BT-Drucksache 14/1082

Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf Autobahnen

Vom 27. Mai 1999


Deutscher Bundestag: Drucksache 14/1082 vom 27.05.1999

Antrag der Fraktion der PDS Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h
auf Autobahnen =

27.05.1999 - 1082

14/1082

Antrag
der Abgeordneten Dr. Winfried Wolf, Christine Ostrowski, Dr. Gregor
Gysi
und der Fraktion der PDS
Geschwindigkeitsbegrenzung auf 130 km/h auf Autobahnen

Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige europäische Land,
welches auf seinen Autobahnen noch keine Geschwindigkeitsbegrenzung
eingeführt hat. In fast allen OECD-Staaten leisten
Geschwindigkeitsbeschränkungen einen Beitrag zum Umweltschutz, zum
angepaßten Fahrverhalten und zur Verkehrssicherheit. Deshalb fordern
sowohl Europäische Kommission als auch das Europaparlament die
Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen.
Die aufkommende Mode wilder Straßenrennen und die hohe
Risikobereitschaft vor allem junger Männer am Steuer zeigen, daß
überhöhte Geschwindigkeiten im Straßenverkehr offenbar als statushebend
erlebt werden. Die massive Gefährdung anderer gilt als Kavaliersdelikt.
In dieser Situation kann ein Gemeinwesen nur dann verantwortlich
handeln, wenn es ein klares politisches Signal setzt.
Es ist höchste Zeit, aggressive Autofahrende vor sich selbst, vor allem
aber auch Unbeteiligte zu schützen. Gerade die Mehrheit der
Autofahrerinnen und Autofahrer, die sich im Straßenverkehr vorsichtig
und verantwortungsvoll bewegen, haben einen Anspruch auf Schutz ihres
Lebens und ihrer körperlichen Unversehrtheit.
Allerdings ist klar, daß die umfangreichen mit dem Straßenverkehr
verbundenen Probleme, wie Verminderung des verkehrsbedingten
Schadstoffausstoßes, Reduzierung der Lärmbelastung, Erhöhung der
Verkehrssicherheit nicht durch eine einzige Maßnahme gelöst werden
können. Die Bedeutung von Geschwindigkeitsbegrenzungen zum Erreichen
dieser Ziele wird jedoch oft unterschätzt.
Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen und sonstigen Straßen sind
als Beitrag zur Verkehrssicherheit, zum Umweltschutz, zur
Harmonisierung und notwendigen Zivilisierung des Autoverkehrs
notwendig.
Die Bundesregierung wird aufgefordert,
umgehend einen Entwurf für eine Änderung der §§ 3 und 18 der
Straßenverkehrsordnung (StVO) folgenden Inhalts vorzulegen:
§ 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe c und (neu) Nr. 3 sowie § 18 Abs. 5 Nr. 4
(neu): Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt auch unter
günstigsten Umständen auf Autobahnen für Personenwagen sowie für andere
Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht bis 2,8 t 130 km/h.
Für andere Kraftfahrzeuge gelten die bisherigen Bestimmungen weiter.
Bonn, den 6. Mai 1999
Dr. Winfried Wolf
Christine Ostrowski
Dr. Gregor Gysi und Fraktion
Begründung
1. Zur geringeren Unfallgefahr durch Tempolimits
Die Fahrgeschwindigkeit eines Fahrzeugs beeinflußt sowohl die
Wahrscheinlichkeit einer Kollision mit anderen Verkehrsteilnehmern als
auch die Schwere der auftretenden Unfallfolgen. Die kinetische Energie
eines Fahrzeugs, von der sowohl Bremsweg als auch die
Zerstörungswirkungen beim Aufprall abhängen, steigt mit dem Quadrat der
Fahrgeschwindigkeit. Die Anhaltewege betragen bei Tempo 150 rd. 150 m,
bei Tempo 130 rd. 120 m, bei Tempo 100 "nur" noch rd. 80 m.
Auf Bundesautobahnen sind 64 % der Getöteten, 60 % der Schwerverletzten
und 59 % der Leichtverletzten auf denjenigen Abschnitten zu beklagen,
auf denen keinerlei Tempovorschrift existiert, obgleich solche
Abschnitte nur einen kleinen Teil des gesamten BAB-Netzes ausmachen.
Seit Jahrzehnten gibt es in verschiedenen Ländern die Erfahrung von
stark reduzierten Unfällen mit Personenschaden im Fall der Einführung
von Geschwindigkeitsbeschränkungen - und umgekehrt, so z. B. in den
USA. In Texas stieg 1996 die Zahl der Unfalltoten auf den Autobahnen
nach der Anhebung des Tempolimits von 104 auf 120 km/h (65 bzw. 70
Meilen pro Stunde) von 3 172 auf 3 715, was einer Steigerung von 17 %
entspricht. Bis dahin war seit 1980 die Zahl ständig zurückgegangen.
Innerhalb der EU haben nur Portugal, Belgien und Österreich mehr
Straßenverkehrsunfälle mit Personenschaden zu beklagen (gemessen je 100
000 Einwohner). Alle anderen Länder liegen erheblich unter den
deutschen Werten. In Schweden z. B. gab es 1996 6,1 Getötete im
Straßenverkehr je 100 000 Einwohner, in der Bundesrepublik Deutschland
jedoch 10,7. Neben Alkohol am Steuer (auch hier liegt die
Bundesrepublik Deutschland mit 0,8 Promille als zulässiger Obergrenze
am oberen Ende der Skala) ist nicht angepaßte Geschwindigkeit die
Hauptunfallursache.
2. Lärmminderung durch Geschwindigkeitsbegrenzungen
80 Millionen Menschen sind in Europa nach Angaben der EU-Kommission
gesundheitsschädlichen Lärmpegeln ausgesetzt. Durch Straßenverkehrslärm
fühlt sich über 70 % der bundesdeutschen Bevölkerung belästigt. Das
lärmbedingte Infarktrisiko ist nach allen vorliegenden medizinischen
Erkenntnissen mit dem Krebsrisiko durch verkehrsbedingte
Luftschadstoffe gleichzusetzen oder sogar noch höher.
Ein Tempolimit leistet einen wichtigen Beitrag zur Reduktion des
verkehrsbedingten Lärms. Beim Kfz-Verkehr dominieren die Rollgeräusche
gegenüber den Motorgeräuschen. Dabei bedeuten bei Autobahnfahrten 10
km/h weniger Geschwindigkeit eine Halbierung des Lärms. Zwar sind in
den letzten Jahren erhebliche Fortschritte bei der Entwicklung leiserer
Motoren gemacht worden, doch wurde dieser Fortschritt durch den Trend
zu breiten Reifen mit hohen Rollgeräuschen wieder zunichte gemacht.
Obwohl die Bekämpfung des Verkehrslärms - ähnlich wie bei der
verkehrsbedingten Luftverschmutzung - nur im Rahmen eines integrierten
Konzepts realisiert werden kann, stellen Geschwindigkeitsbegrenzungen
in beiden Fällen doch einen erheblichen Beitrag zur Zielerreichung dar.
3. Besserer Verkehrsfluß und effizientere Nutzung der Infrastruktur
Tempolimits sorgen dafür, daß der Verkehrsfluß ruhiger ist und die
Geschwindigkeitsunterschiede zwischen den verschiedenen Fahrzeugen
gering sind. Dadurch werden die Kapazitäten der Straßen besser genutzt.
Staus aufgrund hoher Geschwindigkeitsunterschiede bleiben aus. Das
Verkehrsgeschehen wird insgesamt weniger hektisch und aggressiv. Das
Rivalitäts-, Stärke- und Imponiergehabe im Straßenverkehr wird
zurückgedrängt. Gemäßigte Autofahrerinnen und Autofahrer, die Mehrheit
der Autobenutzer, werden vom Druck der aggressiv auffahrenden
Schnellfahrer befreit und nicht mehr im Vorankommen gehindert.
Der bessere Verkehrsfluß sorgt im allgemeinen dafür, daß mögliche
Zeitverluste durch geringere Geschwindigkeiten wieder egalisiert
werden. Bei stark befahrenen Streckenabschnitten sind sogar
Reisezeitgewinne zu verzeichnen, da die durchschnittliche
Geschwindigkeit und damit die Systemgeschwindigkeit ansteigt. Ohnehin
sind die erzielbaren Reisezeitgewinne durch hohe
Spitzengeschwindigkeiten gering. Selbst wenn es gelingt, über eine
Entfernung von 50 km hinweg eine Dauerfahrgeschwindigkeit von 150 km/h
durchzuhalten, beträgt der Fahrzeitgewinn gegenüber einer
Geschwindigkeit von 130 km/h nur 3 Minuten, gegenüber einer
Geschwindigkeit von 100 km/h nur 10 Minuten.
4. Weniger Mineralölverbrauch und besserer Schutz der Umwelt durch
Geschwindigkeitsbegrenzungen
Jeder Autofahrer weiß aus eigener Erfahrung, daß schnelles Fahren zu
höherem Kraftstoffverbrauch führt als gleichmäßiges und langsames
Fahren. Somit leistet ein Tempolimit einen Beitrag zum Schutz der
Umwelt. Dies wäre auch dann noch der Fall, wenn alle Pkw mit G-Kats
ausgerüstet sind, denn die Entlastungswirkungen der Kats werden beim
jetzigen Verkehrstrend durch erhöhte Fahrleistungen und
leistungsstärkere Fahrzeuge stark relativiert. Eine solche
Relativierung der Katalysatorwirkung wird auch durch die extreme
Beanspruchung aufgrund der stark wechselnden Geschwindigkeiten im Fall
des Fehlens eines Tempolimits bewirkt. Die Emissionen anderer
Schadstoffe wie Dioxin, Cyanid und Formaldehyd könnten durch ein
Tempolimit ebenso vermindert werden wie die Folgen des Fahrbahn-,
Reifen- und Bremsabriebs.
Einen besonderen Beitrag leistet ein Tempolimit zum Klimaschutz, denn
gegen die Emissionen des Klimagases CO2 können keine technischen
Vorkehrungen getroffen werden. Die CO2-Emissionen des Kfz-Verkehrs
haben in den letzten Jahren anteilmäßig an den gesamten CO2-Emissionen
und absolut zugenommen; von 154,1 Mio. t im Jahre 1991 auf 160,2 Mio. t
im Jahre 1996. Eine Verminderung dieser Schadstoffemissionen ist nur
möglich durch Reduktionen von Geschwindigkeiten, der gefahrenen
Kilometer und die Konstruktion verbrauchsärmerer Fahrzeuge. Die Menge
der emittierten Schadstoffe ist proportional zum Kraftstoffverbrauch
und wächst deshalb in höheren Geschwindigkeitsbereichen ab 100 km/h
stark an.
5. Finanzielle Entlastungen und geringerer Flächenverbrauch im
Straßenbau
Circa 5 % der Fläche der Bundesrepublik Deutschland sind
Verkehrsflächen, Tendenz rasch steigend. Ein erheblicher Teil dieses
Flächenverbrauchs geht auf das Konto hoher und unterschiedlicher
Geschwindigkeiten, weil dafür ein hoher seitlicher Sicherheitsabstand
nötig ist und die Trassierungsparameter, insbesondere die Kurvenradien,
darauf abgestimmt sein müssen. Verminderte Geschwindigkeit erlaubt auch
eine sparsamere Auslegung von Straßen. Auf zahlreiche kostspielige und
flächenintensive Bauvorhaben könnte durch eine intelligente
Verkehrsorganisation mit Hilfe eines Tempolimits verzichtet werden. Die
Breite der Fahrstreifen kann von derzeit 3,75 m auf das international
übliche Maß von 3,50 m reduziert werden. Geringere Kurvenradien
erlauben eine besser an die Topographie angepaßte Trassierung. Neben
einem nochmals verringerten Flächenverbrauch ist so auch eine
erhebliche finanzielle Entlastung des Bundes zu erwarten, da nicht nur
die Kosten für Flächenerwerb - derzeit rd. 270 Mio. DM jährlich allein
für Bundesautobahnen - verringert werden, auch bei Kunstbauten ist mit
beträchtlichen Kostenreduzierungen in Bau und Unterhalt zu rechnen.
6. Europäische Harmonisierung durch Geschwindigkeitsbegrenzung
Die Bundesrepublik Deutschland ist in Sachen Geschwindigkeitsbegrenzung
international isoliert. In keinem anderen Land der Welt mit relevantem
Kfz-Verkehr gibt es eine nach oben offene Raserskala. Selbst - oder
gerade - im führenden Autoland USA gelten strenge
Geschwindigkeitsregelungen. Die Absicht der rotgrünen Koalitionäre, die
Frage der Geschwindigkeitsbegrenzung im Rahmen einer europäischen
Harmonisierung zu klären, erfolgt nach der Devise "Haltet den Dieb".
Denn eine solche "Harmonisierung" kann nur mit dieser einen Maßnahme
erzielt werden: die unverzügliche Einführung einer
Geschwindigkeitsbegrenzung auf deutschen Autobahnen - es sei denn, die
Bundesregierung wollte eine Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzungen
in allen übrigen Staaten durchsetzen.
Auch mit einem Tempolimit von 130 km/h befände sich die Bundesrepublik
Deutschland noch am oberen Ende der Geschwindigkeitsskala. EU-weit sind
nur in Frankreich, Italien und Österreich 130 km/h zulässig, in den
anderen Ländern liegt die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei 110 oder
120 km/h (Vereinigtes Königreich und Irland 70 mph gleich 112 km/h). In
verschiedenen Ländern außerhalb der EU sind sogar
Maximalgeschwindigkeiten unter 100 km/h üblich. Ein erheblicher Teil
der oben aufgeführten Entlastungseffekte tritt erst bei solchen
Begrenzungen auf 100 km/h oder weniger ein. Es wäre zu begrüßen, wenn
die Bundesregierung eine europäische Harmonisierung auf diesem Niveau
anstreben oder erreichen würde. Eine Einführung von Tempo 130 auf
deutschen Autobahnen ist jedoch das absolute Mindestmaß, um zumindest
einen ersten Schritt zu mehr Verkehrssicherheit, ökologisch
verträglicherem Verkehr und geringeren Kosten zu tun.
7. Geschwindigkeitsbegrenzungen in der Geschichte
Zu Beginn des Automobilverkehrs waren Höchstgeschwindigkeiten von 12
bis 15 km/h selbstverständlich. Noch 1923 hielt der 4. Internationale
Straßenkongreß auf besonders ausgebauten, ausschließlich dem
Kraftverkehr vorbehaltenen Straßen eine Höchstgeschwindigkeit von nicht
mehr als 45 km/h für vertretbar. Das Ende aller Tempolimits kam 1934:
Die nationalsozialistische Regierung hob die bestehenden Tempolimits
auf. Nachdem der ökonomische Zwang der Kriegswirtschaft bald eine
Wiederkehr scharfer Begrenzungen brachte (Tempo 80 auf Autobahnen),
führte die bundesrepublikanische Regierung 1952 wieder Tempofreiheit
auf Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung ein. In der DDR galt
stets eine Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen von 100 km/h. Die
Aufhebung dieser Begrenzung trug 1990 mit zu den steil ansteigenden
Unfallzahlen bei.
Umfragen haben nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in
Westdeutschland stets breite Mehrheiten für ein Tempolimit ergeben.
Selbst der unermüdlich gegen Tempolimits wetternde ADAC mußte 1984
zugeben, daß ein Drittel seiner Mitglieder gesetzliche
Geschwindigkeitsbegrenzungen befürworte. Laut Mitteilung des
Umweltbundesamtes sprachen sich 1992 in einer repräsentativen Umfrage
72 % der Befragten für Geschwindigkeitsbeschränkungen aus, im Westen
auf 120 km/h, im Osten etwas darunter.
In jüngster Zeit hat die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen einen
Antrag im Deutschen Bundestag eingebracht, der Tempo 100 auf Autobahnen
fordert (Drucksache 13/8767). Der niedersächsische Ministerpräsident
Gerhard Schröder erklärte 1992: "Das Tempolimit ist ein Gebot der
Vernunft. Nun wird es hoffentlich auch der verkehrspolitischen
Betonriege in der Bundesregierung klar sein: Die Zeit der unbegrenzten
Raserei auf Deutschlands Autobahnen ist vorbei. Wir brauchen eine
Rückkehr zum menschlichen Maß."

27.05.1999 nnnn

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