BT-Drucksache 14/1554

zu den Verhandlungen über die Revision der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen

Vom 8. September 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1554
14. Wahlperiode 08. 09. 99

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ursula Lötzer, Dr. Winfried Wolf, Carsten Hübner,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Zu den Verhandlungen über die Revision der OECD-Leitsätze für multinationale
Unternehmen

Die multinationalen Unternehmen aus den OECD-Ländern tätigen ca. 90 % der
gesamten ausländischen Direktinvestitionen. Der Weltinvestitionsbericht 1998
zählt 53 000 multinationale Unternehmen mit 450 000 ausländischen Tochterge-
sellschaften. Die einhundert größten Unternehmen (gemessen an ihrem auslän-
dischen Kapitalstock) verfügen über Auslandsaktiva in Höhe von 1,8 Billionen
US-Dollar und damit über 14 % des weltweiten Auslandskapitals. Die Konzerne
vergrößern damit permanent ihren Einfluss auf den nationalen Märkten und auf
die politischen Institutionen in ihren Gastländern. Dieser Machtzuwachs und der
Verdrängungswettbewerb auf den Kapital- und Gütermärkten erhöhen u.a. den
Druck auf die nationalen Sozialsysteme und die arbeitsrechtlichen Standards,
diese den Bedürfnissen der Konzerne anzupassen, um Investitionen anzuziehen.
Der Standortwettbewerb drückt sich deshalb als Wettlauf um die geringsten so-
zialen, gewerkschaftlichen und ökologischen Standards aus.

Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen stammen aus dem Jahr
1976 und beinhalten Empfehlungen der Regierungen der OECD-Länder an Un-
ternehmen, ihre Geschäftstätigkeit im Einklang mit der staatlichen Politik der
Gastländer zu gestalten. Ihre Bedeutung liegt darin, dass die Leitsätze der einzi-
ge international (OECD) anerkannte Verhaltenskodex für multinationale Unter-
nehmen sind. In seiner derzeitigen Form ist er jedoch kein adäquates Instrumen-
tarium, um auf die veränderte Rolle der Konzerne im Prozess der Globalisierung
zu reagieren. Weder sind die dort enthaltenen Empfehlungen rechtsverbindlich,
was die Frage der Überwachung, Durchsetzung und Sanktionierung bei Fehlver-
halten offen lässt, noch haben die Leitsätze den Status von umfassenden sozia-
len Mindeststandards. Sie befinden sich nicht auf dem heute bereits erreichten
Niveau, wie es u.a. durch die Kernübereinkommen der Internationalen Arbeits-
organisation (IAO) sowie die Menschenrechtskonventionen erreicht ist. Gleich-
zeitig ist die Bedeutung der Leitsätze innerhalb der OECD Länder gering, da
ihre nationale Gesetzgebung oft über die dort kodifizierten Verhaltensnormen
hinausgeht.

Eine periodische Überprüfung der Leitsätze wurde bei ihrer Einführung verein-
bart. Der Ausschuss für internationale Investitionen und multinationale Unter-
nehmen (CIME) wurde vom OECD-Ministerrat mit der aktuellen Überarbeitung
der Leitsätze beauftragt. Diese seit Ende 1998 stattfindende Revision war in
Verbindung mit den Verhandlungen über das MAI (Multilaterales Investitions-
schutzabkommen) geplant. Die revidierten Leitsätze sollten als nicht rechtsver-

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bindlicher Verhaltenskodex für multinationale Unternehmen dem MAI hinzu-
gefügt werden. Mit der Suspendierung der MAI-Verhandlungen und der
bevorstehenden WTO-Verhandlungsrunde in Seattle im Herbst 1999, in der
Teilaspekte des MAI aufgegriffen werden sollen, stellt sich die Frage, welche
Zielsetzung die Revision der OECD-Leitsätze hat.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche generelle Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Revi-
sion der OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen?
a) Welche Schwerpunkte wurden von ihr in die bisherige Diskussion in der

CIME eingebracht?
b) Wo sieht die Bundesregierung prinzipielle Konflikte zwischen den betei-

ligten Verhandlungspartnern, und welchen Beitrag leistet sie bei der
Schlichtung?

c) Welche Verhandlungslinie vertritt die Bundesregierung bei den zukünfti-
gen Beratungen?

2. Wie gedenkt die Bundesregierung, die parlamentarischen Gremien (Bundes-
tag und Ausschüsse) in die laufenden Verhandlungen einzubinden?
a) Welcher konkrete Zeitplan für die parlamentarischen Debatten über die

Revision der Leitsätze wird von der Bundesregierung angestrebt?
b) Wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung, falls über die reine In-

formationspflicht für sie keine weitere parlamentarische Einbindung er-
forderlich erscheint?

c) Wie sollen anderweitig die Transparenz erhöht und ein Mitspracherecht
des Parlaments bei den Verhandlungen garantiert werden?

3. Wie beurteilt die Bundesregierung die derzeitige Einbindung zivilgesell-
schaftlicher Gruppen in den Diskussionsprozess?
a) Durch welche konkreten Maßnahmen seitens der Bundesregierung wer-

den die Transparenz der Verhandlungen und die Einbindung zivilgesell-
schaftlicher Gruppen aus der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet
und erhöht?

b) Wie sind bzw. wie sollten nach Auffassung der Bundesregierung zivilge-
sellschaftliche Gruppen außerhalb der OECD-Teilnehmerländer an den
Diskussionen beteiligt werden, um die Interessen der Menschen aus den
Gastländern für multinationale Unternehmen zu formulieren?

c) Wie stellt sich die Bundesregierung die Anwendung der OECD-Leitlinien
auf nicht OECD-Länder vor?

d) Wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung, wenn für sie keine Not-
wendigkeit der außerparlamentarischen Diskussion (national und interna-
tional) über die Revision der OECD-Leitsätze besteht?

4. Sollen nach Ansicht der Bundesregierung in die revidierten Leitsätze die
Kernübereinkommen der IAO über die bereits enthaltenen Punkte Vereini-
gungs- und Vertragsfreiheit hinaus aufgenommen werden?
a) Wie sollen ihrer Meinung nach speziell das Verbot von Zwangs- und Kin-

derarbeit und die Beseitigung von Diskriminierung im Beruf eingearbeitet
werden?

b) Wie steht die Bundesregierung zum Vorschlag, die Kernforderungen der
Menschenrechtskonventionen und vor allem den Schutz indigener Grup-
pen in die Leitsätze aufzunehmen?

c) Wie stellt sich die Bundesregierung die Einarbeitung der einschlägigen in-
ternationalen Umweltübereinkommen (Rio, Kyoto etc.) vor, und welche
konkreten Vorschläge bringt sie ein?

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5. Soll nach Ansicht der Bundesregierung in das Kapitel „Beschäftigung und
Beziehung zwischen den Sozialpartnern“ die Forderung nach Verbesserung
der Konsultations- und Informationsrechte und Verankerung von Mitbestim-
mungsrechten in wirtschaftlichen Angelegenheiten für die Beschäftigten und
ihre Vertreter aufgenommen werden?
a) Wie steht die Bundesregierung zum Vorschlag, hierzu die Formulierungen

der Rechte des Europäischen Betriebsrats zu übernehmen?
b) Wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung, wenn sie dies ablehnt?
c) Wie steht die Bundesregierung zur Forderung nach Einführung eines Ver-

bandsklagerechts und der Gewährung des Klagerechts für Beschäftigte?
d) Wodurch könnten sonst nach Ansicht der Bundesregierung die Konsultati-

onsrechte und die Mitbestimmung der Beschäftigten im Vorfeld schwer-
wiegender Umstrukturierungen in Unternehmen (z.B. bei Fusionen) aus-
gebaut werden?

6. Welche Chance sieht die Bundesregierung, sich innerhalb der kleinen Grup-
pe der OECD auf qualitativ höhere soziale, gewerkschaftliche und ökologi-
sche Standards zu einigen, als dies die internationale Staatengemeinschaft
z.B. in der Agenda 21 oder den IAO-Kernarbeitsrechten festgelegt hat?

7. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Diskrepanz,
dass in sämtlichen internationalen Verhandlungen, die sich mit im Ausland
tätigen Unternehmen und ihren Direktinvestitionen beschäftigen, ein diesbe-
züglicher rechtsverbindlicher Schutz gefordert wird, sich aber die multinatio-
nalen Unternehmen in den Gastländern an freiwilligen Leitsätzen orientieren
können?
a) Wird sich die Bundesregierung für die rechtliche Verbindlichkeit der

OECD-Leitsätze einsetzen?
b) Wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung, wenn sie hier keinen

Bedarf sieht?
c) Wie stellt sich die Bundesregierung ein effizientes Überwachungsinstru-

mentarium zur Durchsetzung der auf Freiwilligkeit beruhenden Verhal-
tensnormen für multinationale Unternehmen vor, und welche Vorschläge
bringt sie dazu ein?

d) Wie steht die Bundesregierung zum Vorschlag, die nationalen Kontakt-
punkte der OECD, die als Anlaufstellen bei Konflikten eingerichtet wur-
den, verbindlich zu stärken und für Nichtregierungsorganisationen, Ge-
werkschaften etc. zu öffnen und ihnen Meinungs- und Informationsrechte
einzuräumen?

e) Sollte nach Ansicht der Bundesregierung die CIME aufgewertet werden,
indem z.B. in Konfliktfällen ein Panel die relevanten Firmenfälle behan-
delt und die Firmen namentlich benennt, was gegenwärtig nicht der Fall
ist?

f) Welche Sanktionen sollten nach Ansicht der Bundesregierung gegenüber
Unternehmen bei Verstoß gegen die OECD-Leitsätze verhängt werden?

g) Wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung, wenn sie bei der Über-
wachung und Durchsetzung der Leitsätze keinen Handlungsbedarf sieht?

8. Welche Verbindung besteht für die Bundesregierung zwischen der Revision
der OECD-Leitsätze und der anstehenden WTO-Verhandlungsrunde (Mille-
nium-Round) in Seattle?
a) Wie beurteilt die Bundesregierung den prinzipiellen Konflikt zwischen

der weiteren Liberalisierung des Welthandels, dem rechtsverbindlichen
Schutz der Direktinvestitionen und dem Verhandlungsmandat der Welt-
handelsorganisation (WTO) nach umfassender Deregulierung und der in-

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ternationalen „Regulierung“ unternehmerischen Handelns durch die
OECD-Leitsätze?

b) Wie begründet die Bundesregierung ihre Haltung, wenn sie hier keinen
Konflikt sieht?

Berlin, den 20. August 1999

Ursula Lötzer
Dr. Winfried Wolf
Rolf Kutzmutz
Carsten Hübner
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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