BT-Drucksache 14/26

Abschaffung des Flughafenverfahrens (§ 18 a AsylVfG)

Vom 10. November 1998


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/26 vom 10.11.1998

Antrag der Fraktion der PDS Abschaffung des Flughafenverfahrens (§ 18
a AsylVfG) =

10.11.1998 - 26

14/26

Antrag
der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Heidemarie Lüth, Rosel
Neuhäuser, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Abschaffung des Flughafenverfahrens (§ 18 a AsylVfG)

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen
Gesetzentwurf vorzulegen, demzufolge der § 18 a (Flughafenverfahren)
aus dem Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) ersatzlos gestrichen wird.
Bonn, den 10. November 1998
Petra Pau
Ulla Jelpke
Heidemarie Lüth
Rosel Neuhäuser
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
1. Die Würde der Asylsuchenden wird im Flughafenverfahren verletzt.
Darauf haben seit Inkrafttreten des novellierten Asylverfahrensgesetzes
nicht nur Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl,
Amnesty International oder das Forum Menschenrechte hingewiesen. Auch
Anwaltsvereinigungen und die katholische und evangelische Kirche haben
einvernehmlich gefordert, das Flughafenverfahren aus rechtlichen und
humanitären Gründen abzuschaffen.
Das Flughafenverfahren (§ 18 a Asylverfahrensgesetz) schreibt vor, daß
Asylsuchende, die ohne gültigen Paß oder Paßersatz auf dem Luftweg die
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehren oder aus einem
sicheren Herkunftsstaat (§ 29 a AsylVfG) kommen, ihr Asylverfahren
direkt am Flughafen betreiben müssen und nicht in die Bundesrepublik
Deutschland einreisen dürfen.
Während der gesamten Dauer des Flughafenverfahrens müssen die
Asylsuchenden auf dem "exterritorialen" Gebiet des Flughafentransits
verbleiben.
Die Lebensbedingungen dort sind für die betroffenen Menschen, darunter
viele Kinder, weitgehend unerträglich und gleichen einer
Gefängnisunterbringung. Die Schlafräume sind überbelegt, die sanitären
Einrichtungen mangelhaft, die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung kaum
vorhanden. Bewegung unter freiem Himmel gleicht dem Hofgang in
Haftanstalten. Die Menschen leiden darunter, daß völlig ungewiß ist,
wie ihr Verfahren ausgehen wird und wann sie Bescheid erhalten. Die
Zahl der Selbstverstümmelungen und Selbstmordversuche ist hoch. Alleine
in diesem Jahr haben nach Angaben des Flughafen-Sozialdienstes
Frankfurt am Main elf Menschen versucht, sich umzubringen. In den
vergangenen Jahren lagen die Zahlen ähnlich hoch. 1995 haben sich nach
Auskunft der alten Bundesregierung zehn, 1996 sieben Menschen
Selbstverletzungen beigebracht (Drucksachen 13/3769, 13/8386). Der
Flughafen-Sozialdienst hat dokumentiert, daß Flüchtlinge Essen und
Trinken verweigern, sich die Pulsadern aufschneiden, den Kopf
wiederholt gegen die Wand stoßen oder Rasierklingen verschlucken
(Quelle: Flughafen-Sozialdienst Frankfurt am Main: Dokumentation, hrsg.
vom Evangelischen Regionalverband Frankfurt am Main und dem
Caritasverband Frankfurt e. V., Oktober 1998).
Kinder leiden noch stärker an den entwürdigenden Umständen des
Verfahrens. Die Unterbringung auf dem Flughafen ist nicht kind- und
familiengerecht. Neben die traumatischen Erlebnisse, die zur Flucht
führten, tritt die Erfahrung, daß die Eltern sie nicht beschützen
können. Sie werden oft Zeugen von Verzweiflungstaten der Eltern oder
anderer im Transit einsitzender Menschen und haben keine Chance, solche
Erlebnisse kindgerecht zu verarbeiten.
Die Asylsuchenden müssen oft wesentlich länger im Transitbereich
bleiben, als dies gesetzlich eigentlich zulässig ist. Nach dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 dürfen Asylsuchende
eigentlich nur maximal 23 Tage im Transitbereich festgehalten werden.
Ist das Asylverfahren bis dahin nicht abgeschlossen, ist ihnen die
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu gestatten. Das
Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat zudem im November 1996
festgelegt, daß auch abgelehnte Asylsuchende nicht länger als 19 Tage
im Transitbereich verbleiben dürfen, wenn sie nicht zurückgewiesen
werden können. Der Flughafen-Sozialdienst Frankfurt am Main hat
nachgewiesen, daß die längste Verweildauer eines Flüchtlings auf dem
Frankfurter Flughafen im vergangenen Jahr 286 Tage betrug, 1996 waren
es 268 Tage und 1995 waren es 187 Tage.
2. Die Rechtsschutzmöglichkeiten für Asylsuchende im
Flughafenverfahren sind völlig unzureichend.
Denn die Asylsuchenden ohne gültige Papiere oder aus "sicheren
Herkunftsstaaten" werden direkt bei ihrer Ankunft durch den
Bundesgrenzschutz nach Fluchtweg und Fluchtgrund befragt. Anschließend
erfolgt die Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (BAFl). Die Erfahrungen von Organisationen
wie Pro Asyl zeigen, daß die Entscheiderinnen und Entscheider des BAFl
auf dem Flughafen kaum in der Lage sind, ein ordnungsgemäßes und
unvoreingenommenes Prüfungsverfahren individueller Fluchtgründe
vorzunehmen. Obwohl mittlerweile die vom Bundesverfassungsgericht
angemahnte asylkundliche Beratung für das Flughafenverfahren eingeführt
wurde, haben viele Asylsuchende kaum die Möglichkeit, sich noch vor der
Anhörung asylrechtlichen Beistand zu organisieren. Lehnt das BAFl ihren
Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab, bleiben den Asylsuchenden
und ihren Anwältinnen und Anwälten ganze drei Tage, um Rechtsmittel
gegen den Entscheid einzulegen, und weitere maximal vier Tage, um diese
zu begründen. In dieser Frist müssen sie sich um anwaltlichen Beistand
bemühen. Den Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten bleibt kaum Zeit,
Ermittlungen über die Situation im Herkunftsland der/des Asylsuchenden
und die individuelle Fluchtgeschichte durchzuführen.
Diese unzumutbare Einschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten für
Flüchtlinge im Flughafenverfahren ist aus rechtsstaatlichen,
bürgerrechtlichen und humanitären Gründen nicht hinzunehmen.

10.11.1998 nnnn

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