BT-Drucksache 14/2844

Haltung der Bundesregierung zur Verhaftung von kurdischen Bürgermeistern in der Türkei

Vom 28. Februar 2000


Deutscher Bundestag

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2844

14. Wahlperiode

28. 02. 2000

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Haltung der Bundesregierung zur Verhaftung von kurdischen Bürgermeistern
in der Türkei

Am 19. Februar 2000 sind die Bürgermeister Feridun Celik, Selim Ozalp und
Feyzullah Karaarslan der drei großen kurdischen Städte Diyarbakir, Siirt und
Bingöl von türkischen Sicherheitskräften aufgrund eines Erlasses des Gouver-
neurs für die Ausnahmezustandsregion verhaftet worden. Alle drei Bürger-
meister gehören der demokratischen Volkspartei HADEP an und sind bei den
letzten Kommunalwahlen mit mehr als 65 % der Stimmen der kurdischen Be-
völkerung gewählt worden. Mit ihrer Wahl haben sich die kurdischen Bürger-
meister zum Ziel gesetzt, einen Beitrag für die Lösung der kurdischen Frage
und die Demokratisierung der türkischen Gesellschaft zu leisten.

Seit ihrer Wahl sind die kurdischen Bürgermeister von internationalen Politi-
kern und Organisationen zunehmend als Ansprechpartner anerkannt worden.
So hatten die jetzt verhafteten Bürgermeister vor ihrer Verhaftung Gespräche
mit Vertretern der schwedischen Regierung und mit einer kanadischen Delega-
tion geführt. Auch eine Delegation des Innenausschusses des Deutschen Bun-
destages hatte im letzten Jahr Gespräche mit dem Bürgermeister von Diyarba-
kir geführt.

Zuletzt hatten die Bürgermeister vor ihrer Verhaftung mit drei weiteren Bürger-
meistern aus der kurdischen Region an der „Europäischen Konferenz Zukunfts-
beständiger Städte und Gemeinden – Hannover Conference 2000“ vom 9. bis
12. Februar 2000 in Hannover teilgenommen.

Die HADEP ist seit ihrer Gründung einer permanenten Repression des türki-
schen Staates ausgesetzt. Tausende von Mitgliedern wurden seit der Gründung
der Partei inhaftiert, Dutzende ermordet. Seit über einem Jahr läuft gegen die
Partei beim Verfassungsgericht ein Verbotsverfahren. Türkische Politiker und
Medien haben gerade auch in der letzten Zeit die HADEP zum Angriffsziel er-
klärt. Wenige Wochen vor der Inhaftierung der Bürgermeister hatte Minister-
präsident Bülent Ecevit diese wegen „separatistischer Aktivitäten“ beschuldigt
und ihnen Konsequenzen angedroht.

Die Verhaftung der Bürgermeister zeigt Parallelen zu der Verhaftung der ge-
wählten Abgeordneten der Demokratiepartei (DEP), unter ihnen die immer
noch inhaftierte Leyla Zana im Jahre 1994. Die damaligen Verhaftungen und
das Verbot der DEP waren der Auftakt zu einer Repressionskampagne gegen
Kurden. Zahlreiche Menschen verschwanden infolge von „Morden unbekann-
ter Täter“, Morde, die seit dem Susurluk-Unfall und den Aktionen gegen die
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„Hizbullah“ in den letzten Wochen in der Türkei jetzt Stück für Stück an die
Öffentlichkeit kommen.

Die alte Bundesregierung hatte parallel zu diesen Repressionen in der Türkei
hierzulande bereits 1993 das PKK-Verbot verhängt. Auch das Bekanntwerden
der zahllosen Morde nach dem DEP-Verbot führte nicht zu einer Änderung der
deutschen Türkeipolitik, höchstens zu Protesten der Bundesregierung, während
sämtliche Waffenlieferungen sowie die Zusammenarbeit von Militär, Polizei,
Geheimdiensten usw. ununterbrochen weiterliefen. Die Verfechter der kompro-
misslosen Repressionspolitik gegen Kurden in der Türkei konnten sich durch
dieses Verhalten der alten Bundesregierung in ihrem scharfen und blutigen
Kurs ermuntert fühlen.

Die jetzigen Verhaftungen der HADEP-Bürgermeister werden auf kurdischer
Seite mit dem Vorgehen gegen die DEP vor sechs Jahren verglichen. Entspre-
chend groß sind die Befürchtungen über eine neuerliche, vergleichbare Welle
von Repression. Das Vorgehen der Türkei erweckt zudem den Eindruck einer
absichtlichen Brüskierung sowohl der EU als auch der Bundesregierung. Es
könnte alle Hoffnungen auf kurdischer Seite, endlich politischen Freiraum für
die Vertretung kurdischer Anliegen zu erhalten, zunichte machen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung bekannt, mit welcher offiziellen Begründung die
Bürgermeister verhaftet worden sind und wie bewertet sie diese?

2. In welcher Form hat die Bundesregierung auf die Verhaftung der Bürger-
meister reagiert?

3. Welche weiteren, für die Verantwortlichen in der Türkei empfindlichen poli-
tischen Konsequenzen will die Bundesregierung gegenüber der türkischen
Regierung aus der Inhaftierung der Bürgermeister ziehen?

4. Gehört dazu auch eine sofortige Unterbrechung von Waffenlieferungen und
finanziellen Zahlungen an die Türkei und ein Abschiebestopp für kurdische
Flüchtlinge?

Wenn nein, warum nicht?

5. Welche langfristigen wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen beab-
sichtigt die Bundesregierung einzuleiten, damit demokratisch gewählte kur-
dische Vertreter künftig nicht mehr inhaftiert bzw. an der freien Ausübung
ihres demokratischen Mandats durch einen Notstandsgouverneur und türki-
sche Militärs gehindert werden?

6. Welche Schritte beabsichtigt die Bundesregierung einzuleiten, um endlich
eine Freilassung der seit nunmehr sechs Jahren inhaftierten kurdischen Ab-
geordneten Leyla Zana und anderer kurdischer Abgeordneter zu erreichen?

Berlin, den 23. Februar 2000

Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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