Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.04.2020, Az. II R 33/18

2. Senat | REWIS RS 2020, 3472

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist


Leitsatz

NV: Löscht ein Berufsträger eine Frist, ohne sich der Erledigung der innerhalb der Frist vorzunehmenden Prozesshandlung vergewissert zu haben, ist die Versäumung der Frist verschuldet.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 21.06.2018 - 3 K 621/16 Erb wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Mit Urteil vom 21.06.2018 hat das Finanzgericht ([X.]) eine Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen Schenkungsteuer abgewiesen und die Revision zugelassen. [X.]as Urteil wurde der Prozessbevollmächtigten der Kläger mittels Empfangsbekenntnisses zugestellt. [X.]ieses ist abgezeichnet am [X.] Am 13.08.2018 legten die Kläger per Telefax bei dem [X.] ([X.]) Revision ein. Eine Revisionsbegründung ging vorerst nicht ein. Mit Schreiben vom 25.09.2018, zugestellt am 27.09.2018, wies die Senatsvorsitzende beim [X.] auf die Versäumung der [X.] hin. Mit einem am 05.10.2018 eingegangenen Schriftsatz beantragten die Kläger hinsichtlich dieser Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) und fügten die auf eine Sachrüge gestützte Revisionsbegründung bei.

2

Nach Aktenlage sowie dem --unwidersprochenen-- Vortrag der Kläger hat sich nach Zustellung des [X.]-Urteils Folgendes zugetragen:

3

[X.]ie Postsendung wurde in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Kläger am 12.07.2018 geöffnet. [X.]a die dortige Mitarbeiterin A einen Einwurf bereits am 11.07.2018 vermutete, legte sie dieses [X.]atum für die [X.]erechnung der Fristen zur Einlegung der Revision (einen Monat) und zur [X.]egründung der Revision (zwei Monate) zugrunde und trug beide Fristen in das elektronische Fristenkontrollbuch ein.

4

[X.]er innerhalb der Kanzlei für den Fall verantwortliche [X.]erufsträger [X.] befand sich vom 22.07.2018 bis zum 16.08.2018 im Urlaub. [X.]essen Vertreter [X.] legte unter [X.] einer weiteren [X.]erufsträgerin (in Vertretung) am 13.08.2018, einem Montag, per Telefax Revision ein. [X.]eide Fristen löschte [X.] nicht, weil die zweite Frist zur Revisionsbegründung noch nicht erledigt war. Vom 20.08.2018 bis zum 29.08.2018 befand sich [X.] seinerseits im Urlaub, so dass er mit [X.] nicht mehr über die Sache sprach.

5

Während des Urlaubs der A wies die weitere Kanzleimitarbeiterin [X.] den [X.] per E-Mail am 06.09.2018 auf die am 11.09.2018 auslaufende Frist hin. A und [X.] erfuhren davon nichts. [X.]er für die [X.]earbeitung zuständige [X.] ging irrig davon aus, beide Fristen seien bereits erledigt, und vermerkte sowohl die Frist zur Revisionseinlegung als auch die Frist zur Revisionsbegründung noch am 06.09.2018 als erledigt.

6

[X.]ie Kläger sind der Auffassung, es liege ein entschuldbares [X.]üroversehen vor. [X.] habe versehentlich beide Fristen gelöscht. Er habe in seiner Tätigkeit für die Kanzlei stets zuverlässig und gewissenhaft gehandelt, so dass kein Organisations- bzw. Überwachungsverschulden vorliege.

7

[X.]ie Kläger beantragen unter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Festsetzung der angegriffenen Schenkungsteuer auf 0 €.

8

[X.]er [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt sinngemäß die Verwerfung der Revision als unzulässig, da die Versäumung der [X.] nicht unverschuldet sei.

Entscheidungsgründe

II.

9

[X.]ie Revision ist unzulässig und nach § 126 Abs. 1 FGO i.V.m. § 10 Abs. 3 FGO in der [X.]esetzung durch drei [X.] durch [X.]eschluss zu verwerfen.

1. Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision bei dem [X.] innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. [X.]ie Frist kann nach § 120 Abs. 2 Satz 3 FGO auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden.

a) Nach § 124 Abs. 1 Satz 1 FGO prüft der [X.], ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Revision nach § 124 Abs. 1 Satz 2 FGO unzulässig.

b) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm nach § 56 Abs. 1 FGO nach näherer Maßgabe von § 56 Abs. 2 bis 5 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Jedes Verschulden --also auch einfache Fahrlässigkeit-- schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten ist dem Kläger nach § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) zuzurechnen (vgl. [X.]-[X.]eschluss vom 07.01.2015 - V [X.] 70/14, [X.]/NV 2015, 516, Rz 5).

c) [X.]as den Angestellten einer Kanzlei unterlaufende [X.]üroversehen kann entschuldbar sein, sofern kein Organisations- oder Überwachungsverschulden vorliegt (näher etwa [X.]-[X.]eschluss vom 03.09.2019 - IX R 17/18, [X.]/NV 2020, 27, Rz 15). Unberührt davon bleibt jedoch eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten, wenn dieses für die Versäumung der Frist ursächlich geworden ist (vgl. [X.]-[X.]eschluss vom 11.10.2019 - IX [X.] 52/19, [X.]/NV 2020, 211, Rz 5).

2. Nach diesen Maßstäben wurde die Frist des § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO, die ungeachtet der Verlängerungsmöglichkeit eine gesetzliche Frist ist, nicht unverschuldet versäumt.

a) [X.]ie Überlegungen der Kläger zu fehlendem Organisations- und Überwachungsverschulden bezüglich der Person des [X.] gehen fehl. [X.]iese Grundsätze beziehen sich auf die durch den [X.]erufsträger zu leistende Organisation und Überwachung derjenigen Angestellten der Kanzlei, die nicht [X.]erufsträger sind. Sie beziehen sich nicht auf den [X.]erufsträger selbst. [X.]ieser ist Subjekt, nicht Objekt von Organisation und Überwachung.

b) Im Streitfall fällt nicht den [X.] und [X.], sondern vor allem dem [X.]erufsträger [X.] und möglicherweise auch [X.] ein Verschulden zur Last. A und [X.] hatten die beiden [X.]erufsträger ordnungsgemäß auf die jeweils anstehenden Fristen aufmerksam gemacht.

aa) Zunächst hatte [X.] nach fristgerechter Einlegung der Revision die entsprechende Frist im Fristenkontrollbuch nicht gelöscht und dies auch nicht angewiesen. [X.]amit wurde zumindest der Grundstein für die Versäumung der weiteren Frist gelegt. Nicht nur ein fehlerhafter Erledigungsvermerk oder ein fehlerhaftes Nichtbeachten einer Frist, sondern auch ein fehlerhaftes Nichtanbringen eines Erledigungsvermerks kann, wie sich am Streitfall zeigt, für Verwirrung sorgen, und zwar in zweierlei Hinsicht.

Stellt sich in der Alltagspraxis heraus, dass Fristen nicht als erledigt ausgetragen wurden, obwohl sie tatsächlich erledigt sind, kann dies unter Umständen dazu verleiten, auch für andere noch offene Fristen fälschlich Erledigung anzunehmen. Kommt das in der jeweiligen Kanzlei des Öfteren vor, könnten derart unterlassene Erledigungsvermerke Überlegungen dahingehend auslösen, welche Fristen wohl trotz fehlenden Vermerks erledigt sein müssten, während die Funktion des Fristenkontrollbuchs gerade darin besteht, solche Überlegungen zu vermeiden und zu dokumentieren, welche Fristen tatsächlich erledigt sind.

Umgekehrt kann der fehlende Erledigungsvermerk bei einer Frist --hier der [X.] auch zu der irrigen Annahme verleiten, diese sei tatsächlich versäumt, mit der Folge, dass die Rechtsverfolgung als irreparabel verloren, die prozessual nachfolgende Maßnahme --hier die [X.] als obsolet erscheint.

Im Ergebnis kann jedoch dahinstehen, inwieweit das Nichtanbringen des Erledigungsvermerks als Verschulden gewertet werden kann.

bb) Jedenfalls handelte [X.] schuldhaft, indem er die Frist auch für die Revisionsbegründung zu Unrecht als erledigt vermerkt hatte. Hierfür gab es keinen objektiven Anlass. [X.]as gilt unabhängig davon, ob [X.] in [X.]ezug auf die Nichtanbringung des Erledigungsvermerks ein Verschulden anzulasten ist.

Im Fristenkontrollbuch waren beide Fristen noch als offen gekennzeichnet. [X.] selbst war der für den Fall verantwortliche [X.]erufsträger. Ohne besondere Umstände, die die Kläger selbst nicht vorgetragen haben, kann der für die [X.]earbeitung des Falles originär zuständige [X.]erufsträger nicht davon ausgehen, dass ein Kollege bereits vor Fristablauf diejenigen fristwahrenden Maßnahmen getroffen hat, die er nach [X.] selbst treffen konnte.

[X.]as gilt erst recht für eine Revisionsbegründung, die --anders als die Einlegung der [X.] angesichts des [X.]egründungserfordernisses des § 120 Abs. 3 FGO eine vertiefte [X.]earbeitung des Sach- und Streitstands verlangt. Es ist im Allgemeinen nicht gerechtfertigt anzunehmen, dass der vertretende [X.]erufsträger sich dem ohne besondere Absprache unterzieht.

Selbst wenn [X.] --dem Vortrag der Kläger [X.] irrig davon ausgegangen sein sollte, angesichts des fehlenden Erledigungsvermerks sei bereits die Frist zur Einlegung der Revision versäumt worden, durfte er nicht ohne Weiteres die beiden Fristen löschen. Vielmehr hätte er sich durch Studium der Akten vergewissern müssen, was es mit der vermeintlich versäumten Frist auf sich hat, um ggf. unverzüglich einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen.

3. [X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

Meta

II R 33/18

28.04.2020

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 21. Juni 2018, Az: 3 K 621/16 Erb, Urteil

§ 10 Abs 3 FGO, § 56 FGO, § 120 FGO, § 124 FGO, § 126 Abs 1 FGO, § 85 Abs 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 28.04.2020, Az. II R 33/18 (REWIS RS 2020, 3472)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3472

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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