Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.03.2013, Az. B 1 KR 44/12 B

1. Senat | REWIS RS 2013, 7513

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Untersuchungsmaxime - Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens zur Feststellung einer weiteren Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankung - kein Vorliegen einer hinreichend geklärten Tatsachenbasis - Zurückverweisung


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 2. Februar 2012 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte und beschäftigte Klägerin bezog wegen eines Wirbelsäulenleidens, das ab [X.] - mit einer kurzen Unterbrechung - Arbeitsunfähigkeit ([X.]) bedingte, Krankengeld ([X.]) bis zum 17.8.2006. Die Ärztin Dr. [X.] stellte am [X.] bei der Klägerin [X.] wegen einer akuten Belastungsreaktion fest. Der Arzt [X.] stellte in Folgebescheinigungen [X.] wegen einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome ([X.] F32.2 G) fest und diagnostizierte auch eine Bandscheibenverlagerung und eine Skoliose. Diese [X.] endete mit Ablauf des 28.9.2007. [X.] attestierte erneut wegen der psychischen Erkrankung ab 22.10.2007 [X.]. Er teilte am [X.] mit, die Klägerin sei weiter arbeitsunfähig. Die Beklagte beendete die [X.]-Zahlung mit Ablauf des [X.], weil der Anspruch der Klägerin auf [X.] erschöpft sei. Sie habe innerhalb der Blockfrist wegen derselben Krankheit bis zum Ablauf der 78. Woche der [X.] [X.] erhalten. Das [X.] hat mit dieser Begründung die auf Zahlung von [X.] für die Zeit vom 14.8.2008 bis 11.1.2009 gerichtete Klage abgewiesen. Das L[X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Zwar sei die Klägerin nach den Angaben von [X.] ab dem [X.] nur wegen ihrer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig gewesen. Der hieraus resultierende [X.]-Anspruch sei ab dem 14.8.2008 noch nicht erschöpft gewesen. Gleichwohl habe die Klägerin keinen [X.]-Anspruch im streitigen Zeitraum, weil keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte zur Annahme einer weiteren [X.] über den [X.] hinaus bestanden hätten. Der Einholung des beantragten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens habe es deswegen nicht bedurft (Urteil vom 2.2.2012).

2

Nunmehr wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im L[X.]-Urteil und rügt einen Verstoß gegen § 103 [X.]G und die Verletzung des rechtlichen Gehörs.

3

II. Die zulässige Beschwerde der Klägerin ist begründet.

4

1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im L[X.]-Urteil ist zulässig. Die Klägerin hat sie fristgerecht erhoben. Sie bezeichnet einen zur Zulassung der Revision führenden Verfahrensfehler hinreichend, indem sie die tatsächlichen Umstände eines Verstoßes des L[X.] gegen § 103 [X.]G darlegt (§ 160a Abs 2 [X.] iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]G). Nach § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 [X.]G kann die Beschwerde auf die Verletzung des § 103 [X.]G (Amtsermittlungsgrundsatz) allerdings nur gestützt werden, wenn sich der Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das L[X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Solche Rüge muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das L[X.] nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des L[X.], aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des L[X.] auf dem angeblich fehlerhaften Unterlassen der Beweisaufnahme beruhen kann, das L[X.] mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl zum Ganzen: B[X.] SozR 1500 § 160 [X.], 35, 45 und § 160a [X.], 34). Die Beschwerdebegründung genügt diesen Darlegungserfordernissen.

5

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Klägerin beruft sich zu Recht darauf, dass sich das L[X.] verfahrensfehlerhaft nicht veranlasst gesehen hat, antragsgemäß Beweis durch Sachverständige darüber zu erheben, dass die psychische Erkrankung der Klägerin über den [X.] hinaus [X.] bedingte. Das L[X.] durfte sich hier aufgrund des Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren zu ihrem Krankheitsbild und der Angaben des behandelnden Arztes [X.] zur Begründung für die Zurückweisung der Berufung nicht allein auf die Feststellung stützen, dass den vorliegenden ärztlichen Angaben keine objektiven Befunde für die [X.] der Klägerin in ihrer bisherigen Tätigkeit als Verwaltungsangestellte zu entnehmen seien. Hieraus folgt keineswegs, dass weitere Ermittlungen weder möglich noch erforderlich sind. Das beantragte neurologisch-psychiatrische Gutachten kann zur weiteren Sachverhaltsaufklärung beitragen. Seine Einholung ist auch erforderlich.

6

Eine aktuelle Untersuchung der Klägerin durch einen ärztlichen Sachverständigen als Grundlage eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens ist möglich. Denn aus [X.] Befundbericht vom 17.8.2011 ergibt sich, dass die [X.] vom [X.] über den [X.] hinaus aufgrund der schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome ununterbrochen fortbesteht. Ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten ist auch im Übrigen geeignet, zur Klärung beizutragen, dass die Klägerin wegen einer psychischen Krankheit vom 14.8.2008 bis 11.1.2009 arbeitsunfähig war. Gegebenenfalls sind ergänzend weitere Behandlungsunterlagen beizuziehen und die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen zu befragen.

7

Die Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens ist auch erforderlich, weil keine hinreichend geklärte Tatsachenbasis vorliegt. Das L[X.] kann sich auf keine medizinischen Erkenntnisse stützen, die eine hinreichende Grundlage für eine richterliche Überzeugungsbildung sein können, dass die Klägerin nach dem [X.] nicht mehr arbeitsunfähig war. Insbesondere lässt die von [X.] mitgeteilte psychiatrische Diagnose einer schweren depressiven Erkrankung ohne psychotische Symptome (Bescheinigung vom 20.6.2008) - ohne eine hier nicht vorliegende, auf medizinischen Befunden gegründete widersprechende ärztliche Einschätzung - keine Feststellung des insoweit über keine eigene Sachkunde verfügenden L[X.] zu, dass die Klägerin ihre bisherige Tätigkeit als Verwaltungsangestellte ab dem 14.8.2008 ausüben konnte. Wenn das L[X.] die Einholung eines zur Aufklärung des Sachverhalts geeigneten und erforderlichen Sachverständigengutachtens dennoch ablehnte, ist dies verfahrensfehlerhaft.

8

3. Nach § 160a Abs 5 [X.]G kann das B[X.] in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das L[X.] zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

9

4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des L[X.] vorbehalten.

Meta

B 1 KR 44/12 B

12.03.2013

Bundessozialgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Trier, 11. Mai 2010, Az: S 3 KR 122/08, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 103 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 12.03.2013, Az. B 1 KR 44/12 B (REWIS RS 2013, 7513)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 7513

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