BT-Drucksache 14/2314

Liberalisierung des Wassermarktes

Vom 7. Dezember 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2314
14. Wahlperiode 07. 12. 99

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser, Rolf Kutzmutz,
Dr. Uwe-Jens Rössel und der Fraktion der PDS

Liberalisierung des Wassermarktes

Innerhalb der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
(BMWi) mitveranstalteten Tagung „Abwassergebühren in Europa“ am 26. und
27. Oktober 1999 in Berlin haben Ministerialbeamte des BMWi mehrfach die
Liberalisierung der Wasserwirtschaft in Deutschland gefordert. Die Tageszei-
tung „Die Welt“ berichtete am 22. Oktober 1999 über einen Kongress des Bun-
desverbandes der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft (BGW) in Berlin. In
dem Bericht wird der Präsident des europäischen Wasserwerke-Dachverbandes
EUREAU zitiert. Danach befürwortet das BMWi einen nationalen Alleingang
bei der Liberalisierung des Wasserbereiches. Das BMWi scheine „wild ent-
schlossen zu sein“, so der EUREAU-Präsident, die Ausnahmen im Wettbe-
werbsrecht zu Gunsten geschlossener Versorgungsgebiete in der Wasserwirt-
schaft zu streichen.

Bei der in der Zeitung erwähnten Sonderregelung handelt es sich um einen Pas-
sus innerhalb der §§ 103 und 103a (alt) des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen (GWB).

Momentan versorgt immer genau ein Wasserversorgungsunternehmen ein Ver-
sorgungsgebiet. Die ausschließliche Bewirtschaftung dieses Gebietes durch ein
Unternehmen ist durch Demarkationsverträge zwischen Wasserversorgungsun-
ternehmen sowie durch Konzessionsverträge zwischen Wasserversorgungsun-
ternehmen und der entsprechenden Kommune geschützt.

Mit diesem System besteht eine weitgehende Deckung von Ressourcengebiet
und Versorgungsgebiet. Diese ist ökologisch wünschenswert, denn es ent-
spricht dem Erfordernis einer weitgehenden Regionalisierung der Wasserkreis-
läufe. Dort, wo Wasser verbraucht wird, wird es in der Regel auch gefördert.
Wenn die Abwasserversorgung nicht zentralisiert ist, fließt es auch wieder in
örtliche Vorfluter zurück.

Durch das Prinzip einer lokalen bzw. regionalen Wasserbewirtschaftung besteht
ein Interesse der Wasserversorger an einer nachhaltigen Nutzung der Ressource
Wasser. Es existiert eine enge Verknüpfung zwischen geschlossenen Versor-
gungsgebieten und der Nutzung der entsprechenden regionalen bzw. örtlichen
Wasservorräte sowie dem örtlichen und regionalen Gewässerschutz. Dabei wer-
den die bestehenden Wasservorkommen, trotz unterschiedlichem Aufwand zur
Förderung und Aufbereitung, relativ gleichmäßig genutzt.

Drucksache 14/2314 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Wird der Gebietsschutz aufgehoben, könnten Wasserversorger über hunderte
Kilometer Wasser in andere Gebiete transportieren. In Regionen, in denen dann
aus „Effektivitätsgründen“ die Wasserförderung eingestellt würde, die also
Fremdwasser beziehen, könnte sich das Interesse am nachhaltigen Grundwas-
ser- und Gewässerschutz reduzieren. Im Wettbewerb um Marktanteile und Ab-
satzmengen würden unter Umständen „lohnende“ Ressourcen geplündert wer-
den, wobei nicht mehr genutzte Vorkommen aus dem Gewässerschutz
herausfallen könnten.

Weiterhin könnte es zu einem Wettbewerb um die lukrativsten Kunden kom-
men. Diese Rosinenpickerei würde Industrieunternehmen mit hohem Wasser-
verbrauch bevorteilen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Haushalte sowie
kleine und mittelständische Unternehmen künftig stärker belastet werden.

Damit könnten die von Vertretern des BMWi geforderten Änderungen im strik-
ten Gegensatz zu einer Wasserspar- und Gewässerschutzpolitik stehen.

Ein weiteres Problem besteht in der Gefahr, dass den Kommunen Einnahmen
an Konzessionsabgaben verloren gehen. So stellt der Verfassungsrechtler
Prof. Dr. Rupert Scholz in einem 1995 für die Bundesregierung erstellten Gut-
achten fest, die Konzessionsabgabe wäre nicht nur an ein Wegerecht, sondern
auch an ein exklusives Versorgungsrecht gebunden.

Weiterhin befürchten Umwelt- und Verbraucherverbände eine Abnahme der
Trinkwasserqualität, denn Wasser unterschiedlicher Qualitäten lässt sich nicht
so einfach mischen wie Strom. Hier existieren zahlreiche technische und hygie-
nische Probleme. Die hygienischen Probleme ließen sich nur durch die Wieder-
einführung der flächendeckenden Chlorierung lösen. Ein System mit nicht nur
geschmacklichen, sondern auch gesundheitlichen Nebenwirkungen, von dem
sich viele deutsche Kommunen in der Vergangenheit durch ein gutes Wasser-
management glücklicherweise trennen konnten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung vor, einen Gesetzesentwurf einzubringen, der den
in den §§ 103 und 103a (alt) GWB verankerten Gebietsschutz für Wasser-
versorger aufhebt?

Wenn ja, wann?

2. Hat die Bundesregierung vor, einen nationalen Alleingang in der Frage der
Deregulierung der Wasserversorgung zu starten?

3. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Prinzip einer lokalen
bzw. regionalen Wasserbewirtschaftung ökologisch vorteilhaft und daher er-
wünscht ist?

Wenn nicht, mit welcher Begründung?

4. Sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwischen einer lokalen,
bzw. regionalen Wasserbewirtschaftung und einem Interesse der Wasserver-
sorger um eine nachhaltige Nutzung der Ressource Wasser?

5. Wie schätzt die Bundesregierung die ökologischen Wirkungen einer Aufhe-
bung des Schutzes geschlossener Versorgungsgebiete in der Wasserversor-
gung ein?

6. Sieht die Bundesregierung technische Probleme für die Funktionstüchtigkeit
von Haushaltsgeräten und wasserverbrauchenden technischen Anlagen im
gewerblichen Bereich, welche sich bei einem künftigen liberalisierten Was-
sermarkt aus wechselnden Mischungsverhältnissen zwischen verschiedenen
Wasserqualitäten (z. B. verschiedenen Wasserhärten) ergeben könnten?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2314

7. Sieht die Bundesregierung hygienische Probleme, welche sich bei einem
künftigen liberalisierten Wassermarkt aus wechselnden Mischungsverhält-
nissen, verschiedenen Wasserqualitäten und langen Überleitungen ergeben
könnten?

8. Existieren nach Auffassung der Bundesregierung technische oder hygieni-
sche Grenzen eines vorwiegend auf Durchleitungen beruhenden Wasser-
marktes?

9. Wie bewertet die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Verhinde-
rung von Wasserqualitätsproblemen bei Durchleitungen den zusätzlichen
Investitionsbedarf für neue Überlandleitungen unter dem Gesichtspunkt
der Kostensenkung?

10. Würde für Wasserversorger oder Kommunen bei Streichung der §§ 103
und 103a (alt) GWB eine Durchleitungspflicht für Wasserlieferungen Drit-
ter bestehen?

11. Inwieweit hätten Kommunen nach Streichung der §§ 103 und 103a (alt)
GWB das Recht, in ihrem Gebiet Durchleitungsgenehmigungen zu ertei-
len?

12. Welche anderen Gesetze müssten neben dem Gesetz gegen Wettbewerbs-
beschränkung geändert werden, um Wasser handelbar zu machen?

13. Inwieweit beruht eine Streichung der §§ 103 und 103a (alt) GWB auf euro-
päischem Recht?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Verfassungsrechtlers Prof.
Dr. Rupert Scholz, nach dem die Versorger von Gas, Energie und Wasser
beim Wegfall des exklusiven Versorgungsrechtes nicht mehr bereit sein
würden, die Höchstsätze für die Konzessionen an die jeweiligen Kommu-
nen zu zahlen?

15. Ist die Behauptung des Bundesverbandes der Gas- und Wasserwirtschaft
begründet, nach der Deutschland seinen Wassermarkt für europäische Kon-
kurrenten nach der Streichung der §§ 103 und 103a (alt) GWB öffnen
müsste, während deutsche Wasserversorger nur eingeschränkte bzw. über-
haupt keine Möglichkeiten hätten, Wasser in andere europäische Staaten,
insbesondere in den durch Exklusivverträge geschützten französischen
Markt, zu liefern?

Berlin, den 2. Dezember 1999

Eva-Maria Bulling-Schröter
Rosel Neuhäuser
Rolf Kutzmutz
Dr. Uwe-Jens Rössel
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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