Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.03.2015, Az. 5 StR 70/15

5. Strafsenat | REWIS RS 2015, 13490

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

5
StR 70/15

vom
25. März 2015
in der Strafsache
gegen

wegen
versuchten Totschlags u.a.

-
2
-
Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 25. März 2015
beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 31. Juli 2014 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als un-begründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den [X.] sowie der Neben-
und Adhäsionsklägerin durch seine Revision entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen schwerer Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die ausgeführte Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos.
Der Erörterung bedarf nur die Rüge vorschriftswidriger Besetzung der Schwurgerichtskammer (§ 338 Nr. 1 StPO i.V.m. § 21e Abs. 3 [X.]).
1. Im Wesentlichen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Am 22. Januar 2014 beschloss das Präsidium des [X.]s Ham-burg, dass die bis zum 28. Februar 2014 bei der [X.] (im r-1
2
3
4
-
3
-
suchungshaft oder eine einstweilige Unterbringung vollzogen werde oder [X.] bestehe und in denen die Frist des § 121 StPO vor dem 2. Juni 2014 ab-laufe, in die Zuständigkeit der neu gebildeten [X.]a (Hilfs-strafkammer, Schwurgericht) gelangen sollten. Vorausgegangen war eine auf Nachfrage der Präsidialrichterin noch präzisierte Anzeige des Vorsitzenden der [X.], wonach aufgrund zweier umfänglicher neu eingegangener Verfahren (eines mit prognostizierter Dauer von mindestens 25 bis 30 Verhandlungsta-n-b-setzung größerer Urteile, Vertretungslasten der Beisitzerinnen in anderen Straf-kammern, Urlaubszeiten) neu eingehende [X.] frühestens etwa ab Mitte Juli 2014 terminiert werden könnten.
Von dieser Regelung erfasst wurde das vorliegende Verfahren. Darin wurde am 7. Februar 2014 Anklage erhoben, der Eröffnungsbeschluss der [X.] erging am 18. März 2014. Am [X.] vom 14. April 2014 erhob der Angeklagte form-
und fristgerecht den [X.] (§ 222[X.]), weil die Bildung der [X.] wegen nicht hinreichend [X.] Überlastung der [X.] fehlerhaft gewesen sei. In ihrer Stellungnahme zur Besetzungsrüge führte die Präsidentin des Landge-richts aus, dass es nicht möglich gewesen sei, die Überlastung im Wege der Vertretung aufzufangen, weil die [X.] ihrerseits habe entlastet werden müssen. Ferner wurden die Belastungssituation der Beisitzerinnen der [X.] im Einzelnen aufgeschlüsselt, die [X.] näher erläutert und der Stand der bei der [X.] anhängigen Verfahren mitgeteilt.
Der [X.] ist vom [X.] mit Beschluss vom 22. Ap-ril
2014 zurückgewiesen worden. Wie der Schriftverkehr zwischen dem Vorsit-5
6
-
4
-
zenden der [X.]
21 und der Verwaltung sowie die Stellungnahme der Präsiden-tin des [X.]s zeige, habe dem Beschleunigungsgrundsatz nur durch Bildung der [X.] Rechnung getragen werden können.
2. Bei dieser Sachlage erweist sich die nicht nach § 338 Nr. 1 lit. [X.] präkludierte und den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 9. April 2009

3 [X.], [X.]St 53, 268, 281) Rüge als unbegründet.
a) Gemäß § 21e Abs. 3 Satz 1 [X.] darf das Präsidium die nach Ab-satz
1 Satz 1 dieser Bestimmung getroffenen Anordnungen im Laufe des [X.] ändern, wenn dies wegen Überlastung eines Spruchkörpers nötig wird. Eine Überlastung liegt vor, wenn über einen längeren [X.]raum ein erheb-licher Überhang der Eingänge über die Erledigungen zu verzeichnen ist, so dass mit einer Bearbeitung der Sachen innerhalb eines angemessenen [X.] nicht zu rechnen ist. Von [X.] wegen kann eine nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung sogar geboten sein, wenn nur auf diese Weise eine hinreichend zügige Behandlung von Strafsachen erreicht werden kann. Das Gebot zügiger Verfahrensgestaltung lässt jedoch das Recht auf [X.] nicht vollständig zurücktreten. Vielmehr besteht Anspruch auf eine zügige Entscheidung gerade durch ihn. Daher muss in derartigen Fäl-len das Recht des Angeklagten auf [X.] mit dem rechts-staatlichen Gebot einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und dem verfas-sungsrechtlichen Grundsatz zügiger Verfahrensgestaltung in einen angemes-senen Ausgleich gebracht werden (vgl. zum Ganzen [X.], Urteil vom 9. Ap-ril
2009

3 [X.], aaO, [X.] ff. [X.]; Beschluss vom 7. Januar 2014

5 [X.], [X.], 287 Rn. 7).

7
8
-
5
-
Zu den grundsätzlich zulässigen Maßnahmen im Sinne des § 21e Abs. 3 [X.] zählt die Einrichtung einer [X.] für eine begrenzte [X.]. Die Regelung der mit der Errichtung einer [X.] verbundenen Übertra-gung von Aufgaben der ordentlichen Strafkammer hat dabei denselben Grundsätzen zu folgen wie sonstige Änderungen im Sinne von § 21e Abs. 3 [X.]. Insbesondere ist das Abstraktionsprinzip zu beachten. Danach ist die Zuweisung bestimmter einzelner Verfahren regelmäßig unzulässig. Hingegen steht Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einer Änderung der (funktionellen) [X.] selbst für bereits anhängige Verfahren dann nicht grundsätzlich entgegen, wenn die Neuregelung generell gilt, also etwa außer mehreren anhängigen Ver-fahren auch eine unbestimmte Vielzahl künftiger, gleichartiger Fälle erfasst, und
nicht aus sachwidrigen Gründen erfolgt.
Für Umverteilungen, die im [X.]punkt des [X.] bereits anhängige Verfahren betreffen, ist nach mittlerweile gefestigter Rechtspre-chung des [X.] eine umfassende Dokumentation auch dann erforderlich, wenn künftig eingehende Verfahren mit umfasst sind (vgl. [X.], Urteil vom 9. April 2009

3 [X.], aaO, [X.]; Beschluss vom 7. Janu-ar
2014

5 [X.], aaO Rn. 9). Im Blick auf die mit jeder Umverteilung verbundene (abstrakte) Gefahrenlage für die verfassungsrechtlich gebotene Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) müssen die Dokumentationspflichten jedoch ebenfalls gelten, wenn

wie hier

aus-schließlich künftig eingehende Verfahren betroffen sind (vgl. [X.], HRRS
2015, 16, 19 [X.]). Dass die Risiken in Bezug auf [X.] bei rein in die Zukunft gerichteten, bereits anhängige Verfahren also nicht tangierenden Maßnahmen als vergleichsweise geringer eingestuft werden können, vermag daran nichts zu ändern.
9
10
-
6
-
b) Der Präsidiumsbeschluss vom 22. Januar 2014 hält diesen Maßstä-ben
stand.
aa) Dass der Beschluss nicht

wie grundsätzlich geboten (eingehend [X.], Urteil vom 9. April 2009

3 [X.], aaO, [X.] ff.)

selbständig mit einer Begründung versehen war, führt nicht zur Annahme eines durchgreifen-den Rechtsfehlers. Denn
die Änderungsgründe ergeben sich aus der Überlas-tungsanzeige des Vorsitzenden der [X.], die ausweislich des Protokolls der Präsidiumssitzung vom 22. Januar 2014 Grundlage des dann gefassten [X.] war. Diese Unterlagen ermöglichen in Verbindung mit der [X.] des [X.]s zu dem erhobenen Besetzungsein-wand sowohl dem Revisionsgericht als auch der Verteidigung die Prüfung der Rechtmäßigkeit des [X.] nach den durch das Bundesver-fassungsgericht entwickelten verfassungsrechtlichen Kriterien (vgl. [X.],
NJW 2005, 2689, 2690; zum maßgebenden [X.]punkt [X.], Urteil vom 9. Ap-ril
2009

3 [X.], aaO, [X.], 278).
bb) Hieran gemessen ist eine die Maßnahme rechtfertigende vorüberge-hende Überlastung der [X.]
21 noch hinreichend belegt. Nach der Prognose des Vorsitzenden war die Spruchtätigkeit der [X.] mit der im März 2014 zu [X.] Hauptverhandlung im [X.] (drei Angeklagte, acht Tatvorwürfe) für mehrere Monate ausgelastet. Hinzu kam
das im [X.]punkt der Überlastungsanzeige noch nicht terminierte Verfahren
621 Ks 2/14, dessen Beginn an sich für Mai 2014 geplant war und für das der Vorsitzende

im Rahmen der vorzunehmenden Prognose entgegen der [X.] der Revision unbedenklich

auch wegen der Person der beiden [X.] mit einer Dauer von nicht unter 15 Verhandlungstagen rechnete. [X.] wurde weiter, dass eine parallele Verhandlung beider Sachen an dann 11
12
13
-
7
-
vier Wochentagen in der gesetzlich angeordneten Dreierbesetzung neben den sonstigen Dienstgeschäften nicht zu leisten sei. Für die Monate Juli und August sei ferner zu berücksichtigen, dass alle Beisitzerinnen ihren Jahresurlaub antre-ten würden.
Bei dieser Sachlage war im [X.]punkt des [X.] zu be-sorgen, dass weiter eingehende [X.] nicht in angemessener [X.] bearbeitet werden können. In [X.] muss dem verfassungs-
und konventionsrechtlichen Zügigkeitsgebot in besonderem Maße (s. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) Rechnung getragen werden (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juli 1998

5 StR 574/97, [X.]St 44, 161, 165 ff.). Inso-weit hat der [X.] freilich ausgesprochen, dass die Haftprüfungs-frist des § 121 Abs. 1 StPO keinen starren, für alle Verfahren gleichermaßen
geltenden [X.]punkt festlegt, wann mit der Hauptverhandlung einer Sache nach Inhaftierung oder Anklageerhebung zu beginnen ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Juli 2013

2 [X.], [X.], 226 Rn. 20 f.; vom 7. Januar 2014

5 [X.], aaO Rn. 13; krit. [X.], aaO, S. 21 f.; Grube, StraFo 2014, 123, 124). Demgemäß rechtfertigt allein der befürchtete Ablauf der Frist oder gar eine besonders geartete Rechtsprechungspraxis des jeweiligen Oberlan-desgerichts (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Juli 2013

2 [X.], aaO Rn.
21 f.) grundsätzlich keine Umverteilung eines oder mehrerer bereits anhän-giger Verfahren. Gleiches gilt hinsichtlich der Übertragung womöglich eines einzelnen anhängigen Verfahrens (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Januar 2014

5 [X.], aaO). Das bedeutet jedoch naturgemäß nicht, dass die Haft-prüfungsfrist bei der durch das Präsidium vorzunehmenden Würdigung völlig ausgeblendet werden müsste oder auch nur könnte. Dies versteht sich schon daraus, dass die Frist die verfassungsrechtlich gebotene Zügigkeit in Haftsa-chen gewährleisten soll, die unter Umständen zu frühzeitigem Eingreifen der 14
-
8
-
Gerichtsorganisation sogar zwingen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Ju-li
1991

AK 29/91, [X.]St 38, 43, 46; vgl. auch Urteil vom 8. Dezember 1999

3 StR 267/99, [X.], 1580, 1582).
Vorliegend stand in wesentlicher Abweichung von den den zitierten Ent-scheidungen zugrundeliegenden Sachen eine rein zukunftsgerichtete Ände-rungsmaßnahme und damit eine vergleichsweise weniger problematische Konstellation in Frage. Aufgrund der Belastung der [X.]
21 war mit einer [X.] anderen (Umfangs-) Verfahren ließen demnach, was in dem zwi-schen dem Vorsitzenden und dem Präsidium geführten Schriftverkehr zum Ausdruck gekommen war, auch eine viel spätere Terminierung und damit eine nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des in [X.] geltenden beson-deren Zügigkeitsgebots befürchten. Wenn das Präsidium unter diesen Vorzei-chen eingegriffen hat, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.
cc) Unter dem Blickwinkel der Stetigkeit ergeben sich vorliegend keine erhöhten Anforderungen an den Grad der [X.] und die Begründung der Maßnahme. Zwar war der Beschluss nur kurze [X.] nach Inkrafttreten des [X.] des [X.] für das [X.] ge-fasst worden (vgl. dazu [X.], Beschluss vom 7. Januar 2014

5 [X.], aaO Rn. 12). Jedoch sind die beiden für die Überlastungsanzeige maßgeben-den Verfahren (621 Ks 1/14 und 621 Ks 2/14) erst nach der Beschlussfassung des Präsidiums über den Geschäftsverteilungsplan 2014 bei der [X.] anhän-gig geworden. Es ist nicht erkennbar, dass dies bereits bei Beschlussfassung durch das Präsidium hätte vorausgesehen werden können.
dd) Sonstige Gründe, die zur Rechtsfehlerhaftigkeit des [X.] führen könnten, liegen nicht vor. Namentlich sind das Abstraktions-
15
16
17
-
9
-
und das Bestimmtheitsgebot gewahrt. Anhaltspunkte dafür, dass die [X.] verdeckt auf eine unzulässige Einzelzuweisung gerichtet gewesen sein könnte, sind nicht vorhanden. Dass der Überlastung nicht auf andere Weise als durch Einrichtung einer [X.] Rechnung getragen werden konnte, ist in der Stellungnahme der Präsidentin des [X.]s nachvollziehbar [X.]. Zudem wäre auch mit anderen Entlastungsmaßnahmen eine Verände-rung des gesetzlichen Richters verbunden gewesen. Die Umverteilung war schließlich geeignet, die Effizienz des Geschäftsablaufs zu erhalten oder wie-derherzustellen (vgl. [X.], Urteil vom 9. April 2009

3 [X.], aaO S.
271
f. [X.]).

Sander Schneider König

Berger

Bellay

Meta

5 StR 70/15

25.03.2015

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.03.2015, Az. 5 StR 70/15 (REWIS RS 2015, 13490)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13490

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

5 StR 70/15 (Bundesgerichtshof)

Geschäftsverteilung: Nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung wegen absehbarer Überlastung eines Spruchkörpers durch weitere Haftsachen


5 StR 613/13 (Bundesgerichtshof)

Grundsatz des gesetzlichen Richters: Änderung des Geschäftsverteilungsplans zur Entlastung einer Strafkammer


5 StR 613/13 (Bundesgerichtshof)


StB 13/22 (Bundesgerichtshof)

Gesetzlicher Richter: Voraussetzungen der Einrichtung eines Hilfssenats und Überleitung des Verfahrens an diesen


3 StR 516/15 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Revisionsgerichtliche Kontrolle der Änderung des Geschäftsverteilungsplans während des laufenden Geschäftsjahres; Anforderungen an die Dokumentation


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

5 StR 613/13

2 StR 116/13

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.