BT-Drucksache 14/1447

Die neue Bundesregierung und der Datenschutz

Vom 19. Juli 1999


Deutscher Bundestag
14. Wahlperiode

Drucksache 14/1447
19. 07. 99

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau und der Fraktion der PDS

Die neue Bundesregierung und der Datenschutz

In ihrer Koalitionsvereinbarung hatten die Regierungsparteien geschrie-
ben: „Effektiver Datenschutz im öffentlichen und privaten Bereich gehört
zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für eine demokratische und ver-
antwortbare Informationsgesellschaft. Die notwendige Anpassung des
deutschen Datenschutzrechts an die Richtlinie der Europäischen Union
soll kurzfristig umgesetzt werden. Durch ein Informationsfreiheitsgesetz
wollen wir unter Berücksichtigung des Datenschutzes den Bürgerinnen
und Bürgern Informationszugangsrechte verschaffen.“ (Koalitionsverein-
barung zwischen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom
20. Oktober 1998, S. 38)

Im Januar 1999 schrieb die „Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V.“
über ihre datenschutzrechtlichen Erwartungen an die rot-grüne Bundes-
regierung:

„Die Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN, die Grundlage für die Regierungspolitik einer rot-grünenBun-
desregierung für die nächste Legislaturperiode sein soll, läßt nicht ansatz-
weise erkennen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland an der techno-
logisch bedingten Schwelle zur Informationsgesellschaft befindet, die neue
Antworten zur wirksamen Verteidigung der Bürgerrechte notwendig
macht. Sie gibt auch nicht zu erkennen, daß nach 16 Jahren einer autori-
tär-konservativen Politik eine Trendwende im Bereich des Datenschutzes
beabsichtigt sei.

Die Politikerinnen und Politiker müssen zur Kenntnis nehmen, daß sich
die Bedrohungslagen für die Freiheitsrechte und die Menschenwürde an
der Schwelle zum 21. Jahrhundert von denen unterscheiden, die uns in
den letzten 150 bis 200 Jahren seit den bürgerlichen Revolutionen in
Europa bekannt wurden. Drohte den Menschen bisher vor allem Gefahr
durch ungezügelte Ausbeutung als Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitneh-
mer und durch exekutive staatliche Übergriffe, so verschieben sich die
Risiken in den informationellen Bereich; neue Gefahren sind die scham-
lose Klassifikation und Manipulation der Menschen als Konsumentinnen
und Konsumenten und die informationelle staatliche Kontrolle im Alltag.
Persönliche Selbstbestimmung ist weniger durch privaten und staatlichen
Zwang bedroht als durch die lautlose Kontrolle mit Hilfe informations-
technischer Instrumente.

Informationstechnik eröffnet aber auch völlig neue positive Möglichkei-
ten; sie ist in der Lage, den Menschen ihr Leben und Arbeiten einfacher
und angenehmer zu machen. Sie kann dazu benutzt werden, im Interesse
von demokratischer Transparenz und Selbstbestimmung Informationen zu
vermitteln und diese breit zu diskutieren. Sie dient nicht zuletzt als Hilfs-
mittel zum Schutz des Menschen, seiner Kommunikationsfreiheit und sei-
ner Privatsphäre. Auch diese Chancen scheinen bisher kein Anliegen der
rot-grünen Koalitionspartner zu sein.

Mit dem Argument der gerechten Verteilung gesellschaftlicher Ressour-
cen und der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten werden die Men-
schen derzeit schon in einem Maße erfaßt und kontrolliert, wie es früher,
schon allein mangels technischer Möglichkeiten, nicht vorstellbar war. Der
Erhalt der sozialen Leistungen wird von der totalen Offenlegung der per-
sönlichen Verhältnisse abhängig gemacht. Durch Audio- und Videoüber-
wachung sowie anlaßunabhängige polizeiliche Kontrollmöglichkeiten
schwinden die Unbefangenheit im öffentlichen Leben, Meinungsfreiheit
und ziviles Engagement. Mit dem Lauschangriff wird selbst in den intim-
sten persönlichen Raum eingegriffen. Mit demAbbau von Zeugnisverwei-
gerungsrechten und Berufsgeheimnissen wird die personelle Geheim-
sphäre eingeschränkt. Mit Konsum- und Kommunikationsprofilen sowie
sozialen und ökonomischen Rastern, erstellt und zusammengefügt in pri-
vaten und öffentlichen Datenbanken – unter Auswertung von bei immer
mehr alltäglichen Verrichtungen anfallenden Datenschatten und von im-
mer raffinierter erhobenen Datenbeständen – werden die Menschen zu
Informationsmustern reduziert, deren Verhalten nicht durch gesellschaft-
lich demokratisch ausdiskutierte Ge- und Verbote festgelegt wird, sondern
durch soziale Ein- und Ausgrenzung, durch gezieltes Verteilen bzw. Vor-
enthalten von Informationen und von materiellen Ressourcen. Beschäf-
tigte in multinationalen Konzernen müssen erleben, daß ihre Leistungs-
und Verhaltensdaten weltweit abrufbar sind und rücksichtslos ausgewer-
tet werden. Die Spitze der informationellen Ausbeutung der Menschen
droht durch die Analyse des menschlichenGenoms und durch die Auswer-
tung dieser Informationen. Die als ,Informationsvorsorge‘ oder ,informa-
tionelle Fürsorge‘ präsentierten Maßnahmen haben gravierende Auswir-
kungen auf die betroffenen Menschen. Sie werden zu reinen Objekten
staatlicher und privatwirtschaftlicher Planungen. Die zumeist anonymen
Planungen sind für die Betroffenen weder transparent, geschweige denn
beeinflußbar.

Das Grundgesetz basiert auf einem positivenMenschenbild. Die letzten 16
unionsgeführten Regierungsjahre waren dagegen geprägt von einer Kon-
trollkultur. Basis der Erfassung war institutionelles Mißtrauen. Jede Form
der Überwachung läßt sich dadurch scheinbar rational begründen, daß
man unterstellt, Menschen mißbrauchen ihre Freiräume und Rechte. Mit
der Unterstellung von Mißbrauch (z. B. des Asyl- oder des Demonstrati-
onsrechts, von Versicherungs- und Sozialleistungen) läßt sich die Durch-
leuchtung auch noch des letzten Winkels in unserem Leben rechtfertigen.
Die Überwachung verhindert jedoch nicht den Mißbrauch; oft wird das
Gegenteil erreicht. Überzogene Kontrolle ermuntert zum Umgehen der
Überwachung; das institutionelle Mißtrauen verringert die Bereitschaft
zur freiwilligen Ehrlichkeit. Sicherlich bedarf es in einer hochtechnischen
Risikogesellschaft an vielen Stellen der Kontrolle. Diese muß sich aber
immer im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewegen. Vor einer personen-

Drucksache 14/1447 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode– 2 –

bezogenen Überwachung sind zunächst Verfahren zu prüfen, bei denen
nur eine sach- bzw. technikbezogene oder nur eine anonyme Kontrolle
erfolgt.

Sah man in der Vergangenheit die größte Gefahr für das Persönlichkeits-
recht der Menschen im Staat als ,Big Brother‘ oder als ,Leviathan‘, so hat
sich die Bedrohung erweitert: Zunehmend sammeln private Wirtschafts-
unternehmen, insbesondere im Elektronik- und Medienbereich, persönli-
che Daten für Zwecke der Kontrolle und Manipulation und nutzen diese
Mittel zum Zweck der Machtausübung und aus Profitinteresse. Big
Brother hat Geschwister bekommen, die ihn hinsichtlich der Verweige-
rung informationeller Selbstbestimmung oft schon weit übertreffen.

Um dem Trend zunehmender Überwachung mit Hilfe moderner Informa-
tionstechnik entgegenzuwirken, hat das Bundesverfassungsgericht 1983
aus derMenschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Frei-
heitsgrundrecht (Artikel 2 Abs. 1 GG) ein ,Grundrecht auf informatio-
nelle Selbstbestimmung‘ abgeleitet. Dieses Grundrecht, kurz ,Recht auf
Datenschutz‘ genannt, ist Grundbedingung für eine menschen- und bür-
gerrechtskonforme demokratische Informationsgesellschaft.

Verfassungsrechtlich versuchte man nun das Grundrecht auf informatio-
nelle Selbstbestimmung sowie die sonstigen Freiheitsgrundrechte (Un-
verletzlichkeit der Wohnung, Unschuldsvermutung, Meinungs- und Ver-
sammlungsfreiheit usw.) durch ein ,Grundrecht auf Sicherheit‘ zu relativie-
ren. Damit wurde auf der Basis berechtigter Sicherheitsinteressen und
dem kollektiven Schüren von Angst ein rechtliches Konstrukt aufgebaut,
mit dem jegliche verfassungsrechtliche Freiheitsgewährleistung beschnit-
ten werden kann. Damit geriet auch aus demBlick, daß ,öffentliche Sicher-
heit‘ ein gesellschaftliches Gut ist, das nicht rechtlich erzwungen und ein-
geklagt werden kann, sondern politisch gestaltet werden muß.

Das Defizit der rot-grünen Koalitionsvereinbarung besteht darin, daß sie
die Problematik informationstechnischer Überwachung nicht zur Kenntnis
nimmt. Eine in der Vereinbarung liegende Chance besteht aber darin, daß
sie – ungeachtet der technischenGegebenheiten – dennochRahmenbedin-
gungen benennt, die eine bürgerrechtskonforme Informationstechnikpoli-
tik ermöglichen. Dieses Potential gilt es auszuschöpfen. Die Deutsche Ver-
einigung für Datenschutz sieht ihre Aufgabe darin, gemeinsam mit ande-
ren Bürgerrechtsorganisationen durch kritische Politikbegleitung
informationelle Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen einzufordern
und für deren Realisierung zu kämpfen.

Im Datenschutzrecht müssen alte Zöpfe geköpft werden. Statt der abweh-
renden, muß diesem Recht eine gestaltende Funktion gegeben werden für
eine moderne bürgerrechtskonforme Informationsgesellschaft. Entfielen
bisher gesellschaftliche Gefahren, so wurden die Instrumente zu deren Be-
kämpfung nicht wieder abgeschafft, sondern beibehalten für evtl. neue,
noch nicht bekannte Anwendungsfelder (Gefahr des ,Kommunismus‘,
dann Terrorismus, jetzt ,Organisierte Kriminalität‘). Zugleich wurden pri-
vaten Überwachungspraktiken keine wirksamen Grenzen gesetzt. Diese
Altlasten müssen aufgearbeitet und bereinigt werden. Das Rad staatlicher
Überwachung ist zurückzudrehen. Es sind Evalutionsinstrumente zu
schaffen, mit denen die Wirkungen und die Wirksamkeit staatlicher Kon-
trolle untersucht werden (können). Durch verfahrensrechtliche Sicherun-
gen ist zu verhindern, daß Kontrollmonopole mißbraucht werden. Neue

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Formen des Grundrechtsschutzes sind zu installieren. Gegenüber privaten
wie öffentlichen Stellen sind den Betroffenen Abwehrrechte zur Verfü-
gung zu stellen. Ihnen muß das rechtliche und technische Know-how ver-
mittelt werden, sich der Risiken der Informationstechnik bewußt zu wer-
den und sich selbst zu schützen.“

(Deutsche Vereinigung für Datenschutz, Datenschutzrechtliche Erwartun-
gen an die rot-grüne Bundesregierung, Januar 1999, S. 1 bis 2)

Die Deutsche Vereinigung für Datenschutz fordert von der Bundesregie-
rung u. a.:

„Noch im Jahr 1999 muß ein Bundesdatenschutzgesetz verabschiedet wer-
den, das nicht nur den Vorgaben der europäischen Datenschutzrichtlinie,
sondern auch den neuen technischen Herausforderungen und Möglichkei-
ten gerecht wird.

– Ein modernes Datenschutzrecht hat die Grundsätze der Datenvermei-
dung und Datensparsamkeit (. . .), des Datenschutzes durch Technik,
der Zweckbindung der Daten und ihres Verwendungszusammenhangs
in den Mittelpunkt zu stellen.

– Den Betroffenen sind vertrauenswürdige Verschlüsselungsverfahren
zum Schutz ihrer elektronischen Kommunikation anzubieten. Die Vor-
stellung, jede elektronische Kommunikation müsse staatlich beobacht-
bar sein, muß aufgegeben werden. (. . .)

– Dem klassischen Datenschutz ist ein Recht auf Informationsfreiheit an
die Seite zu stellen.

– Informationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung gehören
als verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen einer demokratischen
Informationsgesellschaft ins Grundgesetz. (. . .)

– Die Datenschutzkontrolle im öffentlichen und nichtöffentlichen Be-
reich ist institutionell zusammenzufassen und organisationsrechtlich
völlig unabhängig auszugestalten.

– Die Datenschutzbehörden sind endlich angemessen personell und ma-
teriell auszustatten und neben ihren traditionellen Kontrollaufgaben
mit neuen Aufgaben im Bereich der Beratung und der Dienstleistung
für Betroffene und Anwender zu betrauen.

– Datenschutzorganisationen wie die Deutsche Vereinigung für Daten-
schutz genießen zwar öffentliche Aufmerksamkeit, sind aber nicht for-
mell in Entscheidungsprozesse eingebunden. Nach dem Vorbild des
Umweltrechts ist die Beteiligung von Verbänden im Bereich des Daten-
schutzes zu verbessern.

– Datenschutzrecht wird immer vorrangig als Sicherheitsrecht verstan-
den, nicht als Grundrechtsschutz. Organisationsrechtlich gehört dieser
Bereich zum Verfassungs-, also zum Justiz-, nicht zum Innenressort.

– Das seit 15 Jahren fällig Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ist endlich zu
schaffen. Hierbei sind die Arbeitnehmer-Vertretungen einzubeziehen.
Die Rechte der Betroffenen sind zu stärken, insbesondere auch gegen-
über multinationaler Konzerndatenverarbeitung.

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– In vielen Bereichen, z. B. beim Adressenhandel oder bei Finanzdienst-
leistern, sind die bestehenden Widerspruchs- durch Einwilligungsrege-
lungen zu ersetzen.

– Verbraucherschutzvorschriften im Rahmen der Datenverarbeitung der
Versicherungs- und Finanzwirtschaft sind überfällig.

– Die Datenschutzbestimmungen im Multimediarecht sind fortzuschrei-
ben. (. . .)

– Die Befugnisse zum informationellen Eindringen in die privaten Woh-
nungen (Lauschangriff) sind zurückzunehmen.

– Das Telekommunikationsrecht muß derart überarbeitet werden, daß
das Recht auf telekommunikative Selbstbestimmung nicht durch sicher-
heitsbehördliche Zugriffsrechte ad absurdum geführt wird.

– Zur informationellen Gewaltenteilung gehört die organisatorische
Trennung von Innen- und Justizressorts.

– Die deutschen Geheimdienste BND, BfV und MAD sind tendenziell
aufzulösen. Zunächst sind diese aus der Zeit des Kalten Krieges stam-
menden Institutionen personell und bez. ihrer Befugnisse zu reduzie-
ren. Kurzfristig sollten deren geheimdienstliche Aufgaben durch öffent-
liche Bildungsaufgaben abgelöst werden.

– Das Bundeskriminalamt (BKA) ist bez. Personal und Befugnissen zu-
gunsten der Länderpolizeien zu reduzieren.

– Die Befugnisse zur anlaßunabhängigen Personenkontrolle des Bundes-
grenzschutzes (BGS) sind zurückzunehmen.

– Die Datenspeicherung in der Gen-Datei ist zu beschränken auf klar ge-
setzlich definierte schwere Straftaten und einer engeren Zweckbindung
zu unterwerfen.

– Das Ausländerzentralregister ist von seiner sicherheitsbehördlichen
Funktion zu befreien und auf rein ausländerrechtliche Zwecke zu be-
schränken.

– Maßnahmen verdeckter polizeilicher Datenverarbeitung sind in
Rechtstatsachenstellen auf ihre Wirkungen und Notwendigkeit hin zu
evaluieren.

– Die Datenerhebungsbefugnisse nach dem Anti-Terrorismusrecht sind
zu überprüfen und zurückzunehmen.

– Technische Maßnahmen, die eine Totalkontrolle von Menschen erlau-
ben (z. B. elektronischer Hausarrest, AsylCard) sind nicht weiterzuver-
folgen. (. . .)

– Die Datenverarbeitungsregelungen im Sozialrecht (SGB) sind umfas-
send zu überarbeiten. Hierbei muß die ursprüngliche Idee des SGB,
Berufsgeheimnisse und das Sozialgeheimnis normativ abzusichern, wie-
der zum Tragen gebracht zu werden.

– Das medizinische Datenschutzrecht entspricht in keiner Weise mehr
den technischen Gegebenheiten der Diagnostik, der medizinischen
Kommunikation und den organisatorischen und ökonomischen Ver-
hältnissen. Dem kann durch ein bereichsspezifisches übergreifendes
Medizindatenschutzrecht in Form eines Rahmengesetzes abgeholfen

Drucksache 14/1447Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 –

werden. Hiebei ist, v.a. für den Bereich der Gentechnik, ein ,Recht auf
Nichtwissen‘ vorzusehen. Medizinische Forschungsdaten müssen be-
schlagnahmefest gemacht werden.

– Im Melderecht sind Übermittlungen an Parteien, Adreßbuchverlage
u. ä. Nutzungen unter Einwilligungsvorbehalt zu stellen.

– Planungen für eine Volkszählung als eine Voll-Zwangserhebung sollten
zugunsten einfacherer und weniger belastender statistischer Methoden
aufgegeben werden. (. . .)

– Die Schaffung eines Datenschutzrechtes auf europäischer Ebene und
einer unabhängigen Kontrollinstanz sind voranzutreiben.

– Bei der Verhandlungmit Drittstaaten, namentlich den USA, über ange-
messene Datenschutzstandards beim Datenexport sind unabhängige
Kontrollen, die Beachtung des Zweckbindungsgrundsatzes und der Be-
troffenenrechte unabdingbare Voraussetzungen.

– Europol muß so umgestaltet werden, daß nur klar definierte, engbe-
grenzte Befugnisse übertragen werden und eine parlamentarische und
rechtliche Kontrolle ermöglicht wird.

– Vor der Einführung neuer europäischer Datenbanken ist eine umfas-
sende Erforderlichkeits- und Subsidiaritätsprüfung im Rahmen einer
öffentlichenDebatte vorzunehmen.“ (DeutscheVereinigung für Daten-
schutz, a. a.O., S. 3 bis 5)

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche allgemeinen und besonderen Maßnahmen hat die Bundesre-
gierung seit Oktober 1998 ergriffen, um den Datenschutz in der Bun-
desrepublik Deutschland zu verbessern?

2. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Oktober 1998 er-
griffen, um

a. Datenschutz durch Technik, Zweckbindung der Daten und ihres
Verwendungszusammenhanges in den Mittelpunkt zu stellen;

b. Grundsätze der Datenvermeidung und Datensparsamkeit durch-
zusetzen;

c. den Betroffenen vertrauenswürdigeVerschlüsselungsverfahren zum
Schutz ihrer elektronischen Kommunikation anzubieten;

d. dem Datenschutzrecht ein Recht auf Informationsfreiheit an die
Seite zu stellen;

e. die Informationsfreiheit und das informationelle Selbstbestim-
mungsrecht als verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen in das
Grundgesetz aufzunehmen;

f. die Datenschutzkontrolle im öffentlichen und nichtöffentlichen
Bereich institutionell zusammenzufassen und organisationsrechtlich
völlig unabhängig auszugestalten;

g. die Datenschutzbehörden personell und materiell angemessen aus-
zustatten;

h. die Datenschutzbehörden neben ihren traditionellen Kontrollauf-
gaben mit neuen Aufgaben im Bereich der Beratung und der
Dienstleistung für Betroffene und Anwender zu betrauen;

Drucksache 14/1447 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode– 6 –

i. Datenschutzorganisationen in Entscheidungsprozesse – nach dem
Vorbild des Umweltschutzes – einzubinden;

j. Datenschutz statt dem Innenressort endlich dem Justizressort zu-
zuordnen;

k. ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz zu schaffen und die Rechte der
Betroffenen gegenüber multinationaler Konzerndatenverarbeitung
zu stärken;

l. im Adressenhandel oder bei Finanzdienstleistern die bestehenden
Widerspruchs- durch Einwilligungsregelungen zu ersetzen;

m.Verbraucherschutzvorschriften im Rahmen der Datenverarbeitung
der Versicherungs- und Finanzwirtschaft zu schaffen;

n. Datenschutzbestimmungen im Multimediarecht fortzuschreiben?

3. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Oktober 1998 er-
griffen, um im Bereich der Inneren Sicherheit

a. die Befugnisse zum informationellen Eindringen in die private
Wohnung (Lauschangriff) zurückzunehmen;

b. das Telekommunikationsrecht derart zu überarbeiten, daß das
Recht auf telekommunikative Selbstbestimmung nicht durch si-
cherheitsbehördliche Zugriffsrechte ad absurdum geführt wird;

c. die nachrichtendienstliche Tätigkeit des BfV, BND und MAD und
deren Befugnisse zur Erhebung, Speicherung, Aufbewahrung und
Weitergabe von Daten einzuschränken;

d. dieMöglichkeit derWeitergabe vonDaten durch das BfVan Private
abzuschaffen;

e. Personal und Befugnisse des BKA zugunsten der Länderpolizeien
zu reduzieren;

f. die Befugnisse des BKA zur Erhebung, Speicherung, Aufbewah-
rung und Weitergabe nach und nach einzuschränken;

g. den Betroffenen zu garantieren, daß durch das BKA aus seinen
Dateien gelöschte Daten auch tatsächlich gelöscht werden und spä-
ter nicht wieder abrufbar sind;

h. die Befugnisse des BGS zur anlaßunabhängigen Personenkontrolle
des BGS zurückzunehmen;

i. die Datenerhebungsbefugnisse nach dem Anti-Terrorismusrecht
zurückzunehmen;

j. auf die Einführung von technischen Maßnahmen, die eine Total-
kontrolle von Menschen erlauben, zu verzichten?

k. Datenschutzregelungen für das Zollkriminalamt und den Zoll-
fahndungsdienst zu erarbeiten bzw. zu erlassen;

l. die Genomanalyse im Strafverfahren zurückzuführen;

m.datenschutzrechtliche Bestimmungen für den Vollzug der Untersu-
chungshaft und den Jugendvollzug zu erlassen?

4. Welche allgemeinen Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Okto-
ber 1998 ergriffen, um die Datenschutzbestimmungen im Sozialrecht
neu zu regeln?

5. Welche allgemeinen Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Okto-
ber 1998 ergriffen, um die Datenschutzbestimmungen im Finanzwesen

Drucksache 14/1447Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 7 –

neu zu regeln und die Vorschläge des Bundesbeauftragten für den
Datenschutz aus seinem 17. Tätigkeitsbericht (Drucksache 14/850)
aufzugreifen?

6. Welche allgemeinen Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Okto-
ber 1998 ergriffen, um die Datenschutzbestimmungen bei der Daten-
verarbeitung bei Familienkassen (Kindergeld) zu reformieren und die
Vorschläge des Bundesbeauftragten für den Datenschutz aus seinem
17. Tätigkeitsbericht (Drucksache 14/850) aufzugreifen?

7. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Oktober 1998 er-
griffen, um Daten von Kundinnen und Kunden vor Unternehmen zu
schützen?

8. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Oktober 1998 er-
griffen, um das medizinische Datenschutzrecht neu zu regeln?

9. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Oktober 1998 er-
griffen, um im Melderecht den Datenschutz zu verbessern?

10. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Oktober 1998 er-
griffen, um

a. den Datenschutz von hier lebenden Ausländerinnen und Aus-
ländern im Rahmen von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften zu
verbessern;

b. die Möglichkeiten von staatlichen Stellen einzuschränken und zu-
rückzuführen, Daten von Ausländerinnen und Ausländern zu er-
heben, zu speichern, aufzubewahren und weiterzuleiten;

c. alle Planungen bezüglich der Einführung einer Asyl-Card einzu-
stellen;

d. erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen Asylsuchende ein-
zuschränken und zurückzuführen und die Weitergabe an nicht EU-
Staaten sofort einzustellen;

e. die gesetzlich ungeregelteWeitergabe vonDaten aus ASYLON und
dem AZR an das Liaisonpersonal sofort einzustellen;

f. den Zugriff des Liaisonpersonals auf die Datenbanken des Bundes-
amtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFI) zu
untersagen;

g. alle Planungen über die Einrichtung einer Warndatei einzustellen
und die Praxis der Erhebung von Daten über Gastgeber von
Flüchtlingen sofort einzustellen;

h. die Praxis der Erhebung von Daten von Flüchtlingen, analog wie
1996 an den Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina auf Anweisung
des Bundesministeriums des Innern erstmals durchgeführt, sofort
einzustellen?

11. Welche Maßnahme hat die Bundesregierung ergriffen, um

a. die Staatsangehörigkeitsdatei beim Bundesverwaltungsamt sofort
zu schließen;

b. gegebenenfalls hierfür eine gesetzliche Regelung herbeizuführen?

12. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um den Ein-
satz der Chipkarten besser gesetzlich zu regeln?

Drucksache 14/1447 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode– 8 –

13. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung seit Oktober 1998 er-
griffen, um den Datenschutz in der Europäischen Union und die
Schaffung einer unabhängigen Kontrollinstanz voranzutreiben?

a. Wieso wurden die europäischen Datenschutzrichtlinien (95/46/EG)
vom 24. Oktober 1995 nicht innerhalb der vorgeschriebenen drei-
jährigen Umsetzungfrist in deutsches Recht umgesetzt?

b. Wieso wurde die dreijährige Frist – trotz wiederholter Mahnungen
durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz – nicht einge-
halten?

c. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß Deutschland
zu einem der vier Länder zählt, die diese Richtlinien nicht umge-
setzt haben?

d. Welche Probleme haben sich daraus – nach Kenntnis der Bundes-
regierung – für den Datenschutz und die Landesgesetzgebung in
den einzelnen Bundesländern ergeben?

e. Welche Probleme ergeben sich hieraus bezüglich eines angestrebten
harmonisierten Datenverkehrs innerhalb des europäischen Bin-
nenmarktes?

f. Welche Schadensersatzforderungen hat die Bundesrepublik
Deutschland aus der nicht fristgemäßen Umsetzung der euro-
päischen Datenschutzrichtlinien bisher erhalten bzw. zu erwarten;
und wer haftet dafür?

g. Welche personellen und politischen Konsequenzen zieht die Bun-
desregierung aus diesem Verhalten in bezug auf die nicht fristge-
rechte Umsetzung der europäischen Datenschutzrichtlinien?

h. Wann wird mit der Umsetzung der europäischen Datenschutz-
richtlinien durch die Bundesregierung zu rechnen sein?

14. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Be-
fugnisse von Europol einzuschränken und statt dessen eine parla-
mentarische und rechtliche Kontrolle über Europol zu ermöglichen?

a. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die
Möglichkeiten des Schengener Informationssystems (SIS) zurück-
zufahren?

b. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um das SIS
datenschutzrechtlich zu regeln, und welche Kontrollmöglichkeiten
haben gegenwärtig die nationalen Parlamente und das Europäische
Parlament?

c. Wie viele Datensätze werden – nach Kenntnis der Bundesregierung
– monatlich im Rahmen des SIS ausgetauscht?

d. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß die Betroffe-
nen keine Schutzrechte haben?

e. Wieso beabsichtigt die Bundesregierung nicht, Rechtsschutz-
regelungen für das Schengener Durchführungsübereinkommen
(SDÜ) vom 19. Juni 1990 vorzulegen und umzusetzen?

f. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um beim
Datenexport in Drittstaaten angemessene Datenschutzbestimmun-
gen einzuführen?

Drucksache 14/1447Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 9 –

g. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um das
europäische daktyloskopische Fingerabdrucksystem zur Identifi-
zierung von Asylbewerbern (EURODAC) zurückzufahren und so-
fort umfassende Schutzregelungen für die Betroffenen herzu-
stellen?

h. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die
EURODAC durch nationale Parlamente und das Europäische
Parlament kontrollieren zu können?

i. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um zu ga-
rantieren, daß zuerst die Möglichkeiten eines Datenschutzes der
Betroffenen und die Kontrollmöglichkeiten der Parlamente her-
gestellt sind, bevor die Erhebung, Speicherung und Weitergabe von
EURODAC-Daten erfolgt?

j. Welche datenschutzrechtlichen Regelungen gelten gegenwärtig für
das Zollinformationssystem (ZIS)?

k. Wie viele Datensätze werden gegenwärtig monatlich im Rahmen
des ZIS unter den EU-Mitgliedstaaten ausgetauscht, und wie wer-
den die Belange der Betroffenen geschützt?

l. Wie kann der Datentransfer des ZIS von den nationalen Parlamen-
ten und dem Europäischen Parlament kontrolliert werden?

m.Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, um
die erforderlichen bereichsspezifischen Datenschutzregelungen für
das ZIS innerhalb der EU herzustellen, und wann kann mit der
Verabschiedung gesetzlicher Regelungen gerechnet werden?

15. Was hat die Bundesregierung während der Zeit ihrer EU-Präsident-
schaft unternommen, um den Datenschutz zu verbessern oder den
Zugriff auf Daten von Betroffenen neu zu regeln (bitte die Maßnah-
men mit Datum einzeln auflisten)?

16. Nach welchem Aktions- und Zeitplan will die Bundesregierung zu-
künftig in der Bundesrepublik Deutschland und in der EU daten-
schutzrechtliche Bestimmungen reformieren (bitte genau auflisten
nach Vorhaben, Ziel des Vorhabens und dem zu erwartenden Zeit-
punkt)?

17. In welchen Bereichen hat die Bundesregierung seit Oktober 1998 die
Zugriffsmöglichkeiten – bezogen auf die Erhebung, Speicherung,
Aufbewahrung, Weitergabe – staatlicher, behördlicher und privater
Stellen auf Daten der Bürgerinnen und Bürger erweitert und er-
leichtert – wie beispielsweise bei der Reform des Staatsangehörig-
keitsrechtes (bitte genau die Maßnahmen auflisten)?

Bonn, den 10. Juli 1999

Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 14/1447 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode– 10 –

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