BT-Drucksache 14/2522

Einheitliches Versorgungsrecht für die Eisenbahner herstellen

Vom 18. Januar 2000


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2522
14. Wahlperiode 18. 01. 2000

Antrag
der Abgeordneten Claudia Nolte, Manfred Grund, Dr. Michael Luther,
Birgit Schnieber-Jastram, Dr. Maria Böhmer, Rainer Eppelmann,
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Klaus Hofbauer, Manfred Kolbe, Dr. Paul Krüger,
Dr. Hermann Kues, Karl-Josef Laumann, Julius Louven, Wolfgang Meckelburg,
Günter Nooke, Katherina Reiche, Franz Romer, Heinz Schemken,
Johannes Singhammer, Andreas Storm, Thomas Strobl,
Peter Weiß (Emmendingen) und der Fraktion der CDU/CSU

Einheitliches Versorgungsrecht für die Eisenbahner herstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine befriedigende interessen- und sachgerechte Regelung der von den Be-
schäftigten der ehemaligen Deutschen Reichsbahn der DDR erworbenen An-
sprüche und Anwartschaften aus dem System der Altersversorgung Deutsche
Reichsbahn steht bislang immer noch aus. Historisch gewachsene und rechtmä-
ßig erworbene Ansprüche und Anwartschaften der Reichsbahner werden nach
wie vor nicht anerkannt. Vom Bundessozialgericht ergangene Urteile zur Hö-
herbewertung der Altersrenten von Angehörigen der Deutschen Reichsbahn
warten immer noch auf eine alle Betroffenen erfassende Umsetzung durch die
Rentenversicherungsträger.

1992 sind die nach DDR-Recht gewährten Renten in Renten nach dem Sechs-
ten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) übergeleitet worden. Jedoch trägt die von
den Rentenversicherungsträgern der Rentenfestsetzung zugrunde gelegte Er-
mittlung der persönlichen Entgeltpunkte nicht den besonderen Gegebenheiten
der Eisenbahnerversorgung in der ehemaligen DDR Rechnung. Das Bundesso-
zialgericht hat in seinem Urteil vom 10. November 1998 (Az.: B 4 RA 33/98 R)
die Fehlerhaftigkeit der bis dahin praktizierten Rentenberechnung nach § 256a
SGB VI eindeutig nachgewiesen. Die Rentenversicherungsträger sehen jedoch
die zu diesem Sachverhalt getroffenen Entscheidungen des Bundessozialge-
richts über die entschiedenen Einzelfälle hinaus als nicht bindend an und legen
der Rentenberechnung für die Reichsbahner unverändert die allgemeine Bei-
tragsbemessungsgrenze der Sozialpflichtversicherung der DDR von 600 Mark
anstatt den realen Monatsverdienst zugrunde.

Aus Sicht der Reichsbahner noch gravierender ist die Tatsache, dass bislang
keine Überführung der Altersversorgung Deutsche Reichsbahn in bundesdeut-
sches Recht stattgefunden hat, obwohl aufgrund der historischen Entwicklung
eine Gleichbehandlung der Beschäftigten der ehemaligen Deutschen Reichs-
bahn der DDR mit denen der ehemaligen Deutschen Bundesbahn geboten ist.

Drucksache 14/2522 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Die Altersversorgung der Reichsbahner war nach der Eisenbahnerverordnung
von 1956 und auch in der Folgezeit als eine durch Umlageverfahren finanzierte
Gesamtversorgung ausgestaltet, bestehend aus dem Anteil der allgemeinen So-
zialpflichtversicherung und einem Versorgungsanteil, für den Beitragsleistun-
gen durch das Unternehmen Deutsche Reichsbahn aus einbehaltenem Lohn ab-
geführt wurden. Die Versorgungszusagen waren ein Äquivalent für zwangs-
weise verfügte Mindereinkommen. Die Altersversorgung der Reichsbahner in
der DDR wies damit deutliche Parallelen zur Altersversorgung der Bundesbah-
ner in den alten Bundesländern auf.

Eine Berücksichtigung der rechtmäßig erworbenen Ansprüche und Anwart-
schaften ist auch unter dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Eigen-
tumsschutzes geboten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entschei-
dungen vom 28. April 1999 klargestellt, dass in der DDR erworbene Ansprüche
und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der Eigen-
tumsgarantie des Artikels 14 Grundgesetz unterliegen. Die im Einigungsvertrag
bestimmte Schließung der Systeme zum 31. Dezember 1991 bedeutete nicht,
dass damit die Versorgungsansprüche und -anwartschaften zum Erlöschen ge-
bracht werden konnten. Vergleichbares muss auch für die Altersversorgung
Deutsche Reichsbahn gelten. Deren Nichtanerkennung führt dazu, dass die
Reichsbahner behandelt werden, als wenn sie nie Ansprüche und Anwartschaf-
ten über der für die Sozialpflichtversicherung der DDR geltenden allgemeinen
Bemessungsgrenze von 600 Mark hinaus besessen hätten.

Eine vergleichbare Problematik gilt für die Beschäftigten der ehemaligen Deut-
schen Post der DDR.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Rahmen der Rechtsaufsicht sicherzustellen, dass die Rentenversiche-
rungsträger für alle Beschäftigten der ehemaligen Deutschen Reichsbahn
der DDR die für die Rentenhöhe maßgebliche Ermittlung der persönlichen
Entgeltpunkte nach § 256a SGB VI in Umsetzung der Entscheidung des
Bundessozialgerichts vom 10. November 1998 vornehmen;

2. durch geeignete gesetzliche oder verordnungsrechtliche Maßnahmen die
von den Beschäftigten der ehemaligen Deutschen Reichsbahn rechtmäßig
erworbenen Ansprüche und Anwartschaften aus der betrieblichen Altersver-
sorgung Deutsche Reichsbahn anzuerkennen und auszuzahlen;

3. analoge Maßnahmen und Regelungen für die Beschäftigten der ehemaligen
Deutschen Post der DDR zu treffen.

Berlin, den 18. Januar 2000

Claudia Nolte
Manfred Grund
Dr. Michael Luther
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Maria Böhmer
Rainer Eppelmann
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Klaus Hofbauer
Manfred Kolbe
Dr. Paul Krüger
Dr. Hermann Kues
Karl-Josef Laumann
Julius Louven

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2522

Wolfgang Meckelburg
Günter Nooke
Katherina Reiche
Franz Romer
Heinz Schemken
Johannes Singhammer
Andreas Storm
Thomas Strobl
Peter Weiß (Emmendingen)
Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion

Begründung

Für das Verständnis der Ansprüche und Anwartschaften der Reichsbahner ist
die historische Entwicklung der Altersversorgung der deutschen Eisenbahner
von großer Bedeutung.

Schon vor dem Zweiten Weltkrieg lagen die den Eisenbahnern gewährten Ver-
sorgungsleistungen über denen der allgemeinen Rente. 1944 waren die seit
1924 bestehenden Zusatzrentenleistungen in eine Gesamtversorgung für Arbei-
ter und Angestellte der Deutschen Reichsbahn umgewandelt worden. Diese be-
lief sich auf höchstens 75 Prozent des letzten durchschnittlichen Jahresarbeits-
verdienstes.

Nach 1945 wurden in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands und der
nachfolgenden Bundesrepublik Deutschland die Ansprüche und Anwartschaf-
ten der Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn weiter garantiert und zur so
genannten „betrieblichen Zusatzversorgung bei der Bundesbahn-Versiche-
rungsanstalt – Abteilung B“ als Gesamtversorgung weiterentwickelt. Diese um-
fasste für die ersten zehn Jahre der gesamtversorgungsfähigen Zeit 35 Prozent,
für die folgenden 15 Jahre je 2 Prozent und für weitere Jahre je 1 Prozent,
höchstens 75 Prozent des gesamtversorgungsfähigen Bruttoentgeltes. 1979 er-
folgte eine Umstellung auf das System des öffentlichen Dienstes. Die persönli-
chen Beitragsleistungen wurden ab diesem Zeitpunkt vom Arbeitgeber Deut-
sche Bundesbahn an die Bundesbahn-Versicherungsanstalt übernommen. Das
Umlagesystem für die Leistungen der Gesamtversorgung wurde beibehalten.
Seit der Zusammenführung von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichs-
bahn zur Deutsche Bahn AG durch das Eisenbahn-Neuordnungsgesetz 1994
wird die bisherige Bundesbahn-Versicherungsanstalt als Bahnversicherungsan-
stalt weitergeführt, und die Versorgungsleistungen für die ehemaligen Bundes-
bahner werden fortgeführt.

In der Sowjetischen Besatzungszone erfolgte dagegen zunächst eine Enteig-
nung und Schließung der Altersversorgung der Deutschen Reichsbahn. 1956
wurde jedoch auch in der DDR mit Einführung der Altersversorgung Deutsche
Reichsbahn (AV DR) wieder an die Tradition angeknüpft. Deklariert als eine
erhöhte Sozialpflichtversicherungsrente wurde sie gewährt bei mindestens
zehnjähriger Beschäftigungsdauer bei der Deutschen Reichsbahn. Die Ausge-
staltung war vergleichbar mit der bei der Deutschen Bundesbahn. Unterschiede
bestanden im Wesentlichen nur bei den Prozentsätzen des anrechnungsfähigen
Tariflohnes für absolvierte Dienstjahre. Nach zehnjähriger Beschäftigungs-
dauer wurden 20 Prozent des Tariflohnes der letzten fünf Jahre gewährt; der
Anspruch erhöhte sich für das 11. bis 25. Dienstjahr um je 2 Prozent und für je-
des weitere Dienstjahr um je 1 Prozent. Die höchste Versorgungsleistung betrug
70 Prozent des Tariflohnes, höchstens 800 Mark. Dieser Betrag wurde 1989 auf

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870 Mark erhöht, womit sich eine Bemessungsgrenze von rund 1 200 Mark je
Monat im Unterschied zur Bemessungsgrenze von 600 Mark für die allgemeine
Sozialpflichtversicherung ergab. Die gesetzlich garantierte Rentenversorgung
für die Reichsbahner lag damit bis zum 1,8fachen höher als die Rente aus der
allgemeinen Sozialpflichtversicherung.

Mit Einführung der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) 1971 wurden
aus verwaltungstechnischen Gründen Änderungen bei der AV DR erforderlich.
Diese wurden mit Wirkung zum 1. Januar 1974 durch die Eisenbahnerverord-
nung von 1973 geschaffen, mit der die Bewertungskriterien modifiziert wur-
den. An die Stelle der bisher verwendeten prozentualen Anteile vom Tariflohn
trat die Einführung eines jährlichen 1,5-prozentigen Steigerungssatzes für die
absolvierte Dienstzeit bezogen auf den beitragspflichtigen monatlichen Durch-
schnittsverdienst von höchstens 600 Mark. Die Rentenversorgung nach der Ei-
senbahnerverordnung von 1956 wurde weiter gewährt, wenn sie einen höheren
Rentenbetrag als nach der Neuregelung ergab und der Betroffene der FZR bei-
trat. Für Reichsbahner, die diesen Schritt nicht vollzogen, wurde der Besitz-
stand für bereits erworbene Rentenanwartschaften durch den 32. Nachtrag zum
Rahmenkollektivvertrag auf der Basis des durchschnittlichen monatlichen Ta-
riflohnes der Jahre 1969 bis 1973 festgeschrieben.

Entscheidend ist, dass in allen Fällen die Beitragsleistung für das 600 Mark
übersteigende Einkommen stets durch den Arbeitgeber Deutsche Reichsbahn
übernommen wurde; dies galt für die Anwartschaften nach der Eisenbahnerver-
ordnung von 1956 ebenso wie für die Übernahme der Beiträge für die FZR
nach 25-jähriger Dienstzeit und des Leistungsanteils für den 1,5-prozentigen
Steigerungssatz nach der Eisenbahnerverordnung von 1973. Damit wurde den
Reichsbahnern in der DDR eine zu der Rente aus der Sozialpflichtversicherung
hinzutretende Gesamtversorgung garantiert, ähnlich wie dies auch für die Be-
diensteten der Deutschen Bundesbahn der Fall war, für die Beitragsleistungen
zunächst auch mit persönlichen Beiträgen, ab 1979 dann aber ausschließlich
durch den Arbeitgeber Deutsche Bundesbahn an die Bundesbahn-Versiche-
rungsanstalt erbracht wurden. Beiden Versorgungssystemen lag somit als ge-
meinsames Charakteristikum das Umlageverfahren zugrunde.

Aus Gleichbehandlungsgründen ist eine Überführung der AV DR in bundes-
deutsches Recht dringend geboten. Diese ist bislang unterblieben, obwohl der
Erwerb von Ansprüchen und Anwartschaften aus der betrieblichen Altersver-
sorgung für Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn unumstritten ist, wie auch
von der Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Antwort der CDU/
CSU-Fraktion bestätigt worden ist (Drs. 14/1426).

Hinsichtlich der Altersrente hat das Bundessozialgericht mit seiner Entschei-
dung vom 10. November 1998 (Az.: B 4 RA 33/98 R) klargestellt, dass bei der
Rentenberechnung nach § 256a SGB VI für die eisenbahnversorgten ehemali-
gen Beschäftigten der Deutschen Reichsbahn nicht ausschließlich auf die bei-
tragspflichtigen Einnahmen bis zu einem Betrag von 600 Mark abzustellen ist,
sondern das tatsächlich höhere, über der allgemeinen Beitragsbemessungs-
grenze in der Sozialpflichtversicherung der DDR liegende Arbeitsentgelt zu-
grunde zu legen ist. Bei den nach der Eisenbahnerversorgung zusätzlichen Ar-
beitsentgelten hat es sich um rentenwirksamen Verdienst gehandelt, ohne dass
es darauf ankommt, dass aus ihm Pflichtbeiträge oder Beiträge zur FZR hätten
geleistet werden müssen. Nach dieser eindeutigen Klarstellung ist nicht nach-
vollziehbar, warum sich Rentenversicherungsträger und Bundesregierung nach
wie vor auf den gegenteiligen Standpunkt stellen und eine Rentenberechnung
nach Maßgabe des Urteils nicht anerkennen wollen.

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