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In dem Gespräch verwies die Vertreterin des IHD auf Äußerungen türkischer
Politiker, die sich bei dem geplanten Haftsystem auf die Isolationshaft nach
Stammheimer Muster beziehen und damit die geplante Isolierung der Gefange-
nen begründen (Kurdistan Rundbrief Nr. 22, Jg. 10, 4. November 1997).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über das Vorhaben der türki-
schen Regierung, die Gefängnisse mit Einzelzellen vom Typ F bis Mai in
Betrieb zu nehmen?

Wie viele dieser Gefängnisse für wie viele Gefangene sind nach Kenntnis
der Bundesregierung in welchem Zeitraum geplant?

2. Hat die Bundesregierung Informationen, in welchen türkischen Gefängnis-
sen die Isolationshaft bzw. Einzelhaft für politische Gefangene bereits in den
letzten Jahren eingeführt worden ist?

Wenn ja, in welchen Gefängnissen ist dies geschehen und wie beurteilt die
Bundesregierung Haftbedingungen der Gefangenen?

3. Hat es – ähnlich wie bei der deutsch-türkischen Zusammenarbeit im polizei-
lichen Bereich – hinsichtlich des türkischen Vorhabens der Umstellung des
Strafvollzugs auf Einzelhaft bzw. des Baus entsprechender Gefängnisse in
den letzten Jahren Gespräche, Tagungen oder Schriftwechsel zwischen deut-
schen und türkischen Justizbehörden, Ministerien etc. bzw. Schriftwechsel
über eine Zusammenarbeit bei der Einführung der Einzelhaft gegeben?

Wenn ja, wer oder welche Behörde nahm an diesen Gesprächen auf türki-
scher und deutscher Seite teil?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass durch die Einführung der
Einzelhaft die Gefangenen den Angriffen der türkischen Sicherheitskräfte
noch schutzloser als in der Vergangenheit ausgeliefert sind?

Wenn nein, wie ist der Schutz der politischen Gefangenen sonst zu gewähr-
leisten?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die geplanten Änderungen im Strafvoll-
zug in der Türkei vor dem Hintergrund der seit Jahren immer wieder von
Menschenrechtsgruppen erhobenen Vorwürfe der Folterung und Mißhand-
lungen im Strafvollzug?

6. Teilt die Bundesregierung die Sorgen der politischen Gefangenen, ihrer An-
gehörigen und von Menschenrechtsgruppen gegenüber dem neuen Strafvoll-
zugssystem?

Wenn ja, welche Schritte will sie ergreifen, damit die Türkei Schritte zu
einer Demokratisierung des Strafvollzugs einleitet?

Wenn nein, warum nicht?

7. Betrachtet die Bundesregierung die eingangs geschilderten beabsichtigten
Änderungen im Strafvollzug in der Türkei als einen Fortschritt hin zur Ein-
haltung der „Kopenhagener Kriterien“ oder als einen Rückschritt, weg von
der Verwirklichung dieser Kriterien und der von Beitrittskandidaten zur EU
geforderten Demokratisierung auch im Strafvollzug?

Berlin, den 8. März 2000

Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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