Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 18.06.2020, Az. 1 BvQ 69/20

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2020, 2874

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erfolgloser Antrag auf Erlass einer eA gegen infektionsschutzrechtliche Quarantäne für Ein- und Rückreisende gem § 57 Abs 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO (juris: CoronaVV HA 2) - Folgenabwägung


Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Der isolierte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung richtet sich gegen einen Hängebeschluss des [[[[X.]]]], mit dem die Antragsteller vorläufig zur Befolgung der [[[[X.]]]] gemäß § 57 Abs. 1 der [[[[X.]]]] - in der Fassung vom 26. Mai 2020 ([[[[X.]]]] ff.) verpflichtet wurden.

2

1. Die Antragsteller, ein Ehepaar mit drei minderjährigen Kindern, leben gemeinsam in den [[[[X.]]]] im Bundesstaat [[[X.]]]. Der Antragsteller zu 1) ist außerdem mit einem Wohnsitz in [[[[X.]]]] gemeldet, wo er auch ein Unternehmen betreibt. Ab dem 13. März 2020 hielten sich alle Antragsteller aufgrund der weltweit geltenden Reisebeschränkungen zur Bekämpfung des Coronavirus in [[[X.]]] auf. Anfang Juni 2020 wollten die Antragsteller gemeinsam nach [[[[X.]]]] einreisen und stellten bereits vor dem Abflug einen Antrag beim Verwaltungsgericht [[[[X.]]]] nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, vorläufig sanktionslos gegen die in § 57 Abs. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO angeordnete [[[X.]]] für Einreisende aus Drittstaaten verstoßen zu dürfen. Dieser lautete in der Fassung vom 26. Mai 2020 wie folgt:

§ 57

Häusliche Quarantäne für Ein- und Rückreisende; Beobachtung

(1) Personen, die auf dem Land-, See- oder Luftweg aus einem Staat außerhalb der Staatengruppe nach Absatz 4 in die Freie und Hansestadt [[[[X.]]]] einreisen, sind verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in die eigene Häuslichkeit oder eine andere geeignete Unterkunft zu begeben und sich für einen Zeitraum von 14 Tagen nach ihrer Einreise ständig dort abzusondern; dies gilt auch für Personen, die zunächst in ein anderes Land der [[[X.]]] oder in einen anderen Staat der Staatengruppe nach Absatz 4 eingereist sind. Den in Satz 1 genannten Personen ist es in diesem Zeitraum nicht gestattet, Besuch von Personen zu empfangen, die nicht ihrem Hausstand angehören.

[…]

(4) Staatengruppe im Sinne von Absatz 1 Satz 1 sind die Mitgliedstaaten der [[[X.]]] sowie [[[X.]]], das [[[X.]]], [[[X.]]], die [[[X.]]], das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland.

(5) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend für Personen, die aus einem Staat innerhalb der Staatengruppe nach Absatz 4 einreisen, der laut Veröffentlichung des [[[X.]]] nach den statistischen Auswertungen und Veröffentlichungen des [[[X.]]] ([[[X.]]]) eine Neuinfiziertenzahl im Verhältnis zur Bevölkerung von mehr als 50 Fällen je 100 000 Einwohnerinnen beziehungsweise Einwohner kumulativ in den letzten sieben Tagen aufweist.

3

Mit Beschluss vom 8. Juni 2020 - 2 E 2353/20 - gab das Verwaltungsgericht dem Antrag statt und erließ die begehrte einstweilige Anordnung. § 57 Abs. 1 HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO sei rechtswidrig, da § 30 Abs. 1 [[[X.]]] keine geeignete gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für Quarantänemaßnahmen auch gegenüber Nichtstörern darstelle; auch ein Rückgriff auf die [[[X.]]] in § 28 Abs. 1 Satz 2 [[[X.]]] scheide insoweit aus.

4

Die Antragsteller reisten am 9. Juni 2020 nach [[[[X.]]]] ein und bewegten sich aufgrund der einstweiligen Anordnung des [[[X.]]] vorerst frei in der [X.].

5

2. Am 11. Juni 2020 legte die Antragsgegnerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die Freie und Hansestadt [[[[X.]]]], Beschwerde beim [[[[X.]]]]ischen Oberverwaltungsgericht ein und beantragte zugleich den Erlass einer Zwischenverfügung dahingehend, dass die Quarantäne durch die Antragsteller vorläufig weiter zu beachten sei, hilfsweise bis zum Nachweis eines negativen Testergebnisses durch die Antragsteller. Das Infektionsgeschehen am Wohnsitz der Antragsteller in [[[X.]]] sei dynamischer als in [[[[X.]]]]. Aufgrund der Gefahren einer Weiterverbreitung des Coronavirus für die Bevölkerung müssten daher die Interessen der Antragsteller einstweilen bis zur Entscheidung über die Beschwerde zurückstehen. Der Schriftsatz umfasste mitsamt Anlagen 25 Seiten.

6

Das Oberverwaltungsgericht übermittelte dem Bevollmächtigten der Antragsteller den Schriftsatz am darauf folgenden Tag, dem 12. Juni 2020. Das Fax traf um 14:18 Uhr ein; ihm wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 15:00 Uhr gegeben. Auf Antrag des Bevollmächtigten wurde diese Frist telefonisch bis 16:00 Uhr verlängert; eine Verlängerung bis 18:00 Uhr lehnte das Gericht ab. Dem Bevollmächtigten gelang es, fristgerecht Stellung zu nehmen.

7

Noch am selben Tag erließ das Oberverwaltungsgericht die angegriffene Zwischenverfügung - 5 Bs 104/20 -, die den Bevollmächtigten gegen 19:00 Uhr per Fax erreichte. Darin wurde den Antragstellern nach einer Folgenabwägung aufgegeben, einstweilen bis zur Entscheidung über die Beschwerde oder bis zur Vorlage eines negativen Testergebnisses die Quarantäne zu befolgen. Aufgrund des dynamischen Infektionsgeschehens in [[[X.]]] müssten bei jedenfalls offenen Erfolgsaussichten der Beschwerde die Interessen der Antragsteller gegenüber dem Schutz der Bevölkerung vor einer möglicherweise unkontrollierten Weiterverbreitung des Coronavirus zurücktreten.

8

3. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügen die Antragsteller eine Verletzung in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit sowie in Art. 103 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Die zunächst auf 40 Minuten bestimmte, dann auf circa anderthalb Stunden verlängerte [X.] sei offensichtlich nicht ausreichend, um den Schriftsatz der Gegenseite zur Kenntnis nehmen und hierauf mit adäquatem Vortrag erwidern zu können. Hiermit sei die Gleichwertigkeit der Parteien und ihrer prozessualen Stellung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Frage gestellt.

9

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg, denn eine Folgenabwägung fällt zulasten der Antragsteller aus.

1. Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre weder offensichtlich unzulässig noch unbegründet. Das Verfahren wirft Einzelfragen zur Reichweite und Ausdifferenzierung des grundrechtsgleichen Rechts auf prozessuale Waffengleichheit auf, die nicht im Eilverfahren geklärt werden können. Welche Anforderungen sich hieraus für Situationen wie die vorliegende ergeben und ob oder wieweit eine äußerst knappe Fristsetzung wie vorliegend über die Frage des rechtlichen Gehörs hinaus auch dieses Grundprinzip des Prozessrechts berührt und gegebenenfalls verletzt, ist eine Frage, die näherer Prüfung bedarf und nur in einem Hauptsacheverfahren beantwortet werden kann.

2. Aufgrund der offenen Erfolgsaussichten ist eine Folgenabwägung anzustellen (vgl. [X.] 131, 47 <55>; 132, 195 <232>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 10. März 2020 - 1 BvQ 15/20 -, Rn. 16; stRspr).

Erginge die einstweilige Anordnung nicht, während einer später zu erhebenden Verfassungsbeschwerde stattgegeben würde, wären die Antragsteller für einen noch verbleibenden Zeitraum von fünf Tagen bis zum Ende der Quarantänemaßnahme unrechtmäßig in ihrer Freiheit beschränkt. Sie hätten aber jederzeit die Möglichkeit, diesen Zeitraum durch Vorlage eines negativen Testergebnisses zu verkürzen.

Erginge die einstweilige Anordnung, wogegen der noch zu erhebenden Verfassungsbeschwerde der Erfolg versagt bliebe, könnten sich die Antragsteller weiter ungehindert durch die [X.] bewegen. Sofern bei ihnen eine Infektion mit dem Coronavirus vorläge, ginge hiervon das Risiko von dessen möglicherweise unentdeckter und schwer kontrollierbarer Weiterverbreitung einher, womit entsprechende gesundheitliche Gefahren für die Gesamtbevölkerung verbunden sein können.

Bei Gesamtsicht überwiegen danach die Interessen der Gesamtbevölkerung am Schutz vor einer Weiterverbreitung des Coronavirus gegenüber den Interessen der Antragsteller an einer baldigen Beendigung der Quarantäne.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvQ 69/20

18.06.2020

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Ablehnung einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvQ

vorgehend Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, 12. Juni 2020, Az: 5 Bs 104/20, Beschluss

§ 32 Abs 1 BVerfGG, § 57 Abs 1 CoronaVV HA 2

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 18.06.2020, Az. 1 BvQ 69/20 (REWIS RS 2020, 2874)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2874

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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20 NE 20.2142

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1 BvQ 15/20

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