BT-Drucksache 14/1774

Strafverfolgung in (einem zusammenwachsenden) Europa

Vom 5. Oktober 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1774
14. Wahlperiode 05. 10. 99

Große Anfrage
der Abgeordneten Norbert Geis, Ronald Pofalla, Dr. Jürgen Rüttgers,
Wolfgang Bosbach, Dr. Wolfgang Götzer, Manfred Kanther, Volker Kauder,
Eckart von Klaeden, Erwin Marschewski, Hans-Peter Repnik, Norbert Röttgen,
Dr. Rupert Scholz, Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten, Dr. Susanne Tiemann,
Andrea Voßhoff und der Fraktion der CDU/CSU

Strafverfolgung in (einem zusammenwachsenden) Europa

Europa wächst zusammen. Mit dieser Entwicklung geht einher, dass sich die
Europäische Kommission zunehmend mit strafrechtlichen Themen befasst und
in diesem Bereich Initiativen ergreift. Beispiele sind die Maßnahmen und Initi-
ativen zur Bekämpfung der Korruption, des internationalen Drogenhandels,
ganz allgemein der Organisierten Kriminalität, zum strafrechtlichen Schutz des
Euro und des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Das Ziel effektiver Strafverfol-
gung ist unstreitig. Strafrechtsbezogene Regelungen werden allerdings – der
Struktur der Europäischen Union entsprechend – auf Beamtenebene ausgehan-
delt. Dem Deutschen Bundestag bleibt nicht selten nur, sie in nationales Recht
umzusetzen, vielfach ohne inhaltliche Spielräume. Durch das neue Instrument
des Rahmenbeschlusses (Artikel 34 Abs. 2 lit. b EUV) dürfte sich der Spiel-
raum für die nationalen Parlamente noch mehr verengen.

Eine Gruppe von Strafrechtslehrern hat unlängst im Auftrag des Europäischen
Parlaments den Entwurf eines „Corpus Juris“ vorgelegt. Er enthält Bestimmun-
gen zum Allgemeinen und Besonderen Teil des materiellen Strafrechts sowie
grundlegende Regelungen zum Strafverfahrensrecht. Unmittelbar zielt der Ent-
wurf auf den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften. Ausweis-
lich seiner Einleitung versteht er sich sehr viel weitergehend als erster Schritt in
Richtung auf die Schaffung eines einheitlichen europäischen Straf- und Straf-
verfahrensrechts. Das Europäische Parlament hat den Entwurf begrüßt und zum
einen zum Ausdruck gebracht, dass es „nicht beabsichtigt ist, das Zustande-
kommen eines europäischen Strafgesetzbuches anzustreben“, zum anderen aber
„den schrittweisen Aufbau eines europäischen Strafrechtssystems“ gefordert,
wozu die Kommission ein „echtes Legislativprogramm“ zu erarbeiten habe
(Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Strafverfahren im Rahmen
der Europäischen Union [Corpus Juris] vom 13. April 1999 [BR-Drucksache
276/99]).

Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung in Cardiff den Rat und die Kommis-
sion beauftragt, ihm auf seiner Tagung in Wien einen Aktionsplan zu der Frage
vorzulegen, „wie die Bestimmungen des Vertrages von Amsterdam über den
Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts am besten um-
zusetzen sind“. Die Staats- und Regierungschefs bekräftigten ferner auf ihrer

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Tagung in Pörtschach, dass sie diesem Thema große Bedeutung beimessen, und
vereinbarten, im Oktober 1999 zu einer Sondertagung des Europäischen Rats in
Tampere zusammenzutreten. Am 3. Dezember 1998 nahm der Rat (Justiz und
Inneres) einen „Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen
Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrages über den Aufbau
eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an (Amtsblatt der Eu-
ropäischen Gemeinschaften vom 23. Januar 1999). In diesem Aktionsplan wer-
den neben allgemeinen Prioritäten und Maßnahmen konkrete Vorschläge for-
muliert, die binnen zwei oder fünf Jahren ergriffen werden sollen; u. a. die
Annäherung der Strafrechtsbestimmungen der Mitgliedstaaten z. B. für Falsch-
münzerei, Betrug und Fälschung bei anderen Zahlungsmitteln als Bargeld. In
seiner Entschließung vom 13. April 1999 (EuB – EP 520) zum o. g. Aktions-
plan vertritt das Europäische Parlament die Auffassung, dass „vor der künftigen
Erweiterung der Union entscheidende Fortschritte im Bereich des Raums für
Freiheit, Sicherheit und Recht erreicht werden müssen“ und „fordert den Rat
und die Kommisssion auf, die erforderlichen Maßnahmen umgehend zu verab-
schieden“ (Ziffer 15).

In einer Entschließung vom 27. November 1998 (BR-Drucksache 646/98 – Be-
schluss) hat der Bundesrat rasches grenzüberschreitendes Handeln, Verbesserung
der grenzüberschreitenden Kooperation sowie Beschleunigung und Vereinfa-
chung der internationalen Zusammenarbeit angemahnt.

Das auch im Bereich der Strafrechtspflege zusammenwachsende Europa, das
sich in den soeben geschilderten Aspekten spiegelt, macht eine grundsätzliche
Standortbestimmung der grenzüberschreitenden Strafrechtspflege notwendig.
Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Stellung des Deutschen Bundestages
im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts.

Wir fragen die Bundesregierung:

A. Allgemeines

1. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass

– auf kürzere Sicht

– auf längere Sicht

a) ein einheitliches europäisches Strafrecht im materiellstrafrechtlichen
Bereich

b) ein einheitliches europäisches Strafverfahrensrecht

anzustreben ist?

2. Sind nach den Erkenntnissen der Bundesregierung die Strukturen des mate-
riellen Strafrechts und der Strafrechtspflege in den Mitgliedstaaten der EU
im wesentlichen gleich?

Wie steht es mit den Traditionen, auf denen das Strafrecht wesentlich auf-
baut (Unterschiede bitte nach den einzelnen Mitgliedstaaten differenziert
aufführen)?

3. Könnte – unabhängig von der Frage der Wünschbarkeit – ein einheitliches
Straf- und Strafverfahrensrecht mit Blick auf die in den Mitgliedstaaten un-
terschiedlichen kriminalpolitischen Grundeinstellungen, die verschiede-
nen Sprachen sowie das Strafrechtverständnis in der Bevölkerung nach
Auffassung der Bundesregierung

a) überhaupt,

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/1774

b) in absehbarer Zeit

verwirklicht werden?

4. a) Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass außer Deutschland
nur Portugal in gleicher Weise zwischen (Kriminal-)Strafrecht und Ord-
nungswidrigkeitenrecht unterscheidet?

b) Könnte bei einer Vereinheitlichung des Straf- und Strafverfahrensrechts
an dieser traditionellen und bewährten Zweiteilung in Deutschland fest-
gehalten werden?

c) Überwiegt außerhalb Deutschlands das Verständnis der Strafe als „so-
zialethischer Schuldvorwurf“?

Falls nein: Welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung daraus?

5. Zeigt die aktuelle Entwicklung im nationalen europäischen Strafrecht/
Strafverfahrensrecht (etwa in Italien und Spanien) und im Bereich der in-
ternationalen Zusammenarbeit und Rechtshilfe (etwa aktuelle Überein-
kommen samt Vorbehalten usw.) nach Einschätzung der Bundesregierung
einen Trend in Richtung auf mehr oder weniger Vereinheitlichung?

Falls ja: In welche Richtung geht dieser Trend?

6. In welchem Rahmen wäre Rechtsvereinheitlichung im materiellen Straf-
recht und im Strafverfahrensrecht nach dem Amsterdamer Vertrag auf eu-
ropäischer Ebene zulässig?

Insbesondere:

a) Welche Kompetenzen gibt nach Auffassung der Bundesregierung
Artikel 280 EGV?

Könnten ein Allgemeiner oder Besonderer Teil des Strafrechts oder die
Regelung von Ermittlungsbefugnissen bzw. Querschnittsregelungen zu
beidem bereits heute auf Artikel 280 EGV gestützt werden?

b) Steht das Subsidiaritätsprinzip einer umfassenden oder teilweisen
Rechtsvereinheitlichung entgegen?

7. Kennen alle Mitgliedstaaten der EU ein eigenständiges Jugendstrafrecht?

Sofern sie ein solches kennen: Wie stellt es sich in den Grundzügen dar
(namentlich Altersgrenzen einschließlich Heranwachsender; Sanktionen,
insbesondere Stellenwert der (Freiheits-)Strafe; Untersuchungshaft; Zu-
sammenarbeit mit Organen der Jugendhilfe – bitte nach den einzelnen Mit-
gliedstaaten differenziert aufführen)?

B. Strafrecht Allgemeiner Teil

8. Sieht die Bundesregierung ein Bedürfnis für die Schaffung eines europäi-
schen Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs?

9. Hat es in der Vergangenheit Probleme gegeben, weil die „Allgemeinen
Teile“ des Strafrechts in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich sind?

Wenn ja: Welche?

10. Wie gedenkt die Bundesregierung – für den Fall, dass ein Bedürfnis gese-
hen wird – eine angemessene Beteiligung des Deutschen Bundestages, der
Länder, der Anwaltschaft, der justitiellen Berufsverbände und der Wissen-
schaft sicherzustellen?

11. Wie steht die Bundesregierung zu den „Querschnittsregelungen“ des Cor-
pus Juris zum Allgemeinen Teil eines Strafgesetzbuches?

Drucksache 14/1774 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

Hält sie es für

a) möglich,

b) wünschenswert,

solche Querschnittsregelungen für bestimmte Arten von Straftaten zu
schaffen (finanzielle Interessen der Gemeinschaften)?

Sind nach Auffassung der Bundesregierung Schwierigkeiten der Rechtsan-
wendung zu befürchten (u. a. Beurteilung damit konkurrierender anderer
Straftaten)?

12. Sind die „Allgemeinen Teile“ in den Mitgliedstaaten der EU z. B. hinsicht-
lich

– Täterschaft/Teilnahme,

– Versuch,

– Vorsatz (Irrtum)/Fahrlässigkeit,

– Rechtswidrigkeit (Rechtfertigung),

– Schuld (Schuldfähigkeit)

zumindest von einem annähernden Grundkonsens geprägt (Unterschiede
bitte nach den einzelnen Mitgliedstaaten differenziert aufführen)?

13. Hält es die Bundesregierung für geboten bzw. vertretbar, zu diesen Kom-
plexen (Frage 5) ggf. von den grundlegenden Wertentscheidungen des
deutschen Strafrechts abzurücken?

C. Strafrecht Besonderer Teil

14. Sieht die Bundesregierung ein Bedürfnis für eine Vereinheitlichung der
Straftatbestände des Besonderen Teils des Strafrechts

– allgemein,

– für bestimmte Bereiche (etwa finanzielle Interessen der Gemeinschaf-
ten)?

15. Wäre bei einer Vereinheitlichung des Strafrechts – vor dem Hintergrund
der Tatsache, dass es in Deutschland mehrere tausend Straftatbestände im
Kernstrafrecht und Nebenstrafrecht gibt – auch mit Blick auf die bisherigen
Erfahrungen nach Einschätzung der Bundesregierung mit einer Vervielfa-
chung von Straftatbeständen zu rechnen?

Falls nein: Wäre jedenfalls mit einer Vermehrung zu rechnen?

16. Hält die Bundesregierung eine Vereinheitlichung des Nebenstrafrechts, das
häufig an materiell-rechtliche Regelungen des Verwaltungsrechts anknüpft,
für sinnvoll durchführbar?

Gibt es insofern Erfahrungen mit der Umsetzung von EU-Recht?

Falls ja: Welche?

17. Ist es mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip gegenüber einer Vereinheitli-
chung vorzugswürdig, dort, wo sich unabweisbare Notwendigkeiten zei-
gen, Mindeststandards zu schaffen, die dann von den Mitgliedstaaten in
den Strukturen ihres Rechts unter angemessener Beteiligung des Deutschen
Bundestages und der Länder umgesetzt werden können?

18. Existieren in Europa nach Erkenntnissen der Bundesregierung annähernd
gleiche Anschauungen hinsichtlich des Gebots der Bestimmtheit von

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/1774

Straftatbeständen und Strafdrohungen (vgl. etwa Artikel 4, 5, 6 und 8 des
„Corpus Juris“) und hinsichtlich des Übermaßverbotes staatlichen Stra-
fens?

Welche innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Grenzen wären in
Deutschland unabdingbar?

19. Hält die Bundesregierung es für richtig, bei Vermögensstraftaten in weitem
Umfang auf das Vorsatzerfordernis zu verzichten und Leichtfertigkeit aus-
reichen zu lassen (vgl. auch Artikel 10 des „Corpus Juris“)?

Falls ja: Gilt dies gegebenenfalls auch für einfache Fahrlässigkeit?

20. Wie steht die Bundesregierung zu Regelungen, wonach bei (vom Täter in-
tendierten) Schäden ab bestimmten Wertgrenzen grundsätzlich Freiheits-
entzug anzuordnen ist?

In welchen Mitgliedstaaten gibt es derartige Regelungen?

D. Sanktionen

21. Gibt es im Bereich der Sanktionen nach Beurteilung der Bundesregierung
einen Grundkonsens in den Mitgliedstaaten der EU?

Ist namentlich die Zweispurigkeit des Strafrechts (Strafe/Maßregel) ver-
breitet?

Wenn ja, existieren vergleichbare Strukturen des Strafvollzugs/Maßregel-
vollzugs (bitte nach den einzelnen Mitgliedstaaten differenziert aufführen)?

22. Ist in den Mitgliedstaaten zu den Grundsätzen der Strafenbildung (Ge-
samt-, Einheitsstrafe einschließlich Konkurrenzen) ein weitgehender Kon-
sens feststellbar?

Wie ist die Strafenbildung in den Mitgliedstaaten im Einzelnen ausgestaltet
(bitte nach den einzelnen Mitgliedstaaten differenziert aufführen)?

23. Könnte/sollte etwa im Hinblick darauf, dass außerhalb Deutschlands (und
Österreichs) kurze Freiheitsstrafen nach wie vor sehr häufig verhängt wer-
den, die durch den deutschen Gesetzgeber in § 47 StGB getroffene Wert-
entscheidung aufrechterhalten werden?

24. Hat die Geldstrafe in anderen Mitgliedstaaten denselben Stellenwert wie in
Deutschland?

Wie ist sie in den anderen Mitgliedstaaten ausgestaltet (Tagessatzsystem
etc. – bitte nach den einzelnen Mitgliedstaaten differenziert aufführen)?

Erscheint es möglich, dass bei einer Vereinheitlichung Druck in Richtung
auf die Einführung der Geldsummenstrafe entsteht (vgl. Artikel 9 des
„Corpus Juris“)?

25. Könnte man sich nach Auffassung der Bundesregierung von einem europa-
weit einheitlichen „Sanktionenkatalog“ eine im wesentlichen einheitliche
Sanktionierung in der Praxis erwarten?

Worauf stützt die Bundesregierung ihre Auffassung?

26. Kennen alle Mitgliedstaaten Erledigungsformen, die denen der §§ 45, 47
JGG, §§ 153 ff. StPO entsprechen (bitte nach den einzelnen Mitgliedstaa-
ten differenziert aufführen)?

27. Sind die Strukturen der sozialen Dienste (Bewährungs-, Gerichtshilfe) in
Europa in etwa vergleichbar (bitte nach den einzelnen Mitgliedstaaten dif-
ferenziert aufführen)?

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E. Strafverfahrensrecht

28. Welchen zusätzlichen Nutzen brächte nach Auffassung der Bundesregie-
rung eine zentrale europäische Staatsanwaltschaft?

Insbesondere: Sprechen die Erfahrungen in Deutschland mit der Kompe-
tenzverteilung zwischen Generalbundesanwalt und Länderstaatsanwalt-
schaften dafür?

Sollte diese innerstaatliche Kompetenzverteilung mit Blick auf Europa mo-
difiziert werden in Richtung auf mehr Zentralisierung?

Falls ja: Was wäre konkret anzustreben, in Deutschland wie in Europa?

29. Führt die Forderung nach einer europäischen Staatsanwaltschaft (zwangs-
läufig) zur Forderung nach einem europäischen erstinstanzlichen Strafge-
richt?

Falls ja: Was wären die Folgen?

30. Wer sollte eine zentrale europäische Staatsanwaltschaft kontrollieren?

Wären internes und externes Weisungsrecht verzichtbar?

31. Sollte ein europäischer Staatsanwalt politischer Beamter sein?

32. Ist die strafverfahrensrechtliche Konzeption des Corpus Juris mit elementa-
ren deutschen Verfahrensgrundsätzen vereinbar (Legalitätsprinzip; Zuläs-
sigkeit der Untersuchungshaft; Beweisrecht bzw. Beweisantragsrecht ein-
schließlich Beweisverwertungsverboten; Rechtsmittel)?

33. Würde angesichts der sehr unterschiedlichen länderspezifischen Ausgestal-
tung eine europäische Vereinheitlichung eine Stärkung/Schwächung der
Stellung der Verteidigung mit sich bringen?

34. Wie wäre ein Nebeneinander von europäischer Staatsanwaltschaft, Bun-
desanwaltschaft und Länderstaatsanwaltschaften zu bewerten?

Wäre eine hierarchische Über-/Unterordnung notwendig/zweckmäßig?

Falls ja: Wie sollte diese konkret aussehen?

F. Strafvollstreckungsrecht

35. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass insbesondere im Hinblick auf
den Vollstreckungshilfeverkehr eine Vereinheitlichung der strafvollstre-
ckungsrechtlichen Grundsätze, vor allem bei der Aussetzung des Strafres-
tes zur Bewährung, anzustreben ist?

36. Wie unterscheidet sich die vollstreckungsrechtliche Praxis in den Mitglied-
staaten der EU im wesentlichen (bitte nach den einzelnen Mitgliedstaaten
differenziert aufführen)?

37. In welchem zeitlichen Umfang wird in den Mitgliedstaaten der EU die le-
benslange Freiheitsstrafe vollstreckt (bitte nach den einzelnen Mitglied-
staaten differenziert aufführen)?

38. Welche Initiativen plant die Bundesregierung, um den Vollstreckungshilfe-
verkehr zu vereinfachen und zu effektivieren?

39. Beabsichtigt die Bundesregierung bei künftigen Übereinkommen, die den
Vollstreckungshilfeverkehr betreffen, auf die Vereinbarung des unmittelba-
ren Geschäftswegs hinzuwirken?

40. Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, den in den geltenden Vollstre-
ckungshilfeübereinkommen zumeist vorgesehenen justizministeriellen

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 – Drucksache 14/1774

oder diplomatischen Geschäftsweg zumindest teilweise in den unmittelba-
ren Geschäftsweg umzuwandeln?

41. Hält die Bundesregierung auch bei nicht freiheitsentziehenden Sanktionen
Exequaturentscheidungen gemäß den §§ 48 ff. des Gesetzes über die inter-
nationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) für verfassungsrechtlich gebo-
ten?

Falls nein: Gibt es Überlegungen, gegebenenfalls welche, die Notwendig-
keit von Exequaturentscheidungen einzuschränken?

G. Grenzüberschreitende Kooperation und internationale Zusammenarbeit

In einer Entschließung vom 27. November 1998 „zur effektiven Strafverfol-
gung in einem Europa ohne Grenzen“ hat der Bundesrat die Bundesregierung
gebeten, im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft einer Verbesserung der in-
ternationalen Zusammenarbeit in Strafsachen ein besonderes Augenmerk zu
widmen. Unbeschadet dessen, dass die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands
beendet ist, bedürfen die vom Bundesrat für dringend erachteten Maßnahmen
nach wie vor intensiver Prüfung.

42. Sieht die Bundesregierung in Eilfällen, die eine vorherige Kontaktauf-
nahme mit den zuständigen Behörden des ausländischen Staates nicht zu-
lassen, grenzüberschreitende Observation und Nacheile ohne die derzeiti-
gen zeitlichen und räumlichen Beschränkungen nach dem Schengener
Durchführungsübereinkommen sowie Festhalterechte für die verfolgenden
Beamten als wünschenswert an?

Gibt es hierfür in Deutschland verfassungsrechtliche Schranken?

Falls ja: Welche Grenzen ziehen diese Schranken?

Insbesondere: Welche Optionen eröffnet Artikel 24 Abs. 1 GG direkt oder
analog (vgl. auch BVerfGE 68, 1, 91)?

43. Akzeptiert die Bundesregierung den Einsatz Verdeckter Ermittler über die
Staatsgrenzen hinaus, in Eilfällen auch ohne vorherige Zustimmung des
betroffenen Staates?

Falls ja: Welche Vereinbarungen strebt sie konkret an?

44. Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit zu Vereinbarungen zu grenz-
überschreitenden technischen Überwachungsmaßnahmen, in Eilfällen auch
ohne vorherige Zustimmung des betroffenen Staates?

45. Besteht die Möglichkeit der Erleichterung der Vernehmung von Zeugen
und Beschuldigten im Ausland, auch im Weg der Videoübertragung?

46. Hält es die Bundesregierung für zulässig, die Verwertung der in einem
rechtsstaatlichen Partnerstaat rechtmäßig erlangten Erkenntnisse ungeach-
tet der Besonderheiten des jeweiligen nationalen Prozessrechts zu ermögli-
chen?

Falls ja: Ist dies aus Sicht der Bundesregierung auch wünschenswert?

Gegebenenfalls: Wie will die Bundesregierung dies voranbringen?

47. a) Sieht die Bundesregierung die Möglichkeit, Vereinbarungen zur Ver-
meidung von Kompetenzkonflikten im Zusammenhang mit Artikel 54
des Schengener Durchführungsübereinkommens und dem überstaatli-
chen Verbot des ne bis in idem zu schließen?

Falls ja: Welche?

Drucksache 14/1774 – 8 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
b) Wie kann dem sogenannten forumhopping entgegengewirkt werden,
also Versuchen, die örtliche Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehör-
den zu manipulieren?

c) Hält die Bundesregierung ein europäisches Strafverfahrensregister ent-
sprechend dem deutschen zentralen Verfahrensregister, das in Berlin vor
kurzem seine Tätigkeit aufgenommen hat, für wünschenswert?

Würde dies eine Abstimmung von Ermittlungsverfahren in anderen
Staaten erleichtern?

d) Sieht die Bundesregierung eine realistische Möglichkeit, durch materi-
elle Kriterien die Strafverfolgungszuständigkeit der Staaten im Sinne
von mehr Eindeutigkeit koordiniert zu regeln?

48. Wie steht die Bundesregierung zur Forderung des Bundesrats zur Erweite-
rung der polizeilichen Rechtshilfe zumindest auf alle Befugnisse und Er-
mittlungshandlungen, die keine Zwangsanwendung erfordern, soweit die
grundsätzliche Sachleitungsbefugnis der Justizbehörden gewahrt bleibt?

49. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur Erweiterung der un-
mittelbaren Postzustellung?

50. Wie steht die Bundesregierung zum unmittelbaren Geschäftsweg zwischen
den jeweils zuständigen Ermittlungsbehörden und Gerichten einschließlich
der Akzeptanz auch des unmittelbaren Verkehrs zwischen Polizei- und Jus-
tizbehörden?

Welche Möglichkeiten werden – falls die Bundesregierung dies für wün-
schenswert ansieht – zur Umsetzung gesehen?

51. Welche konkreten Perspektiven sieht die Bundesregierung für

a) das Europäische Justitielle Netz,

b) Verbindungsstaatsanwälte,

c) ein Projekt „EuroJust“?

52. Was versteht die Bundesregierung konkret unter justitieller Kontrolle von
Europol?

Berlin, den 5. Oktober 1999

Norbert Geis Erwin Marschewski
Ronald Pofalla Hans-Peter Repnik
Dr. Jürgen Rüttgers Norbert Röttgen
Wolfgang Bosbach Dr. Rupert Scholz
Dr. Wolfgang Götzer Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Manfred Kanther Dr. Susanne Tiemann
Volker Kauder Andrea Voßhoff
Eckart von Klaeden Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion

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