BT-Drucksache 14/2560

Sicherheit von Transport- und Lagerbehältern für hochradioaktiven Atommüll

Vom 20. Januar 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2560
14. Wahlperiode 20. 01. 2000

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser,
Angela Marquardt und der Fraktion der PDS

Sicherheit von Transport- und Lagerbehältern für hochradioaktiven Atommüll

Die Sicherheit von Transportbehältern bzw. Transport- und Lagerbehältern für
abgebrannte Brennelemente und Glaskokillen ist umstritten. 1998 kam ans
Licht, dass jahrelang bei Atomtransporten Grenzwerte für radioaktive Außen-
kontamination am Behälter überschritten worden waren („Castor-Skandal“).
Dieser Rechtsbruch ist den beteiligten Nuklearunternehmen bekannt, wurde
aber verschwiegen. Den Aufsichtsbehörden, die für die Sicherheit der Trans-
porte und den Schutz der Bevölkerung verantwortlich sind, ist es über Jahre
nicht gelungen, diese Grenzwertüberschreitung aufzudecken und zu beenden.
Insgesamt waren die Vorgänge rund um die Abwicklung der Atomtransporte
von mangelnder Transparenz, mangelnder Kommunikation zwischen den Ver-
antwortlichen und inakzeptabler Informationspolitik geprägt.

Neben dem Castor-Skandal sind jedoch in den vergangenen Jahren weitere
Sicherheitsprobleme bei Atomtransportbehältern bekannt geworden:

 Behälter NTL 11
Wegen mehrmaligen Versagens der Befestigungsbolzen des Deckelstoss-
dämpfers beim Falltest wurden die Behälterzulassungen in Großbritannien,
Frankreich und Deutschland zurückgezogen. Nach seiner ersten Zulassung
war die Behälterkonstruktion geändert worden, ohne dass die Stabilität in
neuen Falltests geprüft wurde.

 Behälter NTL 10 und TN 13/2
1998 wurde bekannt, dass es bei einigen Behältern zum Abschmelzen bzw.
Abtropfen von Neutronenmoderatormaterial gekommen ist. Dieses Material
soll die gefährliche Neutronenstrahlung abschirmen und so reduzieren. De-
fekte beim Moderatormaterial können entsprechend zu erhöhter Neutronen-
strahlung an der Außenseite der Behälter führen. Potenziell könnten auch
beim Behälter TN 17/2 wegen ähnlicher Konstruktion Probleme mit dem
Moderatormaterial auftauchen.

 Castor – Moderatorstab-Bohrungen
1999 wurde öffentlich, dass die Löcher, in denen Spezialstäbe zur Abschir-
mung der Neutronenstrahlung in die Castorbehälter eingelassen werden, zu
klein sind, um den Moderatorstäben auch bei Wärmeausdehnung genügend
Platz zu bieten. Auch hier besteht das Risiko einer verringerten Abschirm-
wirkung und damit einer höheren Gefährdung durch Neutronenstrahlung.

Drucksache 14/2560 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

 Castor – Neutronenfenster
Das Moderatormaterial zur Neutronenabschirmung kann die Neutronen-
strahlung nicht vollständig abschirmen. Es gibt sogenannte „Neutronen-
fenster“, durch die die Strahlung weiterhin nach außen dringt. Zu einer
besonders stark erhöhten Neutronenstrahlung kommt es aufgrund der Kon-
struktion an den Kopf- und Fußenden der Castor-Behälter. Ob die Abschir-
mung hier noch ausreichend ist, ist unklar. Möglicherweise ist der Castor-
HAW hier besonders betroffen.

 Behälter TN 12
Im Februar 1999 wurde in La Hague ein Behälter mit gelösten Deckel-
schrauben angeliefert (Nuclear Fuel, Juni 1999). In den letzten 15 Jahren
sollen mehrere solcher Fälle aufgetreten sein. Ein nicht vorschriftsmäßig be-
festigter Deckel kann dazu führen, dass der Behälter nicht völlig dicht ver-
schlossen ist.

 Castor – Restfeuchte im Dichtungsbereich
Im November 1998 wurden im Atomkraftwerk Greifswald Feuchtigkeits-
reste im Bereich der Deckeldichtung eines Castor WWER-Behälters fest-
gestellt. Durch Feuchtigkeit besteht Korrosionsgefahr.

 Castor THTR/AVR
Im Dezember 1999 wurde öffentlich, dass die 305 Castor-THTR-Behälter
im Zwischenlager Ahaus massive Korrosionsprobleme haben. Die Behälter
lagern erst seit fünf Jahren in Ahaus. Sie sind für eine Lagerzeit von 40 Jah-
ren genehmigt. Ursache scheint einerseits die niedrige Temperatur der Be-
hälter zu sein, andererseits die Beschichtung der Behälter.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Welche Transport- bzw. Transport- und Lagerbehälter sind zurzeit in der
Bundesrepublik Deutschland zugelassen?

2. Wie lange gelten die Zulassungen jeweils?

3. Für welche Behälter ist die Zulassung darüber hinaus beantragt?

4. Welche der oben genannten Behälter haben zusätzlich eine Zulassung für
Frankreich, welche für Großbritannien, welche für die Schweiz?

5. Wie viele Exemplare der oben genannten Behälter existieren nach Kenntnis
der Bundesregierung zurzeit und könnten zum Transport oder zur Lagerung
von abgebrannten Brennelementen aus deutschen Atomkraftwerken oder
zum Transport von Glaskokillen eingesetzt werden?

6. Wie wurden die oben genannten Behälter getestet (bitte möglichst tabella-
rische Übersicht für jeden der oben genannten Behälter mit folgenden An-
gaben:

– experimenteller Behältertest – ja oder nein

– Maßstab des getesteten Behälters

– Falltest (Höhe, Untergrund)

– Feuertest (Temperatur, Dauer)

– Tauchtest (Druck, Dauer)

– weitere Tests

– wann durchgeführt

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2560

– wo durchgeführt

– von wem durchgeführt

– Ergebnis des Tests

– Veröffentlichung der Testergebnisse?

7. An welchen Behältern wurden nach den Tests konstruktive Änderungen
vorgenommen?

Welche?

8. Wurden die Tests daraufhin wiederholt?

Wenn nein, warum nicht?

9. Auf welcher Grundlage erfolgte der Sicherheitsnachweis für die Zulassung
derjenigen Behälter, die nicht experimentell getestet wurden (Vergleichbar-
keit mit welchem getesteten Behälter, Simulation mit welchem Computer-
programm etc.)?

10. Für welche Behälter wurden die Stoßdämpferkonstruktion bzw. die Stoß-
dämpfermaterialien nach den Falltests verändert?

11. Für welche Behälter wurden die Konstruktion oder die Materialien nach
der Erstzulassung verändert?

12. Welche Prüfungen wurden durchführt, um das Ausmaß des Problems des
Abtropfens von Moderator-Material festzustellen?

13. Welche Untersuchungen hat es gegeben, um die Folgen des Problems ab-
zuschätzen?

14. Welche Untersuchungen wurden durchgeführt, um die Ursachen des Pro-
blems zu erkennen?

15. Welche Konsequenzen wurden aus diesen Untersuchungen gezogen?

16. Wie kam es dazu, dass die Fehler bei der Auslegung der Moderatorstab-
Bohrungen bei Castor-Behältern überhaupt nach so langer Zeit entdeckt
wurden?

17. Welche Castor-Behälter sind von dem Problem betroffen?

18. Welche Ergebnisse hat die Untersuchung dieses Problems gebracht und wo
sind die Untersuchungen veröffentlicht worden?

19. Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, damit neue Behälter die
Zulassungsbedingungen zukünftig erfüllen (neues Moderatormaterial, grö-
ßere Bohrungen)?

20. Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, damit bereits beladene Be-
hälter die Zulassungsbedingungen wieder erfüllen?

21. Bei welchen Castor-Behältern sind Neutronenfenster bekannt?

22. Welche Prüfungen sind von den Behörden durchgeführt worden, um die
Höhe der Neutronenstrahlung an den Fenstern festzustellen?

Wo sind die Ergebnisse der Prüfungen veröffentlicht worden?

23. Welche Konsequenzen wurden aus den Prüfungen gezogen?

24. Welche Prüfungen wurden durchführt, um das Ausmaß des Problems der
lockeren Schraubenbolzen bei Transportbehältern in La Hague festzustel-
len?

Drucksache 14/2560 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
25. Welche Untersuchungen hat es gegeben, um die Folgen des Problems ab-
zuschätzen?

26. Welche Untersuchungen wurden durchgeführt, um die Ursachen des Pro-
blems zu erkennen?

27. Wo sind die Ergebnisse der Prüfungen veröffentlicht worden?

28. Handelt es sich nach Einschätzung der Bundesregierung hierbei um einen
systematischen Fehler?

Wenn nein, warum nicht?

29. Welche Konsequenzen wurden aus diesen Untersuchungen gezogen?

30. Wie wurde das Problem der Restfeuchte im Behälter im Zwischenlager
Greifswald entdeckt?

31. Welche Prüfungen wurden vorgenommen, um die Ursachen dieses Pro-
blems zu erkennen?

32. Wo sind die Ergebnisse der Prüfungen veröffentlicht worden?

33. Welche Konsequenzen wurden aus diesen Untersuchungen gezogen?

34. Welche Informationen liegen der Bundesregierung zu Umfang und Ur-
sachen von Korrosionsschäden an den Castor-Behältern im Zwischenlager
Ahaus vor?

35. Sind weitere Behälter neben den Castor-THTR-Behältern betroffen?

36. Welche weiteren Behälter haben eine identische Beschichtung?

37. Welche Maßnahmen sind geplant, um in Zukunft sicherzustellen, dass
keine Korrosionsschäden bei Lagerbehältern auftreten?

Berlin, den 18. Januar 2000

Eva-Maria Bulling-Schröter
Rosel Neuhäuser
Angela Marquardt
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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