BT-Drucksache 14/2909

Bessere Erwerbsaussichten für ältere Arbeitnehmer durch bessere Qualifizierung

Vom 14. März 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2909
14. Wahlperiode 14. 03. 2000

Antrag
der Abgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Dr. Maria Böhmer, Rainer Eppelmann,
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Klaus Hofbauer, Karl-Josef Laumann, Julius
Louven, Wolfgang Meckelburg, Claudia Nolte, Franz-Xaver Romer, Heinz
Schemken, Johannes Singhammer, Andreas Storm, Matthäus Strebl, Thomas
Strobl (Heilbronn), Peter Weiß (Emmendingen) und der Fraktion der CDU/CSU

Bessere Erwerbsaussichten für ältere Arbeitnehmer durch bessere Qualifizierung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland hat in den letzten Jahren eine Entwicklung eingesetzt, die ältere
Arbeitnehmer zum Teil schon ab 50 Jahren, insbesondere über 55 Jahren zu-
nehmend aus dem Erwerbsleben drängt. Dies liegt u. a. daran, dass älteren
Arbeitnehmern in Deutschland sowohl die Leistungsfähigkeit als auch die
Fähigkeit zur Neuorientierung und -qualifizierung im Innovationsgeschehen
abgesprochen wird. In der Folge werden ältere Mitarbeiter in den Betrieben oft-
mals als leistungsgemindert betrachtet und entlassen oder in Frühverrentung
geschickt. So sind ca. 900 000 Personen über 55 Jahre arbeitslos. Dies ist
nahezu ein Viertel aller arbeitslos Gemeldeten.

Dabei wird das kalendarische Alter eines Beschäftigten oftmals als Entschuldi-
gung vorgeschoben, ohne dass wirklich Überlegungen und Anstrengungen un-
ternommen worden wären, über eine zusätzliche Qualifikation eine weitere
Verwendung des älteren Mitarbeiters zu ermöglichen. Kurzfristiger Ertrags-
und Kostendruck überdecken eine langfristige Entwicklung des Personal-
managements.

Auch erweiterte Vorruhestandsregelungen können höchstens temporär und zu
hohen Kosten der Sozialkassen oder der Tarifparteien älteren Arbeitnehmern
einen vorzeitigen Abschied aus dem Arbeitsleben ermöglichen. Eine struktu-
relle Lösung ist dies allerdings nicht. So haben auch die Europäische Kommis-
sion sowie der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftli-
chen Entwicklung in ihren Gutachten 1999 deutlich gemacht, dass Regelungen,
die den Vorruhestand begünstigen, vermieden werden sollten. Im Gegenteil
sprechen sich die Sachverständigen dafür aus, ältere Arbeitnehmer im Erwerbs-
leben zu halten.

Dies ist notwendig, da die Verdrängung älterer Arbeitnehmer aus dem Erwerbs-
leben diese vor finanzielle und oftmals psychische Probleme stellt. Auch ihre
große Erfahrung und ihr hohes fachliches Können geht den Betrieben und der
Volkswirtschaft insgesamt verloren. Zudem belasten Entlassung und Vorruhe-

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stand der älteren Arbeitnehmer die Sozialkassen und damit vorrangig die Bei-
tragszahler.

Nicht zu vernachlässigen ist, dass die demographische Entwicklung und die da-
mit verbundene zunehmende Alterung der Belegschaften die Unternehmen zu
einer rechtzeitigen – und dies heißt raschen – Änderung ihrer Personalpolitik
führen muss: Modellrechnungen für Deutschland lassen erwarten, dass in den
nächsten 10 bis 15 Jahren mit einem deutlichen Anwachsen des Anteils der
über 50-Jährigen an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu rechnen
ist. Nach diesen Berechnungen werden die über 50-Jährigen unter allen sozial-
versicherungspflichtig Beschäftigten in der deutschen Industrie statt bisher
20 % in den kommenden 15 Jahren 40 % einnehmen.

Wenn nicht bereits jetzt die Betriebe beginnen, die Arbeitsatmosphäre, die Aus-
gestaltung der Arbeitsplätze und Arbeitsabläufe zu ändern und vor allem ihren
älteren Arbeitnehmern Qualifizierungs- und Flexibilisierungsprogramme anzu-
bieten, werden sie in wenigen Jahren unter verminderten Rekrutierungsmög-
lichkeiten und daraus folgerndem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu
leiden haben.

Entsprechend müssen Betriebe, die sich für die Weiterqualifizierung ihrer älte-
ren Arbeitnehmer einsetzen und deren Verbleib im Erwerbsprozess fördern, be-
reits jetzt von der Bundesanstalt für Arbeit beratend und finanziell unterstützt
werden. Gleichzeitig ist die Bundesanstalt für Arbeit aufgerufen, eigenständige
Programme zu entwickeln, die von interessierten Firmen übernommen werden
können und auch gesamtwirtschaftlich eine bessere Qualifizierung und eine
bessere Chance für ältere Arbeitnehmer im Erwerbsleben bewirken.

Wie konkrete Erfahrungen in einzelnen Unternehmen und in anderen Staaten
zeigen, lassen sich bei entsprechenden Arbeitsstrukturen und Qualifizierungs-
programmen ältere Arbeitnehmer durchaus langfristig im Erwerbsleben halten
und ihre Qualitäten nutzbringend einsetzen. So wurden etwa in Finnland auf-
grund der Ergebnisse des dortigen Forschungsprogramms „Respect for the
Aging“ systematisch Maßnahmen entwickelt, um die Arbeitsfähigkeit älter
werdender Mitarbeiter zu erhalten.

Ein Weg, älteren Arbeitslosen sowohl die Möglichkeit zur Qualifizierung im
Beruf zu bieten und zugleich älteren Arbeitnehmern eine Möglichkeit zu einer
weiteren Qualifizierung für ihren Beruf zu eröffnen, läge in einer Variante der
bereits in Dänemark erfolgreich praktizierten „Job-Rotation“. Das Prinzip der
„Job-Rotation“ besteht darin, dass der Arbeitgeber mit einzelnen Beschäftigten
eine zeitlich befristete Beurlaubung für Trainings- und Weiterbildungsmaßnah-
men vereinbart. Für die beurlaubten Stamm-Mitarbeiter ist er verpflichtet, er-
werbslose Personen einzustellen. Dadurch kann er einerseits die Fertigkeiten
seines Stamm-Personals erweitern, andererseits qualifiziert er eine Reihe von
Personen, die die Stelle eines ausscheidenden Stamm-Mitarbeiters sehr schnell
ausfüllen können. Die Urlaubsvertretung kann durch die „Job-Rotation“ in Ver-
bindung mit dem Arbeitsleben gehalten werden und hat, wie der Beurlaubte
selbst, eine Chance, seine persönlichen Qualifikationen auszubauen.

Während der „Job-Rotation“, die sich nach dem dänischen Modell auf eine
Zeitspanne von bis zu zwei Jahren erstrecken kann, erhält der Arbeitslose Leis-
tungen weiter vom Arbeitsamt, der zur Qualifizierung freigestellte Mitarbeiter
erhält kontinuierlich sein Arbeitsentgelt von seiner Firma.

Da das Modell die Qualifizierung speziell der älteren Arbeitslosen fördern soll,
sollte das arbeitsmarktpolitische Instrument der Job-Rotation auf Arbeitslose
über 50 Jahre, insbesondere auf 55-Jährige konzentriert werden. Die Arbeit-
nehmer, die im Zuge der „Job-Rotation“ in Weiterqualifizierungsmaßnahmen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2909

fortgebildet werden sollen, sollten über dieser Altersgrenze liegen, da ja gerade
älteren Mitarbeitern diese Möglichkeit geboten werden soll.

Um jedoch die Dauer der „Job-Rotation“ in eine vernünftige Relation zur zu er-
wartenden Dauer der noch verbleibenden Berufstätigkeit zu setzen, sollte die
Dauer der Maßnahme ein halbes Jahr nicht überschreiten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Programm „Job-Rotation“ speziell
für ältere Arbeitnehmer zu schaffen. Das Programm soll Arbeitslosen über
50 Jahre ermöglichen, als „Stellvertreter“ für einen älteren Arbeitnehmer
Berufserfahrung und Qualifizierung zu erlangen, während der Arbeitnehmer
durch Fortbildung seinerseits seine Qualifikationen erweitert und notwen-
dige Fähigkeiten für sein Verbleiben in seinem Beruf ermöglicht. Die Vor-
teile für den Arbeitgeber liegen ebenfalls auf der Hand: Die Rekrutierungs-
basis für seine Personalpolitik, die durch die demographische Entwicklung
in spätestens zehn Jahren dünn geworden sein wird, wird durch die Qualifi-
kation der älteren Arbeitnehmer breiter. Parallel zu diesem zeitlich begrenz-
ten Modellversuch sollte eine wissenschaftliche Evaluation erfolgen, durch
die Verbesserungen in das Projekt hineingetragen werden und die Effizienz
der Maßnahme überprüft werden kann.

2. Im Rahmen des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit Mittel bereitzustel-
len, um speziell die Qualifizierung älterer Arbeitnehmer zu fördern. Weiter-
hin sollen über Mittel des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung
Modellprojekte unterstützt werden, die von Seiten einzelner Unternehmen
oder Verbände entwickelt und erprobt werden, um ältere Arbeitnehmer ihren
Qualifikationen und Fähigkeiten entsprechend im Erwerbsleben zu halten
oder sie zu diesem Zweck nachzuqualifizieren. Entsprechende Projekte sind
im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung an geeigneter Stelle
zusammenzufassen und zu evaluieren, um mit diesen Erfahrungen interes-
sierte Unternehmen und Verbände beraten zu können.

Berlin, den 9. März 2000

Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Maria Böhmer
Rainer Eppelmann
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Klaus Hofbauer
Karl-Josef Laumann
Julius Louven
Wolfgang Meckelburg
Claudia Nolte
Franz-Xaver Romer
Heinz Schemken
Johannes Singhammer
Andreas Storm
Matthäus Strebl
Thomas Strobl (Heilbronn)
Peter Weiß (Emmendingen)
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

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