BT-Drucksache 14/1420

Kriegsbilanz (II): Einsatz von Clusterbomben durch die NATO im Kosovo-Krieg

Vom 15. Juli 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1420
14. Wahlperiode
15. 07. 99
Kleine Anfrage
derAbgeordneten Fred Gebhardt, Wolfgang Gehrcke-Reymann, Carsten Hübner, Heidi Lippmann-Kasten, Manfred Müller (Berlin), Dr. Winfried Wolf, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Kriegsbilanz (II): Einsatz von Clusterbomben durch die NATO im Kosovo-Krieg
Die NATO hat bei den Luftangriffen gegen die Bundesrepublik Jugoslawien in großem Umfang Cluster- bzw. Streubomben eingesetzt. Diese Splitterbomben sind auch besonders geeignet, gegen sog. „weiche" bzw. „ungehärtete Ziele" eingesetzt zu werden. Dies betrifft vor allem Menschen und Menschenansammlungen. Der massive Einsatz dieser Waffen legt die Vermutung nahe, daß dadurch in hohem Maße die Zivilbevölkerung des angegriffenen Landes in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Das US-Verteidigungsministerium hat den Abwurf von rd. 1100 Streubomben des Typs CBU-87 bekanntgegeben, die jeweils 202 Sprengsätze enthalten (d.h. ca. 220000 Bomben). In einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Bundesrepublik Jugoslawien wird für den Zeitraum vom 25. März bis zum 15. Mai 1999 in 79 Punkten detailliert aufgelistet, wann und wo die NATO-Flugzeuge Streubomben abgeworfen haben sollen. Eine genauere Überprüfung, in welchem Umfang dieser Bombentyp und gegen welche Ziele er eingesetzt wurde, wie viele zivile Opfer durch ihn verursacht wurden, scheint dringend geboten.
Laut Schätzung des US-Verteidigungsministeriums explodieren erfahrungsgemäß fünf Prozent nicht, so daß vermutlich weit über 10 000 scharfe Sprengkörper auf jugoslawischem Boden liegen. Zu den Kriegsfolgen gehört auch, daß zahlreiche dieser Streu- oder Splitterbomben nicht explodiert sind, also erst entschärft werden müssen. Am 21. Juni 1999 wurden zwei britische Soldaten und zwei Kosovo-Albaner bei dem Versuch, eine Clusterbombe zu entschärfen, getötet. Auch für die deutschen Soldaten und Vertreter humanitärer Hilfsorganisationen, die im Kosovo im Einsatz sind, besteht damit ein beträchtliches Risiko.
Wir fragen die Bundesregierung:
1. a) Wie viele Clusterbomben haben die NATO-Streitkräfte über Jugoslawien abgeworfen?
b) Wie viele davon über Serbien ohne Kosovo?
c) Wie viele davon über dem Kosovo?
d) Wurde über den Einsatz dieser Bomben im Rahmen der NATO-Zielplanung gesprochen?
e) Wer hat den Einsatz dieser Bomben jeweils verfügt?
f) Welche Ziele sollten damit bekämpft werden? Welche wurden damit bekämpft?
g) Welche Objekte wurden nach Kenntnis der Bundesregierung mit Streubomben angegriffen?
h) Befanden sich darunter auch Schulen, Krankenhäuser, Wohnhäuser, Hotels?
i) Wie wurde die Wirkung dieser Bomben im regelmäßigen battle damage assessment der NATO nach Erkenntnissen der Bundesregierung eingeschätzt?
j) Wie viele Zivilisten wurden nach Erkenntnissen der Bundesregierung durch solche Bomben getötet?
k) Wie viele Zivilisten haben nach Informationen der Bundesregierung durch diese Bomben bleibende gesundheitliche Schäden erlitten?
2. a) Wie viele der Splitterbomben liegen nach Erkenntnissen der Bun-
desregierung „unexplodiert" auf dem Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien insgesamt, im Kosovo im besonderen?
b) Kann die Bundesregierung bestätigen, daß es sich um eine Zahl zwischen 20 000 und 30 000 Splitterbomben handeln soll?
c) Trifft es nach den Erkenntnissen der Bundesregierung zu, daß im Irak nach Beendigung des Golfkrieges noch ca. 2 600 Menschen, darunter zumeist Kinder, durch explodierte Splitterbomben getötet worden sind?
3. a) Kann die Bundesregierung bestätigen, daß bei einem Einsatz von
Streubomben in Nis am 7. Mai 1999 eine Containerbombe vor dem Pathologischen Institut und eine zweite direkt im Stadtzentrum explodierte und dabei 15 Menschen den Tod fanden und 47 Wohnobjekte gänzlich zerstört wurden?
b) Kann die Bundesregierung bestätigen, daß durch einen Angriff mit Streubomben in einem Flüchtlingslager im Dorf Koriste am 13. Mai 1999 84 Personen getötet und über 100 verletzt wurden?
4. a) In welchem Umkreis entfalten die Splitterbomben nach Erkennt-
nissen der Bundesregierung eine zerstörerische Wirkung, bezogen auf gepanzerte Gegenstände, auf ungepanzerte Gegenstände, auf Menschen?
b) In welchem Umkreis werden die aus den Clusterbomben freigesetzten „bomblets" verstreut?
c) Wodurch unterscheiden sich die aus den Clusterbomben emittierten „bomblets" hinsichtlich ihrer Wirkung von Anti-Personenminen?
d) Wie bewertet die Bundesregierung diese Waffentypen hinsichtlich des Verbots der unterschiedslosen Kriegsführung, wie sie im Kriegsvölkerrecht verankert ist?
e) Müßte diese Waffenkategorie nach Auffassung der Bundesregierung ebenfalls völkerrechtlich geächtet werden?
f) Wird die Bundesregierung in dieser Hinsicht initiativ werden?
5. a) Was wird zum Schutz der Zivilbevölkerung im Kosovo vor den nicht-
explodierten Streubomben durch die KFOR-Truppen unternommen?
b) Was geschieht, um die Zivilbevölkerung ausreichend vor diesen „Bombenüberbleibseln" zu warnen, bzw. wie wird gewährleistet, daß Unterrichtungen auch für Kinder und Jugendliche stattfinden?
c) Was wird zum Schutz deutscher Soldaten der KFOR-Truppe vor diesen Bomben unternommen?
d) Welche Einheiten sind mit der Entschärfung dieser Bomben betraut? Über welche Ausbildung verfügen sie?
e) Wie sieht die Zusammenarbeit von KFOR mit den internationalen Hilfsorganisationen vor Ort aus?
e) Wurden den internationalen Hilfsorganisationen genaue Pläne über erfolgte Bombenabwürfe übergeben?
Wenn nein, warum nicht?
f) Welcher Zeitraum wird nach Einschätzung der Bundesregierung benötigt, um sämtliche Splitterbomben zu entfernen?
6. a) Verfügt die Bundeswehr über solche Bombentypen?
b) Wenn ja, in welchem Umfang?
c) Übt die Bundeswehr mit dieser Munition?
d) Welche Summe ist im laufenden Etat jeweils für die Erforschung, Entwicklung und Beschaffung von Splitterbomben eingestellt?
e) Welche Bomben dieses Typs sollen in den nächsten Jahren beschafft werden, und welche Geldbeträge sind dafür vorgesehen?
f) Erwägt die Bundesregierung, ggf. im Lichte der Erfahrungen des Kosovo-Krieges, auf Entwicklung und Beschaffung von Splitterbomben zu verzichten?
Bonn, den 9. Juli 1999
Fred Gebhardt
Wolfgang Gehrcke-Reymann
Carsten Hübner
Heidi Lippmann-Kasten
Manfred Müller (Berlin)
Dr. Winfried Wolf
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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