BT-Drucksache 14/1310

Verbesserung der Nachhaltigkeit in der Alterssicherung durch eine gerechte und sozialverträgliche Rentenpolitik

Vom 29. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1310
14. Wahlperiode
29. 06. 99
Antrag
derAbgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Dr. Maria Böhmer, Rainer Eppelmann, Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Klaus Hofbauer, Karl-Josef Laumann, Julius Louven, Wolfgang Meckelburg, Claudia Nolte, Hans-Peter Repnik, Franz Romer, Heinz Schemken, Johannes Singhammer, Andreas Storni, Thomas Strobl, Peter Weiß (Emmendingen), Gerald Weiß (Groß-Gerau) und der Fraktion der CDU/CSU
Verbesserung der Nachhaltigkeit in derAlterssicherung durch eine gerechte und sozialverträgliche Rentenpolitik
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Alle Systeme der Alterssicherung in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen. Der Generationenvertrag, auf dem die solidarische Rentenversicherung aufbaut, ist vor allem aus demographischen Gründen in eine Schieflage geraten. Die Geburtenzahlen sinken, und die Lebenserwartung der Menschen steigt in den nächsten Jahrzehnten auf im Durchschnitt über 80 Jahre. Dies führt dazu, daß sich bis zum Jahr 2030 der Anteil der Menschen im Rentenalter im Vergleich zu denen im erwerbsfähigen Alter fast verdoppeln wird. Die Folge ist langfristig gesehen eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung der Alterssicherungssysteme.
Stabilisierung des Beitragssatzes in der Rentenversicherung und Nachhaltigkeit
Angesichts dieser Herausforderung gilt es, die Finanzkraft der Rentenversicherungssysteme langfristig stabil zu halten und damit eine nachhaltige Entwicklung in der Alterssicherung sicherzustellen. Gerade die nachwachsenden Generationen sind auf eine langfristige Stabilität der Beitragssätze in der Alterssicherung angewiesen. Nur so ist Generationengerechtigkeit und damit Akzeptanz der gesetzlichen Rentenversicherung durch die jüngere Generation sicherzustellen. Sozial gerecht ist nur das, was auch zwischen den Generationen gerecht ist.
Gerechtigkeit zwischen den Generationen heißt, daß ältere Menschen in der Gesellschaft angemessen versorgt werden und eine Rente auf einem Sicherungsniveau erhalten, das deutlich über dem Sozialhilfeniveau liegt. Anderenfalls würde sich solidarische Vorsorge nicht lohnen. Generationengerechtigkeit heißt aber auch, die Belastungen, die den nachwachsenden Generationen hinterlassen werden, in Grenzen zu halten und ihnen so die Chance auf ein auskömmliches Leben zu ermöglichen. Nur wenn sich die Generationenbilanz nicht noch weiter zuungunsten der nachwachsenden Ge-
nerationen entwickelt, kann die auf Solidarität basierende umlagefinanzierte Rentenversicherung langfristig erfolgreich sein. Und das ist von entscheidender Bedeutung, da die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung die wichtigste Sicherung der Bürger gegen die großen Lebensrisiken darstellen. Die Sicherstellung von Nachhaltigkeit in der Alterssicherung und eine gerechte Gestaltung des Generationenvertrages sind Anerkennung der Lebensleistung der älteren und Zukunftssicherung für die junge Generation.
Maßnahmen zur Sicherung der Nachhaltigkeit in der Alterssicherung
Die frühere Bundesregierung hat ihre rentenpolitischen Maßnahmen ganz wesentlich an dem Ziel einer gerechten Gestaltung des Generationenvertrages ausgerichtet. Mit dem Rentenreformgesetz 1992, dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz und dem Rentenreformgesetz 1999 hat sie einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung der Finanzkraft der Rentenversicherung und damit zu einer langfristigen Stabilität der Beitragssätze geleistet.
Ein Ansatz, um zukünftig eine sozial gerechte Begrenzung des Rentenanstiegs sicherzustellen, ist der „demographische Faktor", wie er im Rentenreformgesetz 1999 vorgesehen war. Der „demographische Faktor" hat den Vorteil, daß er nicht nur die Beitragszahler, sondern auch die Rentner an den Kosten der längeren Lebenserwartung beteiligt. Mit seiner Hilfe sollen die Folgen aus steigender Lebenserwartung und längerem Rentenbezug gleichmäßig auf Beitragszahler und Rentner, auf Junge und Alte verteilt werden. Deswegen sinken die Renten nicht, sie steigen nur langsamer. Und langsamer steigen müssen sie, sonst wird gerade die jüngere Generation mit zu hohen Beiträgen belastet. Die Niveausenkung, zu der der „demographische Faktor" führt, ist der Preis dafür, daß die Rente länger gezahlt wird. Der „demographische Faktor" ist daher sozial gerecht und stärkt das Vertrauen von Beitragszahlern und Rentnern in die Rentenversicherung. Die Rentner können mit der regelmäßigen Anpassung ihrer Rente rechnen und mit der Rente langfristig kalkulieren.
Darüber hinaus kann die jährliche Vorlage einer Generationenbilanz die Nachhaltigkeit und damit die Zukunftsfähigkeit der Alterssicherung fördern. Im Rahmen der Generationenbilanz sollen die fiskalischen Belastungen der einzelnen Generationen und die Generationenrenditen gegenübergestellt werden. Mit Hilfe einer fortlaufenden Analyse vergleichbarer Ergebnisse kann beurteilt werden, ob die Politik einen Kurs steuert, der geeignet ist, mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen sicherzustellen. Die Bilanz kann Grundlage für Entscheidungen sein, die zu einer verbesserten interge-nerationellen Gerechtigkeit beitragen. Die Generationenbilanz fördert damit das Bewußtsein für das Prinzip der Verantwortung für die nächsten Generationen.
Mit Hilfe einer Generationenklausel, die - wie etwa die Preiswirkungsklausel - im Vorblatt und in der Begründung zu einem Gesetz enthalten sein soll, kann deutlich gemacht werden, inwieweit gesetzliche Maßnahmen zu Benachteiligungen für die nächsten Generationen führen. Die Klausel soll die Lasten aufzeigen, die den nachwachsenden Generationen durch das jeweilige Gesetz hinterlassen werden und kann so Grundlage für weitere politische Entscheidungen sein. So kann sichergestellt werden, daß der Generationenvertrag hält und langfristig zukunftsfähig bleibt.
Ein zukunftsfähiges Rentenreformkonzept muß auch die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Im Wandel begriffen sind insbesondere die Lebensentwürfe und Rollenbilder von Frauen. Die
zunehmende Frauenerwerbstätigkeit, neue Familienstrukturen und eine an Gleichstellung orientierte Frauenrolle signalisieren einen gesellschaftlichen Wertewandel, der auch die sozialen Sicherungssysteme erfaßt. Eine Reform der Alterssicherung, die langfristig tragfähig sein soll, muß auch diese Entwicklung berücksichtigen. Gefragt sind dabei vor allem Lösungen, die es erlauben, die Erwerbsbeteiligung von Frauen zu verbessern und diskontinuierliche Erwerbsverläufe abzusichern, und die so zu einer eigenständigen Alterssicherung der Frauen beitragen. Daher müssen jetzt die Ausarbeitung einer tragfähigen und ausgewogenen Reform der Hinterbliebenensicherung und eine verbesserte Berücksichtigung von Kindererziehung auf der politischen Tagesordnung stehen.
Zur Stärkung des gesamten Systems der Alterssicherung ist darüber hinaus ein deutlicher und rascher Ausbau der kapitalfundierten Altersvorsorge im bestehenden System der zweiten und dritten Säule der Alterssicherung anzustreben. Durch einen Ausbau der zweiten und dritten Säule würden die gesetzliche Rentenversicherung entlastet und der Wirtschaftsstandort und Finanzplatz Deutschland gestärkt werden. Die kapitalgedeckten Systeme in der zweiten und dritten Säule bieten gute Ansatzpunkte, um die Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen zu stärken und den Produktionsfaktor Kapital auf marktwirtschaftlicher Grundlage stärker an der Finanzierung sozialer Ausgaben zu beteiligen. Daher ist es erforderlich, die Attraktivität der betrieblichen Altersversorgung durch Änderung der steuerrechtlichen und arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen zu erhöhen. Insoweit ist der mit dem Rentenreformgesetz 1999 eingeschlagene Weg wei-terzuverfolgen. Die staatliche Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand nach dem Vermögensbildungsgesetz ist stärker auf den Bereich der Altersvorsorge auszudehnen und auf Personen mit unterdurchschnittlichem Einkommen zu konzentrieren.
Rentenpläne der Bundesregierung zerstören das Vertrauen in die Rentenversicherung
Die vom Bundeskabinett am 23. Juni 1999 beschlossenen Rentenpläne sind nicht geeignet, die Zukunftsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung zu sichern. Das System der Rentenversicherung setzt Stetigkeit, Berechenbarkeit und Planungssicherheit voraus. Die beschlossene Rentenanpassung lediglich nach der Inflationsrate verunsichert dagegen Rentner und Beitragszahler gleichermaßen, weil eine Steigerung der Renten zukünftig nicht mehr berechenbar ist. Die Rentensteigerungen werden sich zukünftig nach der aktuellen Haushaltslage entwickeln. Damit wird das Vertrauen in das System der gesetzlichen Rentenversicherung stark beschädigt. Die Rentenpläne der Bundesregierung sind auch nicht sozialverträglich. Die Rentensteigerungen werden nach den Rentenplänen der Regierung drastisch abgesenkt. Der „demographische Faktor" hätte dagegen eine allmähliche Abflachung der Rentensteigerung bedeutet. Das von der Bundesregierung für das Jahr 2002 angestrebte Rentenniveau wäre mit dem „demographischen Faktor" erst in 16 Jahren erreicht worden.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
1. die vom Bundeskabinett beschlossene Rentenanpassung lediglich in Höhe der Inflationsrate für die Jahre 2000 und 2001 nicht umzusetzen;
2. den im Rentenreformgesetz 1999 enthaltenen „demographischen Faktor" bis spätestens zum 1. Januar 2000 in Kraft zu setzen;
3. ein Konzept zum Ausbau der betrieblichen und privaten Altersvorsorge vorzulegen;
4. ein Konzept zur Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung der Frauen vorzulegen;
5. jährlich eine Generationenbilanz vorzulegen und eine Generationenklausel einzuführen.
Bonn, den 29. Juni 1999
Birgit Schnieber-Jastram
Dr. Maria Böhmer
Rainer Eppelmann
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Klaus Hofbauer
Karl-Josef Laumann
Julius Louven
Wolfgang Meckelburg
Claudia Nolte
Hans-Peter Repnik
Franz Romer
Heinz Schemken
Johannes Singhammer
Andreas Storm
Thomas Strobl
Peter Weiß (Emmendingen)
Gerald Weiß (Groß-Gerau)
Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion

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