BT-Drucksache 14/1110

Wanderarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland

Vom 2. Juni 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1110
14. Wahlperiode

02. 06. 99

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau und der Fraktion der PDS

Wanderarbeiter in der Bundesrepublik Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland hat seit 1991 mit der Republik Polen ein
Abkommen über die Beschäftigung von Vertragsarbeitnehmern. Danach
kann ein festgelegtes Kontingent von Arbeitnehmern aus Polen als sog.
Werkvertragsarbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten. In
den folgenden Jahren wurden ähnliche Abkommen mit Ungarn, Tschechi-
en, der Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Slowenien, Estland, Li-
tauen, Albanien und auch der Türkei abgeschlossen („Vorwärts und nicht
vergessen . . . Zur Situation der neuen WanderarbeiterInnen“, in: analyse &
kritik Nr. 413 vom 9. April 1998, S. 6 f.).
Werkvertragsarbeitnehmer dürfen nicht direkt von einem deutschen Arbeit-
geber angestellt werden, sondern werden als Beschäftigte einer ausländi-
schen Firma für höchstens zwei bis drei Jahre nach Deutschland entsandt.
Das heißt, für diese Arbeitnehmer gilt das Arbeits- und Tarifrecht des Hei-
matlandes. Hier soll die ausländische Firma als Subunternehmer eines hie-
sigen Auftraggebers mit den Werkvertragsarbeitnehmern einen festumris-
senen Auftrag – ein sog. Werk – ausführen.
In der ZDF-Sendung „Länderspiegel“ vom 15.Mai 1999 wurde am Beispiel
des Neubaus der ICE-Verbindung Köln–Rhein–Main berichtet, daß auf ICE-
Baustellen Rumänen oft für nur 3 DM die Stunde arbeiten. „Die Arbeiter
würden um über 100 Mio. DM geprellt. Etwa die gleiche Summe entginge
den deutschen Sozialsystemen und Finanzämtern.“
1991 führte das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA)
für den Abschluß der Abkommen folgende Gründe an:
– die Möglichkeit, kurzfristig den Bedarf deutscher Firmen nach auslän-

dischen Arbeitskräften decken zu können und gleichzeitig deren dauer-
hafte Zuwanderung umgehen zu können,

– die Erwartung, durch die Schaffung einer begrenzten Zahl von legalen
Arbeitsmöglichkeiten für Angehörige aus den mittelosteuropäischen
(MOE) Staaten den Wanderungsdruck aus diesen Ländern zu verrin-
gern.

Mittlerweile werden vom BMA folgende Gründe genannt:
– Heranführung der MOE-Staaten an Westeuropa – Solidarität mit den

MOE-Staaten,
– Hilfe zur Selbsthilfe: Vermittlung von Know-how für Unternehmen und

Arbeitnehmer zum Aufbau des eigenen Landes,

– Förderung der wirtschaftlichen Beziehungen („Vorwärts und nicht ver-
gessen . . . Zur Situation der neuen WanderarbeiterInnen“, in: analyse &
kritik Nr. 413 vom 9. April 1998, S. 6 f.).

Im Gegensatz zu früheren Arbeitsmigranten haben die Werkvertragsarbei-
ter keine vergleichbaren soziale Rechte, wie z.B. Familienzusammen-
führung. Im Falle einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung – so sind Fäl-
le bekannt, wo die Arbeitgeber keinen Lohn zahlen wollten –, liegt aufgrund
der vertraglichen Bedingungen der Gerichtsstand im Herkunftsland der be-
troffenen Werkvertragsarbeitnehmer.
Bereits 1990 verabschiedete die VN eine „Konvention zum Schutz aller Wan-
derarbeiter und ihrer Familienangehörigen“. Damit wurde ein umfassender
Rechtsschutz für Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter – auch solcher
ohne Papiere – beschlossen. Die Konvention verdient vor allem deshalb
Beachtung, weil alle Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer, die über Werk-
verträge, sei es als Selbständige, Werkvertragsarbeitnehmer oder Grenz-
gänger, in die Bundesrepublik Deutschland kommen, als Wanderarbeitneh-
merinnen und Wanderarbeitnehmer betrachtet werden.
In dieser VN-Konvention ist u.a. vorgesehen, daß Wanderarbeiter hinsicht-
lich
– Arbeitsentgelt und anderen Arbeitsbedingungen, z. B. Überstunden,

wöchentliche Ruhezeiten und Arbeitsschutz (§ 25),
– sozialer Sicherheit (§ 27),
– gesundheitlicher Versorgung (§ 28)
„die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Staates“ erhal-
ten. Auch wird Kindern von Wanderarbeitern das „grundlegende Recht auf
Zugang zur Bildung“ (§ 30) zugestanden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wann wurden die Abkommen über die Beschäftigung von Vertragsar-
beitnehmern mit den Ländern Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowa-
kei, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Slowenien, Estland, Litauen, Al-
banien und der Türkei abgeschlossen?

2. Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Polen, Ungarn,
Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Slowenien,
Estland, Litauen, Albanien und der Türkei sind als Werkvertragsarbeit-
nehmer in der Bundesrepublik Deutschland (bitte nach Land, Geschlecht
und Anzahl auflisten)?

3. Wie viele Werkvertragsarbeitnehmerinnen und Werkvertragsarbeitneh-
mer aus Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Bulgari-
en, Kroatien, Slowenien, Estland, Litauen, Albanien und der Türkei wa-
ren in den Jahren seit 1991 in der Bundesrepublik Deutschland
beschäftigt (bitte nach Anzahl, Geschlecht und Jahren auflisten)?

4. In welchen wirtschaftlichen Sektoren waren Werkvertragsarbeitnehme-
rinnen und Werkvertragsarbeitnehmer beschäftigt (bitte nach Sektor und
Anzahl auflisten)?

5. Wie hoch sind die Löhne der Werkvertragsarbeitnehmerinnen und Werk-
vertragsarbeitnehmer im Vergleich zu den Tariflöhnen der jeweiligen
Branche (bitte nach Branche und Durchschnittslöhnen auflisten)?

Drucksache 14/1110 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

6. Welcher volkswirtschaftlicher Schaden entsteht durch die Werkver-
tragsabkommen hinsichtlich
– Verminderung der Steuereinnahmen,
– Verminderung der Einnahmen der sozialen Systeme?

7. Trifft es zu, daß die Bundesregierung oder Teile von ihr für die Ein-
führung einer Übergangsregelung hinsichtlich der Freizügigkeit der Ar-
beitnehmer aus den mitteleuropäischen Beitrittskandidaten der EU Po-
len, Tschechien und Ungarn eintreten?

8. Welche Schritte will die Bundesregierung unternehmen, um die rechtli-
che und soziale Situation von Werkvertragsarbeitnehmern in der Bun-
desrepublik Deutschland anderen Arbeitnehmern ausländischer Her-
kunft gleichzustellen?

9. Welche Gründe kann die Bundesregierung anführen, die der Unter-
zeichnung der VN-Konvention über den Schutz der Rechte aller Ar-
beitsmigranten und ihrer Familien (International convention on the pro-
tection of the rights of all migrant workers and members of their families,
A/RES/45/158) von 1990 entgegenstehen?

10. Beabsichtigt die Bundesregierung Gründe, die der Ratifizierung der
Konvention im Wege stehen, zu beseitigen und die Konvention in ab-
sehbarer Zeit zu ratifizieren?
Wenn ja, wann?

11. Welche europäischen Staaten haben wann die o.g. Konvention ratifi-
ziert?

Bonn, den 27. Mai 1999
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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