BT-Drucksache 14/1695

Entkriminalisierung des Gebrauchs bislang illegaler Rauschmittel, Legalisierung von Cannabisprodukten, kontrollierte Abgabe sogenannter harter Drogen

Vom 29. September 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1695
14. Wahlperiode 29. 09. 99

Antrag
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Dr. Ruth Fuchs und der Fraktion der PDS

Entkriminalisierung des Gebrauchs bislang illegaler Rauschmittel, Legalisierung
von Cannabisprodukten, kontrollierte Abgabe sogenannter harter Drogen

Der Bundestag wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
die Entkriminalisierung des Gebrauchs bislang illegaler Rauschmittel, die Le-
galisierung von Cannabisprodukten sowie die medizinisch kontrollierte Ab-
gabe sogenannter harter Drogen nach folgenden Kriterien vorsieht:

1. Entkriminalisierung des für den persönlichen Eigenkonsum dienenden Be-
sitzes und Erwerbs von Drogen sowie Festlegung der gesetzlich zulässigen
Höchstgrenze der für den Eigenkonsum gedachten Menge;

2. ärztlich kontrollierte Abgabe sogenannter harter Drogen, solange und so-
weit Abhängige von ihrer Sucht nicht befreit sind und erfolgreichere Mittel
und Methoden zur Entwöhnung nicht bereit stehen;

3. Schaffung einer Expertenkommission, die binnen eines halben Jahres Mo-
delle für die medizinisch kontrollierte Abgabe auch sogenannter harter
Drogen vorschlägt;

4. sofortige Legalisierung von Cannabisprodukten, wobei ein Abgabeverbot
an Jugendliche unter 16 Jahren sowie die Verpflichtung von Abgabestellen
zu Beipackzetteln über den THC-Gehalt sowie mögliche Risiken zu nor-
mieren sind;

5. Legalisierung des Anbaus von Cannabispflanzen;

6. Schaffung einer nationalen Institution, zu deren Aufgaben u. a. die Einfuhr-
überwachung der Rohstoffe, die Information über Reinheitsgehalt, Zusam-
mensetzung, Dosierung und Risiken gehören;

7. Werbeverbot für alle Drogen, eingeschlossen Alkohol, Tabakprodukte und
andere Rauschmittel;

8. Ausbau der Therapieeinrichtungen für Drogenabhängige;

9. Zulassung bzw. Ausweitung sowohl von Programmen zur niederschwelli-
gen Substitution als auch zur Originalsubstitution nach dem niederländi-
schen Vorbild;

Drucksache 14/1695 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

10. gezielter Abbau der Desinformation über Rauschmittel durch eine öffent-
liche Informationskampagne von Fachleuten und eine kontinuierliche Auf-
klärung besonders in Schulen.

Berlin, den 29. September 1999

Ulla Jelpke
Petra Pau
Dr. Ruth Fuchs
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Viele Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind mit Dro-
genabhängigkeit konfrontiert: sei es als Abhängige bzw. Angehörige von Ab-
hängigen oder mit Folgeerscheinungen der derzeitigen Drogenpolitik.

Unbestritten ist, dass ein großer, wenn nicht der größte Teil dessen, was unter
Alltagskriminalität gefasst wird, mit Sucht bzw. Beschaffungskriminalität
zusammenhängt. So gehen etwa die Hälfte der Fahrzeugaufbrüche und Woh-
nungseinbrüche auf diese Motive zurück, und etwa 20 von Hundert der Raub-
delikte dienen der Finanzierung der Suchtmittel. Der erste Schritt zur Bekämp-
fung dieser Form der Kriminalität, die viele Menschen verängstigt, besteht
deshalb in einer grundlegenden Wende in der Sucht- und Drogenpolitik. Be-
schaffungskriminalität und Prostitution sind die logische Folge der Illegalisie-
rung von Drogen. Rund 65 von Hundert der Strafverfahren in der Bundesrepu-
blik Deutschland haben im engeren und weiteren Sinne etwas mit Drogen zu
tun, das betrifft Erwerb oder Besitz, Handel und vor allem Beschaffungskrimi-
nalität.

Die gegenwärtige Drogenpolitik ist nach Auffassung der Mehrheit der Fach-
leute, die mit ihren Auswirkungen im Rahmen der Justiz, Polizei, Medien, Psy-
chotherapie und Sozialarbeit zu tun haben, gescheitert. Sie ist gekennzeichnet
durch ein hohes Maß an Fehlinformationen, durch Ideologisierung, durch kon-
traproduktive Pönalisierung und durch Tabuisierung bestimmter Problemberei-
che. Die gegenwärtige Drogenpolitik produziert in erheblichem Maße selbst die
Probleme, die sie zu bekämpfen vorgibt, indem ein verhängnisvoller Kreislauf
zwischen Illegalisierung, Kriminalisierung und Abhängigkeit aufrechterhalten
wird. Sie erst ermöglicht den Reichtum der Drogenmafiabosse.

11913 Drogentote allein von Anfang 1992 bis Ende 1998: deutlicher können
die katastrophalen Folgen der derzeitigen Drogenpolitik und ihr Scheitern nicht
beschrieben werden. Dabei wird in öffentlichen Äußerungen vielfach ignoriert,
dass mit der Kriminalisierung des Gebrauchs von Drogen nur ein bestimmter
Teil von existierenden Rauschmitteln illegalisiert bleibt, während beispiels-
weise die Droge Alkohol mit gravierenden Auswirkungen legalisiert bleibt. Der
Gebrauch und Handel mit Cannabisprodukten muss rechtlich dem Gebrauch
und Handel mit Alkohol gleichgestellt werden.

Die Illegalisierung bringt weiterhin angesichts drogenpolitisch bedingter sozia-
ler Verelendung die Verwendung gesundheitsgefährdender Drogenbestecke mit
sich. Konsumentinnen und Konsumenten mit Abhängigkeitserscheinungen, die
sich einer Therapie unterziehen wollen, haben nur geringe Chancen zur Reali-
sierung, da es an Therapieeinrichtungen, an Substitutionsprogrammen, an sozi-
aler Unterstützung fehlt. Strafe und Gefängnisaufenthalt verschärfen die Lage
in der Regel.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/1695

Die herrschende Drogenpolitik setzt auf das Strafrecht, auf die Mittel der Re-
pression. Doch ist erwiesen, dass das Strafrecht diesbezüglich ein untaugliches
Mittel ist. Der Gebrauch von sogenannten harten Drogen muss künftig – im
Unterschied zum privaten Geschäft damit – straflos sein. Drogenabhängigkeit
ist kein strafrechtliches, sondern ein soziales und medizinisches Problem.

Die Abgabe von harten Drogen muss ärztlich kontrolliert und insoweit erlaubt
werden. Die ärztlich überwachte Abgabe ist an Voraussetzungen zu koppeln,
die von einer Expertenkommission binnen eines halben Jahres vorzuschlagen
sind. Es kommt entscheidend darauf an, dass dann, wenn der Verlust des Ar-
beitsplatzes oder der Arbeitsfähigkeit einer oder eines Abhängigen droht und
diese Person Gefahr läuft, aus sozialen Strukturen zu fallen bzw. in die Be-
schaffungskriminalität abzurutschen, es ermöglicht werden muss, die benötig-
ten „harten Drogen“ unter ärztlicher Kontrolle zu beziehen.

Im Hinblick auf die Nachfrage von Drogen wirkt das Strafrecht nicht abschre-
ckend. Wenn Betroffene drogenabhängig sind und die Abhängigkeit durch the-
rapeutische Maßnahmen beenden wollen, müssen ausreichende Angebote an
Einrichtungen und Substitutionsprogrammen vorhanden und vor allem auch
Unterstützung in der Stabilisierung der Lebensverhältnisse garantiert sein.

Der Anbau von Rauschmittelressourcen in vielen Ländern dieser Erde wird
auch weiterhin stattfinden. Die Kriminalisierung des Drogenkonsums ist
Grundlage dafür, dass Drogenhändler unverhältnismäßige Handelsprofite ein-
streichen können. Wenn sogenannte harte Drogen ärztlich kontrolliert für den
Eigenkonsum erhältlich sind, wird dieser Extraprofit insoweit ausbleiben. Dies
ist nicht zuletzt im Hinblick auf die Qualität der angebotenen Drogen wichtig,
denn allzu oft werden diese zur weiteren Gewinnsteigerung mit z. T. besonders
schädlichen Beistoffen versetzt. Dies geschieht auf Kosten der Gesundheit der
Konsumentinnen und Konsumenten.

Politikerinnen und Politiker sind durch zahlreiche Anhörungen, wissenschaft-
liche Untersuchungen, Gespräche mit Fachleuten über das erwiesene Fiasko
der deutschen Drogenpolitik informiert. Die amtierende Bundesregierung hat
zwar „neue Wege in der Drogen- und Suchtbekämpfung“ angekündigt und will
bereits errichtete Fixerstuben legalisieren. Gleichwohl verweigern vor allem
konservative Kräfte einen grundlegenden Wandel in der Drogenpolitik und tra-
gen wider besseres Wissen im Gleichklang mit vielen Medien zur Fehlinforma-
tion der Bevölkerung sowie zur Aufrechterhaltung der katastrophalen Situation
bei. Deshalb bedarf es einer grundlegenden Kehrtwende in der Drogenpolitik:
Legalisierung, Entkriminalisierung und Therapie statt Strafe sind die Mittel
dazu, die seit Jahren von namhaften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
lern, Juristinnen und Juristen sowie insbesondere auch von einer Reihe leiten-
der Polizeibeamter aus Bund und Ländern gefordert werden.

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