Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 20.06.2016, Az. 5 U 140/15

5. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 9656

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Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29.09.2015 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

Gründe:

A

Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um die Feststellung des Eigentums der Klägerin an dem PKW B mit der Fahrgestell-Nummer #####, Erstzulassung 30.07.2010.

Die Beklagte wurde am 30.07.2010 als Eigentümerin des vorbezeichneten Kraftfahrzeuges in dem Öffentlichen Automobilregister („Pubblico Registro Automobilistico“) in Italien (Provinz Cuneo) eingetragen, worüber sich eine Eigentumsbescheinigung vom 13.02.2012 („Certificato Di Proprieta“- vgl. Bl. 84 f. d. A.) verhält.

Die Beklagte stellte das Fahrzeug der Firma P.S. Service SRL ausweislich der

„Certificato Di Proprieta“ aufgrund eines Leasingvertrages zur Verfügung (vgl. Bl. 84 f. d. A.). Der Leasingvertrag sollte bis zum 26.07.2014 gültig sein.

Am 18.12.2012 ließ die Beklagte das Fahrzeug durch einen beauftragten Rechtsanwalt (Herrn Q) als verlustig melden.

Das Kraftfahrzeug gelangte zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt, wohl im Februar oder Anfang März 2013, in den Besitz der Klägerin.

Auf welche Weise die Klägerin in den Besitz des B gelangt ist, ist streitig. Sie hat in diesem Zusammenhang einen undatierten schriftlichen Kaufvertrag über das Fahrzeug zwischen ihr und einem Verkäufer Q aus Mailand in Fotokopie zu den Akten gereicht (vgl. Bl. 5 d. A.).

Die Staatsanwaltschaft Essen leitete gegen den damaligen Geschäftsführer der Klägerin U ein Ermittlungsverfahren wegen Hehlerei ein. Im Zuge dieses Ermittlungsverfahrens gab das Amtsgericht Essen (Az.: 44 Gs 2239/13) der Klägerin per Beschluss vom 26.07.2013 gem. § 111 k StPO auf, das Eigentum an dem streitgegenständlichen B durch eine Gerichtsentscheidung nachzuweisen.

Die Klägerin hat behauptet, der B sei für sie durch ihren nunmehrigen Geschäftsführer Christian Thoelke mit schriftlichem Kaufvertrag von einem Q, Straße, Mailand unter Übergabe der Eigentumsurkunde und des Fahrzeugscheins („Carta di Circolazione“) im Original gekauft und in Besitz genommen worden. Die Eigentumsurkunde, ausgestellt durch die Behörde in Mailand, datiert vom 16.01.2013, habe den Verkäufer als Eigentümer des Fahrzeuges ausgewiesen. Der ebenfalls übergebene Fahrzeugschein habe den Verkäufer als Halter des Fahrzeuges ausgewiesen. Als Kaufpreis seien 15.000,00 Euro in bar gezahlt worden. Beide Kraftfahrzeug-Schlüssel seien ihr – der Klägerin – vom Verkäufer übergeben worden.

Wie das Fahrzeug nach Deutschland verbracht worden sei, sei ihr nicht bekannt. Es sei jedenfalls nach H geliefert worden und habe noch über italienische Kennzeichen verfügt. Vor Ankauf habe der Geschäftsführer der Klägerin das Fahrzeug bei dem Internetservice „Internetadresse“ bzgl. der Fahrgestell-Nummer überprüft worden. Dort sei das Fahrzeug nicht als gestohlen gemeldet gewesen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass sie durch Kauf und Übernahme des Fahrzeuges Eigentum daran gutgläubig erworben habe. Sie hat in diesem Zusammenhang weiter behauptet, zum jetzigen Zeitpunkt stehe auch nach Durchsicht der italienischen Unterlagen noch nicht fest, ob in Italien durch die Beklagte ein Strafverfahren gegen die Leasingnehmerin erfolgreich und abschließend geführt worden sei. Jedenfalls werde dort zivilrechtlich über den Bestand des Leasingvertrages gestritten. Die Beklagte habe durch ihren Bevollmächtigten gegenüber der Polizei erklären lassen, dass zunächst 1,5 Jahre jeden Monat 866,94 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer durch den Leasingnehmer gezahlt worden seien. Sodann habe er die Zahlungen abgebrochen. Daraufhin habe, was mit Nichtwissen bestritten werde, die Beklagte eine Kündigung des Leasingvertrages gegenüber der Leasingnehmerin ausgesprochen. Diese sei mit der Angabe „Empfänger verzogen“ zurückgesandt worden. Hieraus habe die Beklagte geschlossen, dass das Fahrzeug unterschlagen worden sei. Weitere Nachforschungen habe sie nicht angestellt, sondern vielmehr Strafanzeige wegen Unterschlagung erstattet. Es sei mithin bis zum heutigen Tage nicht abschließend geklärt, ob in der Tat überhaupt eine Unterschlagung des Fahrzeugs stattgefunden habe.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass sie rechtmäßige Eigentümerin des PKW Hersteller B Modell A5, Fahrgestell-Nr. ##### ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Essen sowie die der deutschen Gerichte überhaupt gerügt. Sie habe – dies ist unstreitig – ihren Sitz in Italien.

Des Weiteren hat die Beklagte den Vortrag der Klägerin zum Ankauf des streitgegenständlichen Fahrzeuges mit Nichtwissen bestritten. Insbesondere hat sie bestritten, dass der Klägerin im Rahmen des Ankaufs eine italienische Eigentumsurkunde und ein italienischer Fahrzeugschein vorgelegt worden sei. Der Vortrag der Klägerin betreffend den angeblichen Eigentumserwerb sei lückenhaft. Die Klägerin gebe nicht an, wo Kaufvertrag und Übergabe erfolgt sein sollen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Feststellungsklage wie beantragt stattgegeben. Sie sei zulässig und begründet.

1.

Die Klage sei zulässig. Die deutsche Gerichtsbarkeit, insbesondere das Landgericht Essen, sei zuständig. Gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (vormals Art. 5 Nr. 3 EuGVVO) könne eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats habe, in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt sei, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bildeten, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten sei oder einzutreten drohe. Hier mache die Klägerin Ansprüche im Zusammenhang mit einer unerlaubten Handlung, nämlich einer Unterschlagung geltend. Auch bei einem Feststellungsantrag auf Feststellung des Eigentums handele es sich um Ansprüche im Zusammenhang mit einer unerlaubten Handlung, wenn aufgrund der unerlaubten Handlung das Eigentum streitig sei. Die Zuständigkeit des Landgerichts Essen ergebe sich aus § 23 ZPO. Aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Essen habe die Klägerin auch ein Feststellungsinteresse an der Feststellung ihres Eigentums.

2.

Die Klage sei auch begründet. Die Klägerin sei Eigentümerin des streitgegenständlichen PKW. Ursprünglich sei die Beklagte die Eigentümerin gewesen, sie habe ihr Eigentum an dem B jedoch durch gutgläubigen Erwerb der Klägerin gem. §§ 932, 935 BGB vom Nichtberechtigten verloren. Dies führt die Kammer im Einzelnen aus.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Die Klage sei als unzulässig abzuweisen. Es fehle bereits an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte. Es sei die EU-Verordnung Nr. 1215/2012 (EuGVVO) anzuwenden. Gem. dieser sei der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten Italien, da sie dort unstreitig ihren Sitz habe. Zwar enthalte die EuGVVO auch besondere Gerichtsstände. Diese könnten im vorliegenden Fall eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte jedoch nicht begründen. Die Klägerin habe die Voraussetzungen, die irgendeinen besonderen Gerichtsstand begründen könnten, nicht schlüssig vorgetragen. Vielmehr habe sich das Landgericht selbst Tatsachen zusammengesucht, um seine Zuständigkeit zu begründen. Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin als zutreffend unterstelle, seien die Voraussetzungen eines besonderen Gerichtsstandes gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht dargetan. Die Klägerin mache geltend, sie sei dadurch Eigentümerin geworden, dass sie das Fahrzeug gutgläubig von einem Dritten erworben habe. Danach sei nicht erkennbar, dass sie ihren Anspruch auf eine unerlaubte Handlung stütze. Jedenfalls beschreibe sie in ihrem gesamten Vortrag keinerlei Schaden, der von der Beklagten oder von einem Dritten verursacht worden wäre und für den die Beklagte nun durch das vorliegende Verfahren in Haftung genommen werden solle. Zudem sei fraglich, ob hier überhaupt eine Unterschlagung stattgefunden habe. Die Klägerin selbst habe das in ihren Schriftsätzen so nicht vorgetragen. Selbst wenn der Verkäufer, von dem die Klägerin das Eigentum an dem B erworben haben wolle, zuvor eine Unterschlagung daran begangen habe, stehe das vorliegende Verfahren in keiner Weise mit dieser Unterschlagung im Zusammenhang. Jedenfalls könne es nicht sein, dass sie – die Beklagte – sich in Deutschland verklagen lassen müsse, weil sie selbst durch eine dritte Person geschädigt worden sei. Dies sei eine Verkehrung des Grundgedankens des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Das Landgericht habe rechtsfehlerfrei seine Zuständigkeit angenommen.

B

Die Berufung ist begründet. Das Landgericht Essen hat zu Unrecht seine Zuständigkeit bejaht. Es ist international wie auch örtlich nicht zuständig gewesen.

I.

Grundsätzlich kann wegen § 513 Abs. 2 ZPO die Berufung nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. § 513 Abs. 2 ZPO enthält im Wortlaut keine Beschränkung auf die örtliche und sachliche Zuständigkeit. Gleichwohl kann wegen der Bedeutung der internationalen Zuständigkeit, die über das Internationale Privatrecht des Gerichtsstaates auch das anwendbare Recht steuert, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes das Fehlen internationaler Zuständigkeit in der Berufungsinstanz auch dann gerügt werden, wenn das Erstgericht sie unzutreffend angenommen hat. Die Pflicht zur Amtsprüfung der internationalen Zuständigkeit besteht in allen Instanzen (vgl. zum Ganzen: BGH NJW 2003, 426 – Rdnr. 9 ff. zitiert nach Juris und Zöller/Heßler 31. Aufl. 2016, § 513 ZPO, Rdnr. 8). Der Senat ist dieser Prüfungspflicht nachgekommen und hat die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Essen verneint.

II.

1.

Die Feststellungsklage richtet sich gegen eine Aktiengesellschaft (T1), die ihren Sitz unstreitig in Italien – nämlich in 12084 Mondovi – hat.

2.

Gem. Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (abgekürzt: EuGVVO) sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates haben, vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedsstaats zu verklagen. Das bedeutet, die Beklagte kann nur dann in einem anderen Mitgliedsstaat als Italien verklagt werden, wenn eine besondere Zuständigkeit nach der EuGVVO gegeben ist (vgl. zum Ganzen: Zöller-Geimer, ZPO, 31. Aufl. 2016, Art. 4 EuGVVO, Rdnr. 1 ff. und Münchner Kommentar/Gottwald, ZPO, 4. Aufl. 2013, Art. 3 EuGVVO, Rdnr. 1 ff.).

Diese besondere Zuständigkeit ergibt sich – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht aus Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (vormals Art. 5 Nr. 3 EuGVVO). Art. 7 Nr. 2 EuGVVO lautet:

Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden:

1.                                                                 …

2.

wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht;

3. bis 7.                                                         …

a)

Diese Vorschrift regelt nicht nur die internationale Zuständigkeit, sondern auch die örtliche Zuständigkeit und verdrängt damit bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt vollständig die Anwendung der Vorschriften des nationalen Zuständigkeitsrechts, insbesondere des § 32 ZPO (vgl. Stein/Jonas-Wagner, ZPO, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO, Rdnr. 109).

Für die Begründung der Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO reicht – wie auch sonst im Rahmen der EuGVVO – die schlüssige Darlegung der zuständigkeitsrelevanten Umstände aus. Das Gericht hat zu prüfen, ob der vorgetragene Sachverhalt eine unerlaubte Handlung im Sinne des Art. 7 Nr. 2 begründet und ob der angebliche Deliktsort im Gerichtssprengel liegt. Da auch negatorische Ansprüche von Art. 7 Nr. 2 erfasst werden, muss für die Zuständigkeit nicht schlüssig behauptet oder gar nachgewiesen werden, dass bereits eine Rechtsgutverletzung oder ein Schaden eingetreten ist. Da das Vorliegen einer unerlaubten Handlung eine doppelrelevante Tatsache darstellt, ist im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung nicht festzustellen, dass tatsächlich eine solche vorliegt. Stellt sich im Laufe des Rechtsstreits heraus, dass es an einer unerlaubten Handlung fehlt, ist die Klage als unbegründet – und nicht als unzulässig – abzuweisen. Auf den streitigen Vortrag der Beklagten kommt es dabei nicht an (vgl. Stein/Jonas-Wagner, ZPO, 22. Aufl. 2011, Art. 5 EuGVVO, Rdnr. 110).

Wie sämtliche Tatbestände des Art. 7 setzt auch Nr. 2 voraus, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat hat und das für den Sondergerichtsstand maßgebliche Anknüpfungsmoment – hier: der Tatort – in einem anderen Mitgliedsstaat gelegen ist. Nach allgemeiner Auffassung können auch gesetzliche oder gewillkürte Rechtsnachfolger und kraft Gesetzes Dritthaftende im Deliktsgerichtsstand klagen oder verklagt werden. Das ist sachgerecht, weil die Tatortnähe auch hier die Zuständigkeit des Gerichts rechtfertigt (vgl. a.a.O., Rdnr. 115 f.).

Wer für den Schaden eines anderen verantwortlich ist, kann gem. Art. 7 Nr. 2 am Tatort verklagt werden. Entsprechende, der Tatortregel folgende Zuständigkeitsvorschriften finden sich nicht nur in § 32 ZPO, sondern in den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedsstaaten. Vor allem die praktisch häufigen Verkehrsunfälle im Ausland waren es, die dem Deliktsgerichtsstand den Weg in das EuGVÜ und von dort in die EuGVVO geebnet haben. Die besondere Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 2 beruht auf der Sach- und Beweisnähe des Gerichts am Ort des schädigenden Ereignisses. Nach ständiger Rechtsprechung besteht eine besonders enge Beziehung zwischen einer Klage aus unerlaubter Handlung und dem Gericht am Tatort. Darüber hinaus gewährleistet der Deliktsgerichtsstand den Gleichlauf von gerichtlicher Zuständigkeit und anwendbarem Recht, weil die Tatortregel zum gesicherten Bestand der Delikts-Kollisionsrechte Europas gehört. Da Art. 7 Nr. 2 EuGVVO sowohl das Gericht am Handlungsort als auch dasjenige am Erfolgsort für zuständig erklärt, hat der Kläger stets die Chance, ein Gericht anzurufen, das das ihm vertraute Deliktsrecht der lex-fori anwenden kann (vgl. a.a.O., Rdnr. 118 f.).

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind der Begriff „unerlaubte Handlung“ und die auf die „quasi-delicts“ des französischen Rechts zugeschnittene Wendung „Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist“ autonom auszulegen (a.a.O., Rdnr. 129).

Der Begriff der „unerlaubten Handlung“ erfasst den gesamten Bereich der nicht-vertraglichen Schadensersatzansprüche. Art. 7 Nr. 2 ist nicht auf klassische Verschuldenshaftung beschränkt, sondern erfasst gleichermaßen die verschuldensunabhängige Haftung aus Gefährdung, in Deutschland beispielsweise die praktisch bedeutsame Straßenverkehrsunfallhaftung nach § 7 StVG. Auch Aufopferungs-Entschädigungsansprüche wegen rechtsmäßigen Eingriffs in eine geschützte Rechtsposition sind am Deliktsgerichtsstand zu verhandeln (vgl. a.a.O., Rdnr. 130).

b)

Diese allgemeinen Grundsätze auf den vorliegenden Fall übertragen, ist die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Essen gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht begründet.

Zum einen ist bereits zweifelhaft, ob eine unerlaubte Handlung oder ein Anspruch aus einer solchen hier Streitgegenstand im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist. Denn der Anspruch der Klägerin auf Feststellung ihres Eigentums wird – ebenso wie ihr Eigentum selbst – gerade nicht aus einer unerlaubten Handlung hergeleitet. Vielmehr macht die Klägerin geltend, trotz einer – etwaigen – unerlaubten Handlung eines Dritten Eigentümerin des streitgegenständlichen B geworden zu sein. Die unerlaubte Handlung des Dritten ist im vorliegenden Rechtsstreit also lediglich eine Vorfrage; die Klägerin will gutgläubig vom Nichtberechtigten (oder vielleicht vom Berechtigten, nämlich einem etwaig gutgläubigen Zwischenerwerber) Eigentum an dem Fahrzeug erworben haben.

Zum anderen lief die von der Klägerin – wohl zu Recht – angenommene Unterschlagung in zwei Teilakten ab, von denen keiner die Voraussetzungen des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO erfüllt hat.

Der erste Teilakt fand bereits in Italien in der Provinz Cuneo statt. Im dortigen Automobilregister ist der streitgegenständliche B als Eigentum der Beklagten eingetragen gewesen. Dazu muss man wissen, dass nach italienischem Zulassungsrecht im Straßenverkehr verwendete Fahrzeuge grundsätzlich mit einer Zulassungsbescheinigung („carta circolazione“) ausgestattet und bei der Generaldirektion der M.C.T.C. (= Amt für den zivilen Kraftverkehr) zugelassen sein müssen. Weiterhin gibt es zu einem Fahrzeug nach Art. 93 Abs. 5 Cod. Strad. eine Eigentumsbescheinigung, ein sog. „certificato die proprieta“, die auf Antrag innerhalb von 60 Tagen nach Erhalt der Zulassungsbescheinigung vom Automobilregister (Pubblico Registro Automobilistico) ausgestellt wird (vgl. OLG München NJW-RR 2008, 1285 – Rdnr. 40 zitiert nach Juris).

Die Beklagte hatte betreffend ihren B – A5 einen Leasingvertrag mit der Firma T1 geschlossen, welche wohl nach ca. 1,5 Jahren die Leasingraten nicht mehr bediente, das Fahrzeug gleichwohl und trotz offensichtlichen Herausgabeverlangens der Beklagten (vgl. certificato die proprieta vom 13.02.2013, Bl. 84 f. und Strafanzeige vom 18.12.2012, Bl. 86 f. d. A.) nicht an die Beklagte als Eigentümerin herausgab. Bereits zu diesem Zeitpunkt betätigte der Gewahrsamsinhaber des Fahrzeuges auf Seiten der Leasingnehmerin durch eine nach außen erkennbare Zueignungshandlung seinen Entschluss, sich das Fahrzeug mit Ausschlusswirkung gegenüber dem Eigentümer seinem Vermögen einzuverleiben. Daher lagen nach deutschem Strafrecht die Voraussetzungen einer Unterschlagung bereits in Italien vor (vgl. BGH St 14, 38 ff. – Rdnr. 9 zitiert nach Juris). Handlungs- und Erfolgsort befanden sich zu diesem Zeitpunkt gleichermaßen noch in Italien. Für die Anwendung des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO bleibt schon danach kein Raum. Zudem war die Klägerin in diesem Stadium der unerlaubten Handlung in das Geschehen noch in keiner Weise involviert. Durch die unerlaubte Handlung der Leasingnehmerin wurde zu diesem Zeitpunkt weder das Eigentum noch das Vermögen der Klägerin geschädigt oder auch nur konkret gefährdet. Geschädigt wurde zu diesem Zeitpunkt einzig und allein die Beklagte.

Erst der zweite Teilakt im Zuge der Unterschlagung – der Verwertungsakt - fand im Bezirk des Landgerichts Essen statt, als das Kraftfahrzeug von der Klägerin zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt gekauft wurde. Durch die Veräußerung des ihm nicht gehörenden B betätigte der Gewahrsamsinhaber erneut durch eine nach außen erkennbare Handlung seinen Entschluss, sich das Fahrzeug bzw. nunmehr den in ihm verkörperten Sachwert mit Ausschlusswirkung gegenüber dem wahren Eigentümer seinem Vermögen einzuverleiben (vgl. BGH a.a.O.). Zugleich täuschte er die Klägerin – so ihr Vortrag - über sein angebliches Eigentum an dem B, erregte einen entsprechenden Irrtum und veranlasste auf diese Weise die Zahlung des Kaufpreises, welche jedenfalls mit einer konkreten Vermögensgefährdung zulasten der Klägerin einherging (§ 263 StGB). In strafrechtlicher Hinsicht kommt insoweit Tateinheit der Unterschlagung mit Betrug in Betracht, wenn der Gewahrsamsinhaber/Täter erst mit der Veräußerung das Fahrzeug unterschlug und zugleich die Klägerin betrog. Es dürfte der Gewahrsamsinhaber jedoch bereits in dem ersten Teilakt (s. o.) das Kraftfahrzeug unterschlagen, also die Unterschlagung vollendet haben. Den einmal unterschlagenen B konnte er durch weitere Handlungen nicht mehr unterschlagen. Darauf kommt es hier aber nicht entscheidend an. Von Bedeutung ist vielmehr, dass die unerlaubte Handlung, soweit sie in Gelsenkirchen und damit im Landgerichtsbezirk Essen stattfand, nicht durch die Beklagte, sondern eine dritte Person verübt worden ist. Diese Person gefährdete nicht nur das klägerische Vermögen, sondern schädigte zugleich auch das Eigentum der Beklagten bzw. perpetuierte den auf Seiten der Beklagten bereits herbeigeführten Schaden.

Normzweck des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO ist jedoch, dass sich der Schädiger wegen der größeren Beweisnähe und der häufigen Rechtsnähe am Ort der Tat rechtfertigen soll (vgl. Münchner Kommentar-Gottwald, a.a.O., Rdnr. 59; Stein/Jonas-Wagner a.a.O., Rdnr. 118). Die von der Klägerin vor dem Landgericht Essen verklagte, ursprüngliche Eigentümerin des B ist aber sowohl in Italien wie auch in Deutschland Geschädigte der in Rede stehenden unerlaubten Handlung gewesen. Es ist daher mit dem Sinn und Zweck des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht zu vereinbaren, dass ausgerechnet sie – die Beklagte – sich nunmehr vor dem Landgericht Essen verklagen lassen muss.

In diesem Zusammenhang wird nicht verkannt, dass die Frage, ob die Klägerin wirksam Eigentum an dem B erworben hat, wohl nach deutschem Recht zu beantworten ist. Im internationalen Sachenrecht gilt kraft Gewohnheitsrecht grundsätzlich das Recht des Lageortes (lex rei sitae), und zwar auch für bewegliche Sachen. Das Recht des Lageortes gilt für alle sachenrechtlichen Tatbestände, insbesondere für die Voraussetzungen einer Übereignung (vgl. BGH NJW 1996, 2233

- Rdnr. 18). Da das streitbefangene Fahrzeug nach Deutschland verbracht wurde, um es dort zu veräußern, dürfte für die Frage des gutgläubigen Erwerbs deutsches Recht anzuwenden sein. Aus der Anwendbarkeit deutschen Rechts folgt aber nicht zwingend, dass der Gerichtsstand in Deutschland liegen muss. Zwar ist der Gleichlauf von gerichtlicher Zuständigkeit und anwendbarem Recht wünschenswert und wird durch das EuGVVO auch angestrebt. Er lässt sich aber im vorliegenden Fall über Art. 4 und 7 Nr. 2 EuGVVO nicht herstellen (s. o.).

3.

Eine besondere Zuständigkeit oder auch ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Essen lässt sich auch nicht über andere Vorschriften der EuGVVO feststellen.

Art. 7 Nr. 4 ist nicht einschlägig, weil es hier nicht um einen auf Eigentum gestützten zivilrechtlichen Anspruch zur Wiedererlangung eines Kulturguts geht.

Art. 24 Nr. 1 betrifft nur Verfahren, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht von unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben.

Nach allem gelangt Art. 28 Abs. 1 EuGVVO zur Anwendung. Danach hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach dieser Verordnung begründet ist und der Beklagte bzw. die Beklagte, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats hat und der vor dem Gericht eines anderen Mitgliedsstaats verklagt wird, sich auf das Verfahren nicht einlässt.

C

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Meta

5 U 140/15

20.06.2016

Oberlandesgericht Hamm 5. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: U

Zitier­vorschlag: Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 20.06.2016, Az. 5 U 140/15 (REWIS RS 2016, 9656)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 9656

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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