Vom 5. Oktober 1999
Deutscher Bundestag Drucksache 14/1739
14. Wahlperiode 05. 10. 99
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS
Tote an den Grenzen der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen
Union in den Jahren 1997 bis 1999
Nach Berechnungen der Berliner „Antirassistischen Initiative“ (ARI) starben
zwischen dem 1. Januar 1993 und 1. Juli 1998 in Deutschland 81 Personen bei
ihrem Versuch – ggf. unerlaubt – nach Deutschland einzureisen, 60 davon
allein an den deutschen Ostgrenzen. Weitere Tote wurden von UNITED for
Intercultural Action (Netzwerk gegen Nationalismus, Faschismus und zur Un-
terstützung von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen, Niederlande)
und von der Hamburger Zeitschrift „off limits“ dokumentiert. In dieser Zeit
sind unter anderem gestorben:
– 15. Februar 1997: Ein unbekannter Mann wird erfroren und ertrunken an
der Neiße in der Nähe von Ostriz gefunden.
– 23. März 1997: Ein unbekannter Mann wird ertrunken an der Oder in der
Nähe von Aurith gefunden.
– 2. Juni 1997: Ein Baby aus Afghanistan ertrinkt in der Neiße in der Nähe
von Görlitz.
– 10. Juni 1997: Eine unbekannte Frau aus Afghanistan, 44 Jahre alt, wird
ertrunken an der Neiße in der Nähe von Guben gefunden.
– 30. Juli 1998: 7 Menschen sterben bei einem LKW-Unfall auf der Flucht
vor dem BGS in Weißenborn.
Viele Menschen, deren Ziel Deutschland oder ein anderes Land der Europä-
ischen Union ist, scheitern jedoch schon auf ihrem Weg nach Europa oder
direkt an den europäischen Außengrenzen. Die Bundesrepublik Deutschland
hat ein großes Interesse daran, durch stark gesicherte Außengrenzen einen Teil
der Flüchtlinge und Migrantinnen bzw. Migranten nicht in die EU und schon
gar nicht nach Deutschland kommen zu lassen und investiert deswegen viel Zeit
und Geld in Absprachen, Kooperationen und Unterstützungsarbeit zur Stärkung
dieser Grenzen. Insofern hat auch Deutschland eine Verantwortung für die
Menschen, die bei dem Versuch, in die EU einzureisen, schwer verletzt werden
oder sterben. Beispiele hierfür sind nach den oben angegebenen Quellen:
– Juni 1997: 23 Nordafrikaner ertrinken auf ihrem Weg nach Spanien in der
Nähe von Tanger.
– 12. Juni 1997: 31 Marokkaner ertrinken auf ihrem Weg nach Spanien in
der Nähe von Tanger.
Drucksache 14/1739 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode
– 2. August 1997: 7 Nordafrikaner ertrinken in der Nähe von Pantelleria
auf ihrem Weg nach Italien als ihr Boot untergeht.
– 15. September 1997: 3 Iraki werden bei ihrem Versuch, die türkisch-grie-
chische Grenze zu überqueren, durch Minen getötet.
– September 1997: 26 Nordafrikaner ertrinken bei ihrem Versuch, die
Straße von Gibraltar zu überqueren.
– 16. September 1997: 7 Marokkaner ertrinken auf ihrem Weg nach Spa-
nien in der Nähe von Tanger.
– 22. September 1997: 4 Nordafrikaner ertrinken auf ihrem Weg nach Spa-
nien in der Nähe von Tarifa.
– 19. Januar 1998: Ein Albaner wird auf seinem Weg nach Italien durch
eine Bootsschraube tödlich verletzt.
– 9. Februar 1998: 5 Albaner ertrinken auf ihrem Weg nach Italien in der
Nähe von Brindisi.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren
1997 bis 1999
a) an den Landgrenzen, Küsten, Seehäfen, Flughäfen bzw. im Grenzgebiet
der Bundesrepublik Deutschland,
b) an den Grenzen der Europäischen Union insgesamt
tot aufgefunden worden (bitte nach Datum und Ort des Auffindens,
Nationalität des Opfers und Todesart bzw. Umstände des Todes aufschlüs-
seln)?
Wie viele Todesermittlungsverfahren wurden diesbezüglich eingeleitet und
mit welchem Ergebnis abgeschlossen (bitte aufschlüsseln)?
2. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren
1997 bis 1999 mit körperlichen Verletzungen durch Erfrierungen, Unter-
kühlungen, Hunger/Durst aufgegriffen worden, die sie sich im Zuge ihres
ggf. unerlaubten Grenzübertrittes
a) in die Bundesrepublik Deutschland
b) in die Europäische Union
zugezogen hatten (bitte nach Datum und Ort, Nationalität des Opfers,
Körperverletzungsart aufschlüsseln)?
3. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den
Jahren 1997 bis 1999 im Zuge ihres ggf. unerlaubten Grenzübertrittes
a) durch BGS- oder Zollbeamte in Deutschland
b) durch Grenz- oder Zollbeamte in der EU
durch die Anwendung unmittelbaren Zwanges bzw. im Zuge einer entspre-
chenden Nacheile körperlich verletzt?
Wie viele Ermittlungs- und Disziplinarverfahren wurden diesbezüglich ein-
geleitet und mit welchem Ergebnis abgeschlossen (bitte aufschlüsseln)?
4. Wie viele Personen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in den
Jahren 1997 bis 1999
a) in der Bundesrepublik Deutschland
b) in der Europäischen Union
im Zuge ihres ggf. unerlaubten Grenzübertrittes durch Privatpersonen
(z. B. Jäger, Angehörige sog. Bürgerwehren) körperlich verletzt bzw. ge-
tötet (bitte nach Datum und Ort, Nationalität des Opfers und Todes- bzw.
Körperverletzungsart aufschlüsseln)?
Wie viele Ermittlungsverfahren wurden diesbezüglich eingeleitet und mit
welchem Ergebnis abgeschlossen (bitte aufschlüsseln)?
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/1739
5. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren
1997 bis 1999
a) in der Bundesrepublik Deutschland
b) in der Europäischen Union
tot aufgefunden worden, nachdem sie im Zuge ihres Versuchs der ggf.
unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland/EU in ihren
Transportmitteln Sauerstoffmangel, Hunger, Durst, Kälte, Überhitzung o.ä.
ausgesetzt waren (bitte nach Datum und Ort, Nationalität des Opfers,
Transportmittel und Todesart aufschlüsseln)?
6. a) Wie viele Personen sind in den Jahren 1997 bis 1999 in der Bundesre-
publik Deutschland/EU verletzt aufgefunden worden, nachdem sie im
Zuge ihres Versuchs der (ggf. unerlaubten) Einreise in die Bundesrepu-
blik Deutschland in ihren Transportmitteln Sauerstoffmangel, Hunger,
Durst, Kälte, Überhitzung o.ä. ausgesetzt waren (bitte nach Datum und
Ort, Nationalität des Opfers, Transportmittel und Körperverletzungsart
aufschlüsseln)?
b) Wie viele Fälle sind in den Jahren 1997 bis 1999 bekannt geworden, in
denen Personen, die sich auf einem ggf. unerlaubten Transport in die
Bundesrepublik Deutschland/EU befanden, im europäischen Ausland
bzw. auf hoher See tot aufgefunden worden waren (bitte nach Datum
und Ort, Nationalität des Opfers, Transportmittel und Todesart auf-
schlüsseln)?
Berlin, den 30. September 1999
Ulla Jelpke, Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion