BT-Drucksache 14/1206

Wirtschaftlicher Ausgleich und Übergangsregelung für Duty-free

Vom 22. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1206
14. Wahlperiode

22. 06. 99

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Börnsen (Bönstrup), Dietrich Austermann, Otto
Bernhardt, Klaus Brähmig, Peter Harry Carstensen (Nordstrand), Thomas
Dörflinger, Hansjürgen Doss, Anke Eymer (Lübeck), Volker Rühe, Anita Schäfer,
Hans-Peter Repnik, Michael von Schmude, Max Straubinger, Angelika Volquartz,
Gert Willner, Peter Kurt Würzbach und der Fraktion der CDU/CSU

Wirtschaftlicher Ausgleich und Übergangsregelung für Duty-free

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Entscheidung, die Duty-free-Regelung zum 1. Juli dieses Jahres aus-
laufen zu lassen, ist jetzt unter deutscher Ratspräsidentschaft endgültig ge-
fallen. Im Ministerrat konnte die notwendige Einstimmigkeit für eine Ver-
längerung von Duty-free nicht erreicht werden. Dennoch hatte die
Bundesregierung und an ihrer Spitze der Bundeskanzler bis zuletzt den Ein-
druck erweckt, eine Verlängerung und damit die Sicherung der Arbeitsplät-
ze in der Duty-free-Branche sei durchaus möglich, sogar wahrscheinlich.
Alle, die auf die Glaubwürdigkeit und die Versprechen des deutschen Bun-
deskanzlers gesetzt hatten, sind bitter enttäuscht worden. Noch auf dem Eu-
ropäischen Rat in Wien im Dezember des vergangenen Jahres hatte der Bun-
deskanzler das Thema Duty-free zur „Chefsache“ erklärt, und in einer
Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage zu den ar-
beitsmarktpolitischen Zielen der Koalition vom 29. Dezember 1998 heißt es
wörtlich, es „müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um nicht
nur neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern zudem bestehende Arbeitsplät -
ze zu erhalten. Das gilt auch für die Arbeitsplätze in der Tax-free-Branche“.
Zum 1. Juli werden die Fahrpreise der Fährschiffe um bis zu 70 % angeho-
ben und damit für die Mehrzahl der Touristen nur schwer finanzierbar. Eine
ganze Wirtschaftsbranche steht vor dem ökonomischen Ende. Das gilt be-
sonders für den deutsch-skandinavischen Ostsee-Fährverkehr; und auch die
betroffenen Häfen erleiden nachhaltige Verluste.
Noch am 6. Juni 1997 hat sich der Deutsche Bundestag mit Stimmen der
Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. ein-
deutig „für eine Verlängerung des Duty-free-Handels über den 30. Juni 1999
hinaus“ ausgesprochen. In der Begründung heißt es dazu u.a., „Der Duty-
free-Handel sichert in Deutschland auf Flughäfen, auf Schiffen und Fähren
sowie bei Busunternehmen, Schiffsausrüstern und Werften schätzungsweise
rd. 10000 Arbeitsplätze [. . .] Der Duty-free-Handel leistet einen wichtigen
Beitrag zur touristischen Attraktivität in den betroffenen Küstenregionen.
Die touristischen Ausflugsfahrten stellen [. . .] ein regionaltypisches Erleb -

nisangebot dar, das in vielen Fällen ohne diese Regelung nicht existierte.
[. . .]Die Duty-free-Schiffahrt hat sich auch zu einem Betreuungsinstrument
für ältere Menschen entwickelt. Etwa eine Million Senioren nehmen regel -
mäßig an solchen Seefahrten teil, um soziale Kontakte zu pflegen. [. . .]Der
Duty-free-Handel sichert auch beim Einzelhandel [. . .] zusätzliche Umsät -
ze. Dies haben Erfahrungen in der schleswig-holsteinischen Landeshaupt -
stadt Kiel nachgewiesen.“
Das Versagen der Bundesregierung auf europäischer Ebene in dieser Frage
– trotz eindeutigen Votums des Deutschen Bundestages – trifft also nicht al-
lein die regionalen Arbeitsmärkte. Tourismus, soziale Kontakte älterer Men-
schen und die Städte der Küstenländer sind ebenfalls nachhaltig negativ be-
troffen. Nach Gewerkschaftsangaben bedeutet das Ende von Duty-free für
mehr als 10000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern deutschlandweit
den Verlust der beruflichen Existenz; 5700 Arbeitsplätze fallen allein in
Norddeutschland ersatzlos weg. In Europa verlieren nach eigenen Ein-
schätzung der Bundesregierung über 150000 Menschen ihre Erwerbstätig-
keit. Und das, obwohl die entscheidenden Probleme unterschiedlicher na-
tionaler Steuersysteme in der EU mit dem Wegfall von Duty-free überhaupt
nicht gelöst worden sind. Die endgültige Aufgabe von Duty-free, von Bun-
deskanzler Gerhard Schröder auf dem Kölner EU-Gipfel verkündet, erfolgt
zeitgleich mit der Ankündigung eines neuen europäischen Beschäftigungs-
paktes; welch ein politischer Widerspruch! Als 1992 entschieden wurde, den
zollfreien Warenverkauf einzuschränken und ihn ggf. im Juni 1999 auslau-
fen zu lassen, sollte dies eingebettet in einer europäischen Verbrauchssteu-
erharmonisierung geschehen. Jetzt wird Duty-free abgeschafft, und das
Steuerchaos bleibt bestehen. Die Verbrauchssteuersätze Europas reichen von
nur 1 % in Belgien bis 25% in Dänemark und Schweden. Die Harmonisie-
rung, die die Grundlage für das Ende von Duty-free sein sollte, ist in den
Ansätzen steckengeblieben. Unternehmer, die trotzdem weiter Handel trei-
ben wollen, müssen ab dem 1. Juli nicht nur die unterschiedlichen rechtli-
chen Besonderheiten in der Verbrauchsbesteuerung der einzelnen EU-Län-
der kennen, sondern diese auch in die Landesprachen übersetzen können.
Allein im Königreich Dänemark gibt es bereits sieben Produktgruppen, die
unterschiedlich besteuert werden; in ganz Europa sogar annähernd 100 un-
terschiedliche Regelungen. Die mittel- und langfristigen Folgen dieses
„Steuerdschungels“ für den innereuropäischen Warenaustausch sind heute
noch gar nicht absehbar. Das Ende der Duty-free-Regelung bedeutet daher
für viele betroffenen Menschen den Rückfall in die europäische Kleinstaa-
terei.
Gleichzeitig entstehen auch den einzelnen Staaten durch das Ende von Duty-
free volkswirtschaftliche Kosten in wesentlichem Umfang. Nach Angaben
der Bundesanstalt für Arbeit kostet ein Arbeitsloser in Deutschland rd.
30000 DM jährlich. Der Wegfall von Duty-free bedeutet damit allein für
Deutschland bei 10000 neuen Arbeitslosen Mehrkosten von über
300 Mio. DM pro Jahr! Die Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes kommt
den Steuerzahler noch wesentlich teurer zustehen. Nach EU-Schätzungen
kostet ein neuer Arbeitsplatz 70 000 Euro. Das entspricht rd. 140000 DM.
Umgerechnet auf „neue“ Arbeitsplätze würde dies Kosten in Höhe von
1,4 Mrd. DM verursachen. Dieser Wert bleibt aber weitgehend theoretisch,
weil die Mehrzahl der Arbeitsplatzverluste in den strukturschwachen Re-
gionen, z. B. im Norden Schleswig-Holsteins, entfallen und es dort weitge-
hend keine arbeitsmarktpolitischen Alternativen gibt.
Es ist widersinnig, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu vernichten und
gleichzeitig an anderer Stelle Steuergelder für die Schaffung der neuen Ar-
beitsplätze auszugeben. Verantwortung für diese Entwicklung trägt die Bun-

Drucksache 14/1206 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

desregierung, der eine Zustimmung der europäischen Partner für eine Ver-
längerung von Duty-free – trotz aller anderslautender Versprechen – nicht
gelungen ist. Gleichwohl hat man Sonderregelungen für die Kanarischen In-
seln in dieser Sache ebenso akzeptiert, wie die Ausnahmeregelungen für be-
stimmte Produkte aus dem Königreich Dänemark.
Erschwerend kommt noch hinzu, daß bislang keine praxisrelevanten Durch-
führungsbestimmungen für die Zeit nach dem Ende von Duty-free vorlie-
gen. Es gilt nunmehr, bilaterale Abkommen zu schließen, um den Unter-
nehmungen zumindest eine rechtsgültige Entscheidungsgrundlage zu
bieten. Hierzu erscheint eine mindestens sechsmonatige Übergangsfrist, die
den einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu Erarbeitung eines Regel-
werkes ermöglicht, ein angemessener Zeitraum.
Es ist jetzt eine vordringliche Aufgabe der Bundesregierung, durch schnel-
le, unbürokratische Entscheidungen die negativen Folgen der eigenen poli-
tischen Versäumnisse abzumildern. Dazu gehören finanzielle Ausgleichs-
maßnahmen für die besonders betroffenen Städte, Kreise und Kommunen,
für die mittelständische Wirtschaft vom Omnibus- bis zum Fährbetrieb, die
Tourismusbranche und die Entwicklung geeigneter Umschulungsprojekte
für die Menschen vor Ort ebenso, wie die Verabschiedung praxisbezogener
Durchführungsbestimmungen und die Einrichtung einer sechsmonatigen
Übergangsfrist für Duty-free-Verkäufe.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
1. eine sechsmonatige Übergangsfrist für Duty-free zu erwirken. Nur so

wird den europäischen Regierungen die Chance zur Verabschiedung ge-
eigneter gesetzlicher Regelungen, die ein vollständiges Erliegen der Ver-
kaufstätigkeit in der ehemaligen Duty-free-Branche vermeiden, ermög-
licht;

2. alles zu unternehmen, um die von der EU-Kommission in Aussicht ge-
stellten Mittel aus den europäischen Strukturfonds zur Förderung der
strukturschwachen Regionen in den deutschen Bundesländern zu si-
chern, die vom Wegfall von Duty-free besonders betroffen sind. Hierzu
gehört insbesondere die Unterstützung der Einreichung geeigneter An-
träge seitens der zuständigen Landesregierungen bei der EU-Kommis-
sion. Dem Deutschen Bundestag ist bis Ende des Jahres ein diesbezüg-
licher Bericht vorzulegen;

3. die Europäische Kommission zu bitten, noch in diesem Jahr ein erstes
Gutachten über die arbeitsmarkt-, wachstums- und sozialpolitischen Fol-
gen des Wegfalls der Duty-free-Regelung vorzulegen;

4. ausreichend Mittel im Bundeshaushalt zur Milderung der sozialen Fol-
gen des Wegfalls von Duty-free bereitzustellen und ein Sofortprogramm
zum Ausgleich der negativen Folgen, die durch das Ende von Duty-free
in den strukturschwachen Regionen entstehen, unter Einbeziehung der
betroffenen Bundesländer in den kommenden drei Monaten vorzulegen;

5. noch unter deutscher Ratspräsidentschaft Gespräche mit den europäi-
schen Nachbarn zur Verabschiedung geeigneter Durchführungsverord-
nungen aufzunehmen, um die z. T. erheblichen Unterschiede bei der Be-
steuerung von Branntwein, Tabak und Mineralöl abzubauen;

6. darzulegen, welche Auswirkungen der Wegfall von Duty-free für die re-
gionalen Tourismusbranchen haben wird und was die Bundesregierung
zur Abfederung der Auswirkungen zu tun gedenkt;

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/1206

7. vor dem Hintergrund einer möglichen Abwanderung der Duty-free-Un-
ternehmungen in die osteuropäischen Staaten im Rahmen der EU-Oster-
weiterung dafür zu sorgen, daß die entsprechenden Regelungen der EU
in den beitretenden Ländern unverzüglich in vollem Umfang in Kraft
treten.

Bonn, den 22. Juni 1999
Wolfgang Börnsen (Bönstrup)
Dietrich Austermann
Otto Bernhardt
Klaus Brähmig
Peter Harry Carstensen (Nordstrand)
Thomas Dörflinger
Hansjürgen Doss
Anke Eymer (Lübeck)
Volker Rühe
Anita Schäfer
Hans-Peter Repnik
Michael von Schmude
Max Straubinger
Angelika Volquartz
Gert Willner
Peter Kurt Würzbach
Dr. Wolfgang Schäuble, Michael Glos und Fraktion

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