BT-Drucksache 14/2342

Deutsch- türkische Vereinbarung über Abschiebung in die Türkei

Vom 10. Dezember 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2342
14. Wahlperiode 10. 12. 99

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS

Deutsch-türkische Vereinbarungen über Abschiebungen in die Türkei

Der Bundesminister des Innern, Otto Schily, reiste am 8./9. November 1999 in
die Türkei. Während dieses Besuches führte er Gespräche u. a. mit dem türki-
schen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit und mit Innenminister Saadettin Tan-
tan. Im Zusammenhang mit dieser Reise entstand eine erneute Diskussion um
ein Abschiebeabkommen mit der türkischen Regierung.

Nach einer Meldung der Zeitung „Die Tageszeitung“ vom 10. November 1999
soll der Bundesminister des Innern zur Frage der Abschiebung von abgelehnten
Flüchtlingen erklärt haben, dass dies nicht Ziel seines Besuches sei. Dieses
Thema würde parallel zu seinem Besuch von einer deutsch-türkischen Arbeits-
gruppe in Berlin beraten. Die Bundesregierung, so heißt es in der Meldung wei-
ter, „möchte von der Türkei Zusicherungen haben, dass aus Deutschland abge-
schobene Kurden hier nicht misshandelt, gefoltert oder gar zum Tode verurteilt
werden“.

Bereits Ende März 1999 haben die Innen- und Justizminister der Länder nach
den Ausschreitungen von Kurdinnen und Kurden im Zusammenhang mit der
Entführung des PKK-Vorsitzenden durch die Türkei gefordert, Regelungen zu
treffen, um „straffällig“ gewordene kurdische Flüchtlinge leichter abzuschie-
ben. Auch wenn eine diesbezügliche Erklärung des Bundesministers des Innern
nicht bekannt ist, fürchten Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen,
dass während der Reise ein Abschiebeabkommen zwischen deutschen und tür-
kischen Behörden ein Thema war.

Der Bundesminister des Innern würde damit auf das von seinem Vorgänger
Manfred Kanther und dem türkischen Innenminister Nahit Mentese am 10.
März 1995 vereinbarte Abkommen zurückgreifen, das ein Verfahren zur Ab-
schiebung von Personen in die Türkei, die im Zusammenhang mit der „PKK
und anderen Terrororganisationen“ an Straftaten beteiligt waren, regeln will.

Das Abkommen beinhaltet folgende wesentliche Gesichtspunkte:

 Das türkische Innenministerium versichert den deutschen Behörden, auf
Nachfrage mitzuteilen, ob dem Abschiebenden in der Türkei eine Strafver-
folgung oder Strafvollstreckung droht.

 Für jeden Abgeschobenen soll die Möglichkeit bestehen, jederzeit einen
Verteidiger hinzuzuziehen (bei Zuständigkeit der Staatssicherheitsgerichte
muss die betreffende Justizbehörde zustimmen).

Drucksache 14/2342 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

 Des Weiteren kann ein Anwalt des Abgeschobenen nach einer Identitätsprü-
fung und Befragung durch türkische Sicherheitsbehörden jederzeit eine ärzt-
liche Untersuchung seines Mandanten beantragen.

 Das türkische Innenministerium garantiert, dass die abgeschobenen Perso-
nen im Einklang mit der türkischen Verfassung und den Grundsätzen der
von der Türkei unterschriebenen Europäischen Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der UN-Antifolterkonvention
eine rechtsstaatliche Behandlung erwartet. Rechtswidrige und unmenschli-
che Behandlungen sind nach türkischer Rechtsprechung strafbar, die Verant-
wortlichen müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Nach Dokumentationen des niedersächsischen Flüchtlingsrates existieren zahl-
reiche Fälle, die belegen, dass abgeschobene Flüchtlinge in die Türkei auch nach
dieser Vereinbarung weiter schwerer Folter ausgesetzt und inhaftiert wurden.

Der Fall des Kurden I. G. ist hierfür exemplarisch. In dem Bericht des nieder-
sächsischen Flüchtlingsrates vom Januar 1999 heißt es: „Nach Ende des Ab-
schiebstopps richtete die Ausländerstelle Hamburg im Rahmen des Konsultati-
onsverfahrens eine Anfrage an die deutsche Botschaft, ob G. in der Türkei
Strafverfolgung drohe. Dies verneinte die Botschaft im November 1995, bat je-
doch gleichzeitig um Mitteilung des Abschiebetermins.“ Ein Asylfolgeantrag
aufgrund exilpolitischer Aktivitäten wurde abgelehnt und I. G. am 23. Februar
1998 in die Türkei abgeschoben. Nach seiner Ankunft in Istanbul wurde er fest-
genommen und gefoltert, drei Tage später freigelassen. Bis zu seiner erneuten
Flucht aus der Türkei im Juni 1998 wurde I. G. zweimal verhaftet. In dieser
Zeit war er wiederholt massiver Folter ausgesetzt. Der türkische Menschen-
rechtsverein (IHD) hat die Folterspuren an I. G’s Körper dokumentiert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit wem hat Bundesminister des Innern, Otto Schily, während seiner Tür-
keireise Gespräche geführt und welche Themen waren Gegenstand dieser
Gespräche?

2. Wurde mit den zuständigen türkischen Behörden über die Abschiebung von
Flüchtlingen und ihre Behandlung durch türkische Sicherheitskräfte gespro-
chen?

Wenn ja, ist in diesem Zusammenhang eine Vereinbarung mit türkischen Be-
hörden getroffen worden?

Wenn nein, ist eine derartige Vereinbarung beabsichtigt?

3. Stimmt es, dass zu der Thematik „Abschiebung von abgelehnten Asylbewer-
bern“ in Berlin eine Arbeitsgruppe eingerichtet wurde bzw. wird?

Wenn ja,

– wann und aus welchen Personen bzw. bundesdeutschen Behörden setzt
sich diese Arbeitsgruppe zusammen?

– Wer vertritt in dieser Arbeitsgruppe die Türkei?

– Was sind die konkreten Aufgaben und zeitlichen Vorgaben für diese Ar-
beitsgruppe?

– Ist beabsichtigt, die Stellungnahmen von Flüchtlingsorganisationen in
diese Arbeitsgruppe einzubeziehen?

– Wann und wie wird der Innenausschuss des Deutschen Bundestages
über die Beratungen und Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe unterrichtet?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2342

4. Wie beurteilt die Bundesregierung die bisherigen Erfahrungen mit dem
von dem damaligen Bundesminister des Innern, Manfred Kanther, und sei-
nem türkischen Amtskollegen getroffenen Abkommen am 10. März 1995?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung, dieses Abkommen fortzusetzen, zu än-
dern oder zu beenden?

6. Ist der Bundesregierung der oben beschriebene Fall von I. G. bekannt?

7. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, wie viele Flüchtlinge aus
der Türkei im Rahmen des Konsultationsverfahrens abgeschoben wurden
(bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

Wieviele dieser Abgeschobenen waren vor ihrer Abschiebung in der Bun-
desrepublik Deutschland wegen Verstoßes gegen das sog. „PKK-Verbot“
verurteilt worden oder in diesem Zusammenhang auffällig geworden?

8. Liegen der Bundesregierung Informationen darüber vor, welcher Behand-
lung die Abgeschobenen ausgesetzt waren?

9. Wie viele von den Abgeschobenen sind nach ihrer Abschiebung erneut aus
der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet?

10. Sind der Bundesregierung die vom niedersächsischen Flüchtlingsrat doku-
mentierten Fälle von nach der Abschiebung durch türkische Behörden ge-
folterten, inhaftierten und verurteilten Menschen bekannt?

Wenn ja, welche Konsequenzen hinsichtlich von Abschiebungen in die
Türkei zieht die Bundesregierung aus dieser Dokumentation?

11. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das Versprechen türkischer
Behörden, Abgeschobene nach rechtsstaatlichen Grundsätzen zu behan-
deln, für die Sicherheit der Abgeschobenen ausreichend ist?

Wenn ja, aufgrund welcher Erkenntnisse kommt die Bundesregierung zu
dieser Schlussfolgerung?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß auch infolge der Beteili-
gung der faschistischen MHP – in der Bundesrepublik Deutschland be-
kannt als „Graue Wölfe“ – an der gegenwärtigen Koalitionsregierung in
Ankara und der damit verbundenen Besetzung wichtiger Ämter in der Tür-
kei durch MHP-Mitglieder eine rechtsstaatliche Behandlung von abgescho-
benen Flüchtlingen nicht zu erwarten ist?

Wenn nein, welche Einschätzung hat die Bundesregierung von der MHP?

13. In welcher Weise ist die Verfolgung von abgeschobenen Flüchtlingen durch
die türkischen Sicherheitskräfte im letzten Lagebericht des Auswärtigen
Amts zur Türkei thematisiert worden?

Zu welchem Ergebnis kommt der Lagebericht?

Wie vereinbart das Bundesministerium des Innern Gespräche mit türki-
schen Stellen über die Abschiebung von Flüchtlingen mit diesen Ergebnis-
sen im Lagebericht?

Berlin, den 8. Dezember 1999

Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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