Bundessozialgericht, Urteil vom 02.07.2013, Az. B 1 KR 24/12 R

1. Senat | REWIS RS 2013, 4605

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 24. November 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Monatsprämien für eine [X.].

2

Der 1956 geborene, bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) als Rentner versicherte Kläger bezog seit [X.] eine Rente für Bergleute in Höhe von 857,56 Euro. Daneben erhielt er vom [X.] bis [X.] ([X.]) an Arbeitnehmer im Steinkohlenbergbau. Zudem bezog er von der [X.] ([X.]) einen monatlichen betrieblichen Zuschuss. Seit dem 1.4.2011 erhält er Knappschaftsausgleichsleistung. Die Krankenversicherung ([X.]) des [X.] umfasste - seit dem [X.] - satzungsgemäß Anspruch auf zusätzliche Leistungen (Chefarztbehandlung und Zweibettzimmer). Dafür fiel ab dem [X.] ein monatlicher Beitrag von 38,59 Euro an (Bescheid vom 9.5.2006), den das [X.] ([X.]), das das [X.] an den Kläger auszahlte, von diesem einbehielt und an die Beklagte abführte.

3

Die Beklagte informierte im November 2008 die [X.] darüber, dass sie in ihrer Satzung aufgrund der gesetzlichen Änderung (Einziehung des [X.]) zum Jahresanfang 2009 die Finanzierung des [X.] umstelle. Sie habe für Aktive einkommensunabhängige Prämien in altersabhängigen Stufen konzipiert. Die Satzung sehe einkommensabhängige Monatsprämien dagegen nur noch für Passive vor (Rentner, Rentenantragsteller und Versicherte ab Vollendung des 65. Lebensjahres). Die Beklagte forderte vom Kläger für den [X.] ab 1.1.2009 eine monatliche einkommensabhängige Prämie in Höhe von 52,38 Euro (Bescheid vom 28.1.2009; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2009, aufgehoben für den Monat Januar 2009).

4

Das [X.] hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom [X.]). Der Kläger hat mit Wirkung zum 31.12.2010 den [X.] gekündigt. Seine Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das L[X.] hat zur Begründung ua ausgeführt, die Beklagte habe die Prämien anpassen dürfen, ohne Grundrechte des [X.] zu verletzen. Sie habe die wesentlichen Änderungen in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen mit Blick auf die Neugestaltung der Finanzierung der [X.] rechtmäßig berücksichtigt (Urteil vom 24.11.2011).

5

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG. Zudem bedürfe es einer Beiladung des [X.].

6

Der Kläger beantragt,
die Urteile des [X.] vom 24. November 2011 und des [X.] vom 8. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2009 aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des [X.] vom 24. November 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 [X.]G). Das [X.] hat zu Recht die Berufung des [X.] gegen das die Klage abweisende Urteil des [X.] zurückgewiesen. Die statthafte und zulässige isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 [X.]G) ist unbegründet, denn die angefochtene Festsetzung der Prämien (Bescheid vom 28.1.2009; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2009, aufgehoben für den Monat Januar 2009) ist rechtmäßig. Der erkennende Senat stützt sich hierbei auf die [X.], ihn bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G). Die nicht erfolgte Beiladung des [X.] hindert den erkennenden Senat nicht daran, in der Sache zu entscheiden (vgl unten [X.] 1. d) bb) [X.]).

1. Die [X.] setzte gegenüber dem Kläger rechtmäßig durch Verwaltungsakt die zu zahlenden [X.] ab Februar 2009 für seine satzungsmäßigen Mehrleistungsansprüche fest. Sie war hierzu wirksam nach § 48 Abs 1 S 1 [X.]B X iVm der Satzung ermächtigt (dazu a), die auf Gesetzesrecht fußt (dazu b) sowie formell (dazu c) und materiell rechtmäßig ist, insbesondere wie ihre Ermächtigungsgrundlage mit [X.]recht in Einklang steht (dazu d). Die Festsetzung war auch im Übrigen formell (dazu e) und materiell rechtmäßig (dazu f).

a) Rechtsgrundlage der Änderungen zum [X.] ist § 48 Abs 1 S 1 [X.]B X iVm § 59 Abs 5 Satzung 2009 (Satzung der [X.] in der ab 1.1.2009 geltenden Fassung des [X.]). Die Satzungsbestimmungen der [X.] unterliegen revisionsgerichtlicher Kontrolle (§ 162 [X.]G). Nach § 48 Abs 1 S 1 [X.]B X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. In diesem Sinne ermächtigt § 59 Abs 5 S 5 Satzung 2009 die [X.] lediglich dazu, ab dem [X.], der dem Monat folgt, in dem für das Mitglied eine Änderung eingetreten ist, die Prämie neu festzusetzen. Ausgeschlossen - und damit rechtswidrig - ist eine Änderung der [X.] im laufenden Kalendermonat. Die Satzungsregelung bewirkt nicht, dass sich die Prämienhöhe ohne weiteren Vollzugsakt von selbst ändert. Die [X.] sind vielmehr durch Verwaltungsakt mit Dauerwirkung festzusetzen. Das gilt auch bei einer Änderung der Verhältnisse, soweit sich der Verwaltungsakt nicht erledigt (vgl § 39 Abs 2 [X.]B X).

Nach § 59 Abs 5 Satzung 2009 hat das Mitglied für den Leistungsanspruch nach [X.] vom 1.1.2009 an eine monatliche Prämie zu entrichten. Bei pflicht- und freiwillig versicherten Rentnern, Rentenantragstellern nach § 198 [X.]B V sowie Mitgliedern ab Vollendung des 65. Lebensjahres richten sich die Prämien nach den in der [X.] der Satzung 2009 festgelegten Einkommensklassen. Für die Feststellung des maßgeblichen Einkommens finden die §§ 226 ff, 237 und 240 [X.]B V Anwendung. Die Prämie ändert sich entsprechend der jeweils aktuellen [X.] nach [X.] ab dem [X.], der dem Monat folgt, in dem wegen [X.] ein Wechsel der Einkommensgruppe vorliegt. Die Prämie wird am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den sie zu zahlen ist.

b) Rechtsgrundlage der Satzungsregelung über [X.] für die [X.] ist § 173 Abs 2a [X.]B V (in der durch Art 1 [X.] [X.] Gesetz zur Stärkung des [X.] in der gesetzlichen Krankenversicherung - [X.]-[X.]stärkungsgesetz - [X.]-W[X.] - vom 26.3.2007, [X.], eingefügten Fassung) iVm § 2 Abs 1 [X.] [X.] (Verordnung über den weiteren Ausbau der knappschaftlichen Versicherung in der im [X.], Gliederungsnummer 822-4, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art 22 [X.] über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der [X.] vom 22.12.1983 , [X.] 1532). Danach gilt § 2 Abs 1 [X.] nicht für Personen, die nach dem 31.3.2007 Versicherte der [X.] werden. Nach § 2 Abs 1 [X.] bestimmt die Satzung das Nähere über die Zuständigkeit ua der besonderen [X.] sowie über die Berechnung des Grundlohns. Sie stellt Richtlinien auf für die Gewährung der Mehrleistungen. Diese können für Arbeiter, Angestellte und Rentner verschieden festgesetzt werden. Bestandteil der Satzung bildet auch die Krankenordnung.

Die Ermächtigung, in der Satzung "[X.]" aufzustellen (§ 2 Abs 1 [X.] [X.]), umfasst auch die Befugnis, über die Finanzierung der Mehrleistungen als fakultativer Teil der gesetzlichen [X.] ([X.]) mitzuentscheiden. Die Finanzierung der Mehrleistungen ist genuiner Bestandteil der Ausgestaltung des [X.]. Denn die differenzierend jeweils nur für einen Teil der Versicherten der [X.] vorgesehenen Mehrleistungen sollen nach Entwicklungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck jeweils nur von Mitgliedern aus dem Kreis der Begünstigten getragen werden. Das Regelungssystem für Mehrleistungen der knappschaftlichen [X.] koppelte von Anfang an die Möglichkeit, unterschiedliche Leistungen für spezifische Personenkreise vorzusehen, mit der Finanzierung durch den Kreis der entsprechend Begünstigten. Diese Regelung zielt darauf ab, die Vorteile der differenzierend ausgestalteten [X.] nicht durch die Gesamtheit aller Mitglieder der [X.] finanzieren zu lassen, sondern orientiert an der Gruppennützlichkeit. Die Eingrenzung der Begünstigten bis hin zur Schließung der [X.] für neue Mitglieder durch § 173 Abs 2a [X.]B V hat an diesem Grundprinzip nichts geändert.

Schon die ursprüngliche Regelung in § 2 Abs 1 und § 3 [X.] (idF vom 19.5.1941, [X.]) sah je nach dem Kreis der Begünstigten unterschiedliche Finanzierungsbestimmungen vor. Die [X.] legte selbst den Beitrag für die [X.] der Arbeiter fest (§ 3 Abs 1 [X.]), während sie dem "Leiter der Reichsknappschaft" die Befugnis übertrug, den Beitrag für die [X.] der Angestellten festzusetzen (§ 3 Abs 2 [X.]). Der Gesetzgeber änderte dieses Grundprinzip nicht, als er die übrigen Bestimmungen der [X.] aufhob und es nur noch bei der Regelung des § 2 Abs 1 [X.] beließ (vgl Art 22 [X.]). Er wollte hiermit lediglich die Finanzierung der knappschaftlichen [X.] der Rentner an die Finanzierung der [X.] der Rentner anpassen und hob hierzu alle Bestimmungen auf, die bisher für die knappschaftliche [X.] der Rentner galten. Er wollte zugleich aber die Befugnis für die [X.] erhalten, durch Satzungsbestimmungen Mehrleistungen zu gewähren (vgl Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der [X.], BT-Drucks 10/335 [X.] und [X.], zu Art 20). Auch die Schließung der [X.] für neue Versicherte ab [X.] änderte das aufgezeigte Grundprinzip nicht. Sie trug lediglich der Öffnung der [X.] für alle in der [X.] Versicherungspflichtigen und -berechtigten Rechnung (§ 173 Abs 2 S 1 [X.]a [X.]B V, eingefügt durch Art 1 [X.] Buchst a [X.] [X.] [X.]-W[X.], Abschaffung des § 177 [X.]B V und des § 6 Abs 5 [X.]B V durch Art 1 [X.] und Art 1 Nr 3 Buchst d [X.]-W[X.], mWv [X.]). Sie schaffte die besonderen satzungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der [X.] mit Wirkung für die Zukunft ab, um ungerechtfertigte [X.]vorteile für sie bei den Gestaltungsleistungen zu vermeiden (vgl Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen der [X.] und [X.] zur Stärkung des [X.] in der gesetzlichen Krankenversicherung - [X.]-W[X.] -, BT-Drucks 16/3100 [X.], zu [X.], zu [X.]).

§ 173 Abs 2a [X.]B V iVm § 2 Abs 1 [X.] [X.] ermächtigten die [X.] auch dazu, in der Satzung zu regeln, dass ab 2009 auf der Basis einer Prämienkalkulation im Rahmen der Haushaltsplanungen für das jeweils folgende Kalenderjahr eine Festsetzung von [X.] durch Verwaltungsakt erfolgt in Form von einkommensunabhängigen Prämien in altersabhängigen Stufen (erste Stufe 0 bis 19 Jahre, anschließend jeweils [X.] bis 64 Jahre) für Aktive und von einkommensabhängigen [X.] (in Stufen von jeweils 499,99 Euro bis 3500 Euro und mehr) lediglich noch für Passive. § 173 Abs 2a [X.]B V iVm § 2 Abs 1 [X.] [X.] fordern als ungeschriebene, systemimmanente Grenze eine Regelung der Finanzierung, die sich innerhalb der allgemeinen Grenzen für die Finanzierung von Zusatzsozialleistungen der [X.] kraft Satzung hält. Unzulässig wäre etwa eine Finanzierungsregelung, die frei von jeglicher [X.] Komponente allein auf Gewinnerzielung angelegt wäre. Die konkret beschlossene Ausgestaltung als Umlageverfahren mit im Verwaltungsvollzug leicht zu ermittelnden pauschalierenden Stufen aufgrund des prognostizierten Bedarfs unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Mitglieder hält sich in den allgemeinen Grenzen, die sich für die Finanzierung von zusätzlich zu Pflichtleistungen vorgesehenen gewillkürten Sozialleistungen kraft Satzung stellen.

c) Die Satzung 2009 der [X.] ist formell rechtmäßig. Die hierzu kraft Gesetzes berufene [X.] änderte ihre Satzung mit dem 15. Nachtrag formal korrekt (Beschluss der Vertreterversammlung vom 14.11.2008, § 31 Abs 1 S 1, § 33 Abs 1 S 1 [X.]B IV; Genehmigung des Bundesversicherungsamts, § 195 Abs 1 und Abs 3 [X.]B V, § 34 Abs 1 [X.], § 90 Abs 1 [X.]B IV, Bescheid vom 19.12.2008). Sie machte die geänderte Satzung auch ordnungsgemäß auf ihrer Internetseite unter [X.] öffentlich bekannt (vgl § 34 Abs 2 S 1 und S 3 [X.]B IV; § 97 Abs 1 Satzung 2009; s auch B[X.] [X.]-2500 § 240 [X.] RdNr 36, auch zur Veröffentlichung in B[X.]E vorgesehen).

d) Die Satzung 2009 der [X.] ist - soweit hier betroffen - auch materiell rechtmäßig. Sowohl die gesetzliche Ermächtigung zur Regelung der Finanzierung in der Satzung als auch die getroffene Satzungsregelung selbst sind mit [X.]recht vereinbar, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (dazu [X.]) und dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz (dazu bb).

[X.]) Die von der [X.] gewählte prognostische Kostendeckung durch die Prämien der mehrleistungsberechtigten Mitglieder und die dabei vom Kläger gerügte Differenzierung zwischen den Aktiven und den Passiven in der Satzung verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG). Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen ([X.] 112, 50, 67 = [X.]-3800 § 1 [X.] Rd[X.]5 mwN; [X.] 117, 316 = [X.]-2500 § 27a [X.]; stRspr B[X.]E 99, 95 = [X.]-2500 § 44 [X.], Rd[X.]6 mwN). Verboten sind Differenzierungen ohne hinreichenden sachlichen Grund (vgl [X.] 92, 53, 71 = [X.] 3-2200 § 385 [X.] [X.]1 = [X.], 1353 mit [X.]; [X.] 102, 127 = [X.] 3-2400 § 23a [X.]; vgl zum Ganzen B[X.]E 109, 230 = [X.]-2500 § 53 [X.], Rd[X.]5; B[X.]E 96, 246 = [X.]-2500 § 47 [X.], Rd[X.]9). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art 3 Abs 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist (vgl [X.] 124, 199, 220; 129, 49, 68 f; [X.] Beschluss vom 3.6.2013 - 1 BvR 131/13 ua - Juris Rd[X.]2 mwN). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl [X.] 75, 108, 157; 126, 400, 416; 129, 49, 69; [X.] Beschluss vom 3.6.2013 - 1 BvR 131/13 ua - Juris Rd[X.] mwN).

Das [X.] gesteht dem Normgeber generell auf dem Gebiet des [X.] wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und [X.] eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zu, die nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl [X.] 81, 156, 205 = [X.] 3-4100 § 128 [X.] S 18). Speziell die Regelung der hier betroffenen [X.]-Mehrleistungen kraft Satzung unterliegt wegen des fakultativ-ergänzenden Charakters der Leistungen sehr weiten Gestaltungsgrenzen. Bereits der Pflichtleistungskatalog der [X.] (vgl § 2 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1 [X.]B V) enthält alle für die Versicherten notwendigen Leistungen, die der Gesetzgeber nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zurechnet. Zudem steht es den berechtigten Mitgliedern offen, jederzeit zum Ablauf des Folgemonats die Mehrleistungsberechtigung insgesamt oder in einem ihrer beiden Teile (Chefarztbehandlung; Zweibettzimmer) mit ihrer finanziellen Last zu beenden (vgl § 59 Abs 4 S 1 [X.] und c Satzung 2009).

Ausgehend von diesem Prüfmaßstab durfte die [X.] zunächst an das - wie dargelegt schon historisch verfolgte - Grundprinzip der kostendeckenden Umlage durch die Zahlungen der mehrleistungsberechtigten Mitglieder anknüpfen. Es ordnet sachgerecht der Gruppe der durch Mehrleistungen Begünstigten die erwarteten Kosten der Begünstigung zu. Die [X.] durfte zudem in ihrer Satzung 2009 in der dargestellten Art und Weise für die Gruppe der Aktiven einkommensunabhängige Prämien in altersabhängigen Stufen (erste Stufe 0 bis 19 Jahre, anschließend jeweils [X.] bis 64 Jahre) vorsehen und für die Gruppe der Passiven einkommensabhängige [X.] (in Stufen von jeweils 499,99 Euro bis 3500 Euro und mehr). Zwischen beiden Gruppen bestehen Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Sie betreffen vorrangig das unterschiedliche Morbiditätsrisiko, aber auch nachrangig den unterschiedlichen Wechsel der Einkommensverhältnisse und der Leistungsfähigkeit in den betroffenen Gruppen.

Die [X.] berücksichtigte rechtmäßig das unterschiedliche Morbiditätsrisiko zwischen den Gruppen. Es spiegelte sich bereits zuvor bis Ende 2008 in den unterschiedlichen Beitragssätzen wider, die für die Aktiven bei [X.] gegenüber [X.] der in der [X.] beitragspflichtigen Einnahmen der Passiven lagen. Der Normgeber - auch der Satzungsgeber - ist von [X.] wegen berechtigt, jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen grundsätzlich verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen ([X.] [X.] 3-2500 § 248 [X.]; [X.] [X.]-2500 § 229 [X.] RdNr 34; zustimmend zB B[X.] Urteile vom 10.5.2006 - [X.] KR 7/05 R, [X.] KR 21/05 R und [X.] KR 23/05 R - jeweils Juris Rd[X.]2 mwN). Hier berücksichtigte die [X.] zugleich durch die Anknüpfung an die - individuell unterschiedlich hohen - konkreten Einkommen in der Gruppe der Passiven auch deren [X.] Schutz und ermöglichte den Solidarausgleich innerhalb ihrer Gruppe entsprechend der finanziellen Leistungsfähigkeit. Die [X.] trug zudem dem Morbiditätsrisiko innerhalb der Gruppe der Aktiven durch die entsprechend ansteigende Prämienhöhe der Altersklassen Rechnung.

Die gewählte Klassifizierung der Versichertengruppen nach Altersklassen bei Aktiven und Einkommensklassen bei Passiven vermeidet zudem kostenträchtigen Verwaltungsaufwand. Die Altersklassen sind leicht und ökonomisch festzustellen. Das wird auch regelmäßig für die gestuften Einkommensklassen bei den Passiven gelten. Die Erwartung der [X.] erscheint nachvollziehbar, dass demgegenüber bei den Aktiven, insbesondere bei Arbeitnehmern, in Anbetracht ihrer Berufstätigkeit vielfältige kurzfristige Änderungen ihrer Einkommensverhältnisse typischerweise eher zu erwarten sind als bei der anderen Versichertengruppe der Passiven.

Die [X.] konnte auch sachlich davon ausgehen, dass die einkommensbezogene Leistungsfähigkeit der Aktiven wegen ihrer geringeren Belastung durch die [X.] eine eher unwesentliche Rolle spielt, auch wenn diese morbiditätsorientiert altersgestuft ansteigen. Die [X.] durfte aufgrund ihrer Kenntnisse der Strukturen der Gruppe der Begünstigten demgegenüber annehmen, dass bei den Passiven die Leistungsfähigkeit entsprechend dem Solidargedanken stärker zu berücksichtigen ist, um dort allen Berechtigten Versicherungsschutz zu noch tragbaren Bedingungen anbieten zu können. [X.] altersabhängige Prämien würden dies jedenfalls tendenziell ausschließen.

bb) Sowohl die Schließung des [X.] der [X.] für neue Versicherte zum [X.] (vgl § 173 Abs 2a [X.]B V; dazu [X.]) als auch die Umstellung auf ein Prämiensystem, das zwischen Aktiven und Passiven differenziert (dazu bbb), verstößt nicht gegen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz, abgeleitet aus dem Rechtsst[X.]tsprinzip in Verbindung mit den betroffenen Grundrechten (vgl dazu [X.] in [X.], 25. [X.] Sozialrecht, 2013, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung im sozialrechtlichen Beitrags- und Leistungsrecht, unter [X.] 1. b) [X.]) bei [X.]), hier Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG. Der Kläger kann sich gegenüber der [X.] dagegen schon im Ansatz nicht auf Vertrauensschutz wegen Wegfalls der Zuschüsse zu den Beiträgen von [X.] durch das [X.] berufen (dazu [X.]).

[X.]) Die Schließung des [X.] ist ein Fall unechter Rückwirkung. Eine unechte Rückwirkung - oder tatbestandliche Rückanknüpfung - liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Sie ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (vgl zB [X.] 30, 392, 402 f, stRspr). Jedoch können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Das ist dann der Fall, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl statt Vieler B[X.] [X.]-5562 § 8 [X.] Rd[X.]8 mwN). Leistungsbegrenzende Rechtsänderungen sind verfassungsrechtlich mit Wirkung für die Zukunft zulässig, sofern sie nicht verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen in die Aufrechterhaltung des zuvor geltenden Rechts verletzen, etwa den [X.]-Schutz der [X.] insgesamt entwerten (vgl zB B[X.]E 100, 221 = [X.]-2500 § 62 [X.], Rd[X.]5; B[X.] [X.]-2500 § 58 [X.] Rd[X.]0 f; [X.] 69, 272, 309 f = [X.] 2200 § 165 [X.], alle mwN; [X.], Übergangsrecht, [X.] 2004, 313 ff mwN; [X.] in [X.], 25. [X.] Sozialrecht, 2013, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung im sozialrechtlichen Beitrags- und Leistungsrecht, unter [X.] 1. b) [X.]) bei [X.]).

Nach diesen Grundsätzen durfte der Gesetzgeber das Mehrleistungssystem der [X.] für neue Versicherte zum [X.] schließen. Die Regelung diente - wie bereits dargelegt - der Öffnung der [X.] für alle Versicherten unter Vermeidung ungerechtfertigter [X.]vorteile. Der Ausschluss neuer Versicherter vom Zugang zum Mehrleistungssystem war hierzu erforderlich. Die Schließung schafft die Zusatzleistungen nicht übergangslos ab, sondern führt schrittweise zu einer Verteuerung der Mehrleistungsberechtigung. Sie ist weit davon entfernt, den [X.]-Schutz der [X.] insgesamt oder auch nur in der Gruppe der Mehrleistungsberechtigten zu entwerten. Die [X.] konnte aus den vorgenannten Gründen die günstige Versicherungsmöglichkeit in eine andere Versicherungsalternative umgestalten, die aber der Gruppe der Mehrleistungsberechtigten und auch der Untergruppe der Passiven weiterhin eine angemessene Sicherung ermöglicht.

bbb) Auch die Umstellung ab 1.1.2009 auf ein Prämiensystem, das zwischen Aktiven und Passiven differenziert, verstößt nicht gegen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Die schlichte Erwartung, das geltende Recht werde auch in der Zukunft unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (vgl zB [X.] 68, 193, 222; 105, 17, 40; 109, 133, 180 f; [X.] 128, 90 = [X.]-1100 Art 14 [X.]3, Rd[X.]3). Überlässt der Gesetzgeber Versicherungsträgern die Ausgestaltung von Leistungsrechten kraft Satzung, schließt dies die Befugnis zur Umgestaltung und Abschaffung der Rechte mit Wirkung für die Zukunft unter Berücksichtigung der materiellen Anforderungen an Vertrauensschutz ein. Es kann generell kein Schutz des Vertrauens darauf anerkannt werden, dass das Satzungsrecht für alle Zukunft unverändert so bestehen bleiben wird, wie es bei der Begründung einer Mitgliedschaft bestand (vgl B[X.] Urteil vom 30.5.2006 - B 1 KR 15/05 R - USK 2006-32; [X.] in [X.], 25. [X.] Sozialrecht, 2013, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung im sozialrechtlichen Beitrags- und Leistungsrecht, unter [X.] 3. b) [X.]) bei [X.]). Bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe muss aber die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben (vgl [X.] 127, 1, 18). So liegt es hier. So wenig sich Vertrauensschutz auf den dauerhaften Bestand der Ausgestaltung von Leistungsrechten kraft Satzung gründen kann, so wenig gilt dies für die Regelungen über die Finanzierung von Gestaltungsleistungen kraft Satzung.

[X.]) Der Wegfall der Zuschüsse zu den Beiträgen von [X.] durch das [X.] berührt nicht das Rechtsverhältnis des [X.] zur [X.]. Er beruht ausschließlich darauf, dass das [X.] die Zuschüsse lediglich für Beiträge zur [X.] gewähren darf (vgl [X.] 4.2 Richtlinien über die Gewährung von [X.] an Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus vom 25.10.2005, BAnz 2005 [X.]18 S 16032 vom 18.11.2005; ebenso die nachfolgende Fassung vom 12.12.2008, BAnz 2008 [X.]96 S 4697 vom 24.12.2008, mWv 1.1.2009). Die Zuschüsse sind kein Bestandteil der Mehrleistungsfinanzierung, die die [X.] regelte. Es bedarf dementsprechend keiner Beiladung (§ 75 [X.]G) des [X.].

e) Die hierfür zuständige [X.] setzte die Prämien für 2009 gegenüber dem Kläger formell rechtmäßig fest. Insbesondere hörte sie den Kläger zur beabsichtigten Umstellung der Finanzierung des [X.] durch das an alle Mehrleistungsberechtigten gerichtete Rundschreiben von November 2008 ausreichend "zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen" an (§ 24 Abs 1 [X.]B X). Sie informierte ihn hierdurch und mittels der bereits dargelegten Bekanntmachung der Satzung über die sachlichen und zeitlichen Einzelheiten der Umstellung des [X.] auf Prämienfinanzierung sowie ihre Gründe und Auswirkungen auf die individuelle Prämienberechnung.

f) Die [X.] ab [X.] gegenüber dem Kläger war auch materiell rechtmäßig. Die [X.] setzte ordnungsgemäß eine einkommensabhängige Prämie anstelle des bisher erhobenen Beitrags fest. Der Kläger war iS des § 59 Satzung 2009 mehrleistungsberechtigt. Die [X.] qualifizierte ihn wegen des Bezuges einer Rente für Bergleute zutreffend als "Passiven". Sie berechnete in Einklang mit § 59 Abs 5 S 3 nebst [X.] Satzung 2009 einkommensabhängig eine monatliche Prämie in Höhe von 52,38 Euro.

2. [X.] beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 1 KR 24/12 R

02.07.2013

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Gelsenkirchen, 8. Juli 2010, Az: S 17 KN 116/09 KR, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 02.07.2013, Az. B 1 KR 24/12 R (REWIS RS 2013, 4605)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4605

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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