Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.07.2017, Az. 4 StR 245/17

4. Strafsenat | REWIS RS 2017, 7790

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:190717B4STR245.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4
StR 245/17
vom
19. Juli 2017
in der Strafsache
gegen

wegen versuchter räuberischer Erpressung
u.a.

-
2
-
Der 4. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. Juli 2017 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. Februar 2017 mit den zugehörigen Fest-stellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unter-bringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückver-wiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter Beschaffung von Betäubungsmitteln in sonstiger Weise und mit vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafen aus einem anderen rechtskräftigen Urteil und Auflösung der dort gebil-deten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt und die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsver-wahrung vorbehalten. Seine Revision hat den aus der Beschlussformel ersicht-lichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

1
-
3
-
1. Der auf § 66a Abs. 1 StGB gestützte Ausspruch über den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand, weil die Voraussetzungen des §
66a Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt sind und die [X.] das ihr eingeräumte Ermessen nicht erkennbar ausgeübt hat.

a) Die Urteilsgründe belegen nicht, dass es im Sinne des §
66a Abs.
1 Nr.
3 StGB wahrscheinlich ist, dass der Angeklagte entsprechend §
66 Abs.
1 Satz
1 Nr.
4 StGB infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, für die Allgemeinheit gefährlich ist.

aa) Anders als seine Vorgängervorschrift (§
66a Abs.
1 StGB in der [X.] vom 21.
August 2002) fordert §
66a Abs. 1 Nr.
3 StGB in der hier anzu-wendenden Fassung des [X.] und zu begleitenden Regelungen vom 22.
Dezember 2010 ([X.] [X.]) nicht mehr die sichere Feststellung eines Hanges im Sinne des §
66 Abs. 1 Satz 1 Nr.
4 StGB, sondern lässt es sowohl in Bezug hierauf als auch hinsichtlich der hangbedingten Gefährlichkeit ausreichen, dass deren Vorliegen nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist (vgl. BT-Drucks. 17/3403, [X.], 26; [X.], StGB,
64.
Aufl.,
§
66a Rn.
5;
[X.]/[X.] in: SSW-StGB,
3. Aufl.,
§ 66a Rn. 8; [X.]/[X.] in: [X.]/[X.], StGB,
29. Aufl.,
§ 66a Rn. 12; [X.]/[X.] in: MüKo-StGB,
3.
Aufl.,
§
66a Rn.
62; [X.] in: BeckOK-StGB, 34. Edition,
§
66a Rn.
4; [X.], NJW 2011, 177, 178 f.; zur alten Rechtslage vgl. [X.], Urteil vom 8.
Juli 2005

2
StR 120/05, [X.]St 50, 188, 194 f.). Dabei
darf sich der Tatrichter nicht darauf beschränken, die Gründe dafür anzugeben, warum keine hinrei-chend sicheren Feststellungen getroffen werden konnten. Vielmehr muss sich aus den Urteilsgründen auch im Sinne einer belegten positiven Feststellung ergeben, dass sowohl das Vorliegen einer [X.]
als auch das Beste-2
3
4
-
4
-
hen einer
hierdurch bedingten Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des §
66 Abs.
1 Satz
1 Nr.
4 StGB wahrscheinlich sind
(vgl. BT-Drucks. 17/3403, S.
29; Sinn in:
[X.], 9.
Aufl., §
66a Rn.
11). Da es sich insoweit nicht
um identische Merkmale handelt, werden in der Regel entsprechende Einzelaus-führungen erforderlich sein (vgl. [X.], Urteile
vom 28.
April 2015

1
StR 594/14, Rn.
30; vom 8.
Juli 2005

2
StR 120/05, [X.]St 50, 188, 196; [X.]/[X.],
aaO
§ 66 Rn. 21).

bb) Dem werden die Darlegungen des [X.]s hinsichtlich der [X.] nicht gerecht.

Die [X.] hat sich außerstande gesehen, sichere Feststellungen zum Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zu tref-fen, weil für den Sachverständigen in Ermangelung einer Exploration nicht voll-ständig aufzuklären gewesen sei, ob die Ursache für die Vortaten allein in der erheblichen Suchtproblematik des Angeklagten oder in dessen geringer Frus-trationstoleranz aufgrund einer bei ihm gegebenen dissozialen Verhaltensstö-rung gelegen habe. Es sei aber nach der gebotenen Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten und seiner Taten wahrscheinlich, dass es nach einer Exploration zur Aufklärung der Verhältnisse
und zu einer Bejahung der Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB kommen werde. Für die Gefähr-lichkeit des Angeklagten sprächen neben den zahlreichen Vorstrafen, die [X.] des bisherigen Straf-
und Maßregelvollzugs, seine geringe Frus-trationstoleranz und sein erhebliches Aggressionspotential.

Damit hat das [X.] zwar begründet, warum dem Angeklagten [X.] gestellt werden kann. Dass es sich dabei um eine Gefährlichkeit handelt, der wahrscheinlich ein Hang im Sinne eines eingeschlif-fenen [X.] zugrunde liegt, das den Angeklagten immer wieder 5
6
7
-
5
-
neue Straftaten begehen lässt (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 6.
Mai 2014

3
StR 382/13, [X.], 271, 272 mwN), wird dadurch aber nicht trag-fähig belegt. Hierzu hätte es einer auf einer vergangenheitsbezogenen Betrach-tung beruhenden Beurteilung bedurft, die alle bedeutsamen für und gegen eine (wahrscheinliche) [X.] sprechenden Umstände einbezieht (vgl. [X.], Urteil vom 26.
April 2017

5
StR 572/16, Rn.
9 [zu §
66 Abs.
1 Nr.
4 StGB]). Zwar führt die [X.] mehrere Umstände an, die auch eine
Indizwirkung für das wahrscheinliche Vorliegen eines Hangs haben können (Vortaten, geringe Frustrationstoleranz etc.). Eine Gesamtwürdigung,
die auch die an anderer Stelle angeführten möglichen Gegenindizien (Suchtproblematik, kein durchgängig hervortretendes kriminelles Verhaltensmuster) einbezieht, hat die [X.] aber nicht erkennbar vorgenommen. Für die allgemein ge-äußerte Erwartung, dass es bei weiterer Aufklärung zur Bejahung der Voraus-setzungen des § 66a Abs. 1 Nr. 4 StGB und damit (auch) zur Bestätigung einer [X.] kommen wird, werden keine konkreten Anhaltspunkte ange-führt.

b) Durchgreifenden revisionsgerichtlichen Bedenken begegnet auch, dass die [X.] nicht erkennbar ihr Ermessen ausgeübt hat.

§
66a Abs.
1 StGB stellt auch bei Vorliegen aller Voraussetzungen die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung in das Ermessen des [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 6.
April 2017

3
StR 548/16, Rn.
14). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll dieses die Möglichkeit haben, sich ungeach-tet der wahrscheinlichen hangbedingten Gefährlichkeit des [X.] zum Zeit-punkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschrän-ken, sofern bereits jetzt festgestellt werden kann, dass die derzeit noch [X.] Voraussetzungen des §
66 Abs.
1 Satz
1 Nr.
4 StGB zum Entlas-sungszeitpunkt nicht mehr vorliegen werden (vgl. [X.], Urteil vom 6.
April 2017 8
9
-
6
-

3
StR 548/16, Rn.
14; BT-Drucks. 14/8586, S.
6 [zu § 66a Abs.
1 StGB aF]; [X.]/[X.],
aaO
§ 66a Rn. 9 mwN). Auch wird dem Tatgericht ermöglicht, seine Entscheidung am Grad der Wahrscheinlichkeit eines Hanges des Ange-klagten und der mit ihm verbundenen Gefährlichkeit
zu orientieren. Schließlich kann für die Ermessensentscheidung auch von Bedeutung sein, ob im [X.] neue Erkenntnisse über die hangbedingte Gefährlichkeit des Angeklagten zu erwarten sind (vgl. BT-Drucks. 14/8586, S. 6 [zu §
66a Abs. 1 StGB aF]).

Dass das [X.] sein
Ermessen ausgeübt hat, ist

auch bei Her-anziehung des
Gesamtzusammenhangs
der Urteilsgründe

nicht feststellbar. Zwar hat die [X.] im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung gemäß § 62 StGB den hohen Grad der von dem Angeklagten ausgehenden Gefahr berücksichtigt
und damit einen auch ermessensrelevanten Gesichtspunkt in seine Erwägungen einbezogen. Eine tatsächliche Ermessensausübung
ist [X.] aber noch nicht belegt.

10
-
7
-
2. Der Vorbehalt der Sicherungsverwahrung bedarf daher erneuter [X.] Prüfung auf der Grundlage insoweit neu zu treffender
Feststellungen. Die Überprüfung von Schuld-
und Strafausspruch aufgrund der [X.] hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§
349 Abs. 2 StPO).

Franke Roggenbuck Cierniak

Ri[X.] Bender ist

Quentin

an der Unterschrift

urlaubsbedingt

gehindert.

Franke

11

Meta

4 StR 245/17

19.07.2017

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.07.2017, Az. 4 StR 245/17 (REWIS RS 2017, 7790)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 7790

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