BT-Drucksache 14/1083

Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtursachen als Asylgrund

Vom 27. Mai 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/1083 vom 27.05.1999

Antrag der Fraktion der PDS Anerkennung geschlechtsspezifischer
Fluchtursachen als Asylgrund =

27.05.1999 - 1083

14/1083

Antrag
der Abgeordneten Petra Bläss, Ulla Jelpke, Petra Pau, Christina Schenk,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS
Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtursachen als Asylgrund

Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Frauen sind weltweit von geschlechtsspezifischen Formen von Verfolgung
betroffen. Bekannteste Form ist die Verfolgung durch sexualisierte
Gewalt. Sie wird in kriegerischen Konflikten gezielt eingesetzt, um
ganze Bevölkerungsgruppen zu treffen.
Sexualisierte Gewalt wird aber auch als gezielte Maßnahme zur
individuellen Verfolgung von Frauen durch staatliche und
nichtstaatliche Verfolgungsinstanzen genutzt. Geschlechtsspezifische
Fluchtgründe finden weder im Asylrecht nach Artikel 16 a GG noch in den
Abschiebeschutzbestimmungen des Ausländergesetzes Berücksichtigung.
Das deutsche Asyl- und Ausländerrecht geht von einer rigiden Auslegung
des Verfolgungsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) aus.
Die Genfer Flüchtlingskonvention definiert Flüchtlinge als Personen,
die "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse,
Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen
Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des
Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz
dieses Landes nicht in Anspruch nehmen will; . . ." (Artikel 1 Abs. 2
GFK).
In der Bundesrepublik Deutschland wird als verfolgt und damit als
Flüchtling nur anerkannt, wer glaubhaft machen kann, daß die Verfolgung
aus politischen Gründen durch den Staat, staatsnahe Institutionen oder
mit staatlicher Duldung erfolgt.
Unter diesen Flüchtlingsbegriff fallen viele Frauen nicht.
Frauen fliehen aus vielen Gründen:
- wie Männer vor "klassischer" politischer Verfolgung wegen
Betätigung in oppositioneller Weise;
- weil sie wegen politischer Betätigung ihrer männlichen Verwandten
Verfolgungsmaßnahmen, meist mit sexueller Gewalt verbunden, erleiden
mußten;
- wegen sexualisierter Übergriffe und Gewalttaten;
- wegen drohender Genitalverstümmelung;
- wegen drohender Zwangsabtreibung insbesondere weiblicher Föten;
- wegen drohender Zwangssterilisation;
- wegen drohender Zwangsverheiratung;
- wegen drohender Verfolgungsmaßnahmen bis hin zur Tötung nach
Verletzung der "Familienehre" oder Verstößen gegen für Frauen rigide
Bekleidungs- und Verhaltensregeln z. B. in islamistischen Ländern wie
dem Iran, Afghanistan;
- wegen gezielt gegen Frauen verhängten Berufs- und Arbeitsverboten.
Frauenrechte sind Menschenrechte. Frauen- und
Menschenrechtskonventionen bestätigen dies ebenso wie internationale
Erklärungen und Konferenzen. Damit hat jede Frau in der Welt wie jeder
Mann ein Recht auf körperliche und seelische Integrität. Verletzungen
dieses Rechts z. B. durch sexuelle Gewalt oder durch Verstümmelung der
Geschlechtsorgane sind Menschenrechtsverletzungen.
a) Die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking hat 1995 eine Resolution
verabschiedet, in der die Staaten der Welt aufgefordert werden,
Möglichkeiten zu prüfen, "diejenigen Frauen als Flüchtlinge
anzuerkennen, deren Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
sich auf die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen stützt,
die in dem Abkommen von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
und in dem dazugehörigen Protokoll aus dem Jahr 1967 aufgeführt sind,
namentlich Verfolgung in Form von sexueller Gewalt oder anderer Formen
der Verfolgung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit."
b) Schon 1984 hat sich das Europäische Parlament in einer Resolution
dafür verwandt, Frauen als Flüchtlinge wegen ihrer Zugehörigkeit zu
einer bestimmten sozialen Gruppe nach der GFK anzuerkennen, wenn sie
wegen Verstößen gegen moralische oder ethische Regeln ihrer
Herkunftsgesellschaften verfolgt werden.
c) Das Exekutivkomitee des UNHCR appellierte 1985 erstmals an die
Mitgliedstaaten der VN, sich die "Interpretation zu eigen zu machen,
daß weibliche Asylsuchende, die harte oder unmenschliche Behandlung zu
erwarten haben, weil sie gegen den sozialen Sittenkodex in der
Gesellschaft, in der sie leben, verstoßen haben, eine besondere Gruppe"
im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention darstellen (Exekutivkomitee-
Beschluß Nummer 39). 1993 beschloß das Exekutivkomitee in einer
zusätzlichen Erklärung, daß Personen als Flüchtlinge anerkannt werden
sollten, deren Anspruch auf den Flüchtlingsstatus aus begründeter
Furcht vor Verfolgung durch sexualisierte Gewalt wegen ihrer Rasse,
Religion, Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung basiert
(Exekutivkomitee-Beschluß Nummer 73).
d) Der Deutsche Bundestag beschloß 1990 einen von Frauen aller damals
im Parlament vertretenen Fraktionen initiierten Antrag, in dem die
Bundesregierung aufgefordert wurde, "eine ausdrückliche Klarstellung
ins Asylverfahrensgesetz aufzunehmen, wonach auch wegen ihres
Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgte Frauen Asyl
genießen" (Drucksache 11/4150).
Die von der Bundesregierung in ihren Koalitionsvereinbarungen geäußerte
Absicht, die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung in die
Verordnungen zur Ausführung des Ausländergesetzes aufzunehmen, reicht
nicht aus. Notwendig sind auch gesetzliche Änderungen, die klar
stellen, daß geschlechtsspezifische Verfolgung auch dann vorliegen
kann, wenn sie nicht vom Staat oder staatsförmigen Institutionen
ausgeht.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:
1. die von ihr mitgetragenen Beschlüsse 39 und 73 des UNHCR-
Exekutivkomitees sowie den entsprechenden Beschluß der
Weltfrauenkonferenz 1995 gesetzlich umzusetzen und für eine
entsprechende Auslegung des § 51 des Ausländergesetzes Sorge zu tragen.
Danach sind Frauen, die in ihrem Herkunftsland harte oder unmenschliche
Behandlung zu erwarten haben, weil sie gegen den sozialen Sittenkodex
ihrer Herkunftsgesellschaft verstoßen haben, als "bestimmte soziale
Gruppe" im Sinne der GFK anzusehen und fallen deshalb unter die
Schutzbestimmungen des § 51 Ausländergesetz (AuslG);
2. einen Gesetzentwurf einzubringen, der klarstellt,
a) daß geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe einen Rechtsanspruch
nach § 3 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) darstellen (Rechtsstellung
sonstiger politisch Verfolgter/§ 51 AuslG),
b) daß Frauen, die durch sexualisierte Gewalt wegen ihrer ethnischen
Herkunft, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten
sozialen Gruppe oder wegen der politischen Überzeugung verfolgt werden,
als gefährdet im Sinne von § 51 AuslG anzusehen sind und deshalb
Anspruch auf den Rechtsstatus nach § 3 AsylVfG haben;
3. das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl)
anzuweisen, daß Frauen, denen in ihren Herkunftsländern eine Gefährdung
für Leib, Leben oder Freiheit aufgrund geschlechtsspezifischer
Menschenrechtsverletzungen oder sexueller Gewalt droht, Abschiebeschutz
nach § 53 AuslG zu gewähren ist;
4. im Einvernehmen mit den Ländern Abschiebeschutzregelungen für
Gruppen verfolgter Frauen zu erlassen;
5. einen Gesetzentwurf zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes
einzubringen, der dafür Sorge trägt, daß geschlechtsspezifische
Verfolgungserlebnisse in den Asylverfahren selbst Anerkennung und
Berücksichtigung finden.
O Dazu ist der § 24 AsylVfG derart zu ergänzen, daß das Bundesamt
für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verpflichtet wird zu
prüfen, ob eine Gefährdung von Frauen durch geschlechtsbezogene
Verfolgungsakte begründet oder erhöht wird oder ob die Verfolgung an
eine Ungleichbehandlung von Mann und Frau anknüpft, sie fördert oder
sich zunutze macht.
O Asylverfahren von Frauen sollen grundsätzlich von
Einzelentscheiderinnen durchgeführt werden, dabei sollen die Frauen
getrennt von ihren männlichen Familienmitgliedern befragt werden. Die
Sprachvermittlung hat ebenfalls durch weibliche Dolmetscherinnen zu
erfolgen. Den Asylbewerberinnen ist aber ein Widerspruchsrecht gegen
die Befragung durch Frauen und die von männlichen Familienangehörigen
getrennte Anhörung einzuräumen.
O In Asylverfahren geschlechtsspezifisch verfolgter Frauen sind auch
solche Einlassungen zu den Fluchtgründen zu berücksichtigen, die erst
nach der ersten Anhörung vorgebracht wurden. Dies trägt der Tatsache
Rechnung, daß vergewaltigte und traumatisierte Frauen oft erst nach
geraumer Zeit über ihre schrecklichen Erlebnisse sprechen können. Der §
25 AsylVfG ist entsprechend zu ergänzen.
O Für Frauen ist bereits vor der Anhörung neben einer
asylrechtlichen Beratung, auch eine psychosoziale Betreuung zu
gewährleisten, um feststellen zu können, ob geschlechtsspezifische
Verfolgung und damit verbundene Traumatisierungen vorliegen. Im
Asylverfahren und in möglichen späteren Gerichtsverfahren sind diese
Erkenntnisse zwingend zu berücksichtigen;
7. die in den USA, Kanada und der Schweiz erlassenen Richtlinien für
die Anhörung geschlechtsspezifisch verfolgter Frauen auf ihre
Anwendbarkeit im bundesdeutschen Asylverfahren hin zu prüfen;
8. die in Österreich und den Niederlanden geltenden Regelungen zur
Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung auf ihre Übernahme in
bundesdeutsches Recht zu prüfen und einen entsprechenden Gesetzentwurf
vorzulegen;
9. in der asylrechtlichen Zusammenarbeit im EU-Rahmen darauf
hinzuwirken, daß staatliche und nichtstaatliche geschlechtsspezifische
Verfolgung einheitlich als Asyl- und Aufnahmegrund anerkannt wird.
Bonn, den 18. Mai 1999
Petra Bläss
Ulla Jelpke
Petra Pau
Christina Schenk
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

27.05.1999 nnnn

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