BT-Drucksache 14/1992

zur Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der 5. Vertragsstaatenkoferenz der Klimarahmenkonvention in Bonn

Vom 4. November 1999


Deutscher Bundestag

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1992

14. Wahlperiode

04. 11. 99

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Eva-Maria Bulling-Schröter, Rosel Neuhäuser,
Dr. Winfried Wolf, Carsten Hübner, Christine Ostrowski, Dr. Gregor Gysi
und der Fraktion der PDS

zur Erklärung der Bundesregierung zu den Ergebnissen der
5. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Bonn

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag nimmt zustimmend zur Kenntnis, dass die Bundes-
regierung, einlässlich der 5. Tagung der Konferenz der Vertragsparteien des
Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen (UNFCCC) über Klimaände-
rungen, das Ziel einer Reduktion von Treibhausgasen von 25 % bis zum Jahr
2005 auf der Basis des Jahres 1990 bekräftigt hat. Mit dieser Erklärung hat es
sich die Bundesregierung zur Pflicht gemacht, durch bisher noch ausstehende
Maßnahmen die angebliche Rolle Deutschlands als Klimaschutzvorreiter aus-
zufüllen.

Die Bundesrepublik Deutschland emittiert pro Kopf 10,9 Tonnen CO

2

-Äquiva-
lent im Jahr. Das sind zirka fünfmal mehr Klimagase als klimaverträglich und
zehnmal mehr als in Afrika ausgestoßen werden. Die deutschen Emissionen lie-
gen aber auch über denen anderer Industriestaaten. Sie liegen pro Kopf bei-
spielsweise 20 % über denen in Japan und 70 % über dem Niveau der Schweiz.
Von einer gegenwärtigen Vorbildrolle Deutschlands im Klimaschutz kann also
nicht gesprochen werden.

Der Deutsche Bundestag ist sich darüber im Klaren, dass zahlreiche Produk-
tionsstätten in anderen Teilen der Welt für die Rohstoffversorgung Deutsch-
lands, für die Herstellung von Halbfabrikaten für deutsche Unternehmen oder
für den deutschen Konsum arbeiten. Sie alle stoßen Klimagase aus, die nicht in
die deutsche Klimabilanz eingehen. Deutschland exportiert im Gegenzug über-
wiegend höherveredelte Produkte, bei deren Produktion tendenziell deutlich
weniger Klimagase ausgestoßen werden, als bei der Produktion bzw. Förderung
sowie beim Transport von importierten niedrig veredelten Produkten und Roh-
stoffen. Im Nettoeffekt belastet die Produktions- und Konsumtionsweise
Deutschlands, wie auch die der anderen Industriestaaten, das Weltklima mit
deutlich mehr Klimagasen, als sich in den Länderstatistiken der UNFCCC wie-
derfinden. Dieser zusätzliche „ökologische Rucksack“, den auch die Bundes-
republik Deutschland anderen Völkern aufbürdet, muss bei der Klimastrategie
der Bundesregierung Berücksichtigung finden.
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Bundeskanzler Gerhard Schröder hat kürzlich eingeräumt, dass die bisher in
Deutschland beschlossenen Maßnahmen bis zum Jahr 2005 lediglich eine Ver-
ringerung der Treibhausgasemissionen, bezogen auf 1990, um etwa 17 % er-
möglichen würden. Momentan habe Deutschland diese Emissionen um 13,2 %
verringert. Es sind also außerordentliche Anstrengungen notwendig, um das
deutsche Klimaschutzziel zu erfüllen.

Mittelfristig muss jedoch weltweit der Ausstoß an Klimagasen nicht an politi-
schen, sondern an den naturwissenschaftlich begründeten Notwendigkeiten
ausgerichtet werden. Das bedeutet mindestens eine weltweite Halbierung dieser
Emission bis Mitte des nächsten Jahrhunderts. Für die Industriestaaten heißt
dies eine Reduktion von 80 % bis zum Jahr 2050, wenn den Entwicklungslän-
dern tatsächlich eine Chance zur Entwicklung gegeben werden soll. Insofern
kann auch das deutsche Klimaschutzziel von 25 % Reduktion bis zum Jahr
2005, bezogen auf 1990, nur ein Einstieg in eine zielführende Klimapolitik
sein.

Gegenwärtig ist nicht abzusehen, wie die Bundesrepublik Deutschland wenigs-
tens das selbstgesteckte Klimaschutzziel erreichen will. Eine an den Erforder-
nissen ausgerichtete Klimaschutzpolitik findet sich weder in Investitionsplänen
der Wirtschaft noch denen der öffentlichen Haushalte wieder. Dies wird ins-
besondere im Verkehrsbereich deutlich. Die Bundesregierung scheint nicht ge-
willt, hier die fatalen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte wenigstens im An-
satz korrigieren zu wollen.

Die Verkehrspolitik des Bundes ist seit Jahrzehnten eine klimapolitische Katas-
trophe. Laut einer aktuellen Studie des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt,
Energie wird ohne Gegenmaßnahmen das Wachstum des Verkehrs bis zum
Jahr 2020 sämtliche Einsparungen von Klimagasen in den anderen Bereichen
zunichte machen. Allein die LKW-Emissionen werden drastisch um 38 %
wachsen. Mit einem Anstieg von 46 Mio. auf 120 Mio. Tonnen CO

2

-Äquiva-
lent wird der Flugverkehr im Jahr 2020 das Klima genauso stark belasten wie
der PKW-Verkehr.

Der Autoverkehr und seine Industrie wird weiterhin von der Bundesregierung
gefördert. Die Berliner Tageszeitung „Tagesspiegel“ titelte kürzlich sarkas-
tisch: „Rot-grüne Wende: Mehr Straße, weniger Schiene“. Vor einem Jahr
schrieben SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in ihren Koalitionsvertrag:
„Um die Modernisierung des Schienennetzes voranzutreiben, streben wir an,
die Investitionsmittel für Straße und Schiene schrittweise anzugleichen.“ Doch
diese Angleichung, die im Übrigen keinesfalls die seit Jahren andauernde Privi-
legierung des Autoverkehrs umkehren kann, lässt auf sich warten. Von den
60,7 Mrd. DM, die bis zum Jahr 2002 für Schiene und Straße ausgegeben wer-
den sollen, fließen nur 28,57 Mrd. DM, das sind 47 %, in die Schiene. Der Stra-
ßenbau erhält dagegen 32,13 Mrd. DM, also 53 %.

Bei dieser Politik ist es nicht verwunderlich, dass weiterhin von den gegen-
wärtig 38 100 Kilometern betriebenen Schienenstrecken der Bahn 11 000 Kilo-
meter, also mehr als ein Viertel, und in der Regel die für die Flächenbahn so
wichtigen Nebenstrecken von der Schließung bedroht sind. Wenn man berück-
sichtigt, dass 90 % der Reiseaufkommens der Bahn Reisen unter 50 Kilometern
sind, wird auch hier die Schieflage der Verkehrspolitik deutlich.

Anstatt den Kahlschlag bei der Flächenbahn oder im öffentlichen Personennah-
verkehr zu stoppen, soll das unsinnige einspurige Torso des Milliardengrabs
Transrapid finanziert werden. Ein Projekt, dass sich nur rechnet, wenn zusätz-
licher Verkehr produziert wird. Um den Preis von 150 DM pro Ticket zu halten,
müssten im Jahr 8 Millionen Menschen transportiert werden. Im Moment rei-
sen zwischen Hamburg und Berlin aber nur ganze 2 Millionen. Und zwar auf
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Schiene, Straße und in der Luft. Alles Verkehrsträger, die es später weiterhin
neben dem Transrapid geben wird.

Die Energiepolitik droht durch die von der Bundesregierung unterstützte Libe-
ralisierung der europäischen Energiemärkte, die Ausweitung von regenerativen
Energien sowie von Kraft-Wärmekopplungs-Anlagen zu behindern. Einige An-
lagen stehen gar vor dem Aus.

Durch großzügige Rückstellungsregelungen beim Atomstrom mittels schon ab-
geschriebener Kraftwerke und durch die Monopolpreise der vergangenen Jahr-
zehnte sind die Kriegskassen der großen Energieversorger prall gefüllt. Es fällt
ihnen nicht schwer, noch mehrere Monate Dumpingpreise zu finanzieren, um
kleinere Anbieter von Ökostrom und Stadtwerke aus dem Rennen zu werfen.
So sind gerade die Anlagen mit Kraft-Wärmekopplung vom Aus bedroht. Diese
Art der Energieerzeugung ist aber gerade im Vergleich zu den klassischen riesi-
gen Kondensationskraftwerken hocheffizient, weil sie mit ihrer Abwärmenut-
zung Wirkungsgrade von bis zu 90 % erreichen. Die Energieversorgungsunter-
nehmen heizen dagegen mit ihrer Abwärme Luft und Flüsse anstatt Wohnungen
und Betriebe. Oder sie erzeugen Strom und Wärme getrennt, was ebenfalls bis
zu 40 % mehr Primärenergie kostet.

Die Kraft-Wärmekopplung ist gegenwärtig die mit Abstand kostengünstigste
Verfahrensart zur CO

2

-Einsparung im Bereich der Energieerzeugung. Deshalb
muss sie noch lange Zeit genauso geschützt und gefördert werden, wie der Ein-
satz von regenerativen Energien, welche langfristig die einzig nachhaltige
Form der Energieversorgung darstellen.

Die Bundesregierung hat es versäumt, mit einer ökologisch und sozial ausge-
richteten Ökosteuerreform ökonomische Signale zum Schutz der natürlichen
Umwelt, insbesondere zum Klimaschutz, zu setzen. Sie ist mit ihrer so genann-
ten Ökosteuerreform auf dem besten Wege, den Gedanken einer notwendigen
Verteuerung des Umweltverbrauchs völlig zu diskreditieren, da diese Reform
kaum ökologische Lenkungswirkungen enthält, dafür aber Milliarden von
Mark aus den Taschen der Bürgerinnen und Bürger in die der Unternehmen
spült. Der politische Spielraum für den Umweltschutz wird dadurch deutlich
reduziert werden.

Der Deutsche Bundestag ist sich darüber einig, dass der überwiegende Haupt-
teil der Klimagas-Reduktionen auf nationaler Ebene erfolgen muss, da die
Industriestaaten pro Kopf dramatisch mehr Klimagase emittieren, als die an-
deren Länder. Die Verpflichtungen der Industriestaaten zu nationalen Reduk-
tionen dürfen nicht durch Schlupflöcher in den Vertragswerken des UNFCCC
aufgeweicht werden. Die flexiblen, zwischenstaatlichen Mechanismen des
UNFCCC sind deshalb nicht daran zu messen, ob sie den Klimaschutz für
Industriestaaten billiger machen, sondern ausschließlich daran, ob sie einen
tatsächlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– bis Ende Januar 2000 einen Plan vorzulegen, durch welche konkreten Maß-
nahmen das Klimaschutzziel der Bundesregierung erfüllt werden soll.

Dabei sind mindestens 70 % des Reduktionszieles innerhalb Deutschlands
zu erfüllen. Die in Kyoto und Bonn diskutierten flexiblen Mechanismen, wie
Emissionshandel, Joint Implementation und Clean Development Mecha-
nism dürfen höchstens einen Anteil von 30 % betragen. Der Einsatz von
Atomkraft ist dabei auszuschließen. Sollte sich im Ergebnis der 5. und 6.
Vertragsstaatenkonferenz zeigen, dass die wichtigsten Schlupflöcher der fle-
xiblen Mechanismen nicht geschlossen werden konnten, ist dieser Anteil –
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unabhängig von internationalen Festlegungen – für Deutschland auf Null zu
setzen;

– bis Ende kommenden Jahres eine umweltökonomische Analyse über die in-
ternationalen Ressourcen- und Emissionsverflechtungen der bundesdeut-
schen Produktions- und Konsumtionsweise vorzulegen. Diese Analyse soll
versuchen, die tatsächliche Nutzung des globalen Umweltraumes durch die
Bundesrepublik Deutschland statistisch widerzuspiegeln. Auf Grundlage
dieser Untersuchung ist als zweiter Schritt das Klimaschutzziel der Bundes-
regierung an die naturwissenschaftlichen Erfordernisse anzupassen; und
zwar unter der Bedingung, dass grundsätzlich jedem Menschen dieser Erde
der gleiche Anspruch auf Umweltraum zusteht. Entsprechende weitere Ziel-
stellungen hinsichtlich anderer Emissionen sowie der Ressourceninan-
spruchnahme müssen folgen.

Da die Erzeugung von Strom durch Atomkraftwerke ein unverantwortbares
Risiko für Gesundheit und Umwelt für die jetzigen und zukünftigen Genera-
tionen darstellt, muss sie spätestens bis zum Jahr 2005 beendet werden.

Der Ersatz von fossilen und atomar getriebenen Kraftwerken durch Anlagen
zur Umwandlung von regenerativen Energien in Strom bedarf weiterer poli-
tischer Förderung und Unterstützung zur breiten Markteinführung. Nur so
können die Kosten dieser Anlagen gesenkt werden. Weiterhin muss sich die
Energieeffizienz der Volkswirtschaft deutlich erhöhen. Über verschiedene
Förderinstrumentarien müssen Investitionen in regenerative Energien und
in Energieeinsparungen deutlicher protegiert werden. Das 100 000-Dächer-
programm und das 200-Millionen-Energieeffizienz-Programm der Bundes-
regierung können hier nur ein Anfang sein.

Die Nachfrage nach Anlagen zur Umwandlung von regenerativen Energien
in Strom muss durch eine kostendeckende Vergütung und durch attraktive
Regelungen zur Umlage von Neuanschluss- und Ablesekosten stimuliert
werden. Für regenerative Energien ist eine kostenlose Durchleitung einzu-
führen, um „sauberen Strom“ auch sozial schwächeren Bevölkerungsgrup-
pen kostengünstig anbieten zu können.

Zur Erzeugung von Heizwärme und warmem Brauchwasser ist es unabding-
bar, auf Kraft-Wärme gekoppelte Anlagen, Sonnenkollektoren, Biomasse
und geothermische Anlagen umzurüsten. Allgemein verbindliche bautechni-
sche Standards müssen die Neubau- und Modernisierungskosten niedrig hal-
ten, wenn in planbaren Zeitabschnitten nur noch Niedrigenergiehäuser und
schließlich Passivenergiehäuser errichtet werden sollen. Die Energieeinspar-
Verordnung ist auch darauf auszurichten, energiesparende Standards im Ge-
bäudebestand durchzusetzen. Die Kraft-Wärmekopplung ist durch Quoten-
regelungen über den Energiemix des jeweiligen Energieversorgers zu schüt-
zen und weiter auszubauen.

Zwecks Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene muss das
gesamte Netz des Schienenverkehrs ausgebaut werden. Die Baukostenfinan-
zierung des Bundes ist auch für die Nebenstrecken zu nutzen. Der Auto-
und Flugverkehr ist durch steuerliche und ordnungsrechtliche Maßnahmen
deutlich zu reduzieren. Direkte Forschungsförderungen des Bundes für die
Automobilindustrie oder die Luftfahrt sind im Bundeshaushalt zu streichen.

Die zusätzlich benötigten Investitionsmittel müssen durch eine soziale und
ökologisch orientierte Steuer-, Abgaben- und Haushaltpolitik aufgebracht
werden;
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– bis Mitte 2000 parlamentarische Initiativen zu folgenden Schwerpunkten zu
ergreifen:

1. Umstellung und Vereinheitlichung der verschiedenen Energiesteuern auf
eine Primärenergiesteuer mit dem Ziel, den Einsatz fossiler Primärenergie-
träger absolut zu senken;

2. Belastung des Straßengüterverkehrs durch eine Schwerverkehrsabgabe;

3. Belastung des Flugverkehrs durch eine mit den Nachbarländern abge-
stimmte Aufhebung der Steuerbefreiung für Flugzeugtreibstoffe;

4. Vorlage einer Rechtsverordnung zum rationellen Energieeinsatz im produ-
zierenden Gewerbe auf Grundlage von § 5 Abs. 2 Bundes-Immissions-
schutzgesetz. Im Rahmen einer solchen Verordnung können auch diejenigen
energieintensiven Prozesse definiert werden, die eine wettbewerbsverträg-
liche Neufassung der Energiesteuerbefreiungs- und -minderungstatbestände
erlaubt;

5. Auflage eines Förderprogramms zur Energieeinsparung im Gebäudebereich.

Berlin, den 4. November 1999

Eva-Maria Bulling-Schröter
Rosel Neuhäuser
Dr. Winfried Wolf
Carsten Hübner
Christine Ostrowski
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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