BT-Drucksache 14/139

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (§ 146)

Vom 3. Dezember 1998


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/139 vom 03.12.1998

Gesetzentwurf der Fraktion der PDS zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch (§ 146) =

03.12.1998 - 139

14/139

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Dr. Heidi Knake-Werner, Ursula Lötzer,
Eva-Maria Bulling-Schröter, Gerhard Jüttemann, Manfred Müller (Berlin),
Dr. Winfried Wolf und der Fraktion der PDS
Entwurf eines . . . Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch
(§ 146)

A. Problem
Die derzeitige Fassung des § 146 SGB III sichert nicht die geforderte
Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen. Die 1986
beschlossene Änderung des § 116 AFG, der in dieser Form in das Dritte
Buch Sozialgesetzbuch übernommen wurde, ist verfassungsrechtlich
bedenklich, weil er eine mangelnde Übereinstimmung mit dem ILO-Abkommen
Nr. 102 zeigt. Das Abkommen, dem die Bundesrepublik Deutschland
beigetreten ist (BGBl. II 1957 S. 321), läßt einen Leistungsausschluß
nur bei unmittelbarer Streikteilnahme zu. Gleichzeitig stellt der § 146
SGB III einen Eingriff in die Tarif-
autonomie dar, da wegen der zunehmenden technischen Verflechtung von
Produktionslinien durch Arbeitskämpfe weit entfernte
Arbeitsunterbrechungen auftreten können. Die gegenwärtige Rechtslage
schafft keine Klarheit über die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern, die
am Streik direkt oder mittelbar beteiligt sind oder nur durch die
Folgen des Arbeitskampfes arbeitslos wurden. Unter diesen Bedingungen
wird den Gewerkschaften das Führen von Arbeitskämpfen außerordentlich
erschwert und die Tarifautonomie eingeschränkt.
B. Lösung
Wiederherstellung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit.
C. Alternativen
Keine
D. Kosten
Es entstehen nicht bezifferbare Mehrausgaben für Arbeitslosengeld und
Kurzarbeitergeld, denen ebenfalls nicht bezifferbare Einsparungen bei
den Sozialhilfeträgern gegenüberstehen, weil mittelbar durch
Arbeitskämpfe Betroffene bei Bedürftigkeit Anspruch auf Sozialhilfe
hätten.

Entwurf eines . . . Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches
Sozialgesetzbuch
(§ 146)

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Das Dritte Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der Fassung des Ersten
Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer
Gesetze vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2970) wird wie folgt
geändert:
§ 146 wird wie folgt gefaßt:
"§ 146
Neutralität bei Arbeitskämpfen
(1) Durch die Gewährung von Arbeitslosengeld darf nicht in
Arbeitskämpfe eingegriffen werden.
(2) Ist der Arbeitnehmer durch Beteiligung an einem inländischen
Arbeitskampf arbeitslos geworden, so ruht der Anspruch auf
Arbeitslosengeld bis zur Beendigung des Arbeitskampfes.
(3) Ist der Arbeitnehmer durch einen inländischen Arbeitskampf, an dem
er nicht beteiligt ist, arbeitslos geworden, so ruht der Anspruch auf
Arbeitslosengeld bis zur Beendigung des Arbeitskampfes, wenn
1. der Arbeitskampf auf eine Änderung der Arbeitsbedingungen in dem
Bereich, in dem der Arbeitnehmer zuletzt beschäftigt war, abzielt oder
2. die Gewährung des Arbeitslosengeldes den Arbeitskampf beeinflussen
würde.
Die Bundesanstalt kann Näheres durch Anordnung bestimmen; sie hat dabei
innerhalb des Rahmens des Satzes 1 die unterschiedlichen Interessen der
von den Auswirkungen der Gewährung oder Nichtgewährung Betroffenen
gegeneinander abzuwägen.
(4) Ist bei einem Arbeitskampf das Ruhen des Anspruchs nach Absatz 3
für eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern ausnahmsweise nicht
gerechtfertigt, so kann der Verwaltungsrat des Landesarbeitsamtes
bestimmen, daß ihnen Arbeitslosengeld zu gewähren ist. Erstrecken sich
die Auswirkungen eines Arbeitskampfes über den Bezirk eines
Landesarbeitsamtes hinaus, so entscheidet der Verwaltungsrat. Dieser
kann auch in Fällen des Satzes 1 die Entscheidung an sich ziehen."
Artikel 2
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Bonn, den 1. Dezember 1998
Dr. Heidi Knake-Werner
Ursula Lötzer
Eva-Maria Bulling-Schröter
Gerhard Jüttemann
Manfred Müller (Berlin)
Dr. Winfried Wolf
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

A. Allgemeiner Teil
Der bis zum Jahre 1986 geltende § 116 AFG wurde mit der Absicht
geändert, das Neutralitätsgebot der Bundesanstalt für Arbeit zu
präzisieren, nachdem 1984 durch Anweisung des damaligen Präsidenten
Heinrich Franke 372 000 Beschäftigten das Kurzarbeitergeld rechtswidrig
verweigert wurde. Die Novellierung des § 116 AFG wurde aber nicht so
gefaßt, daß in Zukunft rechtswidrige Verweigerungen von
Kurzarbeitergeld ausgeschlossen werden, sondern der § 116 AFG wurde an
die von den Sondergerichten als rechtswidrig eingestufte Praxis
angepaßt.
Diese Regelung wurde in der juristischen Diskussion vielfach als
verfassungswidrig bezeichnet. So auch durch den ehemaligen Präsidenten
des Bundesverfassungsgerichts Ernst Benda.
Für die Gewerkschaften wurde mit dem § 116 AFG die Kampfparität
nachhaltig verletzt, da auf die von Leistungen ausgeschlossenen
mittelbar betroffenen Arbeitnehmer ein solcher Druck ausgeübt werden
kann, daß das Führen von Arbeitskämpfen unmöglich wird. Beim
Arbeitskampf der IG Metall im Jahre 1995 in Bayern gelang es der
Gewerkschaft nur durch umfangreiche Computer-Recherchen, 33 Betriebe
herauszufiltern, die ausschließlich Endproduzenten sind. Je stärker die
Vernetzung der Produktionslinien zunimmt, um so mehr wird jedoch der
Kreis der Firmen eingeschränkt, bei denen ein Streik zu keinerlei
Fernwirkungen führt.
Die im Juli 1995 vor dem Bundesverfassungsgericht abgewehrte Klage
gegen den § 116 AFG kann nicht als Beleg für die grundsätzliche
Verfassungskonformität des § 146 SGB III herangezogen werden. Das
Gericht hatte festgestellt: "Danach ist insgesamt sowohl in
tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht unsicher, ob die
angegriffene Regelung bei künftigen Arbeitskämpfen zu einer solchen
Ungleichheit der Kampfstärke der Tarifvertragsparteien führt, daß
Verhandlungen auf einer annähernd ausgeglichenen Basis nicht mehr
möglich sind. Sollte dies eintreten, wäre der Gesetzgeber aufgefordert,
entsprechende Maßnahmen zur Wahrung der Tarifautonomie zu treffen."
Angesichts der in den vergangenen Jahren noch weiter fortgeschrittenen
Arbeitsteilung ist dieser Tatbestand eingetreten.
B. Besonderer Teil
Entfällt, weil nur die bis 1986 geltende Rechtslage wiederhergestellt
wird.

03.12.1998 nnnn

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.