BT-Drucksache 14/2112

zu dem Antrag der Abg. Prof. Dr. Paul Laufs, weiterer Abg. und der Fraktion der CDU/CSU -14/1010- Reaktor-Sicherheitskommission mit unabhängigen, fachlich hoch qualifizierten Experten besetzen

Vom 16. November 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/2112
14. Wahlperiode

16. 11. 99

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(16. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Laufs, Dr. Christian Ruck,
Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der CDU/CSU
– Drucksache 14/1010 –

Reaktor-Sicherheitskommission mit unabhängigen, fachlich hoch qualifizierten
Experten besetzen

A. Problem
In dem Antrag wird zunächst festgestellt, dass durch die Neubeset-
zung der Reaktor-Sicherheitskommission nach dem Regierungs-
wechsel die erforderliche fachlich fundierte ideologiefreie Beratung
nicht mehr sichergestellt sei. Die Bundesregierung soll daher aufge-
fordert werden, diese Kommission ausschließlich mit Personen zu
besetzen, die höchsten fachlichen Sachverstand besitzen und geeig-
net sind, eine völlig neutrale und den fachlichen Anforderungen ge-
recht werdende Beratung der Bundesregierung zu gewährleisten.

B. Lösung
Ablehnung des Antrages.
Mehrheitsentscheidung
Der Ausschuss ist mehrheitlich der Auffassung, durch die Neubeset-
zung der Reaktorsicherheitskommission sei die erforderliche Plura-
lität bei den wissenschaftlichen Auffassungen und Forschungsansät-
zen sichergestellt worden. Eine Satzungsänderung trage zudem zu
einer expliziten Trennung zwischen wissenschaftlicher Beratung und
politischer Bewertung bei.

C. Alternativen
Annahme des Antrages der Fraktion der CDU/CSU.

D. Kosten
Wurden nicht erörtert.

Drucksache 14/2112 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,
den Antrag auf Drucksache 14/1010 abzulehnen.

Berlin, den 27. Oktober 1999

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Christoph Matschie Dr. Axel Berg Dr. Paul Laufs Michaele Hustedt
Vorsitzender Berichterstatter Berichterstatter Berichterstatterin

Birgit Homburger Eva Bulling-Schröter
Berichterstatterin Berichterstatterin

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/2112

Bericht der Abgeordneten Dr. Axel Berg, Dr. Paul Laufs, Michaele Hustedt,
Birgit Homburger und Eva Bulling-Schröter

I.
Der Antrag auf Drucksache 14/1010 wurde in der
49. Sitzung des Deutschen Bundestages am 30. Juni
1999 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur
Mitberatung an den Haushaltsausschuss, an den Aus-
schuss für Wirtschaft und Technologie und an den Aus-
schuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung überwiesen.
Die mitberatenden Ausschüsse haben jeweils mit den
Stimmen der Fraktionen der SPD, von BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN und der PDS gegen die Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. empfohlen,
den Antrag abzulehnen.

II.
In dem Antrag wird zunächst festgestellt, dass durch die
Neubesetzung der Reaktor-Sicherheitskommission nach
dem Regierungswechsel die erforderliche fachlich fun-
dierte ideologiefreie Beratung nicht mehr sichergestellt
sei. Die Bundesregierung soll daher aufgefordert werden,
diese Kommission ausschließlich mit Personen zu beset-
zen, die höchsten fachlichen Sachverstand besitzen und
geeignet sind, eine völlig neutrale und den fachlichen
Anforderungen gerecht werdende Beratung der Bundes-
regierung zu gewährleisten.

III.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit hat den Antrag auf Drucksache 14/1010 in sei-
ner Sitzung am 27. Oktober 1999 beraten.
Von Seiten der Antragsteller wurde ausgeführt, es sei
unstrittig, dass die Bewertung der Risiken einer Technik
eine Aufgabe der Politik sei. Die Begrenzung von Tech-
nikanwendung, z. B. durch die Vorgabe von Sicherheits-
standards oder von Grenzwerten, sei ebenfalls eine
wichtige politische Aufgabe. Die Technik selbst und die
Wissenschaft, die sich mit der Technik befasse, seien
unpolitisch. Hier gehe es um die Beschreibung naturwis-
senschaftlich-technischer Sachverhalte. Beispielsweise
sei die Neutronenversprödung eines Reaktordruckge-
fäßes mit fortschreitender Zeit und der damit einherge-
hende Verlust an Bruchsicherheit eine rein wissen-
schaftlich-technische Frage. Natürlich werde auch über
wissenschaftliche Fragen auf entsprechenden Konferen-
zen ein Disput geführt. Dies führe in der Regel zu Auf-
fassungen, die dann die wissenschaftliche Position be-
schrieben. Erst die Bewertung von Wissenschaft und
Technik müsse von der Politik in ihrer ganzen Pluralität
wahrgenommen werden.
Die frühere Reaktorsicherheitskommission habe die
strenge wissenschaftlich-technische Aufgabe gehabt, den

Stand von Wissenschaft und Technik bei der Schadens-
vorsorge zu konkretisieren und ihre Erkenntnisse der
Bundesregierung zu berichten. Um die wissenschaftlich-
technischen Sachverhalte bestmöglich zu erfahren, habe
man sehr sorgfältig die besten Fachleute ausgesucht und
berufen. Dabei sei die ganze Breite des erforderlichen
Fachwissens in der Reaktorsicherheitskommission reprä-
sentiert gewesen. Die plötzliche Auflösung der alten Re-
aktorsicherheitskommission, ihre Verkleinerung und
Neubesetzung und die Herstellung der Pluralität der Auf-
fassungen zur Nutzung der Kernenergie, wie dies be-
hauptet werde, bedeute die Politisierung eines wissen-
schaftlichen Gremiums. Die Folge sei die Vermischung
von Wissenschaft und Politik, ein Unterfangen, das nur
zu Lasten der Wissenschaft gehen könne und zum
Verlust an Kompetenz und Leistungsfähigkeit führen
müsse.
Vom Grundsatz her sei es verständlich, dass Wissen-
schaftler, die ihr berufliches Lebenswerk der Sicherheit
einer Technik widmeten, nicht grundsätzliche Gegner
dieser Technik seien. Deswegen von einem Bollwerk der
Atomindustrie zu sprechen, halte man aber für unange-
bracht. Natürlich habe die alte Reaktorsicherheitskom-
mission die Sicherheit der Kerntechnik ausserordentlich
erfolgreich auf ein hohes Niveau gebracht und damit die
Grundlage für ihre Nutzung gefestigt. Auf der anderen
Seite liege es nahe, dass Gegner der Kernenergie nicht
hervorragende wissenschaftliche Arbeiten zur Verbesse-
rung dieser Technik vorweisen könnten. Soweit veröf-
fentlicht werde, handle es sich um bemerkenswert pole-
mische Publikationen, die durch allgemeine Bedenken
und die Betonung der Restrisiken der Kernenergienut-
zung gekennzeichnet seien. Letztendlich handle es sich
um politische Wertungen. Dagegen sei nichts einzuwen-
den. Der Erforschung wissenschaftlich-technischer Er-
kenntnisse dienten sie aber nicht.
Mit dem vorliegenden Antrag wolle man deshalb errei-
chen, dass wieder eine saubere Trennung zwischen Wis-
senschaft und Politik vorgenommen und die Reaktorsi-
cherheitskommission zu einem Gremium werde, das sich
durch exzellenten Sachverstand und hohe wissenschaft-
liche Autorität auszeichne. Auch von der jetzigen Bun-
desregierung werde ja betont, dass keine Abstriche am
Sicherheitsstandard der Kernkraftwerke gemacht wür-
den, solange sie in Betrieb seien. Gegen die Kernener-
gienutzung werde von den jetzigen Regierungsfraktionen
immer unter Hinweis auf den Unfall in Tschernobyl ar-
gumentiert. Dazu sei festzustellen, dass dieser Reaktor
von seiner Physik, seiner Sicherheitstechnik und seiner
Betriebsweise her nichts mit den in Deutschland in Be-
trieb befindlichen Kernkraftwerken zu tun habe. Man
halte es für eine Tragik, wenn es dazu komme, dass hier
in Deutschland aus der Kernenergienutzung ausgestiegen
werde, während in anderen Ländern auf einem ganz an-
deren Sicherheitsniveau neue Kernkraftwerke errichtet

Drucksache 14/2112 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

würden, und man dann letztendlich auf liberalisierten
Märkten den Atomstrom aus Osteuropa oder anderswo
beziehe.
Von Seiten der Fraktion der SPD wurde darauf hinge-
wiesen, dass es die behauptete Trennung von Wissen-
schaft und Politik in der alten Reaktorsicherheitskom-
mission so nie gegeben habe, da dort ausschließlich Be-
fürworter der Kernenergienutzung vertreten gewesen
seien. Dass nur fachlich hochqualifizierte Wissen-
schaftler in diese Kommission aufgenommen würden,
sei eine Selbstverständlichkeit. Andererseits sei es nicht
Aufgabe des Parlaments, einem Minister vorzuschrei-
ben, welche Berater er sich nehme. Wenn er sich dafür
entscheide, dass die ganze Bandbreite der Wissenschaft
in diesem Gremium Platz finde, so sei dies positiv zu
beurteilen. Es sei eben nicht so wie zu Zeiten der alten
Bundesregierung, dass sich dort nur Sachverständige
befänden, die die gleiche Meinung wie der Minister
selbst hätten. Allen außer den Atomkraftbefürwortern
zu unterstellen, sie seien nicht unabhängig und nicht
fachlich hochqualifiziert, sei eine anmaßende und nicht
zu rechtfertigende Diskreditierung der neu berufenen
Sachverständigen. Von daher lehne man den vorgeleg-
ten Antrag ab.
Von Seiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wurde ausgeführt, gerade im Sinne des geforderten kriti-
schen Realismus gelte das Falsifizierungskriterium. Es
müsse immer möglich sein, nachzuweisen, dass ein be-
stimmter Sachverhalt nicht richtig sei. Aus dieser Sicht
sei es äußerst vernünftig, in die Reaktorsicherheitskom-
mission auch Sachverständige aufzunehmen, die falsifi-
zierungsbereit seien. Man habe den Eindruck gehabt,
dass bei der alten Reaktorsicherheitskommission die Be-
reitschaft zu dieser Falsifizierung überhaupt nicht gege-
ben gewesen sei. Angesichts der in der Reaktorsicher-
heitskommission vertretenen Institutionen könne auch
nicht die Rede davon sein, dass alle Atomkraftbefür-
worter aus dieser Kommission verdrängt worden wären.
Vielmehr sei nun eine Balance hergestellt worden zwi-
schen Wissenschaftlern, die zur Kernenergienutzung po-
sitiv eingestellt seien, und solchen, die der Kernenergie-
nutzung kritisch gegenüberstünden. Für fragwürdig halte
man auch die Argumentation, dass man von den Wissen-
schaftlern, die der Kernenergienutzung positiv gegen-
überstünden, positive Ergebnisse bei der weiteren Erfor-
schung der Kernenergienutzung erwarten könne, wäh-
rend dies bei solchen, die der Kernenergienutzung kri-
tisch gegenüberstünden, nicht der Fall sei. Kehre man
diese Argumentation um, so sei die positive Einstellung
zur Kernenergienutzung gewissermassen die Vorausset-
zung für die wissenschaftliche Befassung mit dieser

Technik. Damit werde aber die eigene Argumentation
einer Trennung von Wissenschaft und Politik durchbro-
chen. Auch von daher lehne man den vorliegenden An-
trag ab.
Von Seiten der Fraktion der F.D.P. wurde dargelegt, es
gehe weniger darum, ob die Mitglieder dieser Kommis-
sion im Hinblick auf ihre Einstellung zur Kernergienut-
zung vorgeprägt seien, sondern darum, dass in einem
solchen Gremium ausschließlich Wissenschaftler Auf-
nahme finden dürften. Gerade diese Qualifikation sei je-
doch in der neuen Kommission nicht durchgehend vor-
handen. Auch wurden von dieser Seite, wie jüngst wie-
der geschehen, Pressemitteilungen eindeutig politischen,
aber nicht wissenschaftlichen Charakters veröffentlicht.
Da man sich auch dagegen wende, werde man dem vor-
liegenden Antrag zustimmen.
Von Seiten der Fraktion der PDS wurde festgestellt, dass
ein möglicher Befangenheitsvorbehalt für Sachverstän-
dige, die in der Atomindustrie arbeiteten, in gleicher
Weise gelten müsse wie für Sachverständige, die aus der
Anti-Atomkraft-Bewegung kämen. Die Neubesetzung
der Reaktorsicherheitskommission habe zur Ausgewo-
genheit beigetragen. Von daher lehne man den vorlie-
genden Antrag ab.
Vom Vertreter der Bundesregierung wurde darauf hin-
gewiesen, es sei richtig, dass es eine explizite Trennung
von wissenschaftlicher Beratung und Politik geben müs-
se. Genau dies habe aber zunächst einmal in der neuen
Satzung dieser Kommission festgeschrieben werden
müssen. Dort sei festgelegt, dass für die rechtliche Risi-
kobewertung die Aufsichtsbehörden die Verantwortung
trügen. Die Reaktorsicherheitskommission sei somit rein
für die wissenschaftliche Analyse und die Erarbeitung
technischer Alternativen verantwortlich.
Wenn von Pluralität bei der Besetzung der Reaktorsi-
cherheitskommission gesprochen werde, so betreffe dies
keinesfalls die politischen Auffassungen der Mitglieder
dieser Kommission. Vielmehr gehe es darum, in dieser
Kommission die Pluralität der wissenschaftlichen For-
schungsansätze und Forschungsergebnisse zu repräsen-
tieren. Dass man zu unterschiedlicher politischer Be-
wertung komme, wenn man sich auf unterschiedliche
Forschungsergebnisse stütze, sei allerdings nachzuvoll-
ziehen.
Der Ausschuss beschloss mit den Stimmen der Fraktio-
nen der SPD, von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und der F.D.P., dem Deutschen Bundestag zu empfehlen,
den Antrag auf Drucksache 14/1010 abzulehnen.

Berlin, den 15. November 1999

Dr. Axel Berg Dr. Paul Laufs Michaele Hustedt Birgit Homburger Michaele Hustedt
Berichterstatter Berichterstatter Berichterstatterin Berichterstatterin Berichterstatterin

Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei, 53113 Bonn
esellschaft mbH, Postfach 13 20, 53003 Bonn, Telefon: 02 28/3 82 08 40, Telefax: 02 28/3 82 08 44

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