Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.10.2011, Az. IV ZB 17/10

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2443

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 17/10
vom

12. Oktober 2011

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

[X.]Z: nein

[X.]R: ja

ZPO § 233 D; [X.] § 119 Abs. 1

1.
Die aus dem Gebot des fairen Verfahrens in Verbindung mit dem Rechtsstaats-prinzip folgende Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte führt nicht zu einer gene-rellen Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit bei Eingang der [X.]. Jedoch ist die Weiterleitung der [X.] an das zu-ständige Gericht im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs geboten, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts "ohne weiteres" bzw. "leicht und ein-wandfrei" zu erkennen ist (im [X.] an [X.], Beschlüsse vom 20. April 2011

[X.], NJW 2011, 2053 Rn.
13; vom 17. August 2011
[X.]/11, [X.], 1193, 1194).
2.
Solange die Akte im ordnungsgemäßen Geschäftsgang dem [X.] nicht vorge-legen hat, kommt es für die "leichte Erkennbarkeit" nur auf das Wissen des [X.] an.
3.
Die Änderung des §
119 Abs.
1 [X.] mit Wirkung zum 1.
September 2009 [X.] ein Geschäftsstellenbeamter im Dezember 2009 nicht zu kennen.

[X.], Beschluss vom 12. Oktober 2011 -
IV ZB 17/10 -
LG Köln

[X.]

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-

Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die [X.] [X.]in Dr. Kessal-Wulf, die [X.] [X.], [X.], [X.] und die [X.]in [X.]

am 12. Oktober 2011

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1.
Zivil-kammer des [X.] vom 20.
Mai 2010 wird auf Kosten des [X.] als unzulässig verworfen.

Gegenstandswert: 63.000

Gründe:

I. Die Parteien streiten über eine Nutzungsentschädigung für ein vom Kläger genutztes Grundstück. Der Beklagte zu
3 wohnt in [X.]. Die negative Feststellungsklage des [X.] wurde durch Urteil des Amtsgerichts vom 28. Oktober 2009 abgewiesen.

Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des [X.] am 2.
November 2009 zugestellt. Am 10.
November 2009 legte er Berufung beim [X.] ein. In diesem [X.] heißt es un-ter anderem:

"Hinsichtlich der Zuständigkeit des Gerichts ergibt sich [X.] aus § 119 Abs.
1 S.
1b [X.]. Sollte das angerufene Ge-1
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richt insoweit Bedenken haben, so erbitten wir einen recht-zeitigen Hinweis."

Dem Senatsvorsitzenden
wurde die Akte erstmals mit einem [X.] des [X.] vom 21.
Dezember 2009 auf Verlängerung der [X.]sfrist vorgelegt. Mit
Verfügung vom 23.
Dezember 2009 bewilligte dieser die beantragte Verlängerung und teilte zugleich mit, dass er den erbetenen Hinweis nicht erteilen könne, da sich die [X.] immer noch beim Amtsgericht befänden.

Im [X.] an diesen Hinweis überprüfte der Prozessbevoll-mächtigte des [X.] nochmals die Frage der Zuständigkeit und er-kannte nunmehr, dass aufgrund der Änderung des §
119 Abs.
1 [X.] mit Wirkung zum 1.
September 2009 das [X.] für die Berufung zu-ständig ist. Mit Schriftsatz vom 18.
Januar 2010 legte
er daraufhin Beru-fung beim [X.] ein und beantragte wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Insoweit hat er geltend gemacht, dass ihm die Gesetzesänderung erst Anfang Januar 2010 bekannt geworden sei und auch vorher nicht habe bekannt sein müssen, zudem das [X.] weder den erbetenen, ihm mögli-chen Hinweis erteilt noch die Akten mit der Berufungsschrift an das zu-ständige [X.] weitergeleitet habe.

Das [X.] hat mit Beschluss vom 20.
Mai 2010 den [X.] zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig [X.]. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde des [X.].

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II. Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach
§
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, §
522 Abs.
1 Satz
4, §
238 Abs.
2 Satz
1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des §
574 Abs.
2 ZPO fehlt. [X.] Entscheidung des [X.] ist insbesondere weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch zur Fortbildung des Rechts erforderlich.

1. Die Versagung der Wiedereinsetzung verstößt nicht gegen das Grundrecht des [X.] auf ein faires Verfahren nach Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art.
20 Abs.
3
GG.

a) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass ein dem Kläger [X.] (§
85 Abs.
2 ZPO) Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsfrist vorliegt, weil dieser die Änderung des §
119 Abs.
1 [X.] mit Wirkung zum 1.
September 2009 nicht kannte, als er im November 2009 Berufung [X.] zum [X.] einlegte. Auch die Beschwerde erhebt gegen die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung keine Angriffe.

b) Zutreffend hat das Berufungsgericht darüber hinaus die Kausali-tät dieses Verschuldens für die eingetretene Fristversäumung bejaht. Sie ist entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht deshalb zu verneinen, weil sich das Verschulden des Prozessbevollmächtigten wegen
einer nachfolgenden Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch das [X.] nicht mehr ausgewirkt hätte.

aa) Hierfür kann es dahinstehen, ob der Senatsvorsitzende beim [X.] dessen Unzuständigkeit auch ohne die noch nicht eingetroffenen Akten der Vorinstanz leicht erkennen konnte, als ihm die 6
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Akten wegen des [X.]s vom 21.
Dezember 2009 erstmalig vorgelegt wurden. Denn zu diesem Zeitpunkt war die am 2.
De-zember 2009 endende Berufungsfrist (§
517 ZPO) bereits abgelaufen.
Weder ein Hinweis an den Kläger noch die Weiterleitung der Berufungs-schrift an das [X.] hätten an der Fristversäumnis etwas ändern können.

Ein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens folgt aber auch nicht daraus, dass die Berufungsschrift dem Vorsitzenden nicht [X.] zur Prüfung der Zuständigkeit des [X.]s vorgelegt worden ist. Die aus diesem Gebot in Verbindung mit dem Rechtsstaats-prinzip folgende Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte (vgl. dazu [X.] NJW 2006, 1579 Rn.
8
f.) führt nicht zu einer generellen Ver-pflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit bei Eingang der [X.]. Die Praxis, eingehende Berufungen zunächst ledig-lich durch die Geschäftsstelle erfassen zu lassen und erst nach Eingang der
Berufungsbegründung einer richterlichen Zuständigkeitsprüfung zu unterziehen, ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ([X.] aaO Rn.
10
f.). Sie entspricht vielmehr noch einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang.

Eine danach nicht bestehende sofortige Prüfungspflicht des [X.]s konnte auch nicht durch die Bitte um einen Hinweis auf etwaige Bedenken gegen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts in der Be-rufungsschrift begründet werden. Mit dieser Bitte konnte sich der Pro-zessbevollmächtigte seiner eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Formalien bei Einlegung der Berufung nicht entheben.

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Zwar hat die Erteilung von Hinweisen nach §
139 Abs.
4 ZPO "so früh wie möglich" zu erfolgen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Beru-fungsschrift dem [X.] von der Geschäftsstelle abweichend vom nor-malen Geschäftsgang beschleunigt vorgelegt werden müsste, nur weil ein Hinweis beantragt ist. Die Vorschrift des §
139 Abs.
4 ZPO betrifft die Verfahrensleitung und Förderung durch das Gericht und greift daher erst ein, wenn der jeweilige Sachbearbeiter mit dem Verfahren befasst wird. Eine Vorverlagerung der Prüfungspflicht des Gerichts, ob und gegebe-nenfalls welche Hinweise zu erteilen sind, kann der Rechtsmittelführer mit einer einseitigen Bitte nicht herbeiführen.

Allerdings sind die Gerichte dann gehalten, durch Hinweise
oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des [X.] zu verhindern, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen [X.]s "ohne weiteres"
bzw. "leicht und einwandfrei"
zu erkennen ist; dies kann die Weiterleitung der [X.] an das zuständige Gericht im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs gebieten (vgl. [X.], [X.] vom 20.
April 2011
[X.], NJW 2011, 2053 Rn.
13; vom 17.
August 2011 -
[X.]/11, [X.], 1193, 1194).

Diese Voraussetzungen liegen hier
aber
nicht vor. Nachdem

wie dargelegt

die erstmalige Befassung des [X.]s mit der [X.] erst nach Eingang der Rechtsmittelbegründung oder eines [X.]s nicht zu beanstanden ist, kann es für die [X.] der leichten Erkennbarkeit nur auf den Wissensstand des zuständigen Geschäftsstellenbeamten ankommen.

In diesem Punkt
unterscheidet sich der Sachverhalt wesentlich von demjenigen, der der zitierten Entscheidung des [X.]. Zivilsenats vom 13
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17.
August 2011 zugrunde liegt. Gemäß §
64 FamFG ist in sämtlichen Verfahren in Familiensachen, die nach diesem Gesetz zu führen sind, die Beschwerde bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten wird.
Die Fehlerhaftigkeit der Adressierung einer gleichwohl beim über-geordneten Gericht eingelegten Beschwerde kann danach auch ein dort tätiger Geschäftsstellenbeamter leicht erkennen.

Anders ist dies hier. Nachdem die [X.]e über mehre-re Jahre für Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte zuständig [X.] waren, wenn eine Partei ihren Wohnsitz im Ausland hat, musste die hier tätig gewordene Beamtin die Unzuständigkeit des Oberlandesge-richts
nicht erkennen, weil die Kenntnis von der Änderung des §
119 Abs.
1 [X.] von einem Geschäftsstellenbeamten nicht erwartet werden kann (vgl. [X.] aaO Rn.
11).
Damit bestand auch keine Veranlassung, die Akte abweichend von der sonst üblichen Praxis dem Vorsitzenden vorzulegen, damit dieser einen etwaigen Irrtum des Rechtsmittelführers über das zuständige Berufungsgericht rechtzeitig beseitigen konnte.

bb) Ebenfalls unerheblich ist es, ob eine Pflichtverletzung der be-teiligten Gerichte im Zusammenhang mit der verzögerten Aktenübersen-dung vom Amtsgericht an das [X.] vorliegt.

Allerdings legt der Akteninhalt es nahe, dass das Amtsgericht die Pflicht zur unverzüglichen Aktenübersendung nach §
541 Abs.
1 Satz
2 ZPO nicht beachtet hat. Dagegen hat das [X.] seine Pflicht zur unverzüglichen [X.] entsprechend §
541 Abs.
1 Satz
1 ZPO zunächst erfüllt. Ob es nach erstmaligem Ablauf der Wieder-vorlagefrist am 26.
November 2009 bereits mit solchem Nachdruck auf die Aktenübersendung hätte hinwirken
müssen, dass diese bis zum 17
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2.
Dezember 2009 gesichert war, erscheint fraglich. Denn die Pflicht zur [X.] nach §
541 ZPO besteht nicht zum Schutz des Rechtsmittelführers, um diesem gegebenenfalls noch vor seiner [X.] rechtliche Hinweise erteilen zu können, sondern dient allein der Verhinderung der Erteilung eines Rechtskraftzeugnisses (Zöl-ler/[X.], ZPO 28.
Aufl. §
541 Rn.
1).

Letztlich kann dies alles dahinstehen, da die Akten nach der oben erwähnten, nicht zu beanstandenden Praxis dem Vorsitzenden auch im Falle eines früheren Akteneingangs nicht vorgelegt worden wären, ehe der [X.] gestellt war. Der verspätete Eingang der Vorinstanzakten hat sich somit auf einen unterbliebenen Hinweis vor [X.] der Berufungsfrist nicht ausgewirkt.

2. Nach alledem ist eine Entscheidung des [X.] auch nicht zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Dies setzte [X.], dass der Fall eine verallgemeinerungsfähige rechtliche Frage [X.], für deren rechtliche Beurteilung eine richtungsweisende Orientie-rungshilfe ganz oder teilweise fehlt (Senatsbeschluss vom 24.
Septem-ber 2003
[X.], [X.], 55 unter 2). Wie oben dargelegt, ist es jedoch in der Rechtsprechung geklärt, dass der Grundsatz des fairen Verfahrens eine sofortige Prüfung der Zuständigkeit durch das [X.] im Interesse des Rechtsmittelführers nicht gebietet, und kommt es auf die verzögerte Aktenübersendung durch das Amtsgericht nicht entscheidungserheblich an.

III. Die Wertfestsetzung beruht auf §
9 ZPO, ausgehend von einem Monatsbetrag von 1.500

1 und 3 einer Forde-20
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rung in dieser Höhe berühmt haben. Die Sondervorschrift des §
41
Abs.
1 Satz
1 GKG greift nicht ein, weil der streitige Anspruch auf [X.] von den Beklagten gerade nicht auf ein Miet-
oder ähnliches Nutzungsverhältnis gestützt wird.

Dr. [X.][X.] [X.]

[X.] [X.]
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 28.10.2009 -
24 C 227/08 -

LG Köln, Entscheidung vom 20.05.2010 -
1 S 20/10 -

Meta

IV ZB 17/10

12.10.2011

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.10.2011, Az. IV ZB 17/10 (REWIS RS 2011, 2443)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2443

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