Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.07.2013, Az. IV ZR 110/12

4. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 3867

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Gegenstand

Verkehrshaftungsversicherung für einen Frachtführer: Vorweggenommene Deckungsklage des Absenders verlustig gegangenen Transportgutes in der Insolvenz des Frachtführers; Ablehnung eines Beweisantrages wegen Unerreichbarkeit eines Zeugen; Abgrenzung zwischen Organ- und Repräsentantenhaftung einer versicherten juristischen Person


Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des [X.] - 7. Zivilsenat - vom 29. Februar 2012 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 360.000 €

Gründe

1

I. Mit einer vorweggenommenen Deckungsklage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte als Rechtsnachfolgerin des [X.] der [X.] verpflichtet ist, ihrer Versicherungsnehmerin wegen des Abhandenkommens von fünf Lastwagenladungen mit Druckern und Druckpatronen des Herstellers [X.]   im Gesamtwert von etwa 540.000 € Deckungsschutz zu gewähren. Die Klägerin hatte es als Spediteurin im Juni 2007 übernommen, den Transport der genannten Waren an Kunden des Herstellers in den [X.] und [X.] zu organisieren. Dazu hatte sie die [X.]          und [X.] beauftragt, die ihrerseits die Versicherungsnehmerin als Subunternehmerin eingesetzt hatte.

2

Die fünf Lastwagenladungen erreichten ihren Bestimmungsort nicht, weil unstreitig der bei der Versicherungsnehmerin tätige Zeuge [X.]    nach einem mit Mittätern vorgefassten Plan veranlasst hatte, dass das Transportgut am 29. Juni 2007 in [X.]auf andere [X.] zu dem Zweck verladen und beiseite geschafft wurde, um die Ladung als gestohlen zu melden und in Wahrheit anderweitig zu verkaufen. Teile der Ladung konnten von der Polizei in B.   sichergestellt werden.

3

Die Klägerin verpflichtete sich gegenüber [X.]im Vergleichswege zur Leistung von Schadensersatz in Höhe von 450.000 €. Die [X.]       AG und [X.] trat ihre Schadensersatzansprüche gegen die inzwischen insolvente Versicherungsnehmerin an die Klägerin ab. Der Insolvenzverwalter bestreitet diese zur Insolvenztabelle angemeldete Schadensersatzforderung in voller Höhe. Die Klägerin macht ein eigenes Interesse geltend, die Eintrittspflicht der Beklagten gegenüber der Versicherungsnehmerin gerichtlich feststellen zu lassen.

4

In der Sache streiten die Parteien vorwiegend darüber, inwieweit das Verhalten des Zeugen [X.]    sowohl bei Abschluss des [X.] als auch bei der Verschiebung des Transportgutes der Versicherungsnehmerin zuzurechnen ist. [X.] und andere sind von der Staatsanwaltschaft [X.] (122 Js 16/08) angeklagt, einen bandenmäßigen Betrug verübt zu haben. Das Hauptverfahren vor dem Landgericht [X.] war zur [X.] der Berufungsverhandlung noch nicht abgeschlossen.

5

II. In den Vorinstanzen hatte die Klage Erfolg. Das Berufungsgericht hat der Klägerin ein eigenes Feststellungsinteresse zugebilligt, weil wegen der Untätigkeit des Insolvenzverwalters die Gefahr bestehe, dass der Klägerin als Haftpflichtgläubigerin der Deckungsanspruch der Versicherungsnehmerin als Befriedigungsobjekt verlorengehe.

6

In der Sache sei der Beklagten nicht der für eine Nichtigkeit des [X.] nach den §§ 134, 138 BGB erforderliche Nachweis gelungen, dass der zu Beginn des Jahres 2007 in [X.] getretene Versicherungsvertrag nur Zweck und Teil des Ziels gewesen sei, eine kriminelle Vereinigung zu bilden und mittels der Versicherungsnehmerin Straftaten zu begehen. Dazu fehle es schon an substantiiertem Vortrag, denn auch die vorgenannte Anklageschrift enthalte keine entsprechenden Hinweise. Soweit unstreitig [X.]   das Beiseiteschaffen des [X.] organisiert habe, sei die Beklagte - sowohl mit Blick auf den Abschluss des [X.] und eine dabei angeblich verübte arglistige Täuschung des Versicherers als auch im Hinblick auf eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles (§ 152 [X.] a.F.) - den Beweis schuldig geblieben, dass [X.]   als Repräsentant der Versicherungsnehmerin gehandelt habe. Der im Ermittlungsverfahren vernommene Bruder des [X.]    habe den Mitangeklagten [X.]als den "eigentlichen Boss" der Versicherungsnehmerin bezeichnet, der im Hintergrund alle wichtigen Entscheidungen gefällt und entschieden habe, die fünf Lastwagenladungen verschwinden zu lassen.

7

Anderes hätte sich allenfalls aus der mit Beweisbeschluss vom 12. September 2011 angeordneten Vernehmung der Zeugen [X.], [X.]   und [X.]ergeben können, doch stehe den beiden letztgenannten Zeugen ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht nach den §§ 384 Nr. 2, 383 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zu, von dem sie Gebrauch gemacht hätten. Der in den [X.] ordnungsgemäß geladene Zeuge [X.]sei unerreichbar, da er zur mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2012 ohne Angabe von [X.] nicht erschienen sei und der Zeugenladung auch nicht folgen müsse. Eine Vernehmung des Zeugen im Wege der Rechtshilfe komme nicht in Betracht, [X.] in Anbetracht des schwierigen Sachverhalts auf einen persönlichen Eindruck von ihm nicht verzichten könnten.

8

III. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten führt zur Zulassung der Revision unter gleichzeitiger Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht gemäß § 544 Abs. 7 ZPO. Dieses hat den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es deren Antrag auf Vernehmung des Zeugen [X.]übergangen hat.

9

1. Die Beklagte hat unter anderem eingewandt, sie sei leistungsfrei, weil die Versicherungsnehmerin den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt habe. Insoweit ist entscheidend, inwieweit der Versicherungsnehmerin das Verhalten des Zeugen [X.]   zugerechnet werden kann. Die Beklagte hat sich insoweit das wesentliche Ermittlungsergebnis aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft [X.] (122 Js 16/08) als Vortrag zu Eigen gemacht. Danach soll, obwohl offiziell der Zeuge [X.]und die damalige Freundin und jetzige Ehefrau des Zeugen [X.]   zu Geschäftsführern der Versicherungsnehmerin berufen worden waren, in Wahrheit der Zeuge [X.]   als faktischer Geschäftsführer für die Versicherungsnehmerin verantwortlich gewesen sein. Auf Antrag der Beklagten hat das Berufungsgericht deshalb mit Beschluss vom 12. September 2011 unter anderem die Vernehmung des Zeugen [X.]angeordnet und im Wege der Rechtshilfe seine Ladung an seinem [X.] Wohnsitz veranlasst.

2. Von der Vernehmung des Zeugen, auf dessen Aussage es nach der Lösung des Berufungsgerichts ankam, durfte es nicht absehen. Sie ist nur deshalb unterblieben, weil der Zeuge trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne Angabe von Gründen nicht vor Gericht erschienen ist. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht den Zeugen schon deshalb als unerreichbar angesehen. Zwar findet die Vorschrift des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO im Zivilprozessrecht entsprechende Anwendung (Senatsbeschlüsse vom 21. September 2011 - [X.], [X.], 1563 Rn. 16; vom 12. September 2012 - [X.], NJW-RR 2013, 9 Rn. 14, jeweils m.w.[X.]), jedoch sind an die Annahme der Unerreichbarkeit eines Zeugen strenge Anforderungen zu stellen. Die Ablehnung eines Beweisantrags wegen Unerreichbarkeit des Zeugen ist nur dann gerechtfertigt, wenn das Gericht unter Beachtung seiner Aufklärungspflicht alle der Bedeutung des Zeugnisses entsprechenden Bemühungen zur Beibringung des Zeugen vergeblich entfaltet hat und keine begründete Aussicht besteht, das Beweismittel in absehbarer [X.] beizubringen (vgl. [X.], Urteil vom 3. Mai 2006 - [X.], [X.]Z 168, 79 Rn. 25 m.w.[X.]). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn das Gericht - wie hier - seine Nachforschungen auf die Verfügbarkeit des Zeugen am Terminstage beschränkt hat und nicht der Frage nachgegangen ist, ob er in absehbarer [X.] vernommen werden kann ([X.] aaO). Hier hat sich das Berufungsgericht nicht einmal bemüht, herauszufinden, ob dem Nichterscheinen des Zeugen eine grundsätzliche Weigerung, vor Gericht auszusagen, zugrunde lag oder lediglich eine sonstige Verhinderung. Im Übrigen hat es nicht geprüft, ob der Zeuge außerhalb der [X.] im Wege der Bild- und Tonübertragung (§ 128a Abs. 2 ZPO) oder auch durch die Mitglieder des [X.] in den [X.] hätte vernommen werden können (vgl. [X.], Beschluss vom 1. Juli 2010 - [X.], juris Rn. 7). Insbesondere die von § 363 Abs. 3 ZPO i.V.m. Art. 17 der Verordnung ([X.]) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 ([X.]. [X.] Nr. L 174 S. 1) eröffnete Möglichkeit einer unmittelbaren Zeugenvernehmung in den [X.] hat es ersichtlich nicht in Erwägung gezogen.

IV. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden. Soweit sich die Beklagte gegen die Bejahung des Feststellungsinteresses der Klägerin wendet und sich nach § 12 Abs. 3 [X.] a.F. für leistungsfrei hält, greifen ihre [X.] nicht durch. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Bei der Frage, inwieweit das Verhalten des Zeugen [X.]   der Versicherungsnehmerin im Rahmen des § 152 [X.] a.F. oder des § 123 BGB zuzurechnen ist, muss zwischen einer Organhaftung nach den §§ 31, 89 BGB (vgl. dazu [X.], 205; MünchKomm-[X.]/[X.], § 28 Rn. 99) und einer Repräsentantenhaftung unterschieden werden.

Juristische Personen - wie die Versicherungsnehmerin - handeln durch ihre Organe. Deren rechtsgeschäftliches Verhalten ist mithin unmittelbar als Verhalten der juristischen Person selbst zu werten. Eine solche Organhaftung kommt auch dann in Betracht, wenn einer natürlichen Person durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame und der juristischen Person wesensmäßige Funktionen zur selbständigen eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass die juristische Person insoweit durch ein faktisches Organ vertreten wird ([X.], Urteil vom 30. Oktober 1967 - [X.], [X.]Z 49, 19 unter 1 a; vgl. auch Urteil vom 11. Juli 2005 - [X.], [X.], 1706 unter [X.]). Nicht erforderlich ist es insoweit, dass die Tätigkeit in der Satzung der juristischen Person vorgesehen oder die betreffende natürliche Person ordnungsgemäß mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht ausgestattet ist. Ihr Aufgabenbereich braucht sich auch nicht innerhalb der geschäftsführenden Verwaltungstätigkeit der juristischen Person zu bewegen ([X.] aaO). Der Annahme, eine Person sei faktischer Geschäftsführer einer juristischen Person, steht es nicht notwendigerweise entgegen, wenn für die juristische Person daneben formell weitere Geschäftsführer bestellt sind.

Repräsentant ist, wer in dem Geschäftsbereich, zu dem das versicherte Risiko gehört, aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses an die Stelle des Versicherungsnehmers getreten ist. Repräsentant kann zum einen sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (Risikoverwaltung). Übt jemand aufgrund eines Vertretungs- oder ähnlichen Verhältnisses die Verwaltung des [X.] eigenverantwortlich aus, kann dies zum anderen unabhängig von einer Risikoverwaltung für seine Repräsentantenstellung (Vertragsverwaltung) sprechen (vgl. Senatsurteil vom 21. April 1993 - [X.], [X.]Z 122, 250 unter 3 a und ständig).

Unter den genannten Aspekten wird das Berufungsgericht die Frage der Zurechnung des Verhaltens des Zeugen [X.]   neu zu prüfen haben. Dabei wird insbesondere auch danach zu fragen sein, ob und inwieweit die Klägerin die auf die vorgenannte Anklageschrift gestützten Behauptungen der Beklagten zur Rolle des [X.]   bei der Versicherungsnehmerin ausreichend substantiiert bestritten hat, eine Beweisaufnahme mithin überhaupt erforderlich sein wird.

[X.]                                      Wendt                                    Felsch

               [X.]                        [X.]

Meta

IV ZR 110/12

24.07.2013

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG München, 29. Februar 2012, Az: 7 U 2903/10, Urteil

§ 31 BGB, § 89 BGB, § 123 BGB, § 12 Abs 3 aF VVG, § 152 aF VVG, § 363 Abs 3 ZPO, Art 17 EGV 1206/2001, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24.07.2013, Az. IV ZR 110/12 (REWIS RS 2013, 3867)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3867

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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