Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.10.2017, Az. 10 AZB 25/15

10. Senat | REWIS RS 2017, 3823

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Gegenstand

Prozesskostenhilfe - Streitsache mit grenzüberschreitendem Bezug


Leitsatz

In einem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit mit grenzüberschreitendem Bezug iSv. Art. 2 Abs. 1 RL 2003/8/EG umfasst die einem Antragsteller mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union von der Bundesrepublik Deutschland gewährte Prozesskostenhilfe auch die von diesem verauslagten Kosten für die Übersetzung der Anlagen, die für die Entscheidung über den Antrag erforderlich sind.

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] werden der Beschluss des [X.] vom 15. April 2015 - 4 Ta 264/14 (6) - und der Nichtabhilfebeschluss des [X.] vom 30. Oktober 2014 - 6 Ca 1711/13 - aufgehoben.

2. Auf die sofortige Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 8. April 2014 - 6 Ca 1711/13 - abgeändert, soweit es eine Erstattung der Übersetzungskosten abgelehnt hat.

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe wird auf die vom Kläger verauslagten Kosten für die Übersetzung der Anlagen erstreckt, die für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag erforderlich waren.

Gründe

1

A. Der anwaltlich vertretene Kläger des Ausgangsverfahrens hat seinen Wohnsitz in der [X.]. Er hat beim [X.] mit [X.] vom 24. September 2013 durch seine Prozessbevollmächtigte eine auf Zahlung rückständigen Arbeitslohns gerichtete Klage gegen die in [X.] ansässige Beklagte erheben und zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug beantragen lassen. Mit [X.] vom 27. November 2013 beantragte die Prozessbevollmächtigte des [X.] die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf die Kosten für die Übersetzung der Unterlagen zum Nachweis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des [X.]. Am 8. April 2014 gelangte die vom Kläger am 23. September 2013 unterschriebene, in [X.] ausgefüllte Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts. Das Erklärungsformular war einschließlich der Erläuterungen und Anlagen von einem in [X.] ansässigen gewerblichen Übersetzungsbüro in die [X.] übersetzt worden. Der Kläger hat zwei an ihn adressierte Rechnungen des Übersetzungsbüros zur Gerichtsakte reichen lassen.

2

Das Arbeitsgericht hat dem Kläger Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten bewilligt. Die Erstattung der Kosten für die Übersetzung der Anlagen zum [X.] hat es abgelehnt. Der sofortigen Beschwerde des [X.] hat das Arbeitsgericht nicht abgeholfen. Das [X.] hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

3

Mit Beschluss vom 5. November 2015 (- 10 [X.] (A) -) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem [X.] ([X.]) gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV folgende Frage vorgelegt:

        

„Gebietet der Anspruch einer natürlichen Person auf wirksamen Zugang zu den Gerichten bei einer Streitsache mit grenzüberschreitendem Bezug iSv. Art. 1 und Art. 2 der Richtlinie 2003/8/[X.] vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen,

        

dass die von der Bundesrepublik [X.] gewährte Prozesskostenhilfe die vom Antragsteller verauslagten Kosten für die Übersetzung der Erklärung und der Anlagen zum Antrag auf Prozesskostenhilfe umfasst, wenn der Antragsteller zugleich mit der Klageerhebung bei dem auch als Empfangsbehörde iSv. Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie zuständigen Prozessgericht Prozesskostenhilfe beantragt und die Übersetzung selbst hat anfertigen lassen?“

4

Der [X.] hat mit Urteil vom 26. Juli 2017 (- [X.]/15 -) wie folgt entschieden:

        

„Die Art. 3, 8 und 12 der Richtlinie 2003/8/[X.] vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen sind in der Zusammenschau dahin auszulegen, dass die Prozesskostenhilfe, die der Mitgliedstaat des Gerichtsstands gewährt, in dem eine natürliche Person, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat hat, in einer Streitsache mit grenzüberschreitendem Bezug Prozesskostenhilfe beantragt hat, auch die von dieser Person verauslagten Kosten für die Übersetzung der Anlagen umfasst, die für die Entscheidung über diesen Antrag erforderlich sind.“

5

B. Die aufgrund der Zulassung durch das [X.] statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des [X.]s, zur Aufhebung der Nichtabhilfeentscheidung und zur teilweisen Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts.

6

I. Das [X.] ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass nach Maßgabe des [X.] Rechts die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Kosten, die dem Kläger für die Übersetzung der dem [X.] beizufügenden Erklärung und Anlagen in die [X.] entstanden sind, ausgeschlossen ist. Dem bei einem [X.] Prozessgericht gestellten Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe sind die Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO und die entsprechenden Belege gemäß § 184 Satz 1 GVG grundsätzlich in [X.] beizufügen ([X.] 12. November 2014 - IV ZR 161/14 -). Für das Prozesskostenhilfeverfahren nach §§ 114 ff. ZPO sieht das Gesetz die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vor ([X.] 29. Juni 2010 - VI ZA 3/09 - Rn. 3). Dieses Verfahren stellt keine „Prozessführung“ iSd. § 114 ZPO dar, so dass hierfür keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Kosten, die für die Übersetzung der dem [X.] beizufügenden Erklärung und Belege in die [X.] entstehen, ist daher ausgeschlossen ([X.] 12. November 2014 - IV ZR 161/14 - Rn. 2).

7

II. Nicht zu beanstanden ist ebenso die Annahme des [X.]s, wonach die Erstreckung der Prozesskostenhilfebewilligung auf die Kosten für die Übersetzung der erforderlichen Anlagen zum [X.] auch nicht nach §§ 1076 ff. ZPO in Betracht kommt. Diese durch das [X.] vom 15. Dezember 2004 ([X.]) zur Umsetzung der [X.] 2003/8/[X.] in die Zivilprozessordnung eingefügten Vorschriften, die vor den Gerichten für Arbeitssachen gemäß § 13a ArbGG Anwendung finden, sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig. § 1078 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist auf die Behandlung von aus dem [X.] in [X.] eingehenden Ersuchen zugeschnitten und bestimmt - in Übereinstimmung mit § 117 ZPO - das ([X.]) Prozess- oder Vollstreckungsgericht als zuständige Empfangsbehörde iSd. Art. 14 Abs. 1 [X.] 2003/8/[X.]. Bei dieser Empfangsbehörde muss der Antrag in [X.] ausgefüllt eingehen und es müssen die Anlagen von einer Übersetzung in die [X.] begleitet sein (§ 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Übernahme der Kosten für die Übersetzung des Antrags und der Anlagen in die [X.] durch die Bundesrepublik [X.] sieht § 1078 ZPO nicht vor.

8

III. Ebenfalls zu Recht hat das [X.] angenommen, dass der Kläger gemäß Art. 8 Buchst. b [X.] 2003/8/[X.] von den Übersetzungskosten für den [X.] und die Anlagen entlastet worden wäre, wenn er den Antrag bei der in seinem Heimatland zuständigen Behörde gestellt hätte.

9

1. Der Anwendungsbereich der [X.] 2003/8/[X.] ist eröffnet. Der [X.] betrifft eine zivilrechtliche Streitsache mit grenzüberschreitendem Bezug iSv. Art. 2 Abs. 1 [X.] 2003/8/[X.], weil der Kläger mit Wohnsitz in der [X.] vor einem [X.] Gericht eine Zahlungsklage erhoben hat.

2. Der Kläger hätte den Antrag auf Prozesskostenhilfe nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. a [X.] 2003/8/[X.] bei der zuständigen Behörde in der [X.] einreichen können. In diesem Fall hätte ihm die [X.] nach Art. 8 Buchst. b [X.] 2003/8/[X.] die erforderliche Prozesskostenhilfe gemäß Art. 3 Abs. 2 [X.] 2003/8/[X.] zur Deckung der Kosten für die Übersetzung des Antrags und der erforderlichen Anlagen gewährt.

3. Der Kläger hatte auch objektiv die Möglichkeit, in der [X.], dem Mitgliedstaat seines Wohnsitzes, Prozesskostenhilfe für den in [X.] geführten Rechtsstreit zu beantragen. Der Einwand, bei einer Antragstellung in der [X.] wäre er infolge des zu erwartenden Zeitverzugs um „mehrere Wochen bis Monate“ Gefahr gelaufen, dass seine Ansprüche verjähren oder aufgrund der in seinem Arbeitsvertrag vereinbarten Ausschlussfrist verfallen, ist unzutreffend, zumal der Kläger bereits mit [X.] vom 24. September 2013 eine unbedingte Klage auf Zahlung des rückständigen Arbeitslohns beim sachlich und örtlich zuständigen [X.] erhoben hatte.

IV. Soweit das [X.] die Erstreckung der bewilligten Prozesskostenhilfe auf die Kosten für die Übersetzung der zur Entscheidung über das [X.] erforderlichen Anlagen abgelehnt hat, weil der Kläger den Antrag nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. b [X.] 2003/8/[X.] im Mitgliedstaat seines Wohnsitzes gestellt hat, hält seine Begründung einer rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand. Dies führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung  577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

1. Art. 8 Buchst. b [X.] 2003/8/[X.], wonach der Mitgliedstaat des Wohnsitzes die Kosten für die Übersetzung des Antrags und der erforderlichen Anlagen übernimmt, wenn der Antrag auf Prozesskostenhilfe bei den Behörden dieses Mitgliedstaats eingereicht wird, bringt keine Bedingung zum Ausdruck, die von der Prozesskostenhilfe beantragenden Person in jedem Fall zu erfüllen wäre, damit ihr eine Erstattung der Kosten für die Übersetzung des Antrags auf Prozesskostenhilfe und der Anlagen gewährt werden kann. Die Regelung beinhaltet in Bezug auf diese Kosten lediglich eine Ausnahme von der allgemeinen Regel, wonach der Mitgliedstaat des Gerichtsstands die mit dem grenzüberschreitenden Charakter einer Streitsache verbundenen Kosten zu tragen hat ([X.] 26. Juli 2017 - [X.]/15 - Rn. 39 f.).

2. Durch den Ausschluss der Kostenübernahme in den Fällen, in denen der Antrag - wie im Streitfall - gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. b [X.] 2003/8/[X.] im Mitgliedstaat des Gerichtsstands gestellt wurde, würde die an einer Streitsache mit grenzüberschreitendem Bezug beteiligte Person, die nicht über ausreichende Mittel verfügt, um für die Prozesskosten aufzukommen, in der Wahrnehmung ihres Anspruchs auf einen effektiven Zugang zum Recht behindert. Dies widerspräche dem erklärten Ziel der Richtlinie ([X.] 26. Juli 2017 - [X.]/15 - Rn. 41 ff.). Daher sind die Art. 3, 8 und 12 [X.] 2003/8/[X.] so auszulegen, dass die Prozesskostenhilfe, die der Mitgliedstaat des Gerichtsstands gewährt, in dem eine Person mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat Prozesskostenhilfe beantragt hat, auch die von dieser Person verauslagten Kosten für die Übersetzung der Anlagen umfasst, die für die Entscheidung über diesen Antrag erforderlich sind ([X.] 26. Juli 2017 - [X.]/15 - Rn. 47).

V. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Da das Arbeitsgericht im Streitfall die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe bejaht hat, war unter Berücksichtigung der Entscheidung des [X.]s vom 26. Juli 2017 (- [X.]/15 -) der Nichtabhilfebeschluss des Arbeitsgerichts vom 30. Oktober 2014 aufzuheben. Unter teilweiser Abänderung des [X.] vom 8. April 2014 war dem mit [X.] vom 27. November 2013 gestellten Antrag des [X.] auf Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf die von ihm verauslagten erforderlichen Kosten für die Übersetzung der für die Entscheidung über den [X.] erforderlichen Anlagen stattzugeben.

        

    Linck    

        

    Schlünder    

        

    Brune    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

10 AZB 25/15

17.10.2017

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Zwickau, 8. April 2014, Az: 6 Ca 1711/13, Beschluss

§ 1078 Abs 1 S 2 ZPO, § 1076 ZPO, § 117 Abs 2 ZPO, § 184 S 1 GVG, Art 8 Buchst b EGRL 8/2003, Art 2 Abs 1 EGRL 8/2003, Art 3 Abs 2 EGRL 8/2003, Art 13 Abs 1 Buchst b EGRL 8/2003, Art 12 EGRL 8/2003

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.10.2017, Az. 10 AZB 25/15 (REWIS RS 2017, 3823)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3741 REWIS RS 2017, 3823

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