Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.04.2012, Az. VI R 59/11

6. Senat | REWIS RS 2012, 7120

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Gegenstand

Wohnen am Beschäftigungsort bei doppelter Haushaltsführung


Leitsatz

Eine Wohnung dient dem Wohnen am Beschäftigungsort, wenn sie dem Arbeitnehmer ungeachtet von Gemeinde- oder Landesgrenzen ermöglicht, seine Arbeitsstätte täglich aufzusuchen. Die Entscheidung darüber, ob eine solche Wohnung so gelegen ist, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort seine Arbeitsstätte aufsuchen kann, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das Finanzgericht.

Tatbestand

1

I. Streitig ist, unter welchen Voraussetzungen ein Wohnen am [X.]eschäftigungsort im Sinne einer doppelten Haushaltsführung vorliegt.

2

Die Kläger und [X.] (Kläger), als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt, haben ihren gemeinsamen Hausstand in [X.]; sie erzielten im Streitjahr (2008) beide Einkünfte aus nichtselbständiger [X.]rbeit. Die Klägerin arbeitet als kaufmännische [X.]ngestellte in [X.], nachdem ihr [X.]rbeitgeber seinen Firmensitz ab Januar 2007 von [X.] nach [X.] verlegt hatte. Die Klägerin ist seit dem [X.] Eigentümerin einer 78,40 qm großen Wohnung in [X.], die sie unter der Woche als Zweitwohnsitz nutzt. Die Entfernung zwischen dieser Wohnung in [X.] und ihrer [X.]rbeitsstätte in [X.] beträgt 141 km. Die Wochenenden verbringen die Kläger regelmäßig gemeinsam in [X.].

3

Die Klägerin machte [X.]ufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten geltend, nämlich [X.]ufwendungen für Familienheimfahrten sowie Unterkunftskosten für die Wohnung in [X.].

4

Der [X.]eklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --F[X.]--) berücksichtigte im hier streitigen Einkommensteuerbescheid für 2008 dagegen keine Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung, weil sich die Wohnung in [X.] nicht am [X.]eschäftigungsort in [X.] befinde.

5

Die dagegen auf [X.]erücksichtigung der Kosten als Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung gerichtete Klage war aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2012, 36 veröffentlichten Gründen erfolgreich. Das Finanzgericht ([X.]) berücksichtigte als notwendige Mehraufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung die [X.]ufwendungen für die Unterkunft unter Hinweis auf das Urteil des [X.]undesfinanzhofs ([X.]FH) vom 9. [X.]ugust 2007 VI R 10/06 ([X.]FHE 218, 380, [X.]St[X.]l II 2007, 820) anteilig im Umfang für die Kosten einer 60 qm Wohnung am [X.]eschäftigungsort sowie die [X.]ufwendungen für die Familienheimfahrten.

6

Das F[X.] wendet sich mit der vom [X.] zugelassenen Revision gegen die Vorentscheidung und rügt die Verletzung materiellen Rechts.

7

Es sei mit dem möglichen Wortsinn des Tatbestands der doppelten Haushaltsführung als Grenze der [X.]uslegung nicht mehr vereinbar, zwei 141 km entfernt liegende geographische Punkte als am selben Ort liegend zu betrachten. Der [X.]FH habe in seinem [X.]eschluss vom 2. Oktober 2008 VI [X.] 33/08 (juris) bei der [X.]uslegung des [X.]egriffs am [X.]eschäftigungsort bei einer Entfernung von 62 km zwischen Zweitwohnung und [X.]rbeitsstätte kein Wohnen am [X.]eschäftigungsort angenommen. [X.]uch wenn man davon ausgehe, dass die Entfernung nur eines von mehreren Kriterien sei, dürfe dieses Kriterium auch bei großzügiger [X.]uslegung nicht ausgehebelt werden.

8

Das F[X.] beantragt,
das Urteil des [X.] Düsseldorf vom 13. Oktober 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und gemäß § 126 Abs. 2 der [X.]inanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die von den Klägern geltend gemachten Kosten für die doppelte Haushaltsführung der Klägerin als Werbungskosten bei ihren [X.]inkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen sind.

1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des [X.]inkommensteuergesetzes ([X.]StG) sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. [X.]ine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 [X.]StG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am [X.]eschäftigungsort wohnt. Das Gesetz selbst konkretisiert nicht weiter, was unter dem Wohnen am [X.]eschäftigungsort im [X.]inzelnen zu verstehen ist. [X.]s entspricht allerdings schon der bisherigen langjährigen Rechtsprechung des erkennenden [X.]s, den [X.]egriff des [X.]eschäftigungsorts weit auszulegen und darunter insbesondere nicht nur dieselbe politische Gemeinde zu verstehen. So hatte der [X.] bereits mit Urteil vom 9. November 1971 VI R 96/70 ([X.], 506, [X.] 1972, 134, s. auch [X.]surteil vom 16. Dezember 1981 VI R 227/80, [X.], 57, [X.] 1982, 302) entschieden, dass ein Arbeitnehmer auch dann am [X.]eschäftigungsort i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 [X.]StG wohnt, wenn er in der Umgebung der politischen Gemeinde wohnt, in der sich seine Arbeitsstätte befindet, und von hier aus zur Arbeitsstätte fährt.

a) Daran hält der [X.] grundsätzlich fest. Der Tatbestand der doppelten Haushaltsführung selbst konkretisiert das Merkmal des Wohnens am [X.]eschäftigungsort. Denn liegt eine doppelte Haushaltsführung dann vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am [X.]eschäftigungsort wohnt, und ist die [X.]rrichtung des [X.] am [X.]eschäftigungsort beruflich veranlasst, wenn der Arbeitnehmer den Zweithaushalt unterhält, um von dort aus seinen Arbeitsplatz aufsuchen zu können ([X.][X.]H-Urteile vom 5. März 2009 VI R 23/07, [X.], 420, [X.] 2009, 1016; VI R 58/06, [X.], 413, [X.] 2009, 1012; VI R 31/08, [X.], 1256), dann wohnt der Arbeitnehmer in einer Wohnung am [X.]eschäftigungsort, wenn er von dort aus ungeachtet von Gemeinde- oder Landesgrenzen seine Arbeitsstätte täglich aufsuchen kann. Dementsprechend haben auch bisher schon [X.]ntscheidungen der [X.]inanzgerichte sowie die Kommentarliteratur eine Wohnung am [X.]eschäftigungsort bejaht, wenn sie in einem [X.]ereich liegt, von dem aus der Arbeitnehmer üblicherweise täglich zu diesem Ort fahren kann (vgl. Urteil des [X.] des Saarlandes vom 25. Juni 1993  1 K 189/92, [X.][X.] 1994, 201; Urteil des [X.] Münster vom 19. Oktober 1999  13 K 2468/94 [X.], juris; von [X.], in: [X.][X.], [X.]StG, § 9 Rz G 50; Wagner, in: [X.]/Wagner, [X.], [X.], Rz 313; [X.]/Meeßen/Wolf, A[X.]C-[X.]ührer Lohnsteuer, "Doppelte Haushaltsführung" Rz 46; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 9 [X.]StG Rz 505; [X.]/[X.], § 9 [X.]StG Rz 365; jeweils m.w.N.).

b) Die [X.]ntscheidung darüber, ob die fragliche Wohnung in der Weise am [X.]eschäftigungsort, nämlich so zur Arbeitsstätte gelegen ist, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort seine Arbeitsstätte aufsuchen kann, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das [X.]. Denn die Antwort darauf kann nur aufgrund der [X.]erücksichtigung und Würdigung aller wesentlichen Umstände des [X.]inzelfalles gegeben werden und ist insbesondere von den individuellen Verkehrsverbindungen zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte abhängig; dabei ist naturgemäß die [X.]ntfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ein wesentliches, allerdings nicht allein entscheidungserhebliches Merkmal.

2. Nach Maßgabe der vorgenannten Rechtsgrundsätze hat das [X.] zutreffend entschieden, dass die fragliche Wohnung der Klägerin in [X.] eine Wohnung am [X.]eschäftigungsort im Sinne der doppelten Haushaltsführung darstellt.

a) Das [X.] gelangte auf der Grundlage seiner insoweit unstreitigen [X.]eststellungen, dass die Klägerin für die Zugfahrt von [X.] nach A mit dem IC[X.] eine Stunde benötigt, zu der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung, dass der Klägerin ein tägliches Aufsuchen ihrer Arbeitsstätte möglich sei, ein solcher Zeitaufwand für [X.]ahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angesichts steigender Mobilitätsanforderungen nicht unüblich sei und die Wohnung in [X.] mithin noch im [X.]inzugsbereich der Arbeitsstätte der Klägerin liege. Zutreffend hat das [X.] in seine Würdigung einbezogen, dass es insoweit nicht auf die bloße geographische [X.]ntfernung zwischen Zweitwohnung und Arbeitsstätte ankomme und es auch nicht unüblich sei, dass Arbeitnehmer größere [X.]ntfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Kauf nähmen, sofern die Arbeitsstätte verkehrsgünstig zu erreichen sei.

b) [X.]ntgegen der Auffassung des [X.]A hat deshalb das [X.] auch zu Recht berücksichtigt, dass der Arbeitgeber der Klägerin seinen [X.]irmensitz zunächst in [X.] gehabt und später nach [X.] habe. Denn damit hat das [X.] nicht etwa, wie das [X.]A meint, eine reine [X.]illigkeitserwägung ohne gesetzliche Grundlage herangezogen, sondern entsprechend den vorgenannten Rechtsgrundsätzen zutreffend die [X.]esonderheiten des [X.]inzelfalls berücksichtigt und damit insbesondere nachvollziehbar begründet, dass die Wohnung in [X.] offenkundig beruflich veranlasst war und sich allein mit dem Wegzug des Arbeitgebers und der unverändert beibehaltenen Art der Nutzung der Wohnung an der beruflichen Veranlassung auch nichts geändert hat.

Diesen Grundsätzen entspricht es schließlich, wenn der [X.] mit [X.]eschluss vom 2. Oktober 2008 VI [X.] 33/08 (juris) im dort entschiedenen Streitfall auf der Grundlage der dazu getroffenen tatsächlichen [X.]eststellungen des [X.] dessen Würdigung nicht beanstandet hatte, dass angesichts der dort gegebenen individuellen Lage und [X.]ntfernung zwischen der Zweitwohnung des [X.] und dessen [X.]eschäftigungsort (62 km) keine Wohnung am [X.]eschäftigungsort vorgelegen hatte.

Schließlich dringt das [X.]A auch nicht mit seinem Vorbringen durch, dass der mögliche Wortsinn des Tatbestandsmerkmals "am [X.]eschäftigungsort" der vorstehenden Auslegung entgegensteht. Denn der erkennende [X.] hatte dazu schon in seinem Urteil aus dem [X.] ([X.], 506, [X.] 1972, 134) darauf hingewiesen, dass der [X.]egriff "Wohnen am [X.]eschäftigungsort" weitgehend unverändert auf einen [X.]rlass des Reichsministers der [X.]inanzen vom 6. Dezember 1930 (RSt[X.]l 1930, 782) zurückgehe, deshalb unter [X.]erücksichtigung der seitdem eingetretenen [X.]ntwicklung der Verhältnisse auszulegen sei, und hatte auf dieser Grundlage schon damals den [X.]egriff "[X.]eschäftigungsort" nicht auf die politische Gemeinde begrenzt, sondern die gesamte Umgebung einbezogen.

Meta

VI R 59/11

19.04.2012

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 13. Oktober 2011, Az: 11 K 4448/10 E, Urteil

§ 9 Abs 1 S 3 Nr 5 EStG 2002, § 118 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.04.2012, Az. VI R 59/11 (REWIS RS 2012, 7120)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7120

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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