BT-Drucksache 14/1403

Internationales Kartellrecht, Unternehmensfusionen und -konzentration

Vom 8. Juli 1999


Deutscher Bundestag
14. Wahlperiode

Drucksache 14/1403
08. 07. 99

Große Anfrage
der Abgeordneten Ursula Lötzer, Rolf Kutzmutz, Dr. Winfried Wolf, Ulla Jelpke,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS

Internationales Kartellrecht, Unternehmensfusionen und -konzentration

Ein Ergebnis der Globalisierung ist, daß der Abbau staatlicher Monopole
im Zuge der Privatisierungs- und Deregulierungspolitik von einer Fusions-
welle im Unternehmenssektor begleitet wird. Gerade der Anstieg der
grenzüberschreitenden Direktinvestitionen ist auf den hohen Anteil an
Investitionen für Fusionen und Beteiligungen zurückzuführen. 1997 belie-
fen sich diese laut Weltinvestitionsbericht 1998 der UNCTAD auf 236
Mrd. US-$ und bilden damit drei Fünftel der gesamten weltweiten Investi-
tionsflüsse. Die USA, England, Frankreich und Deutschland sind die Län-
der, die den größten Anteil an diesen Investitionen verzeichneten, wobei
sich generell auf die Gruppe der Industrieländer insgesamt 90 % der glo-
balen Fusions- und Beteiligungsinvestitionen konzentrieren. Nach wie vor
ist die Heimatorientierung und der nationale Standort der transnationalen
Konzerne das ausschlaggebende Moment ihrer Aktivitäten. Dies beinhal-
tet sowohl ihre Produktionsstruktur, den Handel mit Waren und Dienstlei-
stungen, ihre Investitionstätigkeit und den Rückfluß der Gewinne sowie
der getätigten Forschungs- und Entwicklungsausgaben.Globalisierung be-
deutet vor allem die Zunahme regionaler Konzentration.

In Folge dessen hat in vielen Wirtschaftssektoren eine kleine Gruppe von
transnationalenKonzernen bereits jetzt eine marktbeherrschende Stellung
erlangt. So kontrollierten laut Weltinvestitionsbericht 1997 beispielsweise
in der EU die jeweils fünf führenden Konzerne 73 % der Produktion opti-
scher Geräte, 71% der Computerproduktion, 63% derAutomobilfabrika-
tion und 56 % der Tabakindustrie. EU-Kommissar Van Miert (Handels-
blatt vom 11. Mai 1999) geht davon aus, daß amEnde der jetzigen Fusions-
runde weltweit nicht mehr als fünf bis sechs Automobilhersteller
übrigbleiben. Daneben ergeben sich starke Tendenzen hin zu Oligopolen
wie z. B. durch die Fusionen in der Ölindustrie (BP/Amoco, Total/Petro-
fina, Exon/Mobil) und in der Kraftwerksindustrie (ABB/Alstom). Laut
Van Miert zeigt sich immer deutlicher, daß Marktführerschaft sich immer
in der Nähe von Marktbeherrschung abspiele.

Der Verdrängungswettbewerb ist ausschlaggebend bei der jüngsten
Fusionswelle: Stagnierende Nachfrage auf den Binnenmärkten, fallende
Preise, Überkapazitäten, die strukturelle Veränderung aufgrund des tech-
nischen Wandels und die steigenden Kosten für Forschung und Entwick-
lung sind die zentralen Motive für Unternehmensfusionen. Konzentration
auf das Kerngeschäft und Kostenreduktion (Entlassungen, Lean Manage-

ment, Outsourcing, Just-in-Time-Produktion etc.) bestimmen das Han-
deln. Das Problem weltweit sinkender Absatzmöglichkeiten in Relation
zur steigenden Produktionskapazität wird damit nicht gelöst. Im Ergebnis
wird dies laut Economist vom 9. Januar 1999 dazu führen, daß zwei Drittel
der Fusionen scheitern und hohe gesellschaftliche Folgekosten nach sich
ziehen.

Damit stellen sich zwei zentrale Fragen: Wie könnten auf nationaler und
internationaler Ebene ein rechtliches Instrumentarium geschaffen und be-
stehende Mechanismen der neuen Situation angepaßt werden, um der
Herausbildung von Oligopolen und Monopolen wirksam entgegenzutre-
ten? Daneben ist zu klären, ob überhaupt der politische Wille besteht, die
sog. Global Player der staatlichen Kontrolle zu unterziehen. Nach den
Ausführungen des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Wer-
ner Müller, auf der IX. Internationalen Kartellrechtskonferenz am 10. Mai
1999 in Berlin scheint dies keineswegs klar zu sein. Die Bundesregierung
neigt in diesen Fragen zu einer „Laissez-Faire Haltung“ (Handelsblatt
12. Mai 1999) die kaum angebracht ist, zumal die unterschiedlichen Stand-
punkte zu Fusionen und Kartell- bzw. Wettbewerbsrecht zwischen den
USA und der EU durch die jüngsten Handelskonflikte verschärft werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich der Ein-
führung eines internationalen Kartellrechts?

a) Wie begründet sie eine mögliche Ablehnung?

b) Welche konkreten Vorschläge bringt die Bundesregierung zur Ein-
führung eines internationalen Kartellrechts in die Diskussion ein?

c) Welche Durchsetzungsmechanismen sollte ein internationales Kar-
tellrecht aufweisen?

2. Welche unterschiedlichen Positionen bestehen in der EU zum inter-
nationalen Kartellrecht, und wie schätzt die Bundesregierung sie ein?

a) Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, ein von der EU-
Kommission unabhängiges europäisches Kartellamt aufzubauen?

b) Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit des deutschen
Kartellrechts im europäischen Vergleich?

c) Welche zentralen Elemente des deutschen Kartellrechts sollten in
ein europäisches Kartellrecht einfließen?

d) Wie beurteilt die Bundesregierung den aktuellen Streit zwischen
der EU-Wettbewerbsbehörde und dem Präsidenten des Bundes-
kartellamtes, Dieter Wolf, über die Neuordnung der Fusionsauf-
sicht (Revision der Artikel 85/86)?

3. Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung einzuleiten, um die
Konflikte zwischen den widersprechenden Entscheidungen nationaler
Kartellämter zu minimieren solange kein internationales Kartellrecht
existiert?

Wie könnte die Zusammenarbeit der nationalen Kartellämter ver-
bessert werden?

4. Ist für die Bundesregierung der 1993 vorgelegte Vorschlag eines Draft
International Antitrust Code (DIAC) die Diskussionsgrundlage zur
Einführung eines europäischen bzw. internationalen Kartellrechts?

Drucksache 14/1403 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode– 2 –

a) Welche zentralen Elemente vom DIAC werden übernommen, und
welche verworfen?

b) Auf welche weiteren Vorschläge/Berichte greift die Bundesregie-
rung bei ihrer Positionsbestimmung zurück?

5. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung im Konflikt zwischen
der EU-Position, die ein Fehlen allgemeiner kartellrechtlicher Regeln
in einer globalisierten Wirtschaft mit zunehmenden Freiheitsrechten
für Unternehmen, zunehmender Größe der transnationalen Konzerne
und internationaler Produktionsmethoden immer weniger hinzu-
nehmen bereit ist (siehe Bericht: Competition Policy in the New Trade
Order: Strengthening International Cooperation and Rules, Juli 1995)
und der Position der USA, die nach wie vor starke Vorbehalte gegen-
über multilateralen Vereinbarungen bezüglich eines internationalen
Kartellrechts mit hoher Regelungsdichte hat?

a) Wie schätzt die Bundesregierung die zunehmenden Konflikte zwi-
schen der EU und den USA über nichttarifäre Handelshemmnisse
(Bananenmarktordnung, hormonbehandeltes Rindfleisch etc.) ein,
und welche Beeinträchtigungen ergeben sich daraus für den Aufbau
eines internationalen Kartellrechts?

b) Sollte der Aufbau eines internationalen Kartellrechts mit der Har-
monisierung der internationalen Wettbewerbspolitik verbunden
sein, und wie stellt sich die Bundesregierung dies konkret vor?

c) Wie sieht die Bundesregierung den generellen Konflikt zwischen
den Grundsätzen der Welthandelsorganisation (WTO) (Vertrags-
freiheit und Eigentumsschutz), die Unternehmenskonzentration
fördert, und den diesbezüglichen Beschränkungen durch ein inter-
nationales bzw. nationales Kartellrecht?

6. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Positiv-
diskriminierung kommunaler, regionaler und nationaler Unter-
nehmen?

a) Welche möglichen Probleme ergeben sich aus der Positivdis-
kriminierung für den Aufbau eines internationalen Kartellrechts?

b) Welche Position vertritt die Bundesregierung in derWTO bezüglich
der Positivdiskriminierung?

7. Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der japanischen
Diskussion zur Entwicklung eines internationalen Kartellrechts, und
welche grundsätzlichen Differenzen bzw. Übereinstimmungen sieht
sie?

a) Wie steht die Bundesregierung zu der in der Vergangenheit durch
die japanische Regierung vertretenen Position, Antidumping- und
Antisubventionsmaßnahmen als wettbewerbsbeschränkende Maß-
nahmen zu behandeln?

b) Sollte dies im Rahmen eines internationalen Kartellrechts geregelt
werden?

c) Wenn nicht, wie sollte dies sonst geregelt werden?

d) Welche Position besteht in der WTO zu Antidumping- und Anti-
subventionsmaßnahmen, und wie ist hier die Haltung der Bundes-
regierung?

Drucksache 14/1403Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 –

8. Wie kommt die Bundesregierung zu ihrer Aussage bezüglich der
jüngsten Großfusionen, denen sie „prokompetitive“ (wettbewerbs-
fördernde) Wirkungen unterstellt (siehe Antworten auf Frage 20 in
Drucksache 14/337, Frage 11 in Drucksache 14/645 und Rede des
Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Werner Müller, auf
der IX. Internationalen Kartellrechtskonferenz)?

Auf welchen theoretischen und empirischen Erkenntnissen basiert
diese Einschätzung?

9. Wie definiert die Bundesregierung „Marktbeherrschung“ und „Markt-
macht“?

a) Welche Ergebnisse hinsichtlich der Bildung von Exportkartellen
und der territorialen Marktaufspaltung liegen der Bundesregierung
vor?

b) Wie sollen künftig Exportkartelle und die territoriale Marktauf-
spaltung verhindert werden?

c) Was ist für die Bundesregierung ein Monopol/Oligopol, bzw. wel-
cher Konzentrationsgrad in einer Branche kennzeichnet diese?

10. Wie bewertet die Bundesregierung ein staatliches Monopol/Oligopol
gegenüber einem privatwirtschaftlichen Monopol/Oligopol?

a) Auf welcher Grundlage kommt die Bundesregierung zu ihren Ein-
schätzungen?

b) Spielen Fragen zur allgemeinen Versorgungssicherheit, demokrati-
schen Kontrolle und politischen Zielsetzung von staatlichen Mono-
polen bei der Bewertung eine Rolle?

11. Ab welchem Konzentrationsgrad gelten die „Global Player“ für die
Bundesregierung als Monopole oder Oligopole?

a) Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, daß, selbst wenn
die „Global Player“ weder als Monopole noch als Oligopole defi-
niert werden, durch die ökonomische Potenz der Konzerne ein
Machtfaktor entsteht, mit dem Einfluß auf politische Ent-
scheidungen genommen werden kann?

b) Wenn sie dieser Ansicht zustimmt, welche Maßnahmen zur Ver-
hinderung einer zunehmenden direkten und indirekten Einfluß-
nahme auf politische Entscheidungen durch die Konzerne hält die
Bundesregierung für sinnvoll?

c) Wenn sie dieser Ansicht nicht zustimmt, wie begründet sie dies?

12. Welche Erkenntnisse über Beschäftigungseffekte der jüngsten Fusio-
nen in der Bundesrepublik Deutschland liegen der Bundesregierung
vor?

a) Wenn zu diesem Zeitpunkt keine detaillierten empirischen Zahlen
vorliegen, wird die Bundesregierung diese erheben lassen?

b) Wie wird gegenwärtig der Abbau von Arbeitsplätzen durch Fusio-
nen eingeschätzt, und welche Auswirkungen sieht die Bundesregie-
rung hinsichtlich des Lohnniveaus?

c) Wie soll dem Abbau von Arbeitsplätzen durch Fusionen entgegen-
gewirkt werden?

Drucksache 14/1403 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode– 4 –

d) Welche Mitbestimmungsrechte auf nationaler und europäischer
Ebene sind nach Ansicht der Bundesregierung hinsichtlich inter-
nationaler Fusionen auszubauen?

e) Wie beurteilt die Bundesregierung die Auseinandersetzung um die
Mitbestimmung für europäische Aktiengesellschaften, und welche
Position vertritt sie in dieser Frage?

13. Welche Zahlen liegen der Bundesregierung hinsichtlich Unterneh-
mensfusionen in der Bundesrepublik Deutschland vor, die durch sog.
feindliche Übernahmen über die Börse durchgesetzt wurden?

a) Wie schätzt die Bundesregierung generell das Problem von
„feindlichen Übernahmen“ ein, und welche Position vertritt sie?

b) Sind von der Bundesregierung Maßnahmen bezüglich der Verhin-
derung „feindlicher Übernahmen“, beispielsweise durch die Ver-
schärfung der Bankenaufsicht, geplant?

c) Wenn sie keine diesbezüglichen Maßnahmen für notwendig erach-
tet, wie begründet sie dies?

Bonn, den 1. Juli 1999

Ursula Lötzer
Rolf Kutzmutz
Dr. Winfried Wolf
Ulla Jelpke
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 14/1403Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 –

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