BT-Drucksache 14/1127

Der Tod eines abgelehnten sudanesischen Asylbewerbers bei der Abschiebung und Beschwerden von Ausländern über Beamte des Bundesgrenzschutzes

Vom 2. Juni 1999


Deutscher Bundestag
14. Wahlperiode

Drucksache 14/1127
02. 06. 99

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS

Der Tod eines abgelehnten sudanesischen Asylbewerbers bei der Abschiebung und
Beschwerden von Ausländern über Beamte des Bundesgrenzschutzes

Am 28. Mai 1999 starb laut dpa der 30jährige Sudanese A. an Bord der
Lufthansa-Maschine LH 588 auf dem Flug von Frankfurt/Main nach
Kairo. A. sollte über Ägypten in den Sudan abgeschoben werden. Nach
Angaben der Beamten des Bundesgrenzschutzes (BGS) soll er sich heftig
gegen seine Abschiebung gewehrt haben, weshalb sie ihm einenMotorrad-
helm aufsetzten, ihn an Händen und Füßen fesselten und beim Start seinen
Kopf nach unten drückten. Während dieser Prozedur starb A.

Innerhalb einesMonats ist dies der zweite Todesfall bei einer Abschiebung
aus Europa. Am 1. Mai 1999 war der Nigerianer M. O. auf einem Flug von
Wien nach Sofia gestorben, nachdem Polizisten ihn gefesselt und mit Kle-
beband geknebelt hatten. Obduktionsergebnissen einer bulgarischen Be-
hörde zufolge erstickte der 25jährige („Wiener Zeitung“ vom 28. Mai
1999 und DER SPIEGEL vom 29. Mai 1999).

Zu einem sogenanntenUnglücksfall war es im März im Flughafengebäude
in Kloten (Schweiz) gekommen, wo „ein palästinensischer Schubhäftling
tot zusammenbrach.“ (Der Standard, 28. Mai 1999).

Schon in den vergangenen Jahren kam es zu Toten bei der Abschiebung.
Am 22. September 1998 starb die 20jährige Nigerianerin S. A. bei dem
Versuch, sie aus Belgien auf dem Luftweg nach Togo abzuschieben. Auch
sie hatte sich heftig gegen ihre Abschiebung gewehrt. Sie sollte mit einem
Kissen ruhiggestellt werden, fiel in Koma und starb nach zehn Stunden
vermutlich an einer Gehirnblutung (ap vom 25. September 1998 und Pro
Asyl vom 30. August 1998).

Aber auch in Deutschland ist es nicht der erste Todesfall. Am 30. August
1994 starb der Nigerianer K. B. in einer Lufthansa-Maschine auf dem Flug-
hafen Rhein-Main. Er wurde von vier BGS-Beamten mit Gewalt auf dem
Sitz gehalten. Obwohl er bereits an Händen, Füßen und Knien gefesselt
war, spannten ihm die Beamten noch einen Gurt um die Brust und zwäng-
ten ihm einen Knebel in den Mund (off limits, Nr. 13, April 1996).

Immer wieder kommt es zu Vorwürfen gegen BGS-Beamte, die sich ge-
waltsamer Übergriffe auf Ausländer schuldig machen sollen. Eine Kleine
Anfrage der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag erbrachte, daß
es 1998 mindestens 15 massive Übergriffe gegeben habe. Der Vorsitzende
des Arbeitskreises Asyl spricht von schweren Menschenrechtsverletzun-

gen: „Erst vor zwei Wochen wurde der 25jährige Kurde F. U. nach eigenen
Angaben bei seiner Abschiebung in die Türkei vonmehreren Beamtenmit
Faustschlägen und Elektroschocks gequält.“ Die Vorwürfe richten sich ge-
gen 16 BGS-Beamte, „die für die Rückführung der Abschiebehäftlinge
zuständig sind. 16 von insgesamt 300 BGS-Beamten am Flughafen.“ Trotz
massiver Vorwürfe sei bislang nicht ein einziger BGS-Beamter versetzt
oder zumindest bis zum Abschluß der Untersuchungen vom Dienst sus-
pendiert worden (Express, Köln, Düsseldorf, 29. Mai 1999).

Längst wurden Konsequenzen gefordert. Die Flüchtlingsorganisation Pro
Asyl hatte bereits 1998 gefordert, daß das Bundesministerium des Innern
den BGS offiziell anweisen müsse, „daß es bei Abschiebungen nicht mehr
zu Gewaltanwendung, Mißhandlung und dem unverhältnismäßigen Ein-
satz von Zwangsmitteln kommen dürfe.“

Zudem forderte ein Sprecher von Pro Asyl „einen unbegrenzten Zugang
von Nichtregierungsorganisationen zu den Gewahrsamzellen, in denen ab-
gelehnte Asylbewerber auf ihre Abschiebung warten. Damit solle das
Bundesministerium des Innern einer Forderung der UN-Menschenrechts-
kommission nachkommen, die die Öffnung der Zellen für Organisationen
und Kirchen verlange. Allein in den Jahren 1996 und 1997 seien mehr als
100 Ermittlungsverfahren gegen BGS-Beamte eingeleitet worden, die mei-
sten wegen Gewaltanwendung gegenüber Asylbewerbern. Eine Verurtei-
lung sei ihm aber in keinem der Fälle bekannt, sagte der Sprecher.

Zu Gewaltanwendungen komme es jedoch immer wieder. Allein am Flug-
hafen in Frankfurt am Main seien ihm bis zu zehn Fälle bekannt, in denen
sich Asylbewerber über BGS-Beamte beschwert hätten. Bei einer Klage
aber hätten diese Menschen keine Aussichten auf einen Erfolg (ap vom
25. September 1998). Die einzige Konsequenz, die der Bundesminister
des Innern, Otto Schily, nach dem Tod von M. O. gezogen hatte, war,
„eine Überprüfung aller Verfahren“ anzuordnen, „an denen Beamte des
Bundesgrenzschutzes beteiligt waren.“ Es mußte erst zu einem neuen To-
desfall kommen, um die „Rückführungen auf dem Luftweg“ bei „erwar-
teten Widerstandshandlungen“ auszusetzen (ap vom 29. Mai 1999).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie ist die Abschiebung des Sudanesen A. im einzelnen verlaufen?

a) Wie lange dauerte der von BGS-Beamten durchgeführte Transport
von A. zum Flugzeug?

b) Wurde hierbei Gewalt angewendet, und wenn ja, in welcher Weise,
und wurde er hier schon gefesselt?

c) Wie verhielten sich die BGS-Beamten als sie merkten, daß A. in
Lebensgefahr schwebte?

Was genau taten sie?

d) Wann wurden die im Flugzeug befindlichen Ärzte zu Hilfe geholt?

e) Was genau unternahmen diese Ärzte?

2. Welche Fesselungs- und Knebelungsmethoden werden in welchen
Situationen von wem angewandt, und gibt es außer Motorradhelmen
noch andere Formen, Flüchtlinge am Beißen zu hindern?

Wenn ja, welche und wann bzw. in welcher Situation werden sie ange-
wandt?

Drucksache 14/1127 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode– 2 –

3. Sind der Bundesregierung außer den oben genannten weitere Fälle
bekannt, bei denen abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber
im Zuge ihrer Abschiebung ums Leben kamen bzw. schwere körper-
liche Schäden erlitten?

Wenn ja, welche?

4. Wurde A. medikamentös behandelt, und wenn ja, wann wurden ihm
welche Medikamente in welcher Menge zugeführt?

5. Wird es Ermittlungsverfahren gegen die beteiligten BGS-Beamten
oder gegen andere an der Abschiebung beteiligte Personen geben?

Wenn nein, warum nicht?

6. Werden dienstrechtliche Schritte gegen die beteiligten Beamten ein-
geleitet?

Wenn nein, warum nicht?

Hat dann der Vorfall für die Beamten andere Konsequenzen, und
wenn ja, welche?

7. Warum wurden vom Bundesminister des Innern, Otto Schily, nicht di-
rekt nach dem Tod des Nigerianers M. O. die Abschiebungen ausge-
setzt, bei denen es zu „erwarteten Widerstandshandlungen“ kommt?

8. Zu wie vielen Abschiebungen auf dem Luftweg kam es seit dem Tod
von K. B. 1994 bis 1999 (bitte getrennt nach Jahr, Bundesland und
Geschlecht aufführen)?

9. Bei wie vielen Personen kam es zu Widerstandshandlungen?

a) In wie vielen Fällen wurde die Abschiebung ausgesetzt?

b) Wie viele Abschiebungen wurden ausgesetzt, weil sich andere Pas-
sagiere beschwert haben?

c) Wie viele Abschiebungen wurden ausgesetzt, weil sich das Flug-
personal geweigert hat, die Flüchtlinge zu transportieren?

d) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, daß die Widerstands-
handlungen besonders heftig sind, wenn die Personen in ein Bür-
gerkriegsland abgeschoben werden sollen?

10. a) In wie vielen Fällen wurde die Abschiebung trotzdem vollzogen?

b) In wie vielen Fällen wurden die Personen geknebelt, gefesselt oder
anderweitig ruhiggestellt, undmitwelchenHilfsmitteln geschahdies?

c) Zu welchem Zeitpunkt wurden diese Mittel wieder entfernt

— direkt nach dem Start,

— während des Fluges (und wenn ja, wann)

— oder erst nach der Landung?

d) Wie viele Personen wurden bei den Abschiebungen verletzt?

e) Welche Verletzungen trugen sie davon

(Bitte jeweils ab 1994 getrennt nach Jahr, Bundesland und Geschlecht
aufführen.)?

11. Ist gewährleistet, daß eine Ärztin oder ein Arzt den Flug begleitet,
wenn es bei Abschiebungen zu Verletzungen kommen kann?

Wenn nein, warum nicht?

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12. Werden die Flüchtlinge vor dem Abflug ärztlich untersucht, und wenn
nein, warum nicht?

13. Ist der Bundesregierung bekannt, ob in Polizei- oder Bundesgrenz-
schutzkreisen ein härteres Umgehen mit Personen in Kauf genommen
wird, denen kriminelle Handlungen zur Last gelegt werden?

14. a) Wie viele Beschwerden hat es von 1994 bis 1999 wegen Übergriffen
und Mißhandlungen von Ausländern durch Beamte des BGS ge-
geben?

b) Wie wurde diesen Beschwerden nachgegangen?

c) Welche Konsequenzen hatte das für die Beamten?

d) In wie vielen Fällen wurde von dienstrechtlichen Konsequenzen für
die Beamten abgesehen?

e) Werden Beamte während der Überprüfung der Beschwerden zu ei-
nem anderen Arbeitsbereich versetzt und wenn nein, warum nicht

(Bitte jeweils getrennt nach Jahr und Bundesland.)?

15. Gibt es für Beamte des Bundesgrenzschutzes, die Abschiebungen be-
gleiten müssen, besondere Vorbereitungskurse oder andere Ausbil-
dungsmaßnahmen, um sie für diese Arbeit zu befähigen?

a) Wenn ja, wie sehen diese aus?

b) Wenn nein, warum nicht?

16. Ist das Bundesministerium des Innern der Forderung der UN-Men-
schenrechtskommission nachgekommen, die Zellen der Abschiebe-
häftlinge für Organisationen und Kirchen zu öffnen?

Wenn nein, warum nicht, und ist eine Änderung vorgesehen?

17. Gibt es eine Zusammenarbeit zwischen den europäischen Innenmini-
stern, um die Mindeststandards zur Sicherheit der Flüchtlinge bei der
Abschiebung zu gewährleisten?

a) Wenn nein, warum nicht?

b) Wenn ja, welche?

Bonn, den 1. Juni 1999

Ulla Jelpke
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 14/1127 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode– 4 –

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