BT-Drucksache 14/2390

Strategie für eine Nachhaltige Informationstechnik

Vom 14. Dezember 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2390
14. Wahlperiode 14. 12. 99

Antrag
der Abgeordneten Ursula Burchardt, Jörg Tauss, Klaus Barthel (Starnberg),
Hans-Werner Bertl, Willi Brase, Dr. Peter Eckardt, Lothar Fischer (Homburg),
Stephan Hilsberg, Walter Hoffmann (Darmstadt), Ulrich Kasparick, Ernst Küchler,
Dr. Edelbert Richter, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Wilhelm Schmidt
(Salzgitter), Heinz Schmitt (Berg), Bodo Seidenthal, Brigitte Wimmer (Karlsruhe),
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Hans-Josef
Fell, Matthias Berninger, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Strategie für eine Nachhaltige Informationstechnik

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

„Informationsgesellschaft“ und „Nachhaltige Entwicklung“ gelten in der öf-
fentlichen Debatte als die zwei großen Leitbilder für das 21. Jahrhundert. Die
neuen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien für
zukunftssichere Arbeitsplätze, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für
die Erhaltung der Umwelt und für besseren Zugang zu Wissen und Information
zu nutzen und zugleich eine Entwicklung anzustreben, die ökologische, ökono-
mische und soziale Ziele gleichberechtigt miteinander verbindet, sind die zen-
tralen Herausforderungen für eine zukunftsgerichtete Politik.

Im Bewusstsein der herausragenden Bedeutung dieser Aufgaben hat die Bun-
desregierung sich in ihrer Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, Deutsch-
lands Weg in die Informationsgesellschaft aktiv zu gestalten und das Projekt
der ökologischen Modernisierung als Jahrhundertchance für Arbeit und Um-
welt voranzutreiben.

Eine Schlüsselrolle bei der Verwirklichung dieser beiden grundlegenden Ziele
kommt dabei einer Verknüpfung der beiden Leitbilder „Informationsgesell-
schaft“ und „Nachhaltige Entwicklung“ zu, die bislang in weiten Teilen unver-
netzt nebeneinander stehen. Eine Ausrichtung der Informations- und Kommu-
nikationstechnologien (IuK) am Leitbild „Nachhaltiger Entwicklung“ ist
wegen deren herausragender ökonomischer Potentiale entscheidend für das
Projekt der ökologischen Modernisierung: Bereits heute ist die Informations-
wirtschaft von den Beschäftigtenzahlen her der drittstärkste Sektor der Bundes-
republik Deutschland. In diesem Jahr hat sie vom Umsatz her erstmalig die Au-
tomobilindustrie in Deutschland überholt. Allen Prognosen zufolge werden
sich diese Trends in Zukunft verstärken.

Drucksache 14/2390 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Unter Umweltgesichtspunkten erweist sich die Wachstumsbranche der Informa-
tions- und Kommunikationstechnologie als ambivalent. Zahlreiche Chancen im
Hinblick auf ökonomische und ökologische Innovationen durch die Nutzung
von IuK-Technologien bestehen z. B. in der Verkehrslenkung und Verkehrsver-
meidung. Hohe Umweltentlastungspotentiale sind auch, entsprechende Rahmen-
bedingungen vorausgesetzt, bei einem telematisch gestützten Umwelt- und Res-
sourcenmanagement zu erwarten. Durch effizientere Gebäude- und Haustech-
niken, Fernwartung sowie neuartige Prozesssteuerungen können im Industrie-
und Dienstleistungsbereich erhebliche Einsparpotentiale erschlossen werden.

Diesen positiven Effekten von IuK-Techniken stehen z. T. erhebliche negative
Umweltauswirkungen gegenüber. Hierbei sind zwei Ebenen zu unterscheiden: die
IuK-technischen Produkte selber und die Anwendungsfelder der IuK-Technik.

Die ökologische Problematik in Bezug auf den Einsatz von Informationstechni-
ken ergibt sich aus der Tatsache, dass die Globalisierung, Ausweitung und Be-
schleunigung der Märkte vorangetrieben wird, was höhere Stoffflüsse zur Folge
hat. Zum Teil machen IuK-Techniken viele neue Anwendungen erst möglich
oder verbessern bestehende, so dass über eine steigende Nachfrage zusätzliche
Umweltbelastungen hervorgerufen werden. Die zum Teil beachtenswerten spe-
zifischen Effizienzsteigerungen je Produkteinheit der letzten Jahre werden so
häufig überkompensiert, so dass es zu einem Anwachsen des Ressourceneinsat-
zes insgesamt kommt.

Der zweite unter ökologischen Gesichtspunkten problematische Aspekt betrifft
die direkt herstellungsbezogenen Umweltwirkungen, die IuK-Produkte in ih-
rem ganzen Lebenszyklus von der Herstellung über die Nutzung bis zur Entsor-
gung verursachen. Hierzu gehören Ressourcenintensität und Umweltbelastun-
gen der Halbleiter- und Komponentenherstellung, der Energieverbrauch im
Standby-Betrieb und bei der Nutzung der Produkte sowie z. B. fehlende Wie-
derverwendungsmöglichkeiten und Umweltbelastungen beim Recycling.

Die Enquetekommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ hat bereits in
der vergangenen Legislaturperiode auf die oben skizzierte Problematik hinge-
wiesen und gefordert, den Trend zur Informationsgesellschaft und das Leitbild
der „Nachhaltigen Entwicklung“ so miteinander zu verknüpfen, dass die inno-
vativen Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik auf eine
Weise genutzt werden, die den Anforderungen an Nachhaltigkeit genügt. Im
Auftrag der Enquete-Kommission hat das Institut für Zukunftsstudien und
Technologiebewertung IZT eine Studie zu „Stofflichen Aspekten der Informati-
ons- und Kommunikationstechniken“ angefertigt, in der für verschiedene Inno-
vationsfelder Vorschläge zur Operationalisierung des Nachhaltigkeitspostulats
in der IuK-Technik vorgelegt werden, die gewährleisten sollen, dass die ökono-
mischen Potentiale der Informationstechnik mit den ökologischen Maßgaben
des Leitbildes „Nachhaltiger Entwicklung“ wie Ressourcenschonung, Energie-
effizienz sowie Schadstoff- und Emmissonsarmut in Einklang gebracht werden
können.

In der Vergangenheit haben die zuletzt genannten Aspekte nur teilweise Auf-
merksamkeit erhalten. Die Diskussion hat sich im wesentlichen auf die Elektro-
nikschrottproblematik und das Verbot verschiedener Schadstoffe konzentriert.
Darüber hinaus gab und gibt es viele Initiativen von Herstellern (Siemens,
Hewlett Packard u. a.), Verbänden (ZVEI/VDMA, AG CYCLE, Eurobit) und
Entsorgungsunternehmen, einzelne Problemfelder zu bearbeiten.

Wenngleich z. B. im Rahmen von EUREKA Care Vision 2000 viele Projekt-
ideen gesammelt wurden und auch das Projekt des Bundesministeriums für Bil-
dung und Forschung „Grüner Fernseher“ eine kooperative Technologieent-
wicklung verfolgt, so sind die Aktivitäten insgesamt immer noch sehr

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2390

fragmentarisch und vor allem wenig vernetzt. Es fehlen bislang verbindliche
Orientierungsmarken für eine Nachhaltige Informationstechnik.

Der Deutsche Bundestag begrüßt deshalb, dass die Bundesregierung in ihrem
jüngst vorgelegten Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze in der
Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ neben der zentralen Rolle, die
Informationstechniken als Medium für den Schutz der Umwelt und die Umset-
zung des Leitbildes „Nachhaltiger Entwicklung“ spielen können, auch die Not-
wendigkeit betont, in Bezug auf Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit von
Produktionsverfahren und Produkten der IuK-Technik zu Verbesserungen zu
kommen.

Als wirksames Instrument zur Umsetzung dieser Zielsetzung innerhalb des Ak-
tionsprogramms der Bundesregierung und zur Entwicklung von verbindlichen
Orientierungsmarken für eine nachhaltige Entwicklung in der Informati-
onstechnik bietet sich das Verfahren des sogenannten Roadmapping an, das in
den USA weit verbreitet und erfolgreich erprobt ist.

In einer Roadmap werden zentrale Probleme der Branche dargestellt, technolo-
gische Herausforderungen benannt und Wege zu ihrer Bewältigung aufgezeigt.
Eine Roadmap, die von den Unternehmen einer Branche in Kooperation mit
Akteuren aus Wissenschaft und Politik erstellt wird, ermöglicht die Bündelung
vieler Einzelthemen und das gemeinsame Setzen von Prioritäten. Damit ent-
steht ein für die Unternehmen verlässlicher Orientierungsrahmen. Legislative
Aktivitäten sollen dadurch nicht ersetzt, sondern ergänzt werden. In Einzelfäl-
len könnten sich gesetzliche Maßnahmen durch eine proaktive Strategie der
Branche aber auch erübrigen. In den USA ist mit Hilfe dieses Instruments, ge-
tragen von der Industrie und unterstützt von Politik und wissenschaftlichen In-
stitutionen, unter anderem auch das Themenfeld Umweltschutz im Bereich der
IuK-Branche bearbeitet (MCC 1993, MCC 1996) worden.

Mit dem Projekt einer Roadmap für eine Nachhaltige Informationstechnik in
Deutschland können die bislang nebeneinander stehenden Ziele von „Nachhal-
tiger Entwicklung“ und „Informationsgesellschaft“ aufeinander abgestimmt
und für die IuK-Industrie operationalisiert werden. Dies bietet die Chance, In-
novationen zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Hersteller von
Informations- und Kommunikationstechnik zu stimulieren und gleichzeitig die
Umweltverträglichkeit der Produkte und Produktionsverfahren zu erhöhen.

Wettbewerbsvorteile können z. B. in einer erhöhten Energie- und Ressour-
ceneffizienz der Geräte, einer demontage- und damit auch montagegerechten
Gestaltung oder in der Entwicklung umfassender Dienstleistungsangebote bei
Wahrnehmung der Produktverantwortung (Aufrüstung, Wiederverwendung,
Rücknahme) durch den Hersteller liegen. Umweltvorteile sind beispielsweise
dadurch zu erwarten, dass über bestimmte besonders dringliche Handlungsfel-
der (halogenierte Flammhemmer in Leiterplatten, Blei in Loten, Standby-Ener-
gieverbrauch etc.) ein Konsens in der Branche erzielt und konkrete Schritte
festgelegt werden, wie diesen Herausforderungen zu begegnen ist.

In einzelnen Fällen könnte Nachfragemacht gezielt eingesetzt werden, um In-
novationen zum Durchbruch zu verhelfen. Ein gutes Beispiel hierfür sind halo-
genfreie Leiterplatten. Im Gegensatz zu häufig reaktiven gesetzlichen Maßnah-
men erhält die Branche so die Chance zu einer selbst entwickelten proaktiven
Umweltstrategie.

Die Erprobung des Instruments des Rodmapping im Bereich der Informations-
technik könnte Wirkungen nicht alleine für die IuK-Branche haben, sondern
zugleich Pilotcharakter gewinnen für die Übertragung eines in Deutschland
neuartigen Verfahrens zur Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien auf an-
dere Branchen.

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2. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

 Die Bundesregierung möge im Rahmen ihres Aktionsprogramms „Innova-
tionen und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhun-
derts“ eine Initiative „Roadmap für eine Nachhaltige Informations- und
Kommunikationstechnik“ ergreifen. Die Roadmap soll die wesentlichen He-
rausforderungen aufzeigen und in verschiedenen Innovationsfeldern Schritte
zu einer nachhaltigen IuK-Technik benennen.

 Folgende Innovationsfelder sind von besonderer Bedeutung:
– Innovationsfeld: Design for Environment: Materialien, Produkte und Pro-

zesse

– Innovationsfeld: Energieverbrauch

– Innovationsfeld: Produkt-Service-Kombinationen

– Innovationsfeld: End-of-life-Technologien: Wiederverwendung, Demon-
tage, Recycling

– Innovationsfeld: Organisation und Umweltmanagement, EMAS, ISO
14000

 In den Prozess der Erstellung einer Roadmap sollten alle betroffenen Her-
steller und Fachverbände (ZVEI, VDMA, Fachverband Informationstechnik
im ZVEI/VDMA etc.) eingebunden werden.

 Es wird empfohlen, dass die Bundesregierung die Koordinierung des Vorha-
bens auf eine wissenschaftliche Einrichtung mit ausgewiesener Expertise in
dem Themenfeld überträgt.

 Neben der Beschreibung der Problemfelder und Herausforderungen sollten
gemeinsam mit den wichtigsten Akteuren strategische Leitlinien formuliert
und konkrete Schritte zur Umsetzung vereinbart werden. Als Ergebnis sollte
ein Konsens der Branche stehen, der in eine Selbstverpflichtung oder ein
Branchenprotokoll mündet. Auch Sanktionsmechanismen bei Nichteinhal-
tung der eingegangenen Verpflichtungen sollten festgelegt werden.

 Damit die Erprobung des Instruments des Roadmapping im Bereich der
IuK-Technik Pilotcharakter für andere Branchen erhalten kann, ist sicherzu-
stellen, dass das Projekt mit ausreichenden Mitteln zur methodischen Be-
gleitforschung ausgestattet wird, damit die Erfahrungen der Beteiligten mit
einem neuartigen Verfahren der Bestimmung von Nachhaltigkeitszielen sys-
tematisch aufgearbeitet werden können.

 Angesichts der globalen Vernetzung der IuK-Technologien ist die Entwick-
lung und Weiterführung der Roadmap mittelfristig auf europäischer Ebene
anzustreben.

 Die Maßnahmen der Bundesregierung zur Förderung einer nachhaltigen
Entwicklung im Bereich der IuK-Technologien sind mittelfristig in den Rah-
men einer nationalen Nachhaltigkeitsstrategie einzubinden.

Berlin, den 14. Dezember 1999

Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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