BT-Drucksache 14/1213

Bekämpfung der "verdeckten Armut" in Deutschland

Vom 22. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1213
14. Wahlperiode
22. 06. 99
Antrag
derAbgeordneten Birgit Schnieber-Jastram, Wolfgang Meckelburg, Hans-Peter Repnik, PeterWeiß (Emmendingen) und der Fraktion der CDU/CSU
Bekämpfung der „verdeckten Armut" in Deutschland
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Eine generelle Armuts- und Reichtumsberichterstattung, wie sie in Drucksache 14/999 von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie in Drucksache 14/1069 von der Fraktion der PDS gefordert wird, ist aufgrund der bereits vorliegenden vielfältigen statistischen und analytischen Untersuchungen zur Situation einkommensschwacher Haushalte in der Bundesrepublik Deutschland nicht von vorrangiger Bedeutung. Für dieses Gebiet liegen detaillierte Datengrundlagen vor. Eine Gruppe, die jedoch bislang von den vielen bereits existierenden Berichten ausgeblendet oder als nicht quantifizierbar nur marginal behandelt wurde, sind jene Menschen, die trotz Rechtsanspruchs auf Sozialhilfe nicht ihre berechtigten Ansprüche einfordern. Während die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt einkommensschwachen Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ein sozio-kulturelles Niveau über dem Existenzminimum garantiert und damit Armut bekämpft, besteht bei jener „verdeckten Armut", die aus verschiedensten Gründen - Unwissenheit, Angst vor Regreßforderungen an Angehörige, Scham - ihre Ansprüche nicht einfordert, tatsächlich die Gefahr der exi-stentiellen Gefährdung. Dabei gehen Schätzungen der Nationalen Armutskonferenz davon aus, daß etwa zwei Millionen Menschen die ihnen zustehende Unterstützung nicht beantragen. Besonders hervorzuheben ist, daß die „verdeckte Armut" mit der Haushaltsgröße steigt, und somit besonders Kinder darunter zu leiden haben. Es gilt, den Fokus in der Armutsforschung auf jene zu konzentrieren, die trotz Berechtigung keine Unterstützung der Sozialhilfe für ein der Würde des Menschen entsprechendes Leben in Anspruch nehmen.
Hier ist dringender sozialpolitischer Handlungsbedarf geboten: Diese Gruppe ist so rasch als möglich zu quantifizieren und gegen das soziale Abdriften dieser wirklich Armen sind geeignete Schritte einzuleiten.
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
Angesichts des drängenden Problems der „verdeckten Armut" muß sich die Bundesregierung verstärkt damit auseinandersetzen. Zu diesem Zweck wird die Bundesregierung aufgefordert, sobald als möglich einen Bericht vorlegen, in dem sie statistisches Material über „verdeckte Armut" zusammen-
stellt und Strategien zu ihrer Bekämpfung entwickelt. Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung soll verstärkt Mittel für Forschungsaufträge zur Analyse und Bekämpfung der „verdeckten Armut" bereitstellen.
Der von der Bundesregierung vorzulegende Bericht soll speziell folgende Anforderungen beachten:
- Der zahlenmäßige Umfang des Problems der „verdeckten Armut" muß umrissen werden, um seine Größenordnung zu verdeutlichen. Detaillierte Aussagen zur soziologischen Struktur der Betroffenen sind nötig, um bei besonders gefährdeten Gruppen zielgerichtet ansetzen zu können.
- Spezielle Strategien sollen aufgezeigt werden, um diese wirklich von Verarmung gefährdeten Bevölkerungsteile zu informieren und über ihre Rechte aufzuklären. Der Bericht soll Vorschläge zu einer verbesserten Informationspolitik der Sozialhilfeträger bereitstellen.
- In dem Bericht sollen Vorschläge gemacht werden, wie das Bundessozialhilfegesetz modifiziert werden könnte, um Menschen die Einforderung ihres Anspruchs auf Sozialhilfe zu erleichtern.
- Ein spezieller Abschnitt des Berichts soll sich mit der Situation der Kinder und Jugendlichen in der „verdeckten Armut" befassen.
Bonn, den 22. Juni 1999
Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion
Begründung
Das Bundessozialhilfegesetz hat seit seiner Einführung in Deutschland 1961 die Armut in Deutschland erfolgreich bekämpft. Auch in den letzten Jahren hat die Sozialhilfe als letztes soziales Sicherungsnetz nicht nur gehalten, sondern auch entgegen vielen unberechtigten Vorwürfen die Kluft zwischen arm und reich nicht größer werden lassen. Nach einer Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin stieg von 1985 bis 1996 die reale Pro-Kopf-Kaufkraft - Preiserhöhungen gegengerechnet - um 19 %. Von diesem Kaufkraftanstieg profitierten alle Einkommensgruppen im gleichen Umfang, auch die untersten 5 % der Einkommenspyramide.
Dennoch darf nicht übersehen werden, daß die Zahl der Sozialhilfeempfänger zunimmt. Ein besonderes Alarmzeichen ist, daß sich unter den Empfängern immer mehr Kinder befinden. Daten und Erkenntnisse zur Bekämpfung dieser Entwicklung müssen wie bisher von den örtlichen Sozialhilfeträgern und den zuständigen Bundesbehörden gesammelt und ausgewertet werden. Die Erstellung eines nationalen Armuts- und Reichtumsberichtes ist jedoch wegen der bereits bestehenden großen Anzahl von Untersuchungen unnötig und würde trotz eines enormen administrativen Aufwands keine grundlegend neuen Erkenntnisse bringen.
Von der „verdeckten Armut" hingegen ist ein Personenkreis betroffen, der in keiner offiziellen Statistik geführt wird und damit in der öffentlichen Wahrnehmung auch nicht registriert wird. Nach Ansicht führender Wissenschaftler wurde die „verdeckte Armut" bislang nicht nur in der statistischen Erfassung vernachlässigt, sondern es wurden auch - im Vergleich zur relativen Einkommensarmut - kaum wissenschaftliche Studien dazu durchgeführt. Hier ist Abhilfe zu schaffen.

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