Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.11.2004, Az. II ZR 375/02

II. Zivilsenat | REWIS RS 2004, 687

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL [X.] Verkündet am: 15. November 2004 [X.] Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja

[X.] § 1 Abs. 1 Nr. 1 in der bis 30. September 2000 geltenden Fassung (jetzt § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB)

Das Merkmal der "Privatwohnung" erfaßt auch Gestaltungen, in denen eine von dem Direktvertreiber gewonnene Privatperson ihre Wohnung als Verhand-lungsort zur Verfügung stellt.

§ 607 BGB in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (jetzt § 488 BGB)

Wird ein Darlehensvertrag in einer Haustürsituation geschlossen, so wird das Widerrufsrecht des Darlehensnehmers durch eine Umschuldung nach Ablauf der Zinsfestschreibung nicht berührt.

[X.], [X.]eil vom 15. November 2004 - [X.] - OLG Stuttgart

LG Ellwangen

- 2 - [X.] [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2004 durch [X.] h.c. Röhricht und [X.], [X.], [X.] und [X.] für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird das [X.]eil des 6. Zivilsenats des [X.] vom 29. Juli 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger schloß am 18. August 1988 mit der [X.] (W.-GmbH) einen notariell beurkundeten Vertrag über den Erwerb von 2,5 Fondsanteilen an der [X.], [X.], S. (im folgenden: Fonds, Fondsgesellschaft), zum Preis von 79.000,00 DM. Zur Finanzierung seiner Beteiligung unterzeichnete der Kläger ebenfalls am 18. August 1988 gegenüber der [X.], der Rechtsvorgängerin der [X.] (nachfolgend beide: Beklagte), - 3 - einen Kreditantrag über einen Darlehensbetrag von 85.870,00 DM; dabei be-diente er sich eines Vordrucks, den die Beklagte dem Vertriebsunternehmen überlassen hatte. Die Beklagte nahm den Kreditantrag am 14. September 1988 an. Das Darlehen sollte in voller Höhe durch drei Lebensversicherungen getilgt werden; der Kläger trat die Ansprüche aus diesen Lebensversicherungen siche-rungshalber an die Beklagte ab. Die Darlehensvaluta in Höhe von 79.000,00 DM wurde von der [X.] weisungsgemäß auf ein Konto der W.-GmbH als Gründungs- und geschäftsführende Gesellschafterin des Fonds überwiesen.
Auf Empfehlung des [X.], der bei den [X.] seiner Mitglieder für Fondsbeteiligungen der W.-GmbH einen Widerruf der Darlehensnehmer nach dem Haustürwiderrufsgesetz auszuschlie-ßen suchte, unterbreitete die Beklagte dem Kläger nach Auslaufen der Zins-festschreibung durch Schreiben vom 23. März 1999 ein Angebot zur Umschul-dung seines Darlehens. Nachdem ihm die Beklagte bestätigt hatte, daß eine Vorfälligkeitsentschädigung nicht anfalle, unterzeichnete der Kläger am 12. April 1999 einen Darlehensvertrag gemäß [X.] mit entsprechen-der Widerrufsbelehrung über den Betrag von 85.870,00 DM. Neben den bereits gestellten Sicherheiten verpfändete der Kläger seinen Gesellschaftsanteil an die Beklagte. Durch Anwaltsschreiben vom 12. Mai 2000 widerrief der Kläger, der bis dahin [X.] in Höhe von [X.] DM erbracht hatte, unter Hinweis auf eine Haustürsituation seine auf Abschluß des Darlehensvertrages vom 18. August/14. September 1988 gerichtete Willenserklärung.
Das [X.] hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger [X.] DM zu zahlen und die Rechte aus den Lebensversicherungen an ihn rückabzutre-ten. Auf die Berufung der [X.] hat das [X.] die Klage ab-- 4 - gewiesen. Mit seiner zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederher-stellung des [X.]eils des [X.]s. Entscheidungsgründe:

Die Revision des [X.] ist begründet und führt zur Aufhebung der [X.] Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das [X.].
[X.] Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger sei grundsätzlich zum Widerruf des in einer Haustürsituation geschlossenen Darlehensvertrages vom 18. August/14. September 1988 berechtigt. Es könne dahinstehen, ob das Widerrufsrecht durch den [X.] und die darin enthaltene Belehrung über den Widerruf nach dem [X.] entfallen sei. Jedenfalls sei der Kläger auch nach Widerruf seiner Willenserklärung zur Rück-zahlung der Darlehensvaluta verpflichtet. Eine Rückabwicklung des Inhalts, daß der Anleger ohne Berücksichtigung seines Gesellschaftsanteils seine Zahlun-gen in vollem Umfang zurückverlangen könne, sei - wie auch bei einem [X.] nach § 9 VerbrKrG - mit gesellschaftsrechtlichen Grundsät-zen nicht vereinbar.
I[X.] Dieser Beurteilung kann nicht beigetreten werden.

1. Der Kläger hat nach Maßgabe des für das Revisionsverfahren [X.] zu legenden Sachverhalts seine auf Abschluß des Darlehensvertrages ge-richtete Willenserklärung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 [X.] (in der bis zum 30. September 2000 geltenden Fassung, jetzt § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB) wirksam widerrufen. - 5 - a) Das Widerrufsrecht des [X.] unterliegt im Blick auf den durch die Willenserklärungen vom 18. August und 14. September 1988 zustande ge-kommenen Darlehensvertrag keinen Bedenken. Das [X.] ist nach Art. 9 Abs. 1 des Gesetzes über Verbraucherkredite, zur Änderung der ZPO und anderer Gesetze erst am 1. Januar 1991 in [X.] getreten. Für zuvor abgeschlossene Kreditverträge gilt das frühere Recht. § 5 Abs. 2 [X.] sah in der seinerzeit maßgeblichen Fassung zwar einen Vorrang des [X.] vor, dessen Anwendungsbereich aber auf bewegliche Sachen beschränkt war und die hier einschlägige Beteiligung an einem Immobilienfonds nicht erfaßte (vgl. [X.] 97, 127, 131; [X.], [X.]. § 1 [X.] Rdn. 13 m.w.Nachw.).
b) Das Widerrufsrecht des [X.] ist nicht durch den Abschluß eines Verbraucherkreditvertrages im Jahre 1999 entfallen.
Für Kreditverträge, die vor Inkrafttreten des [X.]es geschlossen worden sind, gilt - wie ausgeführt - das bisherige Recht. Der [X.] den Parteien im Jahre 1988 vereinbarte Darlehensvertrag ist im Jahre 1999 lediglich abgeändert worden, weil bei fortlaufendem Kapitalnutzungsrecht des [X.] nur die Kreditbedingungen der Marktentwicklung angepaßt wurden. Dabei handelt es sich um eine sogenannte unechte Abschnittsfinanzierung, die dazu dient, die Konditionen der Kapitalnutzung für die Zukunft zu ändern. Eine solche Änderung läßt den ursprünglichen Vertrag unberührt und führt nicht zur Anwendbarkeit des [X.]es ([X.]atsurteile v. 27. September 2004 - [X.] und [X.] im Anschluß an [X.], [X.]. v. 7. Oktober 1997 - [X.], [X.], 2353 f.; [X.], [X.]. v. 6. Dezember 1994 - [X.], [X.], 103). - 6 - c) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wurde der Kläger im Rahmen einer Haustürsituation (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) zum Abschluß des Darlehensvertrages bewogen.
Zwar ist eine Haustürsituation nicht gegeben, wenn der Kunde die [X.] zum Zwecke von Verhandlungen aufsucht ([X.], [X.]. v. 30. März 2000 - [X.], [X.], 3498 f.). Anders [X.] es sich aber, sofern die Verhandlungen in der Wohnung eines [X.] wurden ([X.] NJW-RR 1991, 121 f.; [X.]/[X.], BGB 2001, § 1 [X.] Rdn. 84). Im Streitfall wurden die Verhandlungen nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in der Woh-nung des Vermittlers [X.]., sondern in der Wohnung seiner Schwägerin ge- führt, die dem Kläger bei der Abwicklung seiner steuerlichen Angelegenheiten behilflich war und ihn auf die Möglichkeit einer steuerbegünstigten Beteiligung hingewiesen hatte. Damit ist § 1 Abs. 1 Nr. 1 [X.] anwendbar. Durch das Merkmal der Privatwohnung sollen nach dem Willen des Gesetzgebers ins-besondere auch solche Gestaltungen erfaßt werden, bei denen eine von dem Direktvertreiber gewonnene Privatperson - wie hier - ihre Wohnung als [X.] zur Verfügung stellt (BT-Drucks. 10/2876 S. 11).
d) [X.] Prüfung durch das Berufungsgericht bedarf die Frage, ob die Haustürsituation der [X.] zuzurechnen ist.
[X.]) Insoweit gelten die für die Zurechnung einer arglistigen Täuschung nach § 123 Abs. 2 BGB entwickelten Grundsätze ([X.], [X.]. v. 12. November 2002 - [X.], [X.], 22, 24 f.; v. 15. Juli 2003 - [X.], [X.], 1741, 1743; v. 20. Januar 2004 - [X.], [X.] 2004, 647, 648). Ist danach - wie hier - der Verhandlungsführer als Dritter anzusehen, so ist sein - 7 - Handeln dem Erklärungsempfänger zuzurechnen, wenn dieser es kannte oder kennen mußte. Für eine fahrlässige Unkenntnis in diesem Sinne genügt, daß die Umstände des Falles den Erklärungsempfänger veranlassen mußten, sich zu erkundigen, auf welchen Umständen die ihm übermittelte Willenserklärung beruht ([X.], [X.]. v. 9. April 1992 - [X.], [X.], 755, 756).
[X.]) Das [X.] hat keine Feststellungen getroffen, ob die Haustürsituation der Klägerin nach diesen Grundsätzen zurechenbar ist. Dies wird nach der Zurückverweisung der Sache und ergänzendem Sachvortrag der Parteien nachzuholen sein. Dabei kann der Aussage des Zeugen [X.]. Be- deutung zukommen, wonach sämtliche Fondsanteile - nach seiner [X.] mit Wissen der beteiligten Banken - im Direktvertrieb vermarktet worden seien. Die Vermutung des Zeugen wird durch die in einem Rundschreiben ge-äußerte Empfehlung des [X.], die Darlehensverträge zur Vermeidung eines Widerrufs nach Auslaufen der Zinsfestschreibung umzu-schulden, bestätigt. Da die Klägerin diesem Hinweis gefolgt ist, könnte ihr die [X.] bekannt gewesen sein.
e) Das Widerrufsrecht der [X.] ist nicht durch Fristablauf erloschen. Die einwöchige Widerrufsfrist des § 1 Abs. 1 [X.] hat mangels einer Be-lehrung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 und 3 [X.] nicht zu laufen begonnen. Fehlt eine ordnungsgemäße Belehrung, kann das Widerrufsrecht entsprechend dem [X.]eil des [X.] vom 13. Dezember 2001 ([X.]. [X.]/99, NJW 2002, 281, 282 f.) zeitlich unbefristet ausgeübt werden (vgl. auch [X.]at, [X.] 148, 201, 203 f.: 10 Jahre). Eine Verwirkung des [X.] scheidet schon deshalb aus, weil die betroffenen Darlehensnehmer erst durch die Entscheidung des [X.] vom 13. Dezember 2001 ([X.]O) über die Berechtigung eines Widerrufs nach dem [X.] 8 - gesetz verbindlich in Kenntnis gesetzt wurden (vgl. [X.], [X.]. v. 15. September 1999 - [X.], [X.], 140, 142).
2. Als Rechtsfolge des Widerrufs sind die Vertragspartner gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 [X.] verpflichtet, dem jeweils anderen Teil die empfange-nen Leistungen zurückzugewähren.
a) Danach braucht der Kläger der [X.] nicht die Darlehensvaluta zurückzuzahlen, sondern ihr lediglich seinen Fondsanteil abzutreten.
Der [X.]at hat in seinem [X.]eil vom 14. Juni 2004 ([X.], [X.], 1402, 1406) entschieden, daß die von dem Darlehensnehmer empfange-ne Leistung im Falle der Auszahlung des Darlehens an einen Dritten bei einem Verbundgeschäft i.S. von § 9 VerbrKrG der finanzierte Gesellschaftsanteil ist. Der [X.] des [X.] und der Darlehensvertrag der Parteien bilden ein verbundenes Geschäft i.S. von § 9 Abs. 1, 4 VerbrKrG. Ein solches liegt vor, wenn sich Fondsgesellschaft und Bank derselben Vertriebsorganisation bedie-nen (vgl. [X.].[X.]. v. 21. Juli 2003 - [X.], [X.], 1592, 1594; ebenso Entscheidungen v. 14. Juni 2004 in den Sachen [X.], [X.], 1394, 1396, 1398 und [X.], [X.], 1402, 1405). Das war hier der Fall. Die Beklagte hat ihre Vertragsformulare dem Vertriebsunternehmen zur Verfügung gestellt.
b) Die Beklagte hat dem Kläger die von ihm gezahlten [X.] zurück-zugewähren, allerdings nur, soweit sie aus von der Gesellschaftsbeteiligung unabhängigem Vermögen erbracht sind (vgl. [X.].[X.]. v. 14. Juni 2004 - [X.], [X.], 1402, 1404). Das Berufungsgericht wird - ggf. nach ergänzendem Vortrag der Parteien - klären müssen, in welchem Umfang der - 9 - Treuhänder Ausschüttungen des Fonds an die Beklagte weitergeleitet hat. [X.] ist die Beklagte verpflichtet, die Rechte aus der Lebensversicherung an den Kläger zurückzuübertragen ([X.].[X.]. [X.]O).

[X.]

[X.] Gehrlein

Meta

II ZR 375/02

15.11.2004

Bundesgerichtshof II. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.11.2004, Az. II ZR 375/02 (REWIS RS 2004, 687)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 687

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