Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2017, Az. V ZB 26/17

V. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4686

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:BGH:2017:270917BVZB26.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 26/17
vom

27. September 2017

in der Abschiebungshaftsache

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 27. September 2017
durch die Vorsitzende Richterin Dr.
Stresemann, die Richterinnen Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch und [X.], [X.]
Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 12.
Zivilkammer des [X.] vom 13.
Januar 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000

Gründe:

I.

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 4.
Juli 2016 hat das
Amtsgericht durch Beschluss vom selben Tage gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung nach [X.] längstens bis zum 17.
Juli 2016 angeordnet. Am 12.
Juli 2016 ist der Betroffene abgeschoben worden. Seine auf Feststel-lung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung gerichtete Beschwerde hat keinen 1
-
3
-
Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Antrag weiter. Die beteiligte Behörde beantragt, die Rechtsbeschwerde [X.].

II.

Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe die [X.] gegen den Betroffenen zu Recht angeordnet. Der Haftantrag der beteiligten Behörde enthalte sämtliche in § 417 Abs.
2 FamFG aufgeführten Tatsachen. Auch materiell-rechtlich begegne der angefochtene Beschluss keinen Beden-ken.
Insbesondere habe der Haftgrund gemäß §
62 Abs.
3 Satz
1 Nr.
5
[X.] vorgelegen.

III.

Die gemäß §
70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§
71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Erwägungen des [X.] halten einer rechtlichen Prüfung nicht in vollem Umfang stand.

1. Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein straf-rechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf nach § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] -
von den Ausnahmen gemäß § 72 Abs. 4 Satz 3 bis 5 [X.] ab-gesehen -
nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft [X.] werden. Fehlt dieses Einvernehmen, scheidet die Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Ausländers aus. Dabei ist es für die -
im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf entsprechende Rüge zu berücksichtigen-de
-
Verletzung der genannten Rechtsnorm unerheblich, aus welchen Gründen 2
3
4
-
4
-
das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft fehlt. Da es eine Haftvoraussetzung darstellt, kommt es insoweit allein auf die objektive Rechtslage an (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Mai 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 202 Rn. 5).

2. Vor diesem Hintergrund rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass für die Abschiebung u.a.
das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft [X.] erfor-derlich gewesen sei, weil sich aus den in Bezug genommenen Ausländerakten ergibt und auch von der beteiligten Behörde im Rahmen ihrer Erwiderung nicht in Abrede gestellt wird, dass im Zeitpunkt der Haftanordnung gegen den Be-troffenen bei der Staatsanwaltschaft [X.] ein Ermittlungsverfahren wegen mehrerer Fälle des Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) anhängig war. Eine Zustimmung dieser Staatsanwaltschaft zu der Abschiebung des [X.] ist aber nicht festgestellt. Sie war auch nicht gemäß § 72 Abs. 4 Satz 3 bis 5 [X.] entbehrlich. Zwar bedarf es hiernach des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft nicht, wenn nur ein geringes Strafverfolgungsinteresse be-steht. Dies ist u.a. bei begleitenden Straftaten gemäß § 265a StGB zu bejahen, es sei denn, das Strafgesetz ist durch verschiedene Handlungen mehrmals ver-letzt worden. Letzteres ist hier aber der Fall.

3. Dass die beteiligte Behörde von dem Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft [X.] erst durch die am 11. Juli 2016 bei ihr eingegange-nen Unterlagen der Polizei erfahren hat, so dass sie hiervon im Zeitpunkt der Beantragung der Haft am 4. Juli 2016 noch keine Kenntnis hatte, veranlasst keine abweichende Beurteilung. Entgegen der Auffassung der beteiligten Be-hörde wird nämlich das [X.] nach § 72 Abs. 4 [X.] nicht nur bei entsprechender Kenntnis der antragstellenden Behörde ausgelöst. Eine solche Einschränkung ergibt sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift noch
aus den von der beteiligten Behörde zitierten Fundstellen (vgl. Heilbron-5
6
-
5
-
ner, Ausländerrecht, § 72 [X.] Rn. 3; [X.] in [X.]/[X.], Strafrecht-liche Nebengesetze, § 72 Rn. 5; Ziff. 72.4.1 der VwV [X.]). Richtig ist al-lerdings, dass es gemäß § 87 Abs. 4 [X.] (vgl. auch Nr. 42 Abs. 1 der An-ordnung über Mitteilungen in Strafsachen -
MiStra) den für die Einleitung und Durchführung eines Straf-
oder eines Bußgeldverfahrens zuständigen Stellen obliegt, die Ausländerbehörde unverzüglich über die Einleitung bzw. der [X.] zu unterrichten. Wie die beteiligte Behörde insoweit zutref-fend sieht, gibt es deshalb auch keine Pflicht der Ausländerbehörden, im ge-samten [X.] eventuelle anhängige staatsanwaltliche Ermittlungsver-fahren zu erforschen. Dies ändert aber nichts daran, dass es für die Rechtmä-ßigkeit
der Haftanordnung -
wie ausgeführt -

alleine auf die objektive Rechtsla-ge und damit auf die Erteilung
eines erforderlichen Einvernehmens ankommt.

4. Die sonstigen von der Rechtsbeschwerde angeführten Gesichtspunkte führen nicht zu der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung. Von einer weiteren Be-gründung wird insoweit abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

IV.

1. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5
FamFG).
Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht entscheidungsreif ist. Auch wenn mangels Feststellungen des [X.] derzeit nicht davon ausgegangen werden kann, dass das erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft [X.] mit der Abschiebung des Be-troffenen im Zeitpunkt der Haftanordnung vorlag, lässt sich ein solches Einver-nehmen nicht ausschließen. Möglich ist insbesondere
ein so genanntes gene-relles Einvernehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Februar 2011 7
8
-
6
-

V
ZB
49/10, juris Rn. 8; Beschluss vom 13. Oktober 2011 -
V [X.], juris Rn. 6). Hierzu bedarf es weiterer Sachverhaltsermittlungen, die der Senat als Rechtsbeschwerdegericht nicht selbst vornehmen
kann (§ 74 Abs. 3 Satz 3 FamFG i.V.m. § 559 ZPO). Die Sache ist
daher an das Beschwerdegericht zu-rückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG).

2. Der Zurückverweisung steht nicht entgegen, dass der Betroffene zwi-schenzeitlich nach [X.] abgeschoben wurde. Die gebotene Gewährung rechtlichen Gehörs zu der von dem Beschwerdegericht allein noch zu treffen-den Frage des (generellen) Einvernehmens der Staatsanwaltschaft [X.] kann hier dadurch erfolgen, dass der Verfahrensbevollmächtigten des [X.] Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird. Einer persönlichen Anhö-

9
-
7
-

rung des Betroffenen (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 17. März 2016

V
ZB
39/15, juris Rn. 10; Beschluss vom 6. Dezember 2012 -
V [X.], [X.] 2013, 154, Rn. 16) zu dieser Frage bedarf es nicht (vgl. Senat,
Beschluss vom 20. Mai 2016 -
V
ZB 24/16, NVwZ 2016, 1582 Rn. 29).

Stresemann Schmidt-Räntsch Brückner

Göbel Haberkamp

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 04.07.2016 -
32 [X.] (B) 4/16 -

LG [X.], Entscheidung vom 13.01.2017 -
12 [X.] -

Meta

V ZB 26/17

27.09.2017

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 27.09.2017, Az. V ZB 26/17 (REWIS RS 2017, 4686)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 4686

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 129/16 (Bundesgerichtshof)


XIII ZB 18/21 (Bundesgerichtshof)

Unerlaubte Einreise eines Ausländers: Anforderungen an die Abschiebungsandrohung


V ZB 32/12 (Bundesgerichtshof)

Ausländerrecht: Anordnung der Abschiebungshaft trotz fehlender Zustimmung der Staatsanwaltschaft


V ZB 32/12 (Bundesgerichtshof)


XIII ZB 15/19 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaft bei fehlendem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft bei Ermittlungsverfahren


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

V ZB 189/10

V ZB 218/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.