Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.10.2011, Az. AnwZ (Brfg) 30/11

Senat für Anwaltssachen | REWIS RS 2011, 1834

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Gegenstand

Anwaltliches Berufsrecht: Widerruf der Zulassung eines Rechtsanwalts bei einer auf Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung beruhenden Verurteilung wegen Parteiverrats; Berufungszulassung in einer verwaltungsrechtlichen Anwaltssache


Tenor

Der Antrag des [X.] auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Brandenburgischen Anwaltsgerichtshofs vom 9. Mai 2011 wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die [X.]eklagte hat mit [X.]escheid vom 15. Juni 2010 die Zulassung des [X.] widerrufen, weil er infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit zur [X.]ekleidung öffentlicher Ämter verloren hat (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 [X.], § 45 Abs. 1 StG[X.]). Der Kläger wurde durch Urteil des [X.]vom 3. April 2009 wegen schweren [X.] gemäß § 356 Abs. 2 StG[X.] (Einzelstrafe: ein Jahr und neun Monate) und wegen versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur [X.]ewährung ausgesetzt wurde.

2

Das [X.]      hatte den Kläger durch Urteil vom 15. September 2006 zunächst freigesprochen. Es hatte die Rechtsfrage, ob auch mehrere Tatbeteiligte derselben Strafsache Parteien im Sinne des § 356 StG[X.] sind, verneint, womit es einer Entscheidung des [X.] vom 16. Dezember 1952 - 2 StR 198/51 - gefolgt war. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der 5. Strafsenat des [X.] dieses Urteil auf (Urteil vom 25. Juni 2008 - 5 [X.], [X.], 307). Er gab den früher vertretenen Rechtsstandpunkt auf und erkannte, dass [X.]eschuldigte in einer Strafsache, gegen die jeweils der Verdacht besteht, gemeinsam mit dem anderen [X.]eschuldigten als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe Teilnehmer derselben Straftat gewesen zu sein, Parteien im Sinne des § 356 StG[X.] sein können. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung erfolgte die Verurteilung durch das [X.]     vom 3. April 2009. Die Revision des [X.] gegen dieses Urteil verwarf der 5. Strafsenat des [X.] mit [X.]eschluss vom 8. April 2010 (5 [X.]) als unbegründet.

3

Die gegen den Widerruf der Zulassung erhobene Klage hat der [X.] abgewiesen. Dagegen richtet sich der Antrag des [X.] auf Zulassung der [X.]erufung.

II.

4

Der nach § 112e Satz 2, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des [X.] auf Zulassung der [X.]erufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

5

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser [X.] setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird ([X.] 110, 77, 83; [X.], [X.], 1163, 1164; NVwZ-RR 2008, 1; NJW 2009, 3642; vgl. ferner [X.], NVwZ-RR 2004, 542 f.; [X.]/Göcken, Anwaltliches [X.]erufsrecht, § 112e [X.] Rn. 77; [X.] in [X.]Prütting, [X.], 3. Aufl., § 112e Rn. 10). Der Kläger macht insoweit geltend, dass die Anwendung des § 14 Abs. 2 Nr. 2 [X.] im konkreten Fall verfassungsrechtlichen [X.]edenken begegne. [X.]ereits das Urteil des [X.]  vom 3. April 2009, das die Grundlage für den Widerruf der Zulassung bilde, verstoße möglicherweise gegen Art. 103 Abs. 2 GG.

6

a) Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 2 [X.] begegnet nach ständiger Rechtsprechung des Senats keinen verfassungsrechtlichen [X.]edenken (Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 1988 - [X.] ([X.]) 46/87, [X.]RAK-Mitt. 1988, 208 [Verfassungsbeschwerde nicht angenommen, [X.], [X.]eschluss vom 28. März 1988 - 1 [X.]vR 399/88]; vom 20. April 1999 - [X.] ([X.]) 51/98, [X.]RAK-Mitt. 1999, 185; vom 18. Oktober 1999 - [X.] ([X.]) 95/98, [X.]RAK-Mitt. 2000, 42). Wenn ein Rechtsanwalt wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, dann zeigt das, dass er in besonders schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten verstoßen hat und damit eine Gefahr für eine geordnete Rechtspflege darstellt. Dass einem solchen Anwalt ohne weitere Prüfung die Ausübung seines [X.]erufes untersagt wird, stellt keine unverhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der Rechtsuchenden dar, zumal die Untersagung jeglicher anwaltlicher [X.]erufsausübung nach § 45 Abs. 1 StG[X.], § 7 Nr. 2 [X.] auf 5 Jahre beschränkt ist. Allgemeine Verhältnismäßigkeitsüberlegungen wie der Zeitablauf seit der Tat treten beim Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 [X.] nach der ausdrücklichen Wertung des Gesetzgebers gegenüber der Schwere des Pflichtenverstoßes zurück.

7

b) Abgesehen davon, dass die Richtigkeit der strafgerichtlichen Verurteilung im vorliegenden Verfahren nicht überprüft werden darf (vgl. [X.]GH, Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 1988 und vom 18. Oktober 1999, aaO), bestehen auch keine verfassungsrechtlichen [X.]edenken gegen die Verurteilung des [X.] wegen [X.] nach § 356 Abs. 2 StG[X.]. Das [X.]undesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde des [X.] nicht angenommen ([X.]eschluss vom 16. Mai 2011 - 2 [X.]vR 1230/10). Die Aufgabe einer in der Rechtsprechung bislang vertretenen Auslegung verstößt nicht als solche gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält ([X.], aaO juris Rn. 15). Im Ausgangsfall lag ein Vertrauenstatbestand bereits mangels gefestigter Rechtsprechung nicht vor, die Auslegung hielt sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung ([X.], aaO juris Rn. 17). Auch die Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG (Verbot einer rückwirkenden Verschärfung der Strafbarkeit) auf “[X.]“ würde jedenfalls voraussetzen, dass die frühere Rechtsprechung durch ein Mindestmaß an Kontinuität einen Vertrauenstatbestand begründen konnte ([X.], aaO juris Rn. 20), was hier nicht der Fall war.

8

c) Der Zulassungsantrag des [X.] zeigt außer den verfassungsrechtlichen [X.]edenken keine schlüssigen Argumente auf, die im konkreten Fall einem Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 [X.] entgegenstehen könnten (vgl. hierfür beispielsweise den Fall der Verurteilung wegen einer unter der Geltung des StG[X.]-DDR begangenen Rechtsbeugung nach § 339 StG[X.] als milderem Recht [X.]GH, Senatsbeschluss vom 18. Juni 2001 - [X.] ([X.]) 46/00, NJW 2001, 2407).

9

2. Auch der weiter angeführte [X.] der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 112e Satz 2 [X.], § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.

Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung weist eine Rechtssache dann besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn sie wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich abhebt (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 12. November 2010 - 1 L 134/10, juris Rn. 7; [X.], [X.]eschluss vom 17. Januar 2011 - 14 Z[X.] 10.1569, juris Rn. 10). Diese Grundsätze lassen sich auch auf die verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen übertragen ([X.]Prütting, aaO § 112e Rn. 11 m.w.N.).

Die Rechtssache als solche wirft hier keine komplexen Tatsachen- oder Rechtsfragen auf, die ihre [X.]eurteilung erschweren. Der zugrunde liegende Sachverhalt steht aufgrund der [X.]indungswirkung des Strafurteils fest und wird vom Kläger in seinem Zulassungsantrag nicht in Frage gestellt. Die Rechtslage ist in § 14 Abs. 2 Nr. 2 [X.] eindeutig geregelt. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung bestehen, wie bereits ausgeführt, keine [X.]edenken.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 [X.], § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des [X.] auf § 194 Abs. 2 Satz 1 [X.].

Kessal-Wulf                                            Roggenbuck                                            [X.]

                               Hauger                                                      [X.]

Meta

AnwZ (Brfg) 30/11

28.10.2011

Bundesgerichtshof Senat für Anwaltssachen

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend Anwaltsgerichtshof Brandenburg, 9. Mai 2011, Az: AGH I 3/10, Urteil

§ 7 Nr 2 BRAO, § 14 Abs 2 Nr 2 BRAO, § 112e S 2 BRAO, § 45 Abs 1 StGB, § 356 Abs 2 StGB, § 124 Abs 2 Nr 2 VwGO, § 124a Abs 4 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.10.2011, Az. AnwZ (Brfg) 30/11 (REWIS RS 2011, 1834)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1834

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 109/07

5 StR 491/09

2 BvR 1230/10

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