BT-Drucksache 14/2759

Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung für Frauen und Männer

Vom 12. Februar 2000


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

12. 02. 2000

Antrag

der Abgeordneten Christina Schenk, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung für Frauen und Männer

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Probleme der Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit

Frauen und Männer , die Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung miteinander
vereinbaren wollen, stehen in der Bundesrepublik Deutschland vor erheblichen
Schwierigkeiten:

1.1 Kinderfeindliche Arbeitsmarktstrukturen

Die Strukturen des Arbeitsmarktes erfordern von Arbeitnehmerinnen und Ar-
beitnehmern ein hohes Maß an zeitlicher V erfügbarkeit und Mobilität. Diese
strukturellen Anforderungen lassen sich nicht oder nur schwer vereinbaren mit
den Bedürfnissen von Kindern nach Zuwendung, Verlässlichkeit und Kontinui-
tät.

Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer sehen sich daher oft gezwungen, ihre
Berufstätigkeit zu reduzieren oder zeitweise ganz zu unterbrechen, damit sie
der Verantwortung gegenüber ihren Kindern nachkommen können.

1.2 Fehlende Betreuungseinrichtungen

Ein Angebot an öf fentlich geförderten, ganztägig geöf fneten Betreuungsein-
richtungen für Kinder aller Altersgruppen ist in den westlichen Bundesländern
so gut wie nicht vorhanden. In den östlichen Bundesländern wird es inzwischen
systematisch ausgehöhlt.

Der Rechtsanspruch auf einen Kinder gartenplatz für Kinder ab drei Jahre bis
zum Schuleintritt trägt zur Lösung der Vereinbarkeitsproblematik kaum bei, da
nur eine begrenzte Altersgruppe der Kinder davon prof tiert. Zudem sind die
meisten Kindergartenplätze wegen der fehlenden Mittagsversor gung de facto
nur Teilzeitplätze.

Für ältere Kinder fehlen Ganztagsschulen, Hortplätze und ein öffentlich geför -
dertes bedarfs- und altersgerechtes Freizeitangebot.
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1.3 Traditionelles Familienleitbild

Ein traditionelles Familienleitbild, das sich am Modell der westdeutschen 50er
Jahre orientiert, zementiert die hierarchische Arbeitsteilung zwischen Männern
und Frauen: Der Mann als Hauptverdiener und Ernährer der Familie, die Mut-
ter als Hausfrau und Zuverdienerin. Das steigende Qualif kationsniveau von
Frauen und ihre höhere Erwerbsbeteiligung haben der Prägekraft dieses Leit-
bildes zumindest in Westdeutschland nur wenig anhaben können.

Im Osten wirkt die jahrzehntelang gelebte Vereinbarkeit von Kinderversorgung
und Erwerbstätigkeit heute noch nach, so dass das westdeutsche Familiener-
nährermodell weniger den Charakter des Selbstverständlichen hat als im W es-
ten, obwohl es sich mit der Übertragung westdeutscher Sozialstrukturen als
Leitbild inzwischen auch im Osten manifestiert.

Dieses Familienmodell durchzieht in Ost und West wie ein roter Faden alle re-
levanten Bereiche der Familien-, Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik und signali-
siert so den Frauen mit Kindern, dass ihr primäres Tätigkeitsfeld in der Famili-
enarbeit liegt und ihre Erwerbsarbeit zweitrangig ist.

1.4 Geringe Beteiligung der Väter

In den meisten Familien beteiligen sich Väter nicht oder nur wenig an der All-
tagsversorgung der Kinder. Zwar gibt es inzwischen eine Generation „neuer“,
partnerschaftlich orientierter Väter. Jedoch stellt sie bis heute statistisch gese-
hen keine relevante Größe dar. Die Mehrheit der Männer wird durch die Geburt
eines Kindes nicht in ihrer Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt und in ihrer Er -
werbsbiographie eingeschränkt. Für viele ist sogar eher das Gegenteil der Fall:
Ihre Frauen übernehmen nicht nur den Hauptteil der Kinderversorgung, son-
dern gleichzeitig auch die Reproduktionsarbeit für die Väter der Kinder, so dass
es für Väter scheinbar keine Notwendigkeit gibt, die kinderfeindlichen Arbeits-
marktstrukturen zu durchbrechen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen:

Kinderfeindliche Arbeitsmarktstrukturen, fehlende Kinderbetreuungsmöglich-
keiten, traditionelles Familienleitbild und die geringe Beteiligung der Väter an
der Alltagsversorgung ihrer Kinder führen letztendlich dazu, dass eine V erein-
barkeit von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit für die meisten Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer nur mit großen Schwierigkeiten möglich ist. W eil
Frauen in der Regel letztlich die alleinige Verantwortung für die Alltagsversor-
gung der Kinder übernehmen, ist ihre Erwerbsbiographie trotz hoher Qualif ka-
tion immer noch diskontinuierlich – zumindest in W estdeutschland, zuneh-
mend aber auch in Ostdeutschland.

Diese diskontinuierliche Erwerbsbiographie wirkt sich zu allen Zeiten ihres Le-
bens benachteiligend für sie aus:

Während ihres Berufslebens gelten sie – da sie weniger verfügbar sind – als Ar-
beitskräfte zweiter Klasse, sie haben schlechtere Aufstiegschancen und verdie-
nen weniger als ihre männlichen Kollegen, die keine Kinder versorgen.

Sie sind aber auch benachteiligt gegenüber kinderlosen Frauen, die sich den fe-
xiblen Zeitstrukturen des Arbeitsmarktes eher anpassen können.

Als Rentenbezieherinnen erhalten sie oft nur einen Bruchteil der Rente, die
Männer mit nicht unterbrochener Berufstätigkeit bekommen. Auch die Anrech-
nung von Erziehungszeiten in der Rente gleicht den Nachteil ihrer diskontinu-
ierlichen Erwerbsbiographie nicht aus.
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Männliche Erwerbsbiographien dagegen sind weder wegen Kinderbetreuung
noch wegen anderer Familienarbeiten unterbrochen. Ob Männer Kinder haben
oder nicht ändert im Allgemeinen nichts an ihrer kontinuierlichen Berufstätig-
keit und an ihrer vollen zeitlichen und geographischen Mobilität. Diese Strin-
genz und Eindimensionalität männlicher Erwerbsverläufe, die komplexe
Lebenszusammenhänge zwangsläuf g ausblendet, setzt den Maßstab für Nor -
malität und dominiert so alle Entscheidungsprozesse der Politik und W irt-
schaft.

2. Das Bundeserziehungsgeldgesetz – keine Lösung des Problems

Am 1. Januar 1986 trat das Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) in Kraft,
das seit 1. Januar 1991 auch in Ostdeutschland gilt. Es enthält im Wesentlichen
folgende Regelungen:

Für ein Kind erhält der Elternteil, der das Kind selbst betreut, ein Erziehungs-
geld von maximal 600 DM monatlich. Es wird längstens 24 Monate ab der Ge-
burt gezahlt, wobei seine genaue Höhe vom Haushaltsnettoeinkommen ab-
hängt.

Voraussetzung ist, dass die Erziehungsgeld beziehende Person während des Be-
zugszeitraums nicht oder nur Teilzeit erwerbstätig ist. Nur in besonderen Här -
tefällen kann Erziehungsgeld auch bei voller Erwerbstätigkeit gezahlt werden.

Zugleich haben erwerbstätige Mütter und Väter einen Rechtsanspruch auf Er-
ziehungsurlaub, den sie bis zum vollendeten 3. Lebensjahr ihres Kindes neh-
men können. Sie können sich beim Erziehungsurlaub abwechseln, können ihn
aber nicht gleichzeitig nehmen. W enn ein Elternteil nicht erwerbstätig ist, be-
steht für den anderen Elternteil kein Anspruch auf Erziehungsurlaub.

Während des Erziehungsurlaubs haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
einen Kündigungsschutz sowie eine Beschäftigungsgarantie, allerdings keine
Arbeitsplatzgarantie.

Das BErzGG hat das Problem der V ereinbarkeit nicht gelöst, sondern im Ge-
genteil noch verschärft.

2.1 Unflexible Zeitvo gaben

Die starre Drei-Jahres-Regelung für den Erziehungsurlaub ermöglicht keine an
der jeweiligen Entwicklungsphase des Kindes orientierte T eilnahme am Er -
werbsleben, sondern legt einen dreijährigen Berufsausstieg nach der Geburt
des Kindes mit späterem Wiedereinstieg nahe. Dieser – wenn auch vorüber ge-
hende – Ausstieg führt zu erheblichen beruf ichen Nachteilen für die betreu-
ende Person.

2.2 Geringe Akzeptanz bei Vätern

Nur wenige Väter sind bereit, wegen der Kinderversor gung berufliche Ein
schränkungen in Kauf zu nehmen. Der Familienernährerstatus hat für die
meisten von ihnen hohen Identif kationswert. Die Befürchtung, diesen Status
zu verlieren und die Angst vor beruf icher Stagnation oder gar beruf ichem
Abstieg sind Gründe dafür , dass nur ein verschwindend geringer T eil der
Väter – rund 2 % – von der Möglichkeit des Erziehungsurlaubs Gebrauch
macht. Dagegen nehmen bis auf wenige Ausnahmen alle Arbeitnehmerinnen
nach der Geburt eines Kindes Erziehungsurlaub, wenn sie auch nicht alle ih-
ren Anspruch auf drei Jahre voll ausschöpfen.
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2.3 Keine Lohnersatzleistung

Während des Erziehungsurlaubs wird keine Lohnersatzleistung gezahlt, son-
dern nur ein einkommensabhängiges Erziehungsgeld von maximal 600 DM.
Damit werden die finanziellen erluste, die sich aus der Erwerbsunterbrechung
ergeben, nicht aufgefangen. Dies ist ein weiterer Grund für die geringe Akzep-
tanz des Erziehungsurlaubs bei Vätern, denn erwerbstätige Männer verdienen
im Durchschnitt auch heute noch rund ein V iertel mehr als erwerbstätige
Frauen. Viele Familien können es sich jedoch nicht leisten, auf das höhere Er -
werbseinkommen des Mannes zu verzichten.

Damit ist für den Ehemann der Familienernährerstatus gesichert – mit der
Folge für Frauen, die Erziehungsurlaub nehmen, dass sie in dieser Zeit f nanzi-
ell vom Ehemann abhängig sind – oder, wenn sie ohne Partner leben, von Sozi-
alhilfe.

2.4 Keine Verbesserung der Betreuungssituation

Der in Westdeutschland seit Jahrzehnten unveränderte Mangel an Betreuungs-
einrichtungen für Kinder unter drei Jahren wurde mit Hinweis auf den Erzie-
hungsurlaub nicht behoben. Seit der Ausweitung des Erziehungsurlaubs auf
drei Jahre gilt die Betreuungsfrage für Kinder dieses Alters als gelöst. Zuneh-
mend werden auch im Osten Deutschlands die negativen Auswirkungen auf die
Betreuungslage sichtbar. Der Mangel an Betreuungsplätzen wiederum zwingt
viele in den Erziehungsurlaub, die ursprünglich nicht beabsichtigt hatten, ihre
Berufstätigkeit zu unterbrechen.

2.5 Alleinverantwortung der Mütter – Fehlende gesamtgesellschaftliche V er-
antwortung für Kinder

Die geringe Akzeptanz des Erziehungsurlaubs bei Vätern und die fehlenden
Betreuungseinrichtungen sind zugleich Ursache und Folge einer einseitig den
Frauen zugeschriebenen Zuständigkeit für Kinder. Die Verantwortung für Kin-
der wird nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahr genommen, sondern
ist ausschließlich familien- und letztendlich mutterzentriert. Damit liegen die
Nachteile der Berufsunterbrechung im Erziehungsurlaub weiterhin ausschließ-
lich bei den Frauen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen:

Mit dem BErzGG wurden von vornherein die Weichen so gestellt, dass das tra-
ditionelle Familienmodell – der Vater ist Hauptverdiener, die Mutter ist Haus-
frau und Zuverdienerin – als gesellschaftliches Leitmodell stabilisiert wurde.
Im Hinblick auf eine gleiche Teilhabe von Frauen und Männern an Erwerbsar -
beit und Kinderbetreuung wirkt es sogar kontraproduktiv . Die Verantwortung
für Kinder wird nicht als gemeinschaftliche Aufgabe wahr genommen, sondern
einseitig den Frauen zugeschrieben. Das BErzGG hat keine V erbesserung der
Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung ge-
bracht, sondern war und ist ein Instrument, das die Chancengleichheit von
Frauen und Männern in der Erwerbsarbeit verhindert. Damit trägt es entschei-
dend zur Reproduktion der geschlechtspezif schen Arbeitsteilung zwischen
Frauen und Männern bei.

Das BErzGG ist deshalb auch nicht durch einzelne Korrekturen zu verbessern,
sondern muss durch ein neues Gesetz ersetzt werden, das positive Rahmenbe-
dingungen für die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf schafft.
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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, das nach folgenden Maßgaben die Ver-
einbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit für Frauen und Männer ga-
rantiert:

A. Ziele eines Vereinbarkeitsgesetzes

Das Gesetz soll es Frauen und Männern ermöglichen, Erwerbsarbeit und Kin-
derbetreuung entsprechend den altersspezif schen Bedürfnissen ihrer Kinder
und der eigenen individuellen Lebensplanung gleichzeitig oder zeitlich nachei-
nander zu leisten, ohne dass ihnen daraus beruf iche oder arbeitsmarktpoliti-
sche Nachteile erwachsen.

Das Vereinbarkeitsgesetz soll

– Frauen und Männern während der unterschiedlichen Phasen ihrer Eltern-
schaft eine tatsächliche W ahlfreiheit garantieren zwischen voller Erwerbs-
tätigkeit, einer zeitweisen Freistellung oder einer vorübergehenden Arbeits-
zeitreduzierung,

– Frauen und Männer motivieren, Kinderbetreuung und Berufstätigkeit paritä-
tisch miteinander zu teilen,

– Kindern ein alters- und bedarfsgerechtes, öffentlich gefördertes Betreuungs-
angebot sichern, damit Kinderbetreuung über den engen familialen Rahmen
hinaus als gesamt gesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen wird.

Zu den einzelnen Regelungen wird auf den Antrag der PDS Zum Ausbau eines
bedarfsgerechten und öffentlich geförderten Betreuungs- und Freizeitangebotes
für Kinder bis zu 14 Jahren verwiesen.

B. Grundlinien eines Vereinbarkeitsgesetzes

Ein Vereinbarkeitsgesetz, das die Mindestbedingungen für die V ereinbarkeit
von Beruf und Kindererziehung für Frauen und Männer schaffen soll, muss fol-
gende Schwerpunkte setzen:

I. Anspruch auf Freistellung und Arbeitszeitreduzierung

Berechtigte

Anspruchsberechtigt sind Mütter und Väter, die das Sorgerecht für ein Kind ha-
ben. Ist nur einer der Eltern sor geberechtigt, kann der Anspruch des nicht sor -
geberechtigten Elternteils auf eine andere Bezugsperson übertragen werden.
Steht keine zweite Bezugsperson für die Übertragung zur V erfügung, kann der
allein sorgeberechtigte Elternteil die nicht eingelösten Ansprüche auf Freistel-
lung selbst übernehmen.

Freistellung als Zeitkonto

Es gibt zwei Freistellungsvarianten, die jeweils in der Form eines Zeitkontos zu
gewähren sind und in einzelne Abschnitte bis zum vollendeten 14. Lebensjahr
des Kindes aufgeteilt werden können:

1) Jede Mutter und jeder Vater (oder eine andere anspruchsberechtigte Bezugs-
person) haben für ein Kind einen individuellen Rechtsanspruch auf zwölf Mo-
nate Freistellung von der Erwerbsarbeit mit Lohnersatzleistung.
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Der Anspruch auf zwölfmonatige Freistellung ist – außer in begründeten Aus-
nahmefällen – nicht zwischen den Berechtigten übertragbar und verfällt, wenn
einer der Berechtigten seinen Anspruch nicht wahrnimmt.

2) Zusätzlich haben beide Eltern (bzw . eine andere anspruchsberechtigte Be-
zugsperson) für ein Kind einen individuellen Anspruch auf sechs Monate Frei-
stellung von der Erwerbsarbeit mit Grundsicherung.

Der sechsmonatige Freistellungsanspruch ist zwischen den Eltern übertragbar.

Arbeitszeitreduzierung

Beide Eltern (bzw. eine andere anspruchsberechtigte Bezugsperson) haben ei-
nen Rechtsanspruch, ihre Arbeitszeit um ein V iertel der tariflich festgelegte
Arbeitszeit zu reduzieren.

Für die Dauer der Arbeitszeitreduzierung wird bei entsprechendem Bedarf das
Einkommen auf die Höhe der sozialen Grundsicherung aufgestockt.

Arbeitsplatzgarantie

Wer wegen Kinderbetreuung von der Erwerbsarbeit freigestellt ist oder seine
Arbeitszeit reduziert, hat für diese Zeit eine Arbeitsplatzgarantie bzw . eine
Rückkehrgarantie auf Vollzeitbeschäftigung.

II. Begleitende Maßnahmen

Die Einführung eines V ereinbarkeitsgesetzes ist mit umfassender Öf fentlich-
keitsarbeit zu begleiten. Diese Öffentlichkeitsarbeit soll darauf hin wirken, dass

– Zeiten für die Betreuung von Kindern als T eil menschlicher Normalbiogra-
phie akzeptiert werden,

– Arbeitsmarktnormen die Verantwortung für Kinder berücksichtigen,

– sich mehr Väter als bisher aktiv an der Alltagssor ge für ihre Kinder beteili-
gen, und

– Kinderbetreuung als gesamt gesellschaftliche Aufgabe erkannt wird.

C. Regelungen eines Vereinbarkeitsgesetzes im Einzelnen

Das Gesetz soll im Einzelnen folgende Regelungen enthalten:

1. Recht auf Freistellung mit Lohnersatzleistung

(1) Jede anspruchsberechtigte Person hat das Recht auf eine bezahlte Freistel-
lung für den Zeitraum von zwölf Monaten, wenn sie ein Kind in dieser Zeit
selbst betreuen will. Dieser Anspruch gilt bis zum vollendeten 14. Lebensjahr
des zu betreuenden Kindes.

Die Freistellung kann in Form eines Zeitkontos gewährt werden und in ver-
schiedenen Zeitabschnitten erfolgen. Die Zeitabschnitte sollen den Zeitraum
von einem Monat nicht unterschreiten.

Beide Eltern bzw . beide anspruchsberechtigte Personen können die bezahlte
Freistellung gleichzeitig wahrnehmen.

(2) Der Rechtsanspruch gilt individuell. Eine Übertragung ist – außer in be-
gründeten Ausnahmefällen – nicht zulässig. Bei Nichtinanspruchnahme durch
eine oder einen der Berechtigten verfällt der Anspruch.
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(3) Steht keine weitere Bezugsperson für die Inanspruchnahme der Freistellung
zur Verfügung, kann der allein sorgeberechtigte Elternteil den nicht eingelösten
Anspruch ganz oder in Teilen übernehmen.

(4) Bei Mehrlingsgeburten oder -adoptionen und bei Behinderung des Kindes
oder des /der Anspruchsberechtigten verdoppelt sich der Anspruch auf bezahlte
Freistellung.

(5) Für die zwölfmonatige Freistellung erhalten anspruchsberechtigte Personen
auf Antrag an die Bundesanstalt für Arbeit eine Lohnersatzleistung in Höhe
von 90 vom Hundert ihres im letzten Jahr erzielten durchschnittlichen Netto-
verdienstes bis zu einer Obergrenze in der Höhe des durchschnittlichen monat-
lichen Nettoverdienstes aller sozialversicherungspf ichtig Beschäftigten.

Falls die Höhe der Lohnersatzleistung unter dem Grundsicherungsbetrag liegt,
erfolgt eine Aufstockung bis zur Höhe der Grundsicherung.

Bei einem Beschäftigungsverhältnis von weniger als sechs Monaten ist das
höchste monatliche Nettogehalt als Bemessungsgrundlage heranzuziehen.

2. Recht auf Freistellung mit Grundsicherungsanspruch

(1) Anspruchsberechtigte Personen haben zusätzlich zur zwölfmonatigen Frei-
stellung einen Anspruch auf eine Freistellung von sechs Monaten.

Der Freistellungsanspruch soll gelten, bis das Kind sein 14. Lebensjahr voll-
endet hat.

Er wird ebenfalls in Form eines Zeitkontos gewährt und kann von zwei Berech-
tigten gleichzeitig wahrgenommen werden.

(2) Das Zeitkonto von sechs Monaten soll ganz oder teilweise auf den anderen
Elternteil oder eine andere soziale Bezugsperson übertragbar sein.

(3) Steht keine weitere soziale Bezugsperson für die Übertragung zur V erfü-
gung, kann der allein sor geberechtigte Elternteil den nicht eingelösten An-
spruch ganz oder in Teilen selbst übernehmen.

(4) Während der Zeit der unbezahlten Freistellung besteht ein Anspruch auf ein
Existenz sicherndes Einkommen in Höhe der sozialen Grundsicherung.

3. Recht auf Arbeitszeitreduzierung

(1) Den Erziehenden ist ein individueller Anspruch zu gewährleisten, die tägli-
che, wöchentliche oder monatliche Arbeitszeit zu reduzieren bis auf drei V ier-
tel der tariflich festgelegten Arbeitszeit oder außerhalb des Geltungsbereich
eines Tarifvertrages bis auf drei Viertel der üblichen Arbeitszeit.

Dieser Anspruch besteht bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres eines Kindes
und kann in diesem Zeitraum mehrfach geltend gemacht werden.

(2) Von dem Recht auf Arbeitszeitreduzierung können beide berechtigte Perso-
nen gleichzeitig Gebrauch machen.

(3) Sinkt das Nettoeinkommen während der Dauer der Arbeitszeitreduzierung
unter die Höhe einer sozialen Grundsicherung, dann wird das Nettoeinkommen
in dieser Zeit auf die Höhe der sozialen Grundsicherung aufgestockt.
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4. Berechtigte

Das Recht auf Inanspruchnahme des V ereinbarkeitsgesetzes haben alle Er -
werbstätigen und alle Personen, die arbeitslos gemeldet sind, sowie Studie-
rende, Schülerinnen, Schüler und Auszubildende bis zum vollendeten 14. Le-
bensjahr eines Kindes,

1) wenn ihnen für das Kind die Personensorge zusteht oder

2) wenn sie als soziale Bezugsperson des Kindes seine Betreuung übernehmen
und eine gemeinsame notariell beurkundete W illenserklärung zwischen sich
und einer bzw. einem allein Sorgeberechtigten abgegeben haben oder

3) wenn sie ein Kind adoptiert oder in Adoptionspf ege genommen haben.

Anspruchsberechtigt für ein Kind sind zwei Personen.

5. Beginn und Dauer des Anspruchs

Ansprüche auf Freistellung und Arbeitszeitreduzierung nach dem V ereinbar-
keitsgesetz gelten für die Mutter im Anschluss an den gesetzlichen Mutter-
schutz; der Anspruch des V aters bzw. der anspruchsberechtigten sozialen Be-
zugsperson beginnt ab der Geburt des Kindes.

Der Anspruch endet mit dem vollendeten 14. Lebensjahr des Kindes.

6. Ansprüche bei Trennung oder Scheidung

Treffen wegen T rennung oder Scheidung die V oraussetzungen für die Inan-
spruchnahme des V ereinbarkeitsgesetzes nicht mehr zu, so erlischt der An-
spruch der betreffenden Person. Der verbleibende von ihr nicht eingelöste An-
spruch kann einer anderen Bezugsperson des Kindes übertragen werden.

7. Rechte und Pflichten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern

(1) Es muss gesetzlich geregelt werden, in welchem Zeitraum Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer oder Auszubildende ihren Arbeitgeber oder ihre Arbeit-
geberin von ihrer Absicht informieren müssen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren
oder sich freistellen zu lassen.

(2) Anspruchsberechtigte müssen ein garantiertes Rückkehrrecht auf den vor
ihrer Freistellung eingenommenen Arbeitsplatz haben. Ist dies aus betriebsbe-
dingten Gründen nicht möglich, ist ihnen ein vergleichbarer Arbeitsplatz anzu-
bieten. Dieser muss vergleichbar sein sowohl hinsichtlich der Art der Tätigkeit,
der Bezahlung, der Aufstiegsmöglichkeiten als auch hinsichtlich der räumli-
chen Entfernung vom Wohnort.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die wegen der Kinderbetreuung ihre Ar-
beitszeit reduzieren, haben einen Rechtsanspruch auf die Rückkehr zur V oll-
zeitarbeit.

(3) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie Auszubildenden ist für die
Dauer ihrer Freistellung ein erweiterter Kündigungsschutz einzuräumen. Die-
ser soll vom Zeitpunkt der Information des Arbeitgebers über die beabsichtigte
Freistellung an gelten bis sechs Monate nach der W iederaufnahme der Er -
werbstätigkeit.

(4) Während der Inanspruchnahme von Rechten nach dem V ereinbarkeitsge-
setz dürfen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern keine Nachteile entstehen
bei der Berechnung von gesetzlichen oder betrieblichen Anwartschaften, Be-
förderungen, Treueprämien und anderen mit der Betriebszugehörigkeit verbun-
denen Vergünstigungen.
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(5) Während der Zeit der Inanspruchnahme von Rechten nach dem V ereinbar-
keitsgesetz sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Qualif zierungs-
maßnahmen des Betriebes einbezogen werden.

8. Sozialversicherungs- und Rentenbeiträge für sozialversicherungspflich-
tig Beschäftigte

(1) Für die Zeit der Freistellung werden aus einem Fonds der Bundesanstalt für
Arbeit gezahlt:

a) ein Ausgleich der Abgaben zur Arbeitslosen-, Kranken- und Pf egeversiche-
rung bis zu einer Höhe, die den Beiträgen für ein durchschnittliches monatli-
ches Erwerbseinkommen aller sozialversicherungspf ichtig Beschäftigten
entspricht,

b) Rentenbeiträge auf der Basis des durchschnittlichen monatlichen Erwerbs-
einkommens aller rentenversicherungspf ichtig Beschäftigten.

(2) Für die Zeit der Arbeitszeitreduzierung erfolgt aus einem Fonds der Bun-
desanstalt für Arbeit eine Aufstockung der Beiträge zur Arbeitslosen-, Kran-
ken-, Pflege- und Rentenversicherung auf die Höhe der Beiträge, die bei eine
Vollzeiterwerbseinkommen zu entrichten wären.

9. Anspruchsberechtigte ohne sozialversicherungspflichtiges Beschäfti-
gungsverhältnis

Für Erwerbspersonen, die nicht in einem sozialversicherungspf ichtigen Be-
schäftigungsverhältnis stehen, sind analoge Bedingungen zu schaffen.

(1) Die Bemessungsgrundlage für die Einkommensersatzleistungen an Selb-
ständige, freiberuflich Tätige und Erwerbstätige mit ve gleichbarem Erwerbs-
status ist das versteuerte durchschnittliche Nettoeinkommen des vorletzten Ka-
lenderjahres. Auf Antrag kann aktuell veranlagt werden.

Die Einkommensersatzleistung beträgt 90 vom Hundert des durchschnittlich
erzielten Nettoeinkommens bis zu einer Ober grenze in der Höhe des durch-
schnittlichen monatlichen Nettoverdienstes aller sozialversicherungspf ichtig
Beschäftigten.

Während der Zeiten der Inanspruchnahme des V ereinbarkeitsgesetzes sind für
Selbständige, freiberuflich Tätige und ve gleichbare Erwerbstätige gesetzliche
Sozial- und Rentenversicherungsleistungen zu leisten wie für sozialversiche-
rungspflichtig Beschäftigte, die Leistungen nach dem ereinbarkeitsgesetz be-
ziehen.

(2) Personen, die nicht erwerbstätig, aber arbeitslos gemeldet sind und der Ar-
beitsvermittlung zur Verfügung stehen, gehören ebenfalls zu den Anspruchsbe-
rechtigten.

Die Inanspruchnahme der Freistellung auf der Grundlage eines Vereinbarkeits-
gesetzes hat für die Zeit der Arbeitslosigkeit unterbrechende Wirkung.

Für die Zeiten der Freistellung erhalten Arbeitslose eine Lohnersatzleistung in
Höhe von 90 Prozent des Einkommens, das die Bemessungsgrundlage für ihr
Arbeitslosengeld bzw. für ihre Arbeitslosenhilfe darstellt. Liegt diese Lohner -
satzleistung unter dem Grundsicherungsniveau, wird es auf die Höhe des
Grundsicherungsbetrages aufgestockt.

Für die Zeiten der Freistellung sind die Sozialversicherungsbeiträge und die
Rentenbeiträge für Arbeitslose zu entrichten wie für sozialversicherungspf ich-
tig Beschäftigte, die Leistungen nach dem Vereinbarkeitsgesetz beziehen.
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– 10 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

(3) Die finanziellen Leistungen für Studierende, Schülerinnen, Schüler und Aus
zubildende ohne oder mit geringem Einkommen werden wie die f nanziellen
Leistungen für Niedriglohnbezieherinnen und Niedriglohnbezieher in der Zeit
der Freistellung wegen Kinderbetreuung auf Grundsicherungsniveau angehoben.

Für Zeiten der Freistellung oder der Arbeitszeitreduzierung werden Beiträge
zur Renten- und Sozialversicherung für Studierende, Schülerinnen, Schüler
und Auszubildende gezahlt wie für sozialversicherungspf ichtig Beschäftigte,
die Leistungen nach dem Vereinbarkeitsgesetz beziehen.

(4) Für Beamte und Beamtinnen sind in die für sie geltenden Gesetze Bestim-
mungen aufzunehmen, die eine Inanspruchnahme von Leistungen nach dem
Vereinbarkeitsgesetz ermöglichen und den Bedingungen der sozialversiche-
rungspflichtig Erwerbstätigen entsprechen.

10. Aufgabe der Arbeitsämter

(1) Bei den Arbeitsämtern soll eine „V ereinbarkeitsstelle“ geschaffen werden,
deren Aufgabe es ist, sowohl Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei der
Wahrnahme ihrer Rechte aus dem Vereinbarkeitsgesetz zu unterstützen als auch
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber bei der Planung und V ermittlung von Stell-
vertretungen zu beraten.

(2) Zur Förderung der V ereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit
sind in den Arbeitsämtern Stellenpools zu bilden aus den bei ihnen registrierten
Arbeitssuchenden sowie eine Stellenbörse aus den Stellenangeboten der Unter-
nehmen.

11. Finanzierung der Ansprüche aus dem Vereinbarkeitsgesetz

(1) Die Finanzierung der f nanziellen Leistungen für die Anspruchsberechtig-
ten eines V ereinbarkeitsgesetzes erfolgt über einen bei der Bundesanstalt für
Arbeit einzurichtenden Fonds. Dieser soll zu einem Teil aus Steuermitteln und
zu einem anderen Teil aus Versicherungsbeiträgen finanziert werden

(2) Eine soziale Grundsicherung, die dem im Antrag der PDS – Drucksache 13/
3628 – vorgeschlagenen Konzept entspricht, soll verhindern, dass während der
Freistellung oder während der Zeit der Arbeitszeitreduzierung das Einkommen
unter das existentiell Notwendige absinkt.

12. Zuständigkeit, Verfahren bei der Ausführung

Die Landesregierungen oder die von ihnen beauftragten Stellen bestimmen,
welche Behörden für die Ausführung eines V ereinbarkeitsgesetzes zuständig
sind.

D. Voraussichtliche Kosten

Die voraussichtlichen Mehrkosten sind schwer quantif zierbar und variieren je
nach Inanspruchnahme. Die Erfahrungen mit dem Bundeserziehungsgeldgesetz
zeigen, dass bei Frauen mit einer hohen Inanspruchnahme gerechnet werden
kann, die Akzeptanz bei Männern aber auch bei entsprechenden gesetzlichen
Regelungen in der Anfangszeit noch gering sein dürfte. Bei einer Inanspruch-
nahme durch 90 % der Frauen und 3 % der Männer entstehen in den ersten
Jahren zwischen 20 und 30 Mrd. DM zusätzliche Kosten. In späteren Jahren
wird sich voraussichtlich die Zahl der Frauen mit Freistellung, aber auch der
Anteil der Männer, die den Freistellungsanspruch beanspruchen, erhöhen. Dann
sind – beispielsweise bei Inanspruchnahme durch 95 % Frauen und 20 % Män-
ner – mit 30 bis 40 Mrd. DM Mehrkosten zu rechnen.
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Dem stehen voraussichtliche Einsparungen von rund 7 Mrd. DM im Bund beim
Bundeserziehungsgeld, in einigen Ländern beim Landeserziehungsgeld von
insgesamt rund 1,5 Mrd. DM und in den Kommunen bei der Sozialhilfe für Al-
leinerziehende im Erziehungsurlaub von rund 2 Mrd. DM jährlich gegenüber.

Berlin, den 22. Februar 2000

Christina Schenk
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung der Einzelregelungen in Punkt C:

Zu Absatz 1 (Recht auf Freistellung mit Lohnersatzleistung)

1. Mit dem Vereinbarkeitsgesetz wird jedem Elternteil die Möglichkeit einge-
räumt, sich zwölf Monate von der Erwerbstätigkeit freistellen zu lassen und
die Betreuung des Kindes selbst zu übernehmen.

Damit die Betreuenden selbst entscheiden können, in welchem Lebensab-
schnitt des Kindes sie von dieser Freistellung Gebrauch machen wollen,
können sie die Freistellung bis zum vollendeten 14. Lebensjahr des Kindes
wahrnehmen. Das garantiert ihnen größtmögliche Planungsfreiheit. Zwar
kann man davon ausgehen, dass die Mehrheit der Frauen eine Freistellung
von der Erwerbsarbeit in den ersten Lebensjahren des Kindes in Anspruch
nehmen wird, jedoch ist auch ein großer Teil von ihnen bei der Geburt ihres
ersten Kindes in einem Lebensalter, in dem sie erste berufliche Orientierun
gen vornehmen und die entscheidenden Weichen für die weitere beruf iche
Zukunft stellen, so dass viele ihre Freistellung erst zu einem späteren Zeit-
punkt beanspruchen können.

Auch die Festlegung, den Freistellungsanspruch während der gesamten
Kindheit in mehreren Zeitabschnitten einzulösen, gibt den Betreuenden die
Sicherheit, dass sie eine Freistellung entsprechend den Bedürfnissen des
Kindes und ihrer eigenen Lebensumstände disponibel handhaben können.

Zum Prinzip, den Eltern eine selbst bestimmte Gestaltung ihres Arrange-
ments von Berufstätigkeit und Familie zu ermöglichen, gehört es, dass sie –
anders als im BErzGG vorgeschrieben – die Freistellung zur Betreuung des
Kindes auch gleichzeitig in Anspruch nehmen können. Es ist anzunehmen,
dass diese Phase bei der Mehrheit der Eltern in der ersten Zeit nach der Ge-
burt des Kindes liegen wird. Die Möglichkeit einer f exiblen Aufteilung in
Zeitabschnitte lässt Betreuenden aber einen großen Gestaltungsspielraum,
so dass sie zwischen Gleichzeitigkeit und zeitlichem Nacheinander der Frei-
stellungsansprüche wechseln können.

2. Mit der Einführung eines individuellen, nicht übertragbaren Rechtsan-
spruchs von Vätern auf Freistellung mit Lohnersatzleistung soll die Motiva-
tion von Vätern gestärkt werden, sich ebenfalls an der Kinderbetreuung zu
beteiligen.

Wie eine Reihe neuerer Untersuchungen gezeigt hat, ist bereits kurze Zeit
nach der Geburt eines Kindes ein Rückzug der Väter aus den Familien zu
beobachten. Da in der Regel die Frauen den Anteil der Väter an Kinderbe-
treuung und Haushaltsarbeiten mit übernehmen, er gibt sich für die meisten
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von ihnen keine Notwendigkeit, die Erwerbsarbeit wegen der Kinder auch
nur für eine kurze Berufsphase zurückzustellen. Ein nicht übertragbarer
Freistellungsanspruch würde zumindest verhindern, dass Frauen überpro-
portional lange dem Erwerbsleben fernbleiben, weil sie die Freistellungsan-
sprüche der Väter – wie im Erziehungsurlaub – automatisch selbst überneh-
men.

Dass der Anspruch verfällt, wenn er nicht wahr genommen wird, könnte zu-
mindest auf den T eil der „neuen“ Väter , der sich selbst als „familienorien-
tiert“ definiert, den Druck verstärken, für kurze Zeit die Berufstätigkeit z
unterbrechen, weil andernfalls dem Kind familiale Betreuungszeit verloren-
ginge.

Arbeitsmarktpolitisch soll ein nicht übertragbarer individueller Anspruch
auf einjährige bezahlte Freistellung für jeden der beiden Eltern verhindern,
dass Unterbrechungen wegen der Kinder einseitig den Müttern zugeordnet
werden. Den daraus folgenden Arbeitsmarktdiskriminierungen von Frauen
soll damit die Grundlage entzogen werden.

Ausnahmen von der Nichtübertragbarkeit sollen allerdings in Härtefällen
zulässig sein, z. B. wenn körperliche oder psychische Krankeit eines Be-
rechtigten die Inanspruchnahme unmöglich macht.

3. Allein sorgeberechtigte Eltern haben zwei Optionen: Sie können den nicht
eingelösten Freistellungsanspruch mit Lohnersatzleistung einer anderen Be-
zugsperson übertragen, sie können den Freistellungsanspruch aber auch
selbst zusätzlich zu ihrem eigenen Anspruch einlösen, wenn es keine zweite
Bezugsperson gibt. Kindern von allein sor geberechtigten Eltern steht damit
dasselbe Zeitbudget für Betreuung durch Mutter (oder Vater) zur Verfügung
wie Kindern mit zwei Anspruchsberechtigten.

4. Die Geburt oder Adoption mehrerer Kinder stellt eine zusätzliche Belastung
für Eltern dar, ebenso wie die Geburt oder Adoption eines behinderten Kin-
des. Dieser zusätzlichen Schwierigkeit soll damit Rechnung getragen wer-
den, dass die Zeit der bezahlten Freistellung für jeden der Berechtigten ver -
doppelt wird.

Wenn eine betreuende Person selbst behindert ist, soll der Anspruch eben-
falls verdoppelt werden, da sich auch in diesem Falle zusätzliche Belastun-
gen für die Alltagsorganisation von Kind und Beruf ergeben.

5. Eine Lohnersatzleistung – statt eines Erziehungsgeldes – ist eine der wich-
tigsten Voraussetzungen dafür, dass sich Mütter und Väter ein Jahr von der
Erwerbsarbeit freistellen lassen können, ohne große f nanzielle Einbußen zu
riskieren.

Die bisherige Konstruktion des BErzGG, die während des Erziehungsur-
laubs für zwei Jahre ein – einkommensabhängiges – Erziehungsgeld von
maximal 600 DM vorsieht, macht Frauen ausnahmslos f nanziell von ande-
ren abhängig: Diejenigen, die mit einem Partner zusammenleben, sind ab-
hängig von seinem Erwerbseinkommen, und Frauen, die nach der Geburt
des Kindes allein erziehend sind, werden im Erziehungsurlaub ausnahmslos
abhängig von der Sozialhilfe.

Es gehört zu den Zielen des V ereinbarkeitsgesetzes, Männern und Frauen
die gleichberechtigte Teilnahme an Erwerbsarbeit und an Familienarbeit zu
ermöglichen. Daher muss auch die Finanzierung während der Freistellung
so geregelt sein, dass für Familien keine wirtschaftliche Notwendigkeit be-
steht, in die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung zurückzufallen und den
Freistellungsanspruch nur der Mutter zuzuordnen. Eine 90-prozentige Lohn-
ersatzleistung würde den V erdienstausfall weitgehend kompensieren, so
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dass auch Väter ohne größere wirtschaftliche Einbußen für die Familie ihren
Freistellungsanspruch einlösen können.

Eine 90-prozentige Ersatzleistung, maximal bis zur Höhe des durchschnittli-
chen Nettoverdienstes aller versicherungspf ichtig Beschäftigten, würde für
junge Familien eine adäquate und kalkulierbare Größe darstellen.

Wenn der Lohnersatz das soziokulturelle Existenzminimum unterschreitet –
z. B. bei Frauen in der Berufsausbildung oder in der Erstverdienerphase –,
soll der Lohnersatz aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit auf das Grund-
sicherungsniveau aufgestockt werden.

Zu Absatz 2 (Recht auf Freistellung mit Grundsicherungsanspruch)

1. Für Zeiten, in denen sich aus den Lebensumständen der Familie weiterer
Bedarf für familiale Betreuung ergibt, steht jedem der Eltern ein zusätzlicher
Zeitraum, hier jedoch mit Grundsicherungsanspruch, von insgesamt sechs
Monaten zur Verfügung.

Damit kann ein Kind insgesamt weitere zwölf Monate zu Hause betreut wer-
den.

Dieser zusätzliche Anspruch soll Eltern vor allem ermöglichen, auf Situatio-
nen, die eine erhöhte häusliche Betreuung des Kindes notwendig machen,
flexibel zu reagieren. Um Müttern und Vätern größtmögliche Dispositions
freiheit zu gewähren, kann der sechsmonatige Freistellungsanspruch eben-
falls gesplittet und zu verschiedenen Zeiten genommen werden.

2. Da der Anspruch auf sechsmonatige Freistellung den Eltern die Möglichkeit
geben soll, auf unvorher gesehene Eventualitäten mit zusätzlichem Betreu-
ungsbedarf adäquat zu reagieren, ist dieser Anspruch zwischen den Eltern
bzw. den Berechtigten übertragbar . Somit kann ein Elternteil im Höchstfall
alleine insgesamt zwölf Monate von der Erwerbsarbeit freigestellt werden.

3. Auch bei dem Recht auf Freistellung mit Grundsicherungsanspruch sollen
allein sorgeberechtigte Eltern wählen können, ob sie den übertragbaren T eil
einer weiteren Bezugsperson zur V erfügung stellen oder ob sie ihn selbst
einlösen. Diese W ahlmöglichkeit garantiert erwerbstätigen allein sor gebe-
rechtigten Müttern oder Vätern, dass sie sich f exibel auf die Bedürfnisse
des Kindes einstellen können.

4. Aus Gründen der Finanzierbarkeit wird für sechsmonatige zusätzliche Freistel-
lung keine Lohnersatzleistung gezahlt. Eine soziale Grundsicherung, wie sie
die PDS in der letzten Legislaturperiode entworfen hat (Druck sache 13/3628)
kann aber existenzielle Einbrüche der Anspruchsberechtigten verhindern.

Zu Absatz 3 (Recht auf Arbeitszeitreduzierung)

1. Im Jahr 1997 waren in Westdeutschland etwa 40 % aller berufstätigen Frauen
teilzeit erwerbstätig. Im Osten Deutschlands ist die T eilzeitarbeit zwar selte-
ner, aber auch hier ist sie inzwischen von 17,5 % im Jahr 1991 auf rund 26 %
angestiegen (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit Nr. 9/98).

Teilzeitarbeit ist eine äußerst prekäre Strategie zur V ereinbarkeit von Kind
und Beruf, nicht zuletzt deshalb, weil sie mit einer Reihe von Nachteilen
verbunden ist: Geringere Bezahlung, schlechtere Aufstiegschancen, verdich-
tete Arbeit im Beruf und niedrige Renten.

Eine individuelle Arbeitszeitverkürzung kann daher nur eine Notlösung
sein, bis sich deutlich kürzere Arbeitszeiten für alle Erwerbstätigen durchge-
setzt haben, wie dies von der PDS in der letzten Legislaturperiode gefordert
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wurde (Drucksache 13/1015). Eine drastische Arbeitszeitverkürzung würde
sowohl für mehr Arbeitsplätze sorgen, als auch dazu beitragen, dass Frauen
mit Kindern gleichberechtigt erwerbstätig sein können ohne die erdrückende
Konkurrenz von Männern – oder auch von kinderlosen Frauen –, die täglich
weit über den tariflich festgelegten 8-Stunden- ag hinaus arbeiten können.

Andererseits ist es aber zum jetzigen Zeitpunkt notwendig, denjenigen unter
den Erwerbstätigen, für die Teilzeitarbeit die einzige Möglichkeit der Verein-
barkeit von Kinderbetreuung und Beruf darstellt, Mindestgarantien zu gewäh-
ren, damit sie diese Möglichkeit ohne größere Nachteile nutzen können.

Der Anspruch, Teilzeit zu arbeiten, soll so lange gelten, bis sich eine allge-
meine drastische Arbeitszeitverkürzung durchgesetzt hat.

2. Es sollte den Eltern ermöglicht werden, diesen Teilzeitanspruch gleichzeitig
wahrzunehmen. In vielen Fällen wird dafür ein objektiver Bedarf vorliegen,
damit sich die Alltagsor ganisation reibungslos gestaltet: Zum Beispiel bei
Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeitern oder bei Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern, die überlange W egzeiten zwischen W ohnort und Arbeits-
platz zurücklegen müssen.

3. Zu den wichtigsten Risiken der T eilzeitarbeit gehören finanzielle Einbuße
als Folge dieser Arbeitszeitverkürzung. Deshalb ist eine Aufstockung auf
die Höhe des Betrags einer sozialen Grundsicherung vorzusehen.

Zu Absatz 4 (Berechtigte)

Berechtigt, Leistungen auf der Grundlage eines V ereinbarkeitsgesetzes zu be-
anspruchen, sollen alle Männer und Frauen sein, die im Erwerbsleben stehen
oder in der Berufsausbildung sind.

Die Ansprüche gelten individuell für die Berechtigten und sind bis auf einen
geringen Teil nicht zwischen den Eltern übertragbar . Damit soll erreicht wer -
den, dass Kinderbetreuung nicht nur Frauen, sondern auch Männern zugeord-
net wird. Von einem Gesetz, das Männern einen individuellen und nicht über -
tragbaren Anspruch gewährleistet, ist zu erwarten, dass es zumindest für einen
Teil der Väter verbindlich wird und damit das „Arbeitsmarktrisiko Kind“ etwas
gerechter zwischen den Geschlechtern verteilt.

a) Der Anspruch ist an die Personensorge gebunden, aber nicht daran, dass die
Person im selben Haushalt wie das Kind lebt. Damit soll der Vielfalt von Fa-
milienformen Rechnung getragen werden und auch dann gemeinsame All-
tagsverantwortung für das Kind ermöglicht werden, wenn Eltern zwar in ge-
trennten Haushalten leben, aber gemeinsam sorgeberechtigt sind.

b) Der gesamte Betreuungsanspruch von zwei mal 18 Monaten für ein Kind
kann auch dann eingelöst werden, wenn nur einer der Eltern das Sorgerecht
hat. In diesem Fall kann die Mutter bzw . der allein sorgeberechtigte Eltern-
teil die Ansprüche des fehlenden Elternteils einer anderen Bezugsperson
übertragen.

Diese Übertragungsmöglichkeit bietet vor allem drei Vorteile:

1. Sie trägt der Vielfalt der Lebensformen und den erweiterten Familiensyste-
men mit unterschiedlichen Formen von biologischer und sozialer Eltern-
schaft Rechnung,

2. sie ist Entlastungsmöglichkeit des allein sorgeberechtigten Elternteils, und

3. sie signalisiert Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen, dass potentiell nicht nur
biologische Eltern, sondern jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin
ihre Erwerbsarbeit wegen Kinderbetreuung einschränken kann.
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Zu Absatz 5 (Beginn und Dauer des Anspruchs)

Der Beginn aller Ansprüche nach einem Vereinbarkeitsgesetz wird getrennt für
Mütter und für Väter (oder für eine andere Bezugsperson) festgelegt: Der An-
spruch der Mutter soll im Anschluss an den gesetzlichen Mutterschutz, also
nach Ablauf von 8 W ochen (bei Früh- und Mehrlingsgeburten nach 12 W o-
chen) beginnen, der des Vaters vom Zeitpunkt der Geburt des Kindes an.

Gerade in den ersten Wochen nach der Geburt werden die entscheidenden Wei-
chen für die spätere innerfamiliale Arbeitsteilung gestellt. Familien, in denen
die Väter schon kurz nach der Geburt zu „abwesenden“ Vätern werden, neh-
men normalerweise auch später keine partnerschaftliche Arbeitsteilung mehr
auf.

Da hier vorgesehen ist, dass beide Anspruchsberechtigte auch gleichzeitig ihre
berufliche Freistellung einlösen können, können Väter bereits die früheste Le
bensphase ihres Kindes miterleben, ohne dass die Familie deshalb in fnanzielle
Existenznöte kommt.

Ist nur ein Elternteil sorgeberechtigt, kann eine weitere Person ebenfalls bereits
ab dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes die Möglichkeit der Freistellung ha-
ben.

Alle Ansprüche gelten bis zum vollendeten 14. Lebensjahr des Kindes. Es ist
zwar zu erwarten, dass die meisten Eltern ihre Rechte nach einem V ereinbar-
keitsgesetz in den ersten Lebensjahren des Kindes ausschöpfen werden. Das
liegt zum einen daran, dass jüngere Kinder einen größeren persönlichen Be-
treuungsbedarf haben als ältere, zum anderen aber daran, dass für Eltern mit
Kleinkind eine Zeitspanne von 14 Jahren kaum planbar ist.

Diese Zeitspanne wurde gewählt, damit Eltern langfristig disponieren können
und die Inanspruchnahme von Freistellung und Arbeitszeitreduzierung ihren
Lebens- und Erwerbsverläufen individuell anpassen können.

Auch für Adoptiveltern, die ihr Kind oft erst annehmen können, wenn es be-
reits älter ist, dürfte sich die Möglichkeit, eine Freistellung zu einem späteren
Zeitpunkt einzulösen, als positiv erweisen.

Anders als die Freistellung wird das Recht auf Arbeitszeitreduzierung voraus-
sichtlich auch im Normalfall noch bei älteren Kindern genutzt werden. Die
heutigen Erfahrungen mit Teilzeitarbeit zeigen, dass Frauen diese Arbeitsform
mindestens so lange wählen, wie sie noch versor gungsbedürftige Kinder im
Hause haben. Deshalb ist zu erwarten, dass die Möglichkeit einer Arbeitszeitre-
duzierung tatsächlich bis zum vollendeten 14. Lebensjahr des Kindes genutzt
wird.

Zu Absatz 6 (Ansprüche bei Trennung und Scheidung)

Familienpolitische Maßnahmen müssen sich an der heutigen Realität von Fa-
milien orientieren und Umbrüche in den Familienstrukturen der letzten Jahr-
zehnte mit berücksichtigen:

Derzeit kommen auf 100 Eheschließungen in Deutschland mehr als 40 Schei-
dungen. Allein 1997 waren 105 000 Kinder und Jugendliche von der Scheidung
ihrer Eltern betrof fen, wobei ihre Zahl seit Jahren kontinuierlich angestiegen
ist.

Ebenso steigt der Anteil der Kinder , deren Eltern nicht miteinander verheiratet
sind: 1997 wurden in Westdeutschland 14 % aller Kinder von einer unverheira-
teten Mutter geboren, im Osten waren es sogar 44 % (alle Daten: Statistisches
Bundesamt, Bevölkerungsstatistik).
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Rund 2,8 Millionen Kinder in Deutschland unter 18 Jahren – das sind mehr als
16 % aller Minderjährigen – leben bei einem allein erziehenden Elternteil – die
Mehrheit von ihnen bei der Mutter (Statistisches Bundesamt, Statistik der
Haushalte und Familien). In dieser Gruppe f nden sich unterschiedliche Kon-
stellationen der Elternschaft: Mütter (oder Väter), die mit ihrem Kind alleine
leben und alleine sorgeberechtigt sind, solche, die sich die Elternverantwortung
mit einer Lebenspartnerin oder einem Lebenspartner teilen und andere, die in
Wohngemeinschaften leben und wieder andere, die mit dem getrennt lebenden
Elternteil weiterhin die Verantwortung für Betreuung und Erziehung des Kin-
des teilen.

Die Tatsache, dass immer noch die Mehrheit der Kinder (84 %) mit zwei mit-
einander verheirateten Eltern zusammenlebt, täuscht über die wahre Komplexi-
tät der Familienformen hinweg: Wie die obengenannten Daten zeigen, sind die
in der amtlichen Statistik als Familien mit verheirateten Eltern Gezählten zum
großen Teil längst nicht mehr die Ursprungsfamilie, in die das Kind hinein ge-
boren wurde, sondern durch W iederheirat der Mutter oder des V aters neu zu-
sammengesetzte Familienkonstellationen.

Dieses breite Spektrum familialen Zusammenlebens macht es notwendig, von
vornherein Klarheit über die Anspruchslage bei T rennung, Scheidung und
Neuorganisation einer Familie zu schaffen.

Im vorliegenden Antrag ist geregelt, dass Ansprüche aus dem V ereinbarkeits-
gesetz an das Kind gebunden sind. Das bedeutet, dass ein nicht oder noch nicht
vollständig eingelöster Anspruch nach der T rennung eines Elternteils weiter
beim Kind bleibt. Ist der Vater (oder die Mutter) des Kindes nach der Trennung
nicht sor geberechtigt, kann der restliche Anspruch (eine Übertragung nach
Punkt 4 Absatz 2 vorausgesetzt) von einer anderen sozialen Bezugsperson ein-
gelöst werden – auch von einem späteren neuen Partner oder einer neuen Part-
nerin der Mutter bzw. des Vaters.

Zu Absatz 7 (Rechte und Pflichten von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern)

1. Die T ermine, zu denen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber über geplante
Freistellungen oder Arbeitszeitreduzierungen informiert werden, müssen so
bemessen sein, dass in den Betrieben und Arbeitsstätten eine kalkulierbare
Personalplanung möglich ist.

2. Es gehört zu den wichtigsten V oraussetzungen für eine kontinuierliche Be-
rufstätigkeit, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer beruf i-
chen Pause wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurückkehren können. Nur in
Ausnahmefällen, wenn dies nicht möglich ist, soll ein ver gleichbarer Ar -
beitsplatz angeboten werden – ver gleichbar in möglichst allen Punkten, die
sowohl für die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Berufstätigkeit rele-
vant sind als auch für die weitere Berufsplanung. Nur so ist gewährleistet,
dass eine Berufsunterbrechung wegen der Kinderbetreuung keine größeren
Nachteile mit sich bringt.

Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die auf der Grundlage eines Ver-
einbarkeitsgesetzes Teilzeit erwerbstätig sind, muss nach Ablauf der An-
spruchsfrist die Rückkehrmöglichkeit zur Vollzeiterwerbstätigkeit sicherge-
stellt sein. Erst durch das Rückkehrrecht auf Vollzeitarbeit ist eine wirkliche
Wahl zwischen den verschiedenen unterstützenden Maßnahmen, die dieser
Antrag vorsieht, garantiert.

3. Ein Kündigungsschutz muss über die Zeit der Freistellung bzw. der Arbeits-
platzreduzierung hinausgehen, da – wie die Erfahrungen mit Rückkehrerin-
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nen und Rückkehrern aus dem Erziehungsurlaub gezeigt haben – Frauen mit
Kindern unverhältnismäßig oft nach ihrer Berufsrückkehr im Rahmen einer
fristgerechten Kündigung innerhalb von sechs Monaten gekündigt wird. In
den ostdeutschen Bundesländern ist dies besonders häuf g der Fall. Aus die-
sen Erfahrungen heraus erweist es sich als notwendig, die Arbeitsplatz-
sicherheit mit einem erweiterten Kündigungsschutz von sechs Monaten zu
verbessern.

4. Eine Reihe innerbetrieblicher Vergünstigungen sind gebunden an eine konti-
nuierliche Erwerbstätigkeit – z. B. Anwartschaften, Beförderungen, T reue-
prämien usw. Mütter oder Väter , die wegen der Kinderbetreuung zeitweise
aus der Erwerbstätigkeit aussteigen, wären gegenüber anderen Erwerbstäti-
gen deutlich benachteiligt, wenn sie von diesen Leistungen ausgeschlossen
blieben.

5. Mit einem Rechtsanspruch auf Qualif zierung sollen die beruflichen Chan
cen bei erneuter Aufnahme der Berufstätigkeit verbessert werden.

Das Recht auf Qualifizierung verbessert zudem die Möglichkeit von E -
werbstätigen, Kinderbetreuungszeiten mit beruf icher Weiterbildung zu ver-
binden.

Eine solche Regelung liegt sowohl im Interesse der Erwerbstätigen als auch
im Interesse der Arbeitgeberinnen und der Arbeitgeber.

Zu Absatz 8 (Sozialversicherungs- und Rentenbeiträge für Sozialversiche-
rungspflichtige)

1. Damit Anspruchsberechtigte wegen Freistellung oder Arbeitszeitverkürzung
nicht gegenüber anderen Erwerbstätigen diskriminiert werden, müssen für
sie die Beiträge zur Sozialversicherung weiter gezahlt werden.

Die an den Beiträgen für ein durchschnittliches Einkommen orientierte
Höhe gewährleistet, dass ihnen auch in Notfällen – wie Krankheit oder Ar-
beitslosigkeit – der volle Versicherungsschutz erhalten bleibt.

2. Unterbrechung der Erwerbsbiographie und T eilzeitarbeit gehören heute zu
den wichtigsten Armutsrisiken, von denen vor allem Frauen betroffen sind.
Wenn Frauen im Alter nur auf ihre eigenen Rentenansprüche angewiesen
sind und nicht auf die Rente oder auf abgeleitete Rentenansprüche ihres
Ehemannes zurückgreifen können, sinkt bei den meisten von ihnen der Le-
bensstandard unter das soziokulturelle Existenzminimum. Ihre eigenen, aus
meist diskontinuierlichem „typisch weiblichem“ Erwerbsverlauf erworbe-
nen Rentenansprüche sind so niedrig, dass die meisten Frauen auch im Alter
finanziell auf ihre Partner angewiesen sind

Damit das V ereinbarkeitsgesetz nicht zu einem neuen Altersarmutsrisiko
wird für diejenigen, die es beanspruchen, müssen während der Freistellung
und der Arbeitszeitreduzierung für sie Rentenbeiträge auf der Basis der
Höhe des durchschnittlichen monatlichen Erwerbseinkommens aller versi-
cherungspflichtig Beschäftigten eingezahlt werden

Zu Absatz 9 (Anspruchsberechtigte ohne sozialversicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis)

Ein Vereinbarkeitsgesetz soll dazu beitragen, dass die V ereinbarkeit von Kin-
derbetreuung und Erwerbstätigkeit für alle Gruppen der Gesellschaft selbstver-
ständlich wird. Daher müssen auch für die zunehmend größer werdende
Gruppe von Menschen, die nicht in einem sozialversicherungspf ichtigen Be-
schäftigungsverhältnis stehen, adäquate Bedingungen geschaffen werden.
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– 18 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

1. Mit jedem Jahr nimmt die Zahl der Frauen und Männer ab, die sozialversi-
cherungspflichtig beschäftigt sind. Im Gegenzug steigt die Zahl der Selb
ständigen und der freiberuf ich Tätigen. Es handelt sich bei ihnen um eine
inhomogene Gruppe, deren beruf iche Bedingungen und Einkommen oft er-
heblichen Schwankungen unterliegen.

Vor allem den gering Verdienenden unter ihnen soll das Vereinbarkeitsgesetz
für den Fall häuslicher Kinderbetreuung ein gewisses Maß an Planungssi-
cherheit garantieren.

2. Unterbrechungen der Erwerbsbiographie durch längere oder kürzere Zeiten
der Arbeitslosigkeit betref fen heute weite T eile der Erwerbsbevölkerung.
Mit der Gewährung von Leistungen nach dem Vereinbarkeitsgesetz während
Zeiten der Arbeitslosigkeit wird eine Benachteiligung arbeitsloser Eltern
vermieden.

3. Die Zahl der Frauen und Männer, die während der Familiengründungsphase
ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben, nimmt kontinuierlich zu.
Der Grund liegt zum einen in den gegenüber früher deutlich längeren Aus-
bildungszeiten, zum anderen aber auch darin, dass sich heute wesentlich
mehr Erwachsene entscheiden – oder sich aus Arbeitsmarktgründen ge-
zwungen sehen –, nach einer abgeschlossenen ersten noch eine zweite Aus-
bildung zu absolvieren.

Freistellungsansprüche und die Zahlung einer Grundsicherung bzw . eine
Aufstockung der Einkünfte auf Grundsicherungsniveau verhindern, dass in
Ausbildung befindliche Eltern gegenüber anderen Eltern Nachteile haben

4. Beamte und Beamtinnen gehören zu den Erwerbstätigen, die nicht sozial-
versicherungspflichtig und nicht in der gesetzlichen Rentenversicherun
sind. Da ein Vereinbarkeitsgesetz zu einer breiten gesellschaftlichen Akzep-
tanz für Zeiten der Kinderbetreuung während der Erwerbstätigkeit beitragen
soll, müssen alle Erwerbspersonen in einem V ereinbarkeitsgesetz berück-
sichtigt werden.

Zu Absatz 10 (Aufgabe der Arbeitsämter)

1. Die örtlichen Arbeitsämter sollen mit einer speziell eingerichteten V erein-
barkeitsstelle sowohl für Erwerbstätige als auch Arbeitgeberinnen und Ar-
beitgeber bei allen aus Gründen der Kinderbetreuung vor genommenen Ar-
beitszeitverkürzungen oder Freistellungen unterstützend tätig werden. Die
Unterstützung soll sowohl eine umfassende Beratung, die Vermittlung erfor-
derlicher Vertretungen als auch die Organisation eines Stellentausches unter
Beachtung der V ergleichbarkeitskriterien beinhalten. Da dies im Rahmen
der bisher üblichen Struktur der Arbeitsämter nicht gewährleistet ist, soll
eine Vereinbarkeitsstelle diese Struktur ergänzen.

2. Ein Vereinbarkeitsgesetz stellt Unternehmen möglicherweise vor neue Pro-
bleme im Personalplanungsbereich. Dies könnte vor allem in kleineren und
mittleren Unternehmen der Fall sein, da dort wegen geringerer Personalka-
pazitäten häufig keine Möglichkeit besteht, schnell und reibungslos Stell
vertretungen zu or ganisieren. Ein Stellenpool des Arbeitsamtes würde hier
in zweierlei Richtungen wirken:

a) Es können relativ problemlos Stellvertretungen gefunden werden, und

b) es können Arbeitslose über diesen Stellenpool in – wenn auch befristete –
Arbeitsverhältnisse einsteigen.
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Zu Absatz 11 (Finanzierung der Leistungen nach dem Vereinbarkeits-
gesetz)

1. Kindererziehung und -betreuung ist eine Aufgabe der gesamten Gesell-
schaft, die von allen solidarisch mit f nanziert werden muss. Mit dem vorlie-
genden Antrag soll daher das bisher allein steuerf nanzierte Erziehungsgeld-
modell durch ein steuer - und versicherungsfinanziertes Modell ersetz
werden.

2. Zu den elementaren Reformalternativen der PDS gehört die soziale Grund-
sicherung (Drucksache 13/3628). Diese soziale Grundsicherung soll allen,
die kein eigenes Einkommen haben, eine staatliche Leistung gewähren, die
ein Existenzminimum garantiert und vor V erarmung und wirtschaftlicher
Abhängigkeit schützt. Eine Finanzierung der sozialen Grundsicherung ent-
hält neben versicherungsf nanzierten auch steuerfinanzierte Bestandteile

Zu Absatz 12 (Zuständigkeit, Verfahren bei der Ausführung)

Die Übertragung der Zuständigkeit auf die Länder und auf die von ihnen zu be-
stimmenden Stellen und Behörden hat sich bereits bei der Durchführung des
Bundeserziehungsgeldgesetzes bewährt.

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