BT-Drucksache 14/1158

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - 14/347, 14/348 - Agrarbericht 1999, Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung

Vom 16. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1158
14. Wahlperiode
16. 06. 99
Entschließungsantrag
derAbgeordneten MatthiasWeisheit, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Christel Deichmann, Iris Follak, Reinhold Hemker, Gustav Herzog, Marianne Klappert, Helga Kühn-Mengel, Werner Labsch, Karsten Schönfeld, Jella Teuchner, Heino Wiese (Hannover), Waltraud Wolff (Zielitz), Heide Wright, Dr. Peter Struck und der Fraktion derSPD, Ulrike Höfken, Steffi Lemke, Kerstin Müller(Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksachen 14/347 und 14/348 (Materialband) -
Agrarbericht 1999
Agrar- und ernährungspolitischer Bericht der Bundesregierung
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
• Die Gewinne der landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebe sind im Wirtschaftsjahr 1997/98 von einem niedrigen Niveau ausgehend leicht angestiegen, für das laufende Wirtschaftsjahr 1998/99 zeichnet sich jedoch ein Rückgang um 2 bis 6 % ab. Sie sind nach wie vor weit geringer als in der gewerblichen Wirtschaft.
• Wie bereits in den vergangenen Jahren zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen den Betriebsformen und den Betriebsgrößenklassen:
- Den stärksten Gewinnanstieg verzeichneten 1997/98 die Futterbaubetriebe. Diese Betriebe müssen gegenwärtig aber wiederum sinkende Milchpreise verkraften und sind nach wie vor am unteren Ende der Einkommensskala zu finden. Ihre Entwicklungsmöglichkeiten sind durch die Politik der Mengenregulierung der früheren Bundesregierung, insbesondere durch die 1984 auf Betreiben der damaligen Bundesregierung eingeführte Milchquotenregelung, sehr begrenzt.
- Hohe Einkommenseinbußen mußten die Gemischtbetriebe und die Veredlungsbetriebe hinnehmen, weil es bei Ferkeln und Mastschweinen zu einem erheblichen Preisrückgang gekommen ist. Da es in diesem Bereich nur eine Marktorganisation mit geringer Eingriffsintensität gibt, wirken sich marktwirtschaftliche Mechanismen unmittelbar auf die Einkommen aus.
- Nur geringe Veränderungen zeigen sich bei der Einkommensentwicklung der Marktfruchtbetriebe, die nach wie vor die höchsten Einkommen in der Landwirtschaft erwirtschaften können.
- Nicht nur die Betriebsausrichtung, auch die Betriebsgröße, die natürlichen Standortbedingungen und vor allem die Qualifikation und das unternehmerische Geschick führen dazu, daß die Einkommensunterschiede in der Landwirtschaft sehr groß sind und weiter ansteigen. Während die Einkommen in 37 % der Haupterwerbsbetriebe kaum ausreichen, den Lebensunterhalt zu bestreiten, oder sogar negativ sind, stieg der Anteil der Haupterwerbsbetriebe mit einem Gewinn von 80 000 DM und mehr auf knapp ein Viertel an; nur diese Betriebe konnten in ausreichendem Umfang Eigenkapital bilden und Nettoinvestitionen vornehmen.
• Die Wettbewerbssituation der deutschen Landwirtschaft im EU-Binnenmarkt und auf den krisengeschüttelten Weltmärkten für Agrarpro-dukte ist nach wie vor schwierig. Immer noch bestehen große Schwächen in der Verarbeitungs- und Vermarktungsstruktur.
• Die positive Entwicklung bei den landwirtschaftlichen Arbeitnehmern in den alten Bundesländern ist zu begrüßen; in den neuen Bundesländern ist der Arbeitsplatzabbau zum Stillstand gekommen. Hier bedarf es weiterer Initiativen.
• Der agrarstrukturelle Wandel und die damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Folgen bedeuten für viele bäuerliche Familien den Verlust der landwirtschaftlichen Existenz und Suche nach neuen Einkommensmöglichkeiten. Insbesondere für Frauen im ländlichen Raum bieten sich nur geringe Erwerbschancen.
• Es zeigt sich erneut, daß die deutsche Agrarpolitik in den letzten Jahren unzureichend auf die Herausforderungen der Zukunft reagiert hat. Notwendige Weichenstellungen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Erreichung des Ziels einer umweltverträglichen, flächendeckenden Landbewirtschaftung, zur Entwicklung der Dörfer und zur Stärkung der ländlichen Räume, sind bislang noch unzureichend erfolgt.
Der Deutsche Bundestag stellt weiterhin fest:
Die neue Bundesregierung hat wieder Bewegung in die Agrarpolitik gebracht. Sie hat in ihrer EU-Präsidentschaft mit den Beschlüssen der EU-Staats- und Regierungschefs vom März 1999 wesentliche Grundlagen für die zukünftige Gemeinsame Agrarpolitik geschaffen. Die Agrarausgaben werden begrenzt, und es werden Rahmenbedingungen geschaffen, die eine Perspektive für die landwirtschaftlichen Unternehmen eröffnen.
Die Beschlüsse haben darüber hinaus die Position der EU bei den bevorstehenden WTO-Verhandlungen verbessert und erleichtern die Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern. Sie eröffnen Möglichkeiten der nationalen Umsetzung, die eine stärkere Ausrichtung am Ziel einer wettbewerbsfähigen, umweltverträglichen Landwirtschaft erlauben.
Die neue Bundesregierung will in der Agrarpolitik einen aktiven Beitrag zur Verwirklichung der Ziele der Agenda 21 und der anderen internationalen Übereinkommen der Rio-Konferenz leisten. Die Belange der Umwelt und einer nachhaltigen Entwicklung sollen im Sinne des Amsterdamer Vertrags in die Agrarpolitik integriert werden. Die Reduzierung der Luftschadstoffe und der Versauerung der Böden, die Verminderung der Treibhausgasemissionen, eine weitere Verminderung der Nährstoff- und Pflanzenschutzmit-
telbelastung der Gewässer und die Erhaltung der biologischen Vielfalt sind dabei wichtige Ziele.
Die Bundesregierung hat in vielen Bereichen neue Akzente gesetzt:
• Um dem Verbraucher- und Umweltschutz besser Rechnung zu tragen und dem Ziel einer umweltverträglichen Agrarproduktion, die gesunde Lebensmittel hervorbringt, näher zu kommen, wurden verschiedene Futtermittelzusatzstoffe EU-weit verboten und die Kontrolle der Verwendung bestimmter Tierarzneimittel verschärft.
• Über die Regelungen für die ökologische Tierhaltung konnte in der EU grundsätzlich eine Einigung erzielt werden, die endgültige Verabschiedung wurde eingeleitet. Damit wird den Prinzipien des ökologischen Landbaus auch bei der Erzeugung tierischer Produkte Rechnung getragen. Erfreulich ist auch, daß erste Schritte eingeleitet wurden, um die ökologische Erzeugung insgesamt zu stärken, insbesondere durch verstärkte Absatz- und Vermarktungsförderung für ökologisch erzeugte Produkte.
• Die Bundesregierung hat trotz der schwierigen Haushaltssituation die Bundesmittel für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" stabil gehalten. Zusammen mit den Ländern sollen neue Schwerpunkte gesetzt werden, die die Landwirtschaft und die ländlichen Räume stärken, die Landwirtschaft in ihrem strukturellen Wandel unterstützen und die Beschäftigung in den ländlichen Regionen zu sichern imstande sind.
• Zu begrüßen ist die verstärkte Förderung derjenigen Produktlinien unter den nachwachsenden Rohstoffen, die für die Umwelt besonders positive Beiträge leisten können. Das neue Markteinführungsprogramm für Erneuerbare Energien im Rahmen der Ökologischen Steuerreform ist ein erster Schritt in diese Richtung.
• Die Bundesregierung hat Initiativen zur EU-weiten Verbesserung der Legehennenhaltung eingeleitet, damit die Käfighaltung abgeschafft und Mindestanforderungen für eine artgerechte Tierhaltung durchgesetzt werden. Der Tierschutz soll durch Aufnahme ins Grundgesetz verfassungsrechtlich gestärkt werden.
• In der gemeinsamen Fischereipolitik setzt die Bundesregierung die Bemühungen um den Wiederaufbau und die Erhaltung der Fischbestände fort. Eine nachhaltig gesicherte Fischerei soll sich vor allem an am Vorsorgeansatz orientierten Fangmengen, besseren technischen Erhaltungsmaßnahmen, dem Verbot der Treibnetzfischerei und einer effizienteren Fischereikontrolle ausrichten. Das weltweite Verbot des kommerziellen Walfangs (Moratorium) ist in jedem Fall aufrecht zu erhalten, solange nicht die Überprüfung des Moratoriums durch die Internationale Walfangkommission (IWC) abgeschlossen ist. Zusätzlich soll der Schutz der Walbestände durch ein Verbot des internationalen Handels mit Walerzeugnissen sichergestellt werden. Die Ausweisung weiterer Schutzgebiete für Wale wird auf wissenschaftlicher Grundlage in Betracht gezogen.
• Durch die Absenkung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung wurden zum 1. April 1999 auch die Beiträge zur Alterssicherung der Landwirte vermindert. Die Verbesserungen im Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund des Solidaritätsstärkungsgesetzes kommen auch den Versicherten der landwirtschaftlichen Krankenkassen zugute. Die in Vorbereitung befindliche Gesundheitsreform 2000 hat zum Ziel, eine gute Versorgung der
Versicherten auf qualitativ hohem Niveau sicherzustellen, gleichzeitig aber auch die Beitragssätze dauerhaft zu stabilisieren.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
• den mit der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik im Rahmen der Agenda 2000 bereits beschrittenen Weg weiterzuführen und die Rahmenbedingungen für eine international wettbewerbsfähige, umweltverträgliche und tierschutzgerechte Landbewirtschaftung, die sich am Prinzip der Nachhaltigkeit orientiert und weitestgehend flächendeckend erfolgt, in Deutschland und in der EU weiter zu verbessern;
• die durch die Beschlüsse der Agenda 2000 eröffneten Möglichkeiten der nationalen Umsetzung in diesem Sinne zu nutzen:
- Durch die fakultative Aufhebung der Flächenbindung wird die Möglichkeit eröffnet, die Position der aktiven Milcherzeuger zu stärken. Der Deutsche Bundestag erwartet, daß diese Möglichkeiten mit dem Ziel genutzt werden, z. B. durch Einführung eines Lieferrechtsmodells die Kosten der Quotenregelung für die Bewirtschafter spürbar zu senken. Deutschland muß sich in der EU für ein Auslaufen der geltenden Quotenregelung nach dem Jahr 2006 einsetzen. Gleichzeitig sollen die Möglichkeiten zur Stärkung der Grünlandstandorte ausgeschöpft werden, z. B. durch Schaffung einer Grünlandprämie.
- Die im Rahmen der horizontalen Verordnung geschaffenen Möglichkeiten müssen genutzt werden, um dem Ziel einer wettbewerbsfähigen, umweltverträglichen Landwirtschaft und stabiler, lebenswerter ländlicher Räume näher zu kommen.
- Umweltrelevante Vorschriften müssen einen höheren Stellenwert bekommen und besser durchgesetzt werden. Verstöße dagegen müssen durch bundeseinheitliche Vorschriften angemessen sanktioniert werden. Dies muß gleichgewichtig in allen Ländern der EU erfolgen, bis hin zu EU-weiten Umweltstandards.
- Es muß geprüft werden, ob durch die Modulation von Ausgleichszahlungen die Beschäftigung in den ländlichen Räumen gestärkt werden kann;
• die Land- und Forstwirtschaft in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben
- Erzeugung von Qualitätsprodukten, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und Pflege und Erhalt der Kulturlandschaft - erfüllen zu können. Dazu müssen integrierte Ansätze entwickelt werden, die die multifunktionale Rolle der Landwirtschaft und die Entwicklung der Dörfer und der ländlichen Räume in den Mittelpunkt stellen;
• die Förderung der ländlichen Entwicklung zu verstärken bzw. zielgerichteter auszugestalten. Die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" (GAK) sollte durch entsprechende Finanzausstattung einen Beitrag dazu leisten, die verfügbaren EU-Mittel in Anspruch zu nehmen und in Deutschland eine flächendeckende, integrierte Förderung einer umwelt- und naturverträglichen ländlichen Entwicklung sicherzustellen und die regionale Verarbeitung und Vermarktung zu fördern. Der ökologische Landbau ist dabei verstärkt zu berücksichtigen. Die EU-Mittel und die Mittel der GAK müssen künftig auch einen stärkeren Beitrag zur Schaffung alternativer Einkommensquellen in den ländlichen Regionen leisten;
• in künftigen Agrarberichten die Erwerbs- und Lebenssituation von Frauen im ländlichen Raum differenzierter darzustellen;
• bei den anstehenden WTO-Verhandlungen und im Hinblick auf die EU-Osterweiterung sich mit Nachdruck dafür einzusetzen, daß die in der EU erreichten ökologischen, sozialen und hygienischen Standards abgesichert werden. Es kann nicht hingenommen werden, wenn durch zunehmende Liberalisierung und Globalisierung der Agrarmärkte die nachhaltige und flächendeckende Landbewirtschaftung zunehmend unter Druck gerät und Verbraucherinteressen wie auch Umwelt- und Naturschutzinteressen zurück bleiben müssen;
• die unterschiedlichen Strukturen in Ost und West, Nord und Süd auch weiterhin in der Agrarpolitik zu berücksichtigen und Lösungen zu finden, die diesen verschiedenen Strukturen gerecht werden. Die im Flächenerwerbsprogramm vorgesehenen Erwerbsmöglichkeiten sind so an die EU-rechtlichen Vorgaben anzupassen, daß sie weiterhin auch die Interessen der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe in den neuen Ländern angemessen berücksichtigen und eine stabile Entwicklung ermöglichen. Durch die Verlängerung langfristiger Pachtverträge und eine befriedigende Altschulden-Regelung muß die Planungssicherheit für die ostdeutsche Landwirtschaft verbessert werden;
• sich auf europäischer Ebene für eine Verbesserung des Verbraucher- und Umweltschutzes einzusetzen, indem aus dem aktuellen, noch nicht vollständig aufgeklärten Dioxin-Skandal im Bereich Tierfutter die notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Klare Vorschriften, offene Deklaration und Herkunftsbezeichnung, strenge Kontrollen und hohe Strafen bei Verstößen sind notwendig, um das Vorsorgeprinzip im Ge-sundheits- und Umweltschutz durchzusetzen und um das Vertrauen der Verbraucher in die Nahrungsmittelproduktion zu stärken;
• den Umwelt- und Naturschutz im Agrarbereich weiter zu verbessern. Die Agrarumweltprogramme sind - im Rahmen des finanziell Machbaren - auszubauen: Besondere Leistungen der landwirtschaftlichen Betriebe für den Umwelt- und Naturschutz müssen angemessen entlohnt werden. Die Information und Beratung der Landwirte über die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer ökologisch verantwortlichen Produktion und energie- und kostensparende Verhaltensweise sind zu verbessern und auszubauen;
• eine Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz zu unterstützen und sich für die Verbesserung der Haltungsbedingungen in der Nutztierhaltung einzusetzen. Auf EU-Ebene sind die Verhandlungen über die artgerechte Tierhaltung mit Nachdruck fortzuführen. Ziel bleibt weiter die EU-weite Abschaffung der Käfighaltung von Legehennen. Außerdem sind in Brüssel Verhandlungen über eine weitere, über die geltende EU-Regelung hinausgehende Verkürzung der Transportzeiten für Tiere aufzunehmen;
• alsbald unter Berücksichtigung des Vorschlags des Bundesrechnungshofes ein Konzept für die zukunftsweisende Neugestaltung der Organisationen der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vorzulegen, mit dem die Verwaltung wirtschaftlich optimiert und der Einfluß des Bundes angesichts seines bedeutenden finanziellen Engagements gestärkt wird.
Bonn, den 16. Juni 1999
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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