BT-Drucksache 14/2083

Zur Frage der Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechtes für Journalisten

Vom 9. November 1999


Deutscher Bundestag

Drucksache

14/

2083

14. Wahlperiode

09. 11. 99

Große Anfrage

der Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, Dr. Jürgen Rüttgers, Dr. Wolfgang
Götzer, Manfred Kanther, Volker Kauder, Eckart von Klaeden, Hans-Peter Repnik,
Norbert Röttgen, Dr. Rupert Scholz, Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten,
Dr. Susanne Tiemann, Andrea Voßhoff und der Fraktion der CDU/CSU

Zur Frage der Ausweitung des Zeugnisverweigerungsrechtes für Journalisten

Jede Beschränkung von Beweisen birgt die Gefahr von materiell unrichtigen
und ungerechten Verfahrensergebnissen in sich und kann die Funktionsfähig-
keit der Strafrechtspflege, deren Aufrechterhaltung von Verfassungswegen ge-
boten ist, beeinträchtigen. Deshalb sollte der Gesetzgeber Einschränkungen
strafrechtlicher Ermittlungen nur dann vornehmen, wenn diese unabdingbar
notwendig sind, damit die Strafverfolgungsbehörden angesichts ihrer immer
größer werdenden Belastung und der steigenden Zahl von Straftaten insbeson-
dere im Bereich der Organisierten Kriminalität ihren gesetzlichen Auftrag er-
füllen können.

Zu einem Gesetzentwurf des Bundesrates vom 12. Januar 1995 (BR-Druck-
sache 13/195) zur Erweiterung des Zeugnisverweigerungsrechtes für Mitarbei-
terinnen bzw. Mitarbeiter von Presse und Rundfunk und des entsprechenden
Beschlagnahmeverbotes auch für selbst erarbeitetes Material hatte die Bundes-
regierung bereits damals auf folgende Bedenken hingewiesen:

„Ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf ist zweifelhaft. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat in seinem Beschluss vom 1. Oktober 1987 (BVerfGE 77, 65 ff.)
festgestellt, dass die gegenwärtige Gesetzeslage weder verfassungsrechtlich zu
beanstanden noch ein verfassungsrechtlicher Grund erkennbar ist, der es gebie-
tet, Journalisten im Bezug auf selbstrecherchiertes Material ein Zeugnisverwei-
gerungsrecht zu gewähren. Das Bundesverfassungsgericht hat auch keine Be-
mühungen des Gesetzgebers um differenziertere Regelungen angeregt.

Ein durch das Bundesministerium der Justiz beim Max-Planck-Institut für aus-
ländisches und internationales Strafrecht eingeholtes, rechtsvergleichendes
Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass im westeuropäischen Rechtskreis so-
wie in den USA keine Vorschriften existieren, die einen Impuls für eine Erwei-
terung der Beschlagnahmefreiheit zugunsten selbstrecherchierten Materials er-
geben könnten.

Demgegenüber lassen sich im Spannungsverhältnis zwischen der Presse- und
Rundfunkfreiheit einerseits und den Belangen einer funktionsfähigen Straf-
rechtspflege andererseits auf der Grundlage der gegenwärtigen Gesetzeslage
differenzierte und den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende Ergeb-
nisse erzielen. Denn eine Begrenzung des Aussagezwangs und der Beschlag-
Drucksache

14/

2083

– 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

nahme kann sich auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatzes unmittelbar aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG
ergeben, wenn in besonders gelagerten Fällen nach einer Abwägung der wider-
streitenden Interessen dem Geheimhaltungsinteresse der Presse gegenüber den
Erfordernissen der Strafrechtspflege der Vorrang gebührt.“

Auf der 68. Konferenz der Justizministerinnen und -minister vom 11./12. Juni
1997 in Saarbrücken haben die Justizministerinnen und -minister Fragen im
Zusammenhang mit der in der Öffentlichkeit geäußerten Kritik an staatsanwalt-
lichen Durchsuchungsmaßnahmen bei Journalisten erörtert. Sie beauftragten
den Strafrechtsausschuss zu prüfen, ob das geltende Recht und die hierauf
beruhende Praxis der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zwischen der
Pressefreiheit einerseits und den Erfordernissen einer funktionsfähigen Straf-
rechtspflege andererseits gerecht werde. Auf der Herbstkonferenz der Justiz-
ministerinnen und -minister am 6. November 1997 in Bonn wurde der Bericht
des Strafrechtsausschusses „Erweiterung des Beschlagnahmeverbots bei Jour-
nalisten“ zur Kenntnis genommen. Die Justizministerinnen und -minister hiel-
ten diesbezüglich einstimmig eine Anregung zur gesetzgeberischen Maßnahme
nicht für geboten. Sie erachteten es für zweckmäßig, die Richtlinien für das
Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) um eine Regelung zu er-
gänzen, die durch eine Verdeutlichung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dessen
Beachtung insbesondere bei einer in Betracht kommenden Pressebeschlag-
nahme in Verfahren des Geheimnisverrats sicherstellt. In Nummer 73a der
RiStBV wurde eine entsprechende Regelung aufgenommen.

Dennoch wird öffentlich der gesetzgeberische Handlungsbedarf behauptet.

Deshalb fragen wir die Bundesregierung:

1. In welchen Staaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz gibt es
nach Kenntnis der Bundesregierung ein Zeugnisverweigerungsrecht von
Journalisten, und wie ist es ausgestaltet, insbesondere im Hinblick auf Be-
schlagnahmeverbot und Durchsuchungsverbot?

2. Mit welcher Begründung wird ein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalis-
ten in diesen Staaten bejaht bzw. abgelehnt?

3. In welchem westeuropäischen Land gibt es, mit welcher Begründung, eine
Beschlagnahmefreiheit von selbstrecherchiertem journalistischem Material?

4. Welche neuen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung nach dem im Jahr
1988 beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Straf-
recht eingeholten, rechtsvergleichenden Gutachten vor, wonach im westeu-
ropäischen Rechtskreis sowie in den USA keine Vorschriften existieren, die
einen Impuls für eine Erweiterung der Beschlagnahmefreiheit zugunsten
selbstrecherchierten Materials ergeben könnten?

5. Wird die Praxis der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung zwischen der
Pressefreiheit einerseits und den Erfordernissen einer funktionsfähigen
Strafrechtspflege andererseits gerecht?

6. Auf der Grundlage welcher Untersuchungen und Aktenauswertungen
kommt die Bundesregierung zu ihrem Ergebnis (vgl. Frage 5) ?

7. Wie viele Fälle von Durchsuchungen bei Journalisten sind der Bundesregie-
rung aus den vergangenen 15 Jahren bekannt, wonach ohne vorherige Ab-
wägung zwischen dem Aufklärungsinteresse der Strafverfolgungsbehörden
einerseits und dem grundgesetzlich geschützten Recht der Journalisten zur
Informationserlangung andererseits Durchsuchungen stattfanden?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 –

Drucksache

14/

2083

8. Wie viele solcher Fälle (vgl. Frage 7) haben sich seit Einführung von
Nummer 73a der RiStBV ereignet?

9. Um welche Fälle (vgl. Fragen 7 und 8) handelte es sich im Einzelnen (Ak-
tenzeichen, Fundstelle, Jahr, Ort)?

10. Wie reagierten nach Kenntnis der Bundesregierung Staatsanwaltschaften
und Gerichte im Anschluss an diese Durchsuchungen (vgl. Fragen 7 und 8)
auf die Verwertbarkeit des beschlagnahmten Materials?

11. Wie oft wurde in den vergangenen 15 Jahren überhaupt bei Journalisten
eine Beschlagnahme oder eine Durchsuchung vorgenommen?

12. Wie viele solcher Beschlagnahmen und Durchsuchungen (vgl. Frage 11)
haben sich seit Einführung von Nummer 73a der RiStBV ereignet?

13. Wie oft wurde in den vergangenen 15 Jahren gegen das Beschlagnahme-
verbot nach § 97 Abs. 5 StPO oder ein Durchsuchungsverbot (§ 103 StPO)
bei Journalisten verstoßen?

14. Wie viele solcher Fälle (vgl. Frage 13) haben sich seit Einführung von
Nummer 73a der RiStBV ereignet?

15. Wie oft waren die Journalisten selbst Beschuldigte bei Beschlagnahme
oder Durchsuchungen?
Was wurde ihnen jeweils vorgeworfen?

16. Wie oft wurden die Verfahren gegen Journalisten, die Beschuldigte waren,
wegen Geringfügigkeit eingestellt?

17. Wie häufig kam es bei solchen Verfahren, in denen Journalisten selbst Be-
schuldigte waren, zur Anklage oder zum Strafbefehlsverfahren?
Wie oft wurden Geldstrafen oder Freiheitsstrafen verhängt?

18. Wie häufig wurde in Verfahren wegen Verletzung eines Dienstgeheimnis-
ses (§ 353b StGB) ein Journalist, der im Kontakt zu dem wegen Geheim-
nisverrats verdächtigten Beamten stand, über die Figur der Beihilfe oder
der Anstiftung als Mitbeschuldigter qualifiziert?

19. Wie häufig hat sich in solchen Fällen der Verdacht im Anschluss als falsch
erwiesen?

20. In wie vielen Fällen wurde durchsucht oder beschlagnahmt, weil die ge-
suchten Gegenstände „producta et instrumenta sceleris“ (§ 97 Abs. 5 Satz 2
in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 StPO) waren?

21. Hätte nach Auffassung der Bundesregierung die Aufhebung der Ausnah-
mevorschriften des § 97 Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StPO zur Folge, dass
ein tatsächlich strafverdächtiger Journalist – zum Beispiel ein Journalist,
der sich mit Bestechung Unterlagen verschafft, um darüber dann berichten
zu können – für die Strafverfolgung quasi immun bleibt?

22. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung vertretbar, dass dem Journalis-
ten die freie Entscheidung überlassen bleiben soll, ob er Tatwerkzeuge
oder Produkte einer Straftat den Ermittlungsbehörden aushändigen möchte
oder nicht?

Berlin, den 9. November 1999

Norbert Geis
Ronald Pofalla
Dr. Jürgen Rüttgers
Dr. Wolfgang Götzer
Manfred Kanther
Volker Kauder
Eckart von Klaeden

Hans-Peter Repnik
Norbert Röttgen
Dr. Rupert Scholz
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Dr. Susanne Tiemann
Andrea Voßhoff

Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.