Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.09.2016, Az. 1 StR 293/16

1. Strafsenat | REWIS RS 2016, 5849

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:070916B1STR293.16.0

BUN[X.]SGERIC[X.]TS[X.]OF

BESC[X.]LUSS
1
StR 293/16

vom
7. September
2016
[X.]St:
nein
[X.]R:
ja
Nachschlagewerk:
ja
Veröffentlichung:
ja

-

StGB §
239a Abs.
4 Satz
1

Tätige Reue gemäß §
239a Abs.
4 Satz
1 StGB liegt erst dann vor, wenn
der Täter das Opfer in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt und zudem auf die erstrebte Leistung verzichtet; dazu muss er vollständig von der erhobenen Forderung Abstand nehmen.

[X.], Beschluss vom 7. September 2016

1
StR
293/16

LG [X.]

in
der Strafsache
gegen

1.

-
2
-
2.

wegen erpresserischen [X.] u.a.

-
3
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat am 7.
September 2016 nach [X.] und des [X.] gemäß §
349 Abs.
2 StPO beschlossen:

1.
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 1.
Februar 2016 werden als unbe-gründet verworfen.
2.
Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:
Das [X.] hat die Angeklagten jeweils wegen erpresserischen [X.] in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in Tatein-heit mit zwei tateinheitlichen Fällen der versuchten räuberischen Erpressung verurteilt und gegen den Angeklagten J.

eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten sowie gegen den Angeklagten S.

unter Einbeziehung von drei früheren Verurteilungen eine Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 StPO.
1
-
4
-
I.
Das [X.] hat vorliegend folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Angeklagten J.

und S.

waren in nicht aufklärbarer Weise in den Verkauf von 50
Ecstasy-Pillen an

[X.]

verwickelt und versuch-ten, ab dem 2.
März 2015 den Kaufpreis in [X.]öhe von 500
Euro einzutreiben, um ihn für sich zu behalten. Einem für den 9.
März 2015 vereinbarten Treffen blieb

[X.]

fern, wodurch sich die Angeklagten vorgeführt fühlten,
und beschlossen,

[X.]

zu verprügeln, vorrangig um das Geld zu erlangen, aber auch um sich Respekt zu verschaffen. Der Angeklagte J.

äußerte in diesem Zusammenhang, dass er

[X.]

notfalls solange festhalten und schlagen würde, bis dieser zahle. Zur Verfolgung dieses [X.] lockten die Angeklagten gemeinsam mit den anderweitig Verfolgten Bl.

und V.

den Geschädigten

[X.]

am 14.
März 2015 um 17
Uhr unter einem Vorwand zur [X.]auptschule in [X.].

. Da

[X.]

beim Anblick der Angeklagten und der anderweitig Verfolgten Bl.

und V.

sofort klar war, worum es diesen ging, flüchtete er zunächst, fiel jedoch hin, so dass die Angeklagten sowie Bl.

und V.

ihn einholten und auf ihn einschlugen und traten.

[X.]

erlitt hierbei eine Gehirnerschütterung, eine Dis-torsion der [X.]alswirbelsäule, diverse Prellungen und Schürfwunden sowie eine circa 1
cm lange oberflächliche Platzwunde an der rechten Schläfe mit einer kastaniengroßen [X.]ämatomschwellung. Zunächst gab

[X.]

an, das Geld nicht dabei, aber zuhause zu haben.
Die Angeklagten schlossen daraufhin mit den anderweitig Verfolgten Bl.

und V.

die stillschweigende Vereinbarung, dass sie gemeinsam
mit 2
3
4
-
5
-

[X.]

zu dessen Wohnung fahren, um das Geld zu erlangen. Sie stie-gen hierzu gemeinsam in den Pkw des anderweitig Verfolgten V.

ein, wobei

[X.]

auf dem mittleren Platz der Rückbank saß und so keine Möglich-keit hatte, sich dem Zugriff der Angeklagten zu entziehen. Noch auf der Fahrt räumte

[X.]

ein, dass er auch zuhause keine 500
Euro habe. Die Angeklagten wollten ihn jedoch nicht unverrichteter Dinge gehen lassen und beschlossen

auf Vorschlag von

[X.]

daher, das Geld nunmehr von

[X.]

, dem Vater des

[X.]

, zu verlangen. Sie riefen

[X.]

an und drohten, dass der in ihrer Gewalt befindliche

[X.]

eine Tracht Prügel bekomme, falls er ihnen nicht aus Sorge um seinen [X.] 500
Euro aushändige. Als Treffpunkt für die Geldübergabe wurde der
Autohof E.

vereinbart. [X.]ier trat

[X.]

so bestimmt auf, dass die Angeklagten und die anderweitig Verfolgten Bl.

und V.

nach längeren Verhandlungen einwilligten, dass sich

[X.]

in das Auto seines [X.] setzen durfte. Sie forderten jedoch weiterhin von

[X.]

die Zahlung von 500
Euro, bis schließlich die

vom ebenfalls vor Ort
befindlichen Bruder des

[X.]

, M.

, gerufene

Polizei eintraf, ohne dass es zu einer Geldübergabe kam.
II.
Die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen §
265 StPO gerügt wird, hat aus den vom [X.] in seiner
Antragsschrift vom 24.
Juni 2016 näher ausgeführten Gründen keinen Erfolg.
5
-
6
-
III.
1.
Die auf einer fehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellun-gen tragen den Schuldspruch.
2.
Der Strafausspruch weist ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfeh-ler
zum Nachteil der Angeklagten auf. Zwar
legt
der Umstand, dass sie dem Geschädigten gestatteten, sich in das Fahrzeug seines Vaters zu begeben,
eine Erörterung der tätigen Reue gemäß §
239a Abs.
4 Satz
1 StGB nahe. Denn

[X.]

war aufgrund eines Verhaltens der Angeklagten damit im Sinne der vorgenannten Vorschrift in seinen Lebensbereich zurückgelangt. Die unterbliebene Erörterung der tätigen Reue hat sich jedoch nicht zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt. Eine Strafmilderung auf der Grundlage von §
239a Abs.
4 Satz
1 StGB (i.V.m.
§
49 Abs.
1 StGB) kommt
nämlich im Ergebnis nicht in Betracht, weil nicht alle Voraussetzungen der tätigen Reue gegeben sind. Erst dann ist aber das Ermessen des Tatrichters eröffnet, eine Strafmilderung zu gewähren.
a)
Entgegen einer in der Strafrechtswissenschaft vertretenen Auffassung (Fischer, StGB, 63.
Aufl., §
239a Rn.
20; [X.]/[X.], 2.
Aufl., §
239a Rn.
96) wird der Anwendungsbereich der tätigen Reue nicht bereits dadurch eröffnet, dass der Täter die Leistung nicht mehr mit den Mitteln des §
239a Abs.
1 StGB anstrebt. Vielmehr liegen die Voraussetzungen der fakulta-tiven Strafmilderung gemäß §
239a Abs.
4 Satz
1 StGB erst dann vor, wenn der Täter das Opfer in dessen Lebensbereich zurückgelangen lässt und zudem auf die erstrebte Leistung verzichtet. Dazu muss der Täter vollständig von seiner Forderung Abstand nehmen (so
auch LK-StGB/Schluckebier, 12.
Aufl., §
239a Rn.
58; vgl. zur parallelen Problematik bei §
239b Abs.
2 i.V.m. §
239a Abs.
4 6
7
8
-
7
-
Satz
1 StGB auch: [X.], Beschlüsse
vom 21.
Mai 2003

1
StR
152/03, [X.], 605;
vom 31.
Mai 2001

1
StR
182/01, NJW 2001, 2895 und vom 8.
Dezember 1999

3
StR
516/99, [X.]R StGB §
239a Abs.
3 Verzicht
2). Eine solche Abstandnahme wird allerdings regelmäßig konkludent in der Freilassung des Opfers zu sehen sein.
aa)
Die Notwendigkeit eines kumulativen Vorliegens ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, der den Verzicht auf die
erstrebte
Leistung neben der Freilassung des Opfers als Voraussetzung für das Vorliegen einer tätigen Reue gesondert hervorhebt.
bb)
Die Gesetzesmaterialien legen ebenfalls nahe, dass es sich bei den typischerweise zusammenfallenden Elementen der Freilassung des Opfers und dem Verzicht auf die erstrebte Leistung um zwei eigenständige Merkmale des §
239a Abs.
4 Satz
1 StGB handelt. Der Gesetzeswortlaut des ursprünglich nur die Kindesentführung erfassenden §
239a StGB wurde mit dem 12.
StrÄndG 1971 geändert und es wurde erstmals eine Regelung der tätigen Reue im da-maligen Absatz
3 mit dem Wortlaut des heutigen Absatzes
4 aufgenommen. Strafe nach seinem Ermessen mildern (§
15), wenn der Täter aus freien Stü-cken das Kind, ohne es dabei zu gefährden, [X.]. VI/2139,
S.
2), entschied sich der Gesetzgeber letztlich bewusst für die Aufnahme der

Der Gesetzgeber wollte
mit der Einführung des damaligen Absatzes
3
dem Täter im Interesse des Opfers auch nach Vollendung der Tat noch die Möglichkeit geben, Strafmilderung zu erlangen, wenn er das Opfer wieder in 9
10
11
-
8
-

och nötig, da andernfalls auch Konstellationen
unter den Wortlaut der Vorschrift subsumierbar gewesen wären, bei denen der Täter das Opfer
nach Erhalt des Lösegeldes freilässt. Dies dürfe jedoch keinesfalls zu einer Strafmilderung führen. Die gewählte [X.] gebe der Rechtsprechung die Möglichkeit, auch in Grenzfällen sach-gerechte Lösungen zu finden (so BT-Drucks. VI/2722,
S.
3). Der Gesetzgeber nahm dabei sowohl den Präventivzweck der Strafe als auch [X.] in den Blick, gelangte jedoch zu dem Ergebnis, dass ein Täter, der sich nicht von der Strafdrohung an sich, insbesondere bei der leichtfertigen Tötung nach dem heutigen Absatz
3, abschrecken lasse, sich auch nicht durch die Aussicht auf eine Strafmilderung von seinem Vorhaben abbringen lasse.
Letztlich belegen die Gesetzesgenese und die bewusste Entscheidung, den Entwurf noch um die einschränkende Voraussetzung

ieser Komponente einen eigenständigen Bedeutungsgehalt neben dem [X.] vom Menschenraub zukommen lassen wollte. Diese klare gesetzgeberische Ent-auf die erstrebte Leis-i-nem Verfolgen des Ziels mit den Mitteln des §
239a Abs.
1 StGB erfasst wäre.
cc)
Diese Auslegung widerspricht auch nicht der Gesetzessystematik. Andere Vorschriften zur tätigen Reue gewähren dem Täter ebenfalls keine un-rafmilderung. Das bloße Abstand [X.] von
der weiteren Tatbestandsverwirklichung genügt in der Regel nicht. So setzt etwa §
306e StGB voraus, dass der Täter den Brand freiwillig löscht, be-vor ein erheblicher Schaden entsteht (ähnlich die Regelung des §
320 Abs.
2 StGB). Es ist hierbei immer im Blick zu behalten, dass die tätige Reue nur aus-12
13
-
9
-
nahmsweise zu einer Strafmilderung führen soll, obwohl die Schwelle zur Voll-endung bereits überschritten war. Welche Anforderungen an die tätige Reue zu stellen sind, ist daher durchaus auch mit Blick auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift zu beurteilen.
dd)
Schließlich harmoniert die hier vertretene Gesetzesauslegung auch mit den Anforderungen, die bei der parallelen Problematik des Rücktritts vom unbeendeten Versuch gestellt werden. Für diesen
ist anerkannt, dass der Täter die Durchführung seines Entschlusses im Ganzen und endgültig aufgeben muss, um die Voraussetzungen eines Rücktritts i.S.d. §
24 StGB zu erfüllen (vgl. z.[X.] schon [X.], Urteile vom 14.
April 1955

4
StR
16/55, [X.]St 7, 296
und vom 23.
August 1979

4
StR
379/79, [X.], 602). Da es oft vom Zu-fall abhängt, ob sich eine Tat noch im Versuchsstadium befindet oder bereits vollendet ist, liegt es nahe, bei der tätigen Reue ähnliche Anforderungen zu stellen wie beim Rücktritt vom Versuch.
b)
Die Angeklagten haben dem Geschädigten

[X.]

lediglich gestattet, in seinen Lebensbereich zurückzukehren. Da sie aber weiterhin ge-genüber dessen Vater an ihrem
unberechtigten
Verlangen auf Zahlung von 500
Euro festgehalten haben, haben
sie keine tätige Reue gemäß §
239a Abs.
4 Satz
1 StGB geübt. Wegen des ausdrücklichen Festhaltens an der [X.] auf Zahlung von 500
Euro erweist sich im vorliegenden Fall die Freilas-sung des Geschädigten auch nicht als konkludenter Verzicht auf die erstrebte Leistung.
14
15
-
10
-
IV.
Die Kosten-
und Auslagenentscheidung für den Angeklagten J.

beruht auf §
473 Abs.
1 StPO. Auch der über ein eigenes Einkommen verfügende
Angeklagte S.

hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen, §
109 Abs.
2 Satz
1 i.V.m. §
74 JGG.
Raum
Cirener
Radtke

Mosbacher
Bär
16

Meta

1 StR 293/16

07.09.2016

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.09.2016, Az. 1 StR 293/16 (REWIS RS 2016, 5849)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5849

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