BT-Drucksache 14/1663

Bemühungen für die Agrarreformen in Entwicklungsländern verstärken

Vom 28. September 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1663
14. Wahlperiode 28. 09. 99

Antrag
der Abgeordneten Klaus-Jürgen Hedrich, Dr. Christian Ruck, Dr. Norbert Blüm,
Siegfried Helias, Rudolf Kraus, Dr. Manfred Lischewski, Marlies Pretzlaff, Erika
Reinhardt, Hans-Peter Repnik, Peter Weiß (Emmendingen) und der Fraktion der
CDU/CSU

Bemühungen für Agrarreformen in Entwicklungsländern verstärken

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Sicherung der Ernährung sowie der Erhalt der natürlichen Lebensgrundla-
gen insbesondere für die Menschen in den Entwicklungsländern sind große Zu-
kunftsherausforderungen, denen sich die internationale Staatengemeinschaft
einschließlich der Bundesregierung zu stellen hat.

In vielen Entwicklungsländern leben und arbeiten noch immer mehr als 70 Pro-
zent der Bevölkerung von und in der Landwirtschaft. Dennoch sind viele dieser
Länder, insbesondere die am wenigsten entwickelten Entwicklungsländer
(LDCs), nicht in der Lage, die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln aus eige-
ner Produktion zu gewährleisten bzw. das Defizit durch Importe auszugleichen.

Über 800 Millionen unter- oder mangelernährte Menschen leben in ländlichen
Regionen und zunehmend in den Randgebieten der urbanen Zentren. Nach wie
vor sind überwiegend Frauen und Kinder von Hunger und Mangelernährung
betroffen.

Fortschreitende Bodendegradierung und -erosion, Desertifikation, Übernutzung
landwirtschaftlicher Nutzflächen und Wassermangel verschärfen die Nahrungs-
mittelsituation. Dazu kommt das gerade in diesen Ländern anhaltende rasante
Bevölkerungswachstum, hohe Analphabetenraten und fehlende Infrastruktur.
Weitere die Lage der Landbevölkerung verschärfende Faktoren sind Enteignun-
gen, Privatisierungen von in Gemeinschaftseigentum stehenden Ländereien,
eine aufgrund der Kommerzialisierung und Technisierung abgeschwächte
Nachfrage an Arbeitskräften im industriellen Agrarsektor sowie ein Mangel an
anderweitigen Erwerbsmöglichkeiten.

Während in der Vergangenheit Entwicklungsfachleute zwar auch die Abhän-
gigkeit des zukünftigen Überlebens der Landbevölkerung in Entwicklungslän-
dern von einer Wiederherstellung und schonenden Nutzung der landwirtschaft-
lichen Flächen, der Wälder und Gewässer betonten, sich aber dann häufig auf

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technische Rezepte zur Steigerung von Bodenqualität und landwirtschaftlichem
Ertrag konzentrierten, ist heute allgemein anerkannt, dass genauso viel Bedeu-
tung den rechtlich abgesicherten Zugangsmöglichkeiten der Landbevölkerung
zu den natürlichen Ressourcen eingeräumt werden muss.

Die bisherige hohe Konzentration des Bodeneigentums gerade in agrarisch
strukturierten Entwicklungsländern wird daher als wesentliche, wenn nicht so-
gar wichtigste Ursache zumindest ländlicher Armut angesehen. Agrarreformen
müssen nicht unbedingt auf blindwütige Gleichmacherei hinauslaufen, sondern
sind dann langfristig effizient, wenn sie als Kombination von Bodeneigentums-
und Bodenbewirtschaftungsreform konzipiert werden.

Insbesondere Fragen des Zugangs ländlicher Armutsgruppen zu Bodennut-
zungsrechten konnten bisher in den Entwicklungsländern nicht hinreichend ge-
löst werden. Die dortige Erfahrung zeigt, dass die Beziehung zwischen Land-
eigentumsrechten und politischer Macht umso enger ist, je agrarischer eine
Gesellschaft geprägt ist. Infolge unterlassener, gescheiterter oder unzulängli-
cher Agrarreformen hat sich die Schere zwischen Reich und Arm in vielen Ent-
wicklungsländern durch die traditionelle Aufteilung der Landwirtschaft in
(Groß-)Grundbesitzer, Kleinbauern und Landlose noch erheblich vergrößert.
Große Ungleichheiten beim Landeigentum bestehen fort und die größeren Be-
triebe wachsen weiter, während die Zahl der Marginalbetriebe und der Landlo-
sen zugenommen hat. Das hat sich ungünstig auf die Einkommensverteilung
ausgewirkt, die Land-Stadt-Wanderung beschleunigt, häufig auch die Umwelt-
problematik verschärft und die Arbeits- und Wirkungsmöglichkeiten insbeson-
dere der Frauen sowie ihre soziale Lage weiter verschlechtert.

Nachdem bereits 1979 die unter dem Dach der FAO ins Leben gerufene stän-
dige Weltkonferenz zur Agrarreform und ländlichen Entwicklung (WCARRD)
den direkten Zusammenhang zwischen Armut, Umweltschäden und rechtlich
abgesichertem Zugang der Bevölkerung zu natürlichen Ressourcen herausge-
strichen hatte, kamen die Staaten der Weltgemeinschaft 1992 auf der Konferenz
der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio mit der Verab-
schiedung der Agenda 21 zu der gemeinsamen Feststellung, dass Politik- und
Agrarreformen zu den wichtigsten Elementen einer nachhaltigen Landwirt-
schaft und ländlichen Entwicklung gehören.

Beim Welternährungsgipfel 1996 in Rom bekräftigte man erneut die Bedeutung
von Agrarreformpolitiken zur Überwindung von Hunger und Armut. Der Akti-
onsplan von Rom enthielt die Verpflichtung, „den Zugang zu Land und anderen
natürlichen und produktiven Ressourcen in gleicher Weise für Frauen und Män-
ner zu verbessern, insbesondere, wo nötig, durch die effektive Umsetzung von
Landreformen und die effiziente Nutzung der natürlichen und landwirtschaftli-
chen Ressourcen“.

Fazit ist jedoch trotz aller dieser wohlmeinenden Konferenzergebnisse, dass
immer noch nur wenige Entwicklungsländer sich zu größeren Agrarreform-
maßnahmen haben durchringen können. Viele dieser Aktivitäten waren in der
Mehrheit nicht überzeugend und wirtschaftlich nicht nachhaltig, weil flankie-
rende Maßnahmen ausblieben bzw. nicht finanziert werden konnten, wie vor al-
lem Bodenrechtsreformen und Bodenbewirtschaftungsreformen.

Im Rahmen ihrer Schwerpunktsetzung bei Armutsbekämpfung und Umwelt-
schutz hat die deutsche Entwicklungspolitik der vergangenen Jahre gerade auch
der Thematik der Notwendigkeit von Agrarreformen in Entwicklungsländern
eine zentrale Position eingeräumt.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/1663

Angesichts des stockenden Fortschritts bei der Realisierung derartiger Reform-
schritte ist jedoch erforderlich, dass die Bundesregierung im politischen Dialog
mit den Partnerländern wie auch bei der Konzeption bi- und multilateraler Ent-
wicklungspolitik mehr Gewicht auf die Einforderung und Unterstützung von
Agrarreformen legt.

Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,

1. den Agrarreformen in der Entwicklungszusammenarbeit auf bilateraler,
EU- und insbesondere multilateraler Ebene im internationalen Geberver-
band eine höhere Priorität einzuräumen;

2. sich im politischen Dialog mit den betroffenen Partnerländern druckvoller
für die Realisierung von Agrarreformen einzusetzen und die Bereitschaft
der Partnerländer hierzu im Rahmen der Konditionalität von Um- und Ent-
schuldungsmaßnahmen zu einem Entscheidungskriterium zu machen;

3. die Beurteilung des Engagements der jeweiligen Partnerregierung zur Rea-
lisierung von Agrarreformen einfließen zu lassen in die Entscheidungen
über Art, Umfang und Ausrichtung der entwicklungspolitischen Zusam-
menarbeit;

4. die Zusammenarbeit mit in den Entwicklungsländern angesiedelten seriö-
sen Nichtregierungsorganisationen, die für die Umsetzung von Agrarrefor-
men eintreten, auszuweiten;

5. sich für einen ausreichenden Rechtsschutz derartiger Nichtregierungsorga-
nisationen vor Repressalien einzusetzen;

6. Zugang zu Bodenrechten (Landtitel) für Frauen durch Erbrechtsänderun-
gen zu unterstützen;

7. die Bedeutung einer für den Erfolg einer Agrarreform elementaren paralle-
len Reform des Bodenrechts und der Produktionsorganisation in Rechnung
zu stellen und die betroffenen Entwicklungsländer hierbei zu unterstützen;

8. ausreichend in Rechnung zu stellen, dass viele Agrarreformbemühungen
an einer mangelnden Begleitung durch Technische Beratung für die betrof-
fenen Bevölkerungsgruppen im Agrarsektor gescheitert sind und daher von
jeglichen Kürzungen von Beratungsvorhaben in diesem Sektor Abstand zu
nehmen;

9. zusätzlich zu berücksichtigen, dass viele Agrarreformbemühungen an einer
mangelnden Begleitung durch Dienstleistungsprogramme wie z. B. For-
schung und Beratung, Agrarkredit sowie Aufbau von Bodenkatastern ge-
scheitert sind und daher jegliche Kürzungen von Finanzmitteln für hier an-
gesiedelte Projekte zu revidieren;

10. der Bedeutung der in vielen Entwicklungsländern anlaufenden landwirt-
schaftlichen Sektorinvestitionsprogramme, die Maßnahmenbündel zur
Verknüpfung staatlicher Agrarstrukturreformen und privatwirtschaftlicher
Initiativen enthalten, als geeignetem Rahmen für eine geberseitige Unter-
stützung von Agrarreformen ausreichende Beachtung zu schenken und
diese entsprechend finanziell zu unterstützen;

11. in Absicherung ihrer Bemühungen zur Durchsetzung von Agrarreformen
die Förderung der dazu flankierend notwendigen nationalen und internatio-
nalen Agrarforschung auszuweiten bzw. zumindest im jetzigen Rahmen

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aufrechtzuerhalten und die massiven Beitragskürzungen z. B. für die unter
der ˜gide der Weltbank in der „Consultative Group for International Agri-
cultural Research“ (CGIAR) zusammengeschlossenen 16 internationalen
Agrarforschungszentren zu revidieren.

Berlin, den 10. September 1999

Klaus-Jürgen Hedrich
Dr. Christian Ruck
Dr. Norbert Blüm
Siegfried Helias
Rudolf Kraus
Dr. Manfred Lischewski
Marlies Pretzlaff
Erika Reinhardt
Hans-Peter Repnik
Peter Weiß (Emmendingen)
Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion

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