BT-Drucksache 14/1035

Bewertung der Lage im Kosovo durch das Auswärtige Amt

Vom 7. Mai 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/1035
14. Wahlperiode

07. 05. 99

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau und der Fraktion der PDS

Bewertung der Lage im Kosovo durch das Auswärtige Amt

Die „Frankfurter Rundschau“ vom 30. April 1999 schreibt:
„Das Bonner Außenministerium hat seine Einschätzung zur Lage der Ko-
sovo-Albaner revidiert. Staatsminister Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) sagte am Donnerstag der Frankfurter Rundschau, er habe
,angewiesen, den Lagebericht offiziell aus dem Verkehr zu ziehen‘. Das Pa-
pier ,entsprach nicht der empirischen Wahrheit, sondern war aus innenpoli-
tischen Gründen von der alten Regierung so verfaßt worden‘, sagte Volmer
zur Begründung. Er deutete damit den Vorwurf an, daß seine Vorgänger ihre
Einschätzung an dem Ziel orientiert haben könnten, möglichst viele Asyl-
bewerber abzulehnen.
Die Lageberichte des Auswärtigen Amtes dienen bei Asylverfahren als Ent-
scheidungsgrundlage. In der vergangenen Woche hatte die Organisation ,Ju-
risten gegen atomare, biologische und chemische Waffen‘ aus dem Text zu
Jugoslawien zitiert: ,In Kosovo selbst hat sich die schwierige humanitäre Si-
tuation etwas entspannt.‘ Die Juristen legten am Donnerstag zusätzlich Aus-
züge aus einem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländi-
scher Flüchtlinge vor, in dem es nach ihren Angaben heißt: ,Kosovo-Albaner
unterliegen bei ihrer Rückkehr ins Heimatland weiterhin keiner Gruppen-
verfolgung.‘ Dieser Text, der sich letztlich ebenfalls auf Lageberichte des
Außenministeriums stützte, wurde den Angaben zufolge am 17. März ver-
faßt, genau eine Woche vor den Nato-Bombardements, die Bonn mit Ver-
folgung und Vertreibung der Kosovo-Albaner begründet.
Staatsminister Volmer sagte, die Juristenvereinigung zitiere die Texte des
Auswärtigen Amtes ,äußerst selektiv‘. Auch der zurückliegende Lagebe-
richt sei trotz seiner Mängel ,in eine völlig andere Richtung‘ gegangen und
habe die Probleme der Kosovo-Albaner durchaus benannt.
Auf die Frage, warum der Lagebericht nicht schon früher zurückgezogen
wurde, sagte Volmer, man sei ,stillschweigend davon ausgegangen, daß Ge-
richte ihn nicht mehr zugrunde legen‘. Dies sei auch von Landesjustiz-
behörden bestätigt worden. Nachdem es aber ,Hinweise‘ gebe, ,daß einzel-
ne Richter sich immer noch auf den nicht mehr adäquaten Bericht bezogen‘,
habe man die Einschätzung aus dem Verkehr gezogen. Ein neues Papier wer-
de es zunächst nicht geben, weil die zuständigen Beamten wegen des Krie-
ges in Kosovo ,überlastet‘ seien, sagte Volmer.
Der alte Bericht stammte vom 18. November, war also schon in der Amts-
zeit Volmers und des ebenfalls bündnisgrünen Außenministers Joschka Fi-
scher entstanden. Der Staatsminister betonte aber, es handele sich nur um

eine auf Beamtenebene entstandene Fortschreibung eines Textes aus den
Zeiten der Regierung Kohl.“ (Frankfurter Rundschau, 30. April 1999)
Das „ARD-Morgenmagazin“ berichtete am 30. April 1999 von einem
Schreiben des Auswärtigen Amts vom Januar dieses Jahres an ein Gericht,
in dem es heißt: „Albanischen Volkszugehörigen droht in der Bundesrepu-
blik Jugoslawien keine politische Verfolgung, die explizit an die Volkszu-
gehörigkeit anknüpfen würde.“
Das „ARD-Morgenmagazin“ zitiert den Bundesminister des Auswärtigen,
Joseph Fischer, von einer Pressekonferenz vom 31. März 1999, auf der er
zu den Kriegszielen der jugoslawischen Regierung sagte: „Die Zivilbevöl-
kerung ist das Kriegsziel, und dieses ist ein verbrecherisches Kriegsziel.“
Das „ARD-Morgenmagazin“ äußert dazu: „Auch die jugoslawischen
Kriegsziele wurden in Fischers Ministerium völlig anders eingeschätzt.
,Nach Erkenntnis des Auswärtigen Amtes sind die Maßnahmen der Sicher-
heitskräfte in erster Linie auf die Bekämpfung der UCK gerichtet, die unter
Einsatz terroristischer Mittel für die Unabhängigkeit des Kosovo, nach An-
gaben einiger ihrer Sprecher sogar für die Schaffung eines Groß-Albanien
kämpft‘.“ (ARD-Morgenmagazin, 30. April 1999)
Das „ARD-Morgenmagazin“ berichtete, daß noch am 17.März dieses Jah-
res mit den Dokumenten aus dem Auswärtigen Amt die Ablehnung von
Asylgesuchen von Kosovo-Albanern von Gerichten begründet wurde. In
einem solchen Bescheid war zu lesen: „Kosovo-Albaner unterliegen bei ihrer
Rückkehr ins Heimatland weiterhin keiner Gruppenverfolgung“.
Ein Richter eines betroffenen Gerichtes wird vom „ARD-Morgenmagazin“
mit folgenden Worten zitiert: „Wenn das zutreffend wäre, was zur Recht-
fertigung der NATO-Luftangriffe gesagt wird, daß nämlich systematische
Menschenrechtsverletzungen, ethnische Säuberungen, Völkermord im Ko-
sovo stattgefunden hat, dann wären die amtlichen Auskünfte, die im Asyl-
verfahren erteilt worden sind bis Mitte März 99, nicht haltbar, dann wären
die Urteile, die auf der Grundlage ergangen sind, falsch, den Asylbewerbern
wäre Unrecht geschehen. Umgekehrt, wenn die amtlichen Auskünfte in ei-
nem Asylverfahren, die von seiten des Auswärtigen Amtes erteilt worden
sind, zutreffend waren und sind, dann wären die öffentlichen Rechtferti-
gungen für die NATO-Luftangriffe nicht zu halten. Das ist ein Fall, der von
seiten des Parlaments aufgeklärt werden muß, dem die Öffentlichkeit nach-
gehen muß.“ (ARD-Morgenmagazin, 30. April 1999)

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Lageberichte wurden vom Auswärtigen Amt wann und mit wel-
chen Aussagen zur Bundesrepublik Jugoslawien und zum Kosovo ver-
faßt?

2. Tr e ffen Pressemeldungen zu, nach denen Staatsminister Dr. Ludger Vo l-
mer die Einschätzung des jüngsten Lageberichts rev i d i e rt hat und „ange-
wiesen“ habe, diesen „Lagebericht offiziell aus dem Ve r kehr zu ziehen“?

3. Trifft es zu, daß Staatsminister Dr.Ludger Volmer gegenüber der „Frank-
furter Rundschau“ äußerte, daß der Lagebericht „nicht der empirischen
Wahrheit entsprach“, sondern aus „innenpolitischen Gründen von der
alten Regierung so verfaßt worden“ sei?
Wenn ja:
– Wann und mit welcher inhaltlichen Zielrichtung wurde dieser Be-

richt verfaßt?

Drucksache 14/1035 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

– Wer hat eine derartige Abfassung veranlaßt?
– Wer hat die Fortschreibungen dieses Berichtes wann veranlaßt?
– Wann genau wurde dieser Bericht aus dem Verkehr gezogen?
– Weshalb hat die Bundesregierung erst Ende April 1999 den Lage-

bericht aus dem Verkehr gezogen?
4. Wie viele Asylanträge wurden seit dem 18. November 1998 von Koso-
vo-Albanerinnen und -Albanern gestellt, und wie viele dieser Asyl-
anträge sind aufgrund dieses offenbar „nicht der empirischen Wahrheit“
entsprechenden Lageberichts abgelehnt worden (bitte die Ablehnungen
prozentual und numerisch nach Monaten auflisten)?
a) Wie viele Kosovo-Albanerinnen und -Albaner sind seit dem 18. No-

vember 1998 abgeschoben bzw. des Landes verwiesen worden?
b) Wie viele Kosovo-Albanerinnen und -Albaner sind seit dem 1. Ja-

nuar 1995 abgeschoben bzw. des Landes verwiesen worden (bitte
nach Jahren auflisten)?

5. Gedenkt die Bundesregierung eine Aufhebung der auf Grundlage die-
ses offenbar „nicht der empirischen Wahrheit“ entsprechenden Lagebe-
richtes ergangenen Asylbescheide gegen Kosovo-Albanerinnen und -Al-
baner herbeizuführen, und wenn ja, wie?

6. Hat die Bundesregierung begonnen, andere Lageberichte über andere
Länder zu prüfen, ob sie der „empirischen Wahrheit“ entsprechen oder
aus „innenpolitischen Gründen“ abgefaßt worden sind?
Wenn ja:
– Welche Lageberichte wurden bereits mit welchen Ergebnissen ge-

prüft?
– Wann soll die Prüfung endgültig abgeschlossen sein?
Wenn nein, warum nicht?

7. Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit Richterinnen und Rich-
ter sich auf die Richtigkeit der Lageberichte verlassen können?

8. Erwägt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang dienstrechtliche
Maßnahmen und wenn ja, welche, gegen welche Beamtinnen und
Beamte in welchen Ministerien?
a) Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung strafrechtliche Ermitt-

lungen gegen einzelne Beamtinnen und Beamte des Auswärtigen
Amtes eingeleitet?

Wenn ja:
– Wann?
– Wie viele?

9. Seit wann hatten Staatsminister Dr. Ludger Volmer und der Bundesmi-
nister des Auswärtigen, Joseph Fischer, Kenntnis von der Existenz die-
ser offenbar „nicht der empirischen Wahrheit“ entsprechenden Berich-
te?

10. Mit welchen Landes-Justizbehörden hat Staatsminister Dr. Ludger Vol-
mer oder einer seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wann gespro-
chen, um herauszufinden, daß die Lageberichte des Auswärtigen Am-
tes bei Gerichtsverfahren nicht mehr zugrunde gelegt werden?

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/1035

11. Wann hat Staatsminister Dr. Ludger Volmer welche konkreten Hinwei-
se erhalten, daß einzelne Richterinnen und Richter sich immer noch auf
die Lageberichte bei ihrer Tätigkeit stützen?

12. Wie und wodurch hätten die Richterinnen und Richter nach Ansicht der
Bundesregierung erfahren sollen, daß die Einschätzung in diesen Be-
richten nicht mehr gültig ist?

13. Wenn diese Berichte des Auswärtigen Amtes richtig sind, womit wer-
den die Bombardierungen Jugoslawiens dann gerechtfertigt?

Bonn, den 5. Mai 1999
Ulla Jelpke
Petra Pau
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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