Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.09.2017, Az. I ZR 29/13

1. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4966

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel: Anwendung der Übergangsregelung der Verordnung auf ein vor dem 1. Januar 2005 als Arzneimittel und nachfolgend als Lebensmittel vertriebenes Produkt - RESCUE-Produkte II


Leitsatz

RESCUE-Produkte II

Der Anwendung der Übergangsregelung des Art. 28 Abs. 2 Halbs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 auf ein vor dem 1. Januar 2005 als Arzneimittel und nachfolgend als Lebensmittel vertriebenes Produkt stehen Änderungen seiner Aufmachung nicht und Änderungen seiner Darreichungsform nur dann entgegen, wenn sie zu einer Änderung seiner materiellen Eigenschaften geführt haben.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des [X.] vom 31. Januar 2013 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und die außergerichtlichen Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte vertreibt in [X.] über Apotheken [X.], darunter sogenannte "[X.] mit einem Alkoholgehalt von 27 Volumenprozent. Sie bezeichnet diese Produkte als "Spirituose" und bietet sie in [X.] mit einem Inhalt von 10 oder 20 ml und als Spray an. Die Produktverpackungen enthalten die folgenden Hinweise zur Dosierung:

[X.] [X.] TROPFEN

4 Tropfen in ein Wasserglas geben und über den Tag verteilt trinken oder bei Bedarf 4 Tropfen unverdünnt zu sich nehmen.

[X.] NIGHT SPRAY

2 Sprühstösse auf die Zunge geben.

2

Die Klägerinnen vertreiben nach ihrem Vortrag auf dem [X.] Markt ebenfalls [X.]. Mit der Klage haben sie in erster Linie ein generelles Verbot des Vertriebs von [X.]n durch die Beklagte ohne arzneimittelrechtliche Zulassung oder Registrierung erstrebt. Außerdem haben sie sich gegen eine Vielzahl von Werbeaussagen sowie gegen den Marktauftritt der Beklagten mit den "[X.]n mit der Begründung gewandt, die Beklagte werbe in wettbewerbswidriger Weise für alkoholhaltige Getränke mit Hinweisen auf eine gesundheitsfördernde oder gesundheitlich unbedenkliche Wirkung.

3

Die Beklagte hat geltend gemacht, sie habe das unveränderte Produkt schon vor dem 1. Januar 2005 unter den angegriffenen Bezeichnungen in Verkehr gebracht.

4

Das [X.] hat die Beklagte gemäß ihrem Anerkenntnis zur Unterlassung einzelner Werbeaussagen mit der Bezeichnung "Bach-Blüten" verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, haben die Klägerinnen im zweiten Rechtszug hilfsweise beantragt, die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr als Spirituosen gekennzeichnete Produkte unter der Bezeichnung "[X.] TROPFEN" und/oder "[X.] NIGHT SPRAY" zu bewerben und/oder zu vertreiben.

5

Die Berufung der Klägerinnen hatte insoweit Erfolg, als das Berufungsgericht die Beklagte nach diesem Hilfsantrag zur Unterlassung verurteilt hat ([X.], [X.] 2013, 87 = [X.], 357).

6

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerinnen beantragen, erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage mit diesem Hilfsantrag.

7

Mit Beschluss vom 12. März 2015 hat der Senat dem [X.] zur Auslegung der Art. 4 Abs. 3, Art. 10 Abs. 3, Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 6 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt ([X.], 611 = [X.], 721 - [X.]-Produkte I):

1. Sind in [X.] mit einem Inhalt von 10 oder 20 ml und als Spray über Apotheken vertriebene, als Spirituosen bezeichnete Flüssigkeiten mit einem Alkoholgehalt von 27 Volumenprozent Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent im Sinne von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006, wenn nach den auf ihren Verpackungen gegebenen Dosierungshinweisen

a) vier Tropfen der Flüssigkeit in ein Wasserglas zu geben und über den Tag verteilt zu trinken oder bei Bedarf vier Tropfen unverdünnt zu sich zu nehmen sind,

b) zwei Sprühstöße der als Spray vertriebenen Flüssigkeit auf die Zunge zu geben sind?

2. Falls die Fragen zu 1 a und b zu verneinen sind:

Müssen auch bei Verweisen auf allgemeine, nicht spezifische Vorteile im Sinne des Art. 10 Abs. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006 Nachweise im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung vorliegen?

3. Gilt die Bestimmung des Art. 28 Abs. 2 Halbs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006, wenn das betreffende Produkt unter seinem Markennamen vor dem 1. Januar 2005 nicht als Lebensmittel, sondern als Arzneimittel vermarktet wurde?

8

Der [X.] hat über die Vorlagefrage 3 durch Urteil vom 23. November 2016 ([X.]/15, [X.], 100 = [X.], 292 - [X.]) wie folgt entschieden:

9

Art. 28 Abs. 2 erster Halbsatz der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006 des [X.] und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung auf ein mit einer Handelsmarke oder einem Markennamen versehenes Lebensmittel anwendbar ist, das vor dem 1. Januar 2005 als Arzneimittel und danach - mit den gleichen materiellen Eigenschaften und unter derselben Handelsmarke oder demselben Markennamen - als Lebensmittel vermarktet wurde.

Die Beantwortung der Vorlagefragen 1 und 2 hat der [X.] in Anbetracht der Antwort auf die Vorlagefrage 3 und mit der Begründung, dass es im Ausgangsverfahren um die sofortige Unterlassung der geschäftlichen Handlungen von [X.] hinsichtlich der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Präparate geht, für nicht erforderlich gehalten ([X.], 100 Rn. 49 - [X.]).

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hat, soweit dies für die Revision von Belang ist, angenommen, den Klägerinnen stehe der im zweiten Rechtszug hilfsweise geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG (in der Fassung, in der dieses Gesetz bis zum 9. Dezember 2015 gegolten hat; mit Wirkung vom 10. Dezember 2015 ist an die Stelle des § 4 Nr. 11 UWG aF ohne sachliche Änderung die Bestimmung des § 3a UWG getreten) zu, weil die Bewerbung und der Vertrieb der als Spirituosen gekennzeichneten Produkte unter den Bezeichnungen "[X.]" und "[X.] NIGHT SPRAY" gegen Art. 4 Abs. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006 verstießen. Dazu hat es ausgeführt:

Die Klägerinnen seien als Mitbewerberinnen zur Geltendmachung des wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs berechtigt, weil jedenfalls zwischen den von ihnen vertriebenen Nahrungsergänzungsmitteln und den [X.] der [X.] Warennähe bestehe, die ein konkretes Wettbewerbsverhältnis begründe. Die Klägerinnen hätten auch hinreichend substantiiert dargelegt, dass ihre unternehmerische Tätigkeit auf den Absatz entsprechender Produkte gerichtet sei.

Die angegriffenen "[X.]"-Produkte seien alkoholische Getränke, die nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006 keine gesundheitsbezogenen Angaben tragen dürften. Dies gelte grundsätzlich für alle zum allgemeinen menschlichen Verzehr bestimmten Flüssigkeiten, deren Alkoholgehalt 1,2 Volumenprozent übersteige. Darreichungen in flüssiger Form seien nach dem Schutzzweck dieser Verordnung nur dann ausgenommen, wenn es sich um Nahrungsergänzungsmittel handele. Dies sei bei den Bach-Blüten-Produkten der [X.] nicht der Fall. Die Bezeichnung "[X.]" enthalte eine gesundheitsbezogene Angabe. Sie löse beim angesprochenen Verkehr die Vorstellung aus, dass man die Produkte zur Rettung aus einer schlechten gesundheitlichen Situation einsetzen könne. Damit bestehe ein Zusammenhang zwischen der Angabe und einer Verbesserung des Gesundheitszustandes.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der [X.] hat Erfolg. Sie führt in dem Umfang, in dem das Berufungsgericht zum Nachteil der [X.] erkannt hat, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.

1. Das Berufungsgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der in der Revisionsinstanz noch streitgegenständliche Hilfsantrag zulässig ist. Der Berufungskläger kann sein Rechtsmittel auch nach Ablauf der Berufungsfrist bis zum Schluss der Berufungsverhandlung erweitern, soweit die fristgerecht vorgetragenen Berufungsgründe die Antragserweiterung decken (vgl. [X.], Urteil vom 28. September 2000 - [X.], NJW 2001, 146, insoweit in [X.]Z 145, 256 nicht abgedruckt; Urteil vom 25. April 2013 - [X.], [X.], 1514 Rn. 18; Beschluss vom 1. Juni 2017 - [X.], juris Rn. 9, jeweils mwN). Diese Voraussetzung war im Streitfall erfüllt. Die Klägerinnen hatten bereits in der Berufungsbegründung auch einen Verstoß der [X.] gegen Art. 4 Abs. 3 der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006 geltend gemacht.

2. Nach der vom [X.] auf die Vorlagefrage 3 gegebenen Antwort kommt in Betracht, dass der noch streitgegenständliche Hilfsantrag im Hinblick auf die Regelung des Art. 28 Abs. 2 Halbs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006 unbegründet ist. Danach dürfen Produkte mit bereits vor dem 1. Januar 2005 bestehenden Handelsmarken oder Markennamen auch dann bis zum 19. Januar 2022 weiterhin in den Verkehr gebracht werden, wenn sie dieser Verordnung nicht entsprechen.

a) Die Revision weist hierzu auf von der [X.] in der Berufungsinstanz gehaltenen Vortrag hin, wonach die Unionsmarke "[X.]" bereits vor dem 1. Januar 2005 zur Kennzeichnung von Produkten benutzt wurde, die nachfolgend nicht verändert, sondern nur ab dem [X.] nicht mehr - wie bis dahin - als Arzneimittel, sondern als Lebensmittel eingeordnet und vermarktet wurden. Das Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen. Für die Revisionsinstanz ist daher davon auszugehen, dass der von der Revision angeführte Vortrag der [X.] zutrifft.

b) Nach den Ausführungen der Revision zu dem Produkt "[X.] Night Spray", das erst nach dem Stichtag 1. Januar 2005 auf den Markt gekommen ist, sind die materiellen Eigenschaften dieses Erzeugnisses gegenüber dem Produkt "[X.] Tropfen" unverändert geblieben. Es handele sich nur um eine andere Darreichungsform mit geringfügig abweichender Rezeptur der gleichen materiellen Eigenschaften und praktisch identischem Anwendungsbereich und Einsatzzweck. Sollte dies der Fall sein, wären Änderungen der Aufmachung des Produkts und der Darreichungsform unter Beibehaltung seiner materiellen Eigenschaften irrelevant im Hinblick auf die Anwendung der Übergangsregelung des Art. 28 Abs. 2 Halbs. 1 der Verordnung ([X.]) Nr. 1924/2006, wenn ein von der [X.] nunmehr als Lebensmittel vermarktetes Produkt mit den gleichen materiellen Eigenschaften und unter derselben Handelsmarke oder demselben Markennamen vor dem 1. Januar 2005 als Arzneimittel vertrieben worden ist (vgl. [X.], [X.], 100 Rn. 47 - Nelsons).

III. In der wiedereröffneten Berufungsinstanz wird das Berufungsgericht die nach den Ausführungen zu vorstehend [X.] gebotenen Feststellungen nachzuholen haben. Sollte sich dabei ergeben, dass der von der [X.] dazu gehaltene Vortrag zutrifft und mögliche Änderungen der Darreichungsform zu keiner Änderung der Eigenschaften des Produkts geführt haben, wird es die Klage hinsichtlich des noch streitgegenständlichen [X.] abzuweisen haben. Anderenfalls wird es den weiteren im Vorlagebeschluss des Senats angeführten Fragen nachzugehen haben. Sollte sich bis zum Schluss der Berufungsverhandlung keine Klärung der vom [X.] unbeantwortet gelassenen Vorlagefragen 1 und 2 ergeben haben (vgl. dazu auch [X.], [X.], 611 Rn. 13 bis 34 - [X.]-Produkte I; Schlussanträge des Generalanwalts [X.] vom 22. Juni 2016 - [X.]/15, juris Rn. 28 bis 76; [X.], [X.] 2017, 347, 350 bis 353), wird das Berufungsgericht wegen dieser Fragen seinerseits eine Vorlage an den [X.] nach Art. 267 Abs. 2 AEUV zu erwägen haben. Sollte es davon absehen, wird es gegebenenfalls die Revision zulassen müssen.

Büscher     

      

Schaffert     

      

[X.]

      

Koch     

      

Feddersen     

      

Meta

I ZR 29/13

21.09.2017

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend EuGH, 23. November 2016, Az: C-177/15, Urteil

Art 28 Abs 2 Halbs 1 EGV 1924/2006, § 3 UWG, § 4 Nr 11 UWG, § 8 UWG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.09.2017, Az. I ZR 29/13 (REWIS RS 2017, 4966)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 294-295 REWIS RS 2017, 4966

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I ZR 29/13 (Bundesgerichtshof)

Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel: Rechtliche Einordnung der …


I ZR 29/13 (Bundesgerichtshof)


I ZR 29/13 (Bundesgerichtshof)


I ZR 252/16 (Bundesgerichtshof)

Wettbewerbsverstoß im Internet: Umfang des Verbots gesundheitsbezogener Angaben für alkoholische Getränke; Bezeichnung einer Biersorte als …


6 W 1402/13 (OLG München)

Pflicht des Unterlassungsschuldners zum Rückruf streitbefangener Produkte - „Rescue Tropfen“


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.