BT-Drucksache 14/2255

zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kersten naumann, Eva-Maria Bulling-Schröter, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS - Die Rolle der deutschen Landwirtschaft in der europäischen Agrarpolitik und die Strategie der Bundesregierung bei der Mitgestaltung der Agenda 2000 - Drs. 14/353, 14/ 1122 -

Vom 1. Dezember 1999


Deutscher Bundestag

Drucksache

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14. Wahlperiode

01. 12. 99

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Kersten Naumann, Eva-Maria Bulling-Schöter, Ursula Lötzer,
Rolf Kutzmutz, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Kersten Naumann,
Eva-Maria Bulling-Schöter, Rolf Kutzmutz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der PDS
– Drucksachen 14/353, 14/1122 –

Die Rolle der deutschen Landwirtschaft in der europäischen Agrarpolitik und die
Strategie der Bundesregierung bei der Mitgestaltung der Agenda 2000

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Durch die Verlängerung des Termins für die Beantwortung der Großen An-
frage hat die Bundesregierung die Möglichkeit verhindert, ihre Antwort im
Bundestag vor den abschließenden Beratungen zur Agenda 2000 zu debat-
tieren und auf deren Verlauf Einfluss zu nehmen.

2. Mit der vorliegenden Antwort informiert die Bundesregierung relativ detail-
liert über die aktuelle Situation in der europäischen Landwirtschaft. Vor al-
lem wird die große Differenziertheit in den natürlichen, ökonomischen und
sozialen Existenzbedingungen der Landwirte in der EU deutlich, die einen
wesentlichen Ausgangspunkt für die zukünftige Gestaltung der Agrarpolitik
im Rahmen der EU und bei den WTO-Verhandlungsrunden bilden muß.

3. Die Antworten zu den Einkommen in der Landwirtschaft machen deutlich,
dass es bei der Sicherung eines angemessenen Lebensstandards der in der
Landwirtschaft tätigen Menschen, der entsprechend Artikel 33 des Rom-
Vertrages durch eine wirkungsvolle Agrarpolitik in der EU gewährleistet
werden muss, erhebliche Versäumnisse gibt. Es besteht die Gefahr, dass sich
die bestehende Differenziertheit weiter vertieft und zu einer Abwanderung
ganzer Bevölkerungsgruppen aus bestimmten Gebieten führen wird.

4. Im Rahmen der Verhandlungen über die Agenda 2000 hat die Bundesregie-
rung den Versuch unternommen, zur Sicherung des Standorts Deutschland
den deutschen Beitrag zum EU-Haushalt zu verringern. Wie sich nun aber
aus ihrer eigenen Antwort ergibt, zahlen solche ökonomisch schwachen
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Länder wie Irland und Portugal bezogen auf das BSP einen wesentlich höhe-
ren Beitrag in den EU-Haushalt ein als Deutschland. Belgien und Österreich
leisten einen noch höheren Beitrag. Die von der Bundesregierung forcierte
„Nettozahlerdiskussion“ widerspricht dem Prinzip, dass sich die einzelnen
Länder entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit an der Finanzierung des EU-
Haushaltes beteiligen sollten. Die differenzierte Verwendung des EU-Haus-
haltes ist ein Erfordernis zur Überwindung der sozialen und wirtschaftlichen
Rückständigkeit vieler Gebiete in der EU.

5. Die Übersicht über die nationalen Agrarausgaben je Vollbeschäftigten in der
Landwirtschaft zeigen auf, dass durch die sehr unterschiedliche nationale
Mittelbereitstellung (Schwankung um das über 35-fache) die Differenziert-
heit der Lebensbedingungen auf dem Lande weiter vertieft wird. Dessen un-
geachtet hält die Bundesregierung aber die Bereitstellung der Mittel für die
Kohäsions- und Strukturfonds im Rahmen der EU für ausreichend.

6. Die Bundesregierung plädiert in ihrer Antwort für eine weitere Liberalisie-
rung des Welthandels auch im Agrarbereich, wohl wissend, dass ihre Forde-
rung nach fairen Wettbewerbsbedingungen bei unterschiedlichen natürlichen
und ökonomischen Ausgangssituationen und der Wirkung des Profitprinzips
zur massenhaften Zerstörung von Bauernexistenzen führen wird. Sie unter-
stützt nicht die Forderung der Entwicklungsländer nach Ausnahmeregelun-
gen zu ihren Gunsten. Den zu erwartenden steigenden Bedarf an Nahrungs-
gütern betrachtet die Bundesregierung vorrangig als Exportproblem und
Exportchance für das deutsche Ernährungsgewerbe. Die Folgen der Welt-
marktliberalisierung und die von ihr erwarteten steigenden Weltmarktpreise
für Nahrungsgüter auf den Hunger in der Welt werden von ihr nicht themati-
siert. Die Entwicklungsländer hofft sie mit dem Versprechen zu trösten, dass
diese unter den Bedingungen der Weltmarktliberalisierung den notwendigen
Nahrungsgüterimport zu „kalkulierbaren Preisen“ durchführen kann. Die
Währungsturbulenzen der letzten Monate beweisen allerdings das Gegenteil.

7. Die Fragen zum Einfluss des sich verstärkenden Konkurrenzdrucks auf den
Agrarstrukturwandel beantwortet die Bundesregierung ausweichend. Sie
verspricht zwar, durch Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Land- und
Forstwirtschaft sich für den Erhalt der Kulturlandschaft einzusetzen. Gene-
rell aber orientiert sie sich darauf, den „Prozess einer stärkeren Marktorien-
tierung im Agrarbereich fortzusetzen“. Sie sieht keinen Handlungsbedarf,
wenn sich durch die Umsetzung der Agenda 2000 das „Einkommen (Ge-
winn) im Durchschnitt der Betriebe um rund 5 Prozent verringern wird“. Sie
will vielmehr konsequent am „strikten Konsolidierungskurs“ im Agrarhaus-
halt festhalten.

8. Trotz der Erfahrungen mit dem Transformationsprozess in Ostdeutschland
setzt die Bundesregierung darauf, den beitrittswilligen osteuropäischen Län-
dern die westeuropäische Struktur überzustülpen und den Termin des Bei-
tritts von der umfassenden Erfüllung der EU-Vorgaben abhängig zu machen.
Obwohl die Bundesregierung einschätzt, „ohne Strukturanpassung wird die
dortige Landwirtschaft kaum wettbewerbsfähig sein“, entwickelt sie keine
Vorstellungen, wie der Strukturwandel in den mittel- und osteuropäischen
Ländern sozial orientiert gestaltet werden kann.

9. Die Aussagen der Bundesregierung zum europäischen Agrarmodell sind
kurz und verschieden interpretierbar. Es wird nicht dargelegt, worin die von
ihr vorgesehenen „Konflikte“ um dieses Modell bei den WTO-Verhandlun-
gen bestehen werden. Es muss befürchtet werden, dass die Bundesregierung
dieses Modell in ihrer praktischen Politik auf die Zielstellung „wettbewerbs-
fähige Unternehmen“ reduziert.
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10. Mit ihrer Antwort auf die Große Anfrage der PDS unterstreicht die Bun-
desregierung einmal mehr, dass sie fest entschlossen ist, ohne Rücksicht
auf die Besonderheiten in der Landwirtschaft auch diesen Wirtschaftszweig
ihrem neoliberalen Wirtschaftskurs unterzuordnen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. die EU-Agrarpolitik im Sinne der Subsidiarität durch eine nationale Agrar-
politik zu unterstützen, die darauf gerichtet ist, solche Rahmenbedingun-
gen zu schaffen, durch die

– den differenzierten Produktionsbedingungen in den verschiedenen Re-
gionen Deutschlands Rechnung getragen wird,

– der Strukturwandel nicht durch einen Verdrängungswettbewerb erzwun-
gen, sondern durch die Förderung vielfältiger Kooperationsbeziehungen
und die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Interesse aller Bäuerinnen
und Bauern sozial orientiert gestaltet wird,

– den Agrarunternehmen Wege für eine umweltgerechtere Produktion ge-
ebnet und ihre Leistungen zur Erhaltung und Gestaltung der Kulturland-
schaft honoriert werden,

– der Einkommensrückstand der Landwirte gegenüber anderer Berufs-
gruppen beseitigt und ihre Teilnahme an der allgemeinen Einkommens-
entwicklung entsprechend den gesetzlichen Verpflichtungen gesichert
wird,

– eine Ännäherung der unterentwickelten ländlichen Regionen an das Le-
bensniveau der höher entwickelten erreicht und Prozesse des wirtschaft-
lichen Niedergangs verhindert werden,

2. den Prozess der Osterweiterung der EU stärker an sozialen Kriterien zu
orientieren. Den beitrittswilligen Ländern muss die Möglichkeit gegeben
werden, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Annäherungsschritte
an die EU unter Berücksichtigung ihrer nationalen Besonderheiten und his-
torischen Erfahrungen zu gestalten. Es müssen Wege gesucht werden, um
beim Beitritt Sonderkonditionen, wie z.B. beim Beitritt Portugals, einzu-
räumen, die es jedem einzelnen Beitrittsland erlauben, entsprechend seinen
nationalen Möglichkeiten die Integration in die EU ohne soziale Brüche zu
realisieren. Die Debatte um den Beitritt darf sich nicht auf die Probleme
des Marktzugangs beschränken. Dringend erforderlich sind finanzielle Hil-
fen, durch die eine schnelle Angleichung der wirtschaftlichen Leistungs-
fähigkeit, z. B. durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft und die
Modernisierung der Lebensmittelindustrie erreicht wird. Der Abbau von
Handelsschranken darf nur parallel zur Angleichung der wirtschaftlichen
Leistungskraft erfolgen. Ausgehend von den Erfahrungen des Transforma-
tionsprozesses in Ostdeutschland ist die Entwicklung zukunftsfähiger Un-
ternehmensformen und eine entsprechende Bodenpolitik zu fördern.

3. nicht zuzulassen, dass unter dem Schlagwort der Globalisierung ein rück-
sichtsloser Kampf um die Märkte stattfindet, die Gewinne privatisiert und
die Lasten der Globalisierung sozialisiert werden. Bei der Erweiterung des
Welthandels ist zu sichern, dass die Wohlstandsgewinne gerecht verteilt
und eine soziale Spaltung in den Ländern und zwischen ihnen verhindert
wird. Der Boden ist nicht exportierbar. Seine effektive und nachhaltige
Bewirtschaftung ist durch eine flächendeckende Landwirtschaft in allen
Regionen der Erde zu sichern. Dabei muss die Bundesrepublik Deutsch-
land einen größeren Beitrag dafür leisten, dass in den sogenannten Ent-
wicklungsländern Schritt für Schritt ökonomische Unterentwicklung über-
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wunden und die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten verringert und
zukünftig beseitigt wird.

4. die WTO-Verhandlungen dafür zu nutzen, dass eine gerechte Weltwirt-
schaftsordnung herbeigeführt wird. Statt Liberalisierung des Welthandels
sind langfristige Handelsverträge zum gegenseitigen Nutzen und unter Be-
achtung der legitimen Interessen der Völker abzuschließen.

Berlin, den 20. November 1999

Kersten Naumann
Eva-Maria Bulling-Schöter
Ursula Lötzer
Rolf Kutzmutz
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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