Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.09.2010, Az. 5 AZR 700/09

5. Senat | REWIS RS 2010, 3671

ARBEITSRECHT BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) KÜNDIGUNG

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Gegenstand

Nichteinhaltung der Kündigungsfrist - Geltendmachung innerhalb der Klagefrist - Fiktionswirkung - Umdeutung - Anwendungsvorrang des Unionsrechts - Annahmeverzug


Leitsatz

Eine vom Arbeitgeber mit zu kurzer Kündigungsfrist erklärte ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses kann nur dann in eine Kündigung zum richtigen Kündigungstermin umgedeutet werden (§ 140 BGB), wenn sie nicht gemäß § 7 KSchG als rechtswirksam gilt.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. August 2009 - 2 [X.]/09 - aufgehoben.

2. Die Berufung des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 11. März 2009 - 3 [X.]/08 - wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs.

2

Der am 9. November 1972 geborene Kläger war seit dem 1. August 1995 bei der [X.] bzw. deren [X.], der [X.] und der [X.]h GmbH, beschäftigt, zuletzt als [X.] gegen eine Vergütung von 1.376,00 Euro brutto monatlich. Der Kläger und die [X.]h GmbH schlossen am 1. Januar 1999 einen schriftlichen Arbeitsvertrag, in dem es ua. heißt:

        

§ 13 Beendigung des Arbeitsverhältnisses         

        

(1)     

Die Kündigung des unbefristet abgeschlossenen Arbeitsvertrages unterliegt den gesetzlichen Kündigungsfristen. Die Verlängerung der gesetzlichen Kündigungsfristen nach längerer Beschäftigung gilt für beide Vertragsteile.

        

…“    

        

3

Mit [X.]chreiben vom 22. April 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 2008. Ab August 2008 bezog der Kläger Arbeitslosengeld in Höhe von 649,50 Euro monatlich.

4

Mit seiner am 11. November 2008 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger Annahmeverzugsvergütung für die Monate August und [X.]eptember 2008 geltend gemacht und die Auffassung vertreten, die Kündigung der [X.] habe das Arbeitsverhältnis erst zum 30. [X.]eptember 2008 beendet. Die Kündigungsfrist betrage nach § 622 Abs. 2 [X.]atz 1 Nr. 5 BGB fünf Monate zum Monatsende, weil bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer auch die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeit zu berücksichtigen sei. Mit Ablauf der unzutreffend gewählten Kündigungsfrist sei die Beklagte in Annahmeverzug geraten, eines besonderen Arbeitsangebots habe es nicht bedurft.

5

Der Kläger hat zuletzt in der Berufung beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die Bundesagentur für Arbeit - Agentur für Arbeit B - 1.299,00 Euro sowie an den Kläger 1.453,00 Euro brutto nebst Jahreszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 726,50 Euro seit dem 15. [X.]eptember 2008 und aus 726,50 Euro seit dem 15. Oktober 2008 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, § 622 Abs. 2 [X.]atz 2 BGB sei wirksam, jedenfalls solange anzuwenden, bis der Gesetzgeber eine Gesetzesänderung vornehme. Unabhängig davon sei das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2008 beendet worden, weil der Kläger keine Klage nach § 4 [X.]atz 1 K[X.]chG erhoben habe. Zudem fehle ein Angebot des [X.], seine Arbeitsleistung nach Ablauf der Kündigungsfrist zu erbringen.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat auf die Berufung des [X.] der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger hat sinngemäß beantragt, die Revision mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die [X.] - [X.] - 1.299,00 Euro sowie an den Kläger 2.752,00 Euro brutto abzüglich 1.299,00 Euro netto nebst Jahreszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 726,50 Euro seit dem 15. [X.]eptember 2008 und aus 726,50 Euro seit dem 15. Oktober 2008 zu zahlen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der [X.] ist begründet. Das [X.] hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

9

I. Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Zahlung von 1.299,00 Euro an die [X.] begehrt. Es fehlt an der Prozessführungsbefugnis des [X.].

Die Prozessführungsbefugnis ist als Prozessvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Die gerichtliche Geltendmachung eines fremden Rechts im eigenen Namen (gewillkürte Prozessstandschaft) setzt neben einem eigenen schutzwürdigen Interesse des [X.] eine wirksame Ermächtigung durch den Berechtigten voraus ([X.] 19. März 2008 - 5 [X.] - Rn. 10, [X.]E 126, 205; 19. März 2002 - 9 [X.] 752/00 - zu [X.] 2 a der Gründe, [X.]E 100, 369). Letztere Voraussetzung ist im [X.] nicht erfüllt. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum Arbeitslosengeld iHv. 649,50 Euro monatlich bezogen. Damit wäre in Höhe der erbrachten [X.]ozialleistung ein evtl. Annahmeverzugsanspruch nach § 115 Abs. 1 [X.]GB X auf den Leistungsträger übergegangen. Der [X.] führt zum Verlust der Aktivlegitimation und der Klagebefugnis (allgemeine Auffassung, vgl. nur von [X.]/[X.] [X.] 14. Aufl. § 11 Rn. 53). Der Arbeitnehmer kann zwar grundsätzlich Vergütungsansprüche, die wegen der Zahlung von Arbeitslosengeld auf die [X.] übergegangen sind, im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft für die [X.] geltend machen ([X.] 19. März 2008 - 5 [X.] - Rn. 11, aaO). Dass der Kläger von der [X.] zur gerichtlichen Geltendmachung der übergegangenen Vergütungsansprüche ermächtigt wäre, ergibt sich aber weder aus seinem [X.]achvortrag noch den Feststellungen des [X.]s.

II. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

Der Kläger hat für die Monate August und [X.]eptember 2008 keinen Anspruch auf Zahlung von [X.] gem. § 615 [X.]atz 1 in Verb. mit § 611 Abs. 1 [X.]. Unbeschadet der sonstigen in §§ 293 ff. [X.] geregelten Erfordernisse setzt der Annahmeverzug des Arbeitgebers den Bestand des Arbeitsverhältnisses voraus. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aber aufgrund der Fiktionswirkung des § 7 [X.] am 31. Juli 2008 geendet. Der Kläger hätte die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 [X.]atz 1 [X.] geltend machen müssen.

1. Entgegen ihrer Auffassung hat die Beklagte allerdings mit ihrer Kündigung vom 22. April 2008 zum 31. Juli 2008 die gesetzliche - verlängerte - Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 [X.] in zweifacher Hinsicht nicht gewahrt.

a) Unabhängig von der von den Parteien ausschließlich thematisierten Frage der Anwendbarkeit des § 622 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] betrug die Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 [X.]atz 1 Nr. 4 [X.] vier Monate zum Ende eines Kalendermonats. Das ist der 31. August 2008. Nach nicht angegriffener Feststellung des [X.]s war der Kläger seit dem 1. August 1995 bei der [X.] bzw. ihren [X.] beschäftigt. Nach Vollendung seines 25. Lebensjahrs (9. November 1997) betrug die Beschäftigungsdauer bei Ausspruch der Kündigung im April 2008 mehr als zehn und weniger als zwölf Jahre. Die von der [X.] gewählte Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende eines Kalendermonats, die die zutreffende gesetzliche Kündigungsfrist wäre, wenn das Arbeitsverhältnis mindestens acht, aber weniger als zehn Jahre bestanden hat (§ 622 Abs. 2 Nr. 3 [X.]), lässt sich nur damit erklären, dass die Beklagte lediglich die sich aus dem Arbeitsvertrag des [X.] mit ihrer unmittelbaren Rechtsvorgängerin, der [X.], ergebende Beschäftigungsdauer ab 1. Januar 1999 berücksichtigt, diejenige aus dem Arbeitsvertrag des [X.] mit der [X.], einer weiteren Rechtsvorgängerin, jedoch außer Betracht gelassen hat.

b) Darüber hinaus ergibt sich nach § 622 Abs. 2 [X.]atz 1 Nr. 5 [X.] eine Kündigungsfrist von fünf Monaten zum Ende eines Kalendermonats (= 30. [X.]eptember 2008), wenn bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer auch Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des [X.] liegen, berücksichtigt werden müssten. In diesem Falle beträgt die maßgebliche Beschäftigungsdauer mindestens zwölf Jahre.

aa) § 622 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.], der bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt, ist nicht anzuwenden.

Der [X.] hat erkannt, dass das Unionsrecht, insbesondere das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78/[X.] vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf dahin auszulegen ist, dass es einer Regelung wie § 622 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] entgegensteht, nach der vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden (19. Januar 2010 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 43, [X.] Richtlinie 2000/78/[X.] Nr. 14 = EzA Richtlinie 2000/78 [X.]-Vertrag 1999 Nr. 14). Dabei obliegt es dem nationalen Gericht, bei dem ein Rechtsstreit über das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78/[X.] anhängig ist, im Rahmen seiner Zuständigkeiten den rechtlichen [X.]chutz, der sich für den Einzelnen aus dem Unionsrecht ergibt, sicherzustellen und die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, indem es erforderlichenfalls jede diesem Verbot entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt ([X.] 19. Januar 2010 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 51, aaO; 22. November 2005 - [X.]/04 - [[X.]] Rn. 77, [X.]lg. 2005, [X.]).

Daran ist der [X.]enat gebunden. Wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist § 622 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] nicht anzuwenden ([X.] 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 - Rn. 53, [X.], 995; vgl. auch [X.] Beschluss der 3. Kammer des Ersten [X.]enats vom 18. November 2008 - 1 [X.] - Rn. 12, EzA [X.] 2002 § 622 Nr. 6).

bb) [X.] des § 622 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] gilt auch für Kündigungen, die - wie hier - vor der Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. Januar 2010 ausgesprochen worden sind. Der Gerichtshof hat den Tenor seiner Entscheidung zeitlich nicht begrenzt und damit keinen Vertrauensschutz gewährt. Die Entscheidung ist deshalb für alle Kündigungen maßgeblich, die nach Ablauf der Umsetzungsfrist für das Merkmal Alter der Richtlinie 2000/78/[X.] (2. Dezember 2006) ausgesprochen wurden (vgl. [X.] 15. März 2005 - [X.]/03 - [[X.]] Rn. 66, [X.]lg. 2005, [X.]; zu den Voraussetzungen einer zeitlichen Beschränkung durch den Gerichtshof [X.] 12. Februar 2009 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 68, [X.]lg. 2009, [X.]; 20. [X.]eptember 2001 - [X.]/99 - [[X.]] Rn. 50 ff., [X.]lg. 2001, [X.]).

2. Ob bei einer ordentlichen Kündigung die Nichteinhaltung der objektiv richtigen Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 [X.]atz 1 [X.] geltend gemacht werden muss, hängt davon ab, ob die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist zur Unwirksamkeit der Kündigungserklärung führt. Das ist der Fall, wenn sich die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht als eine solche mit der rechtlich gebotenen Frist auslegen lässt. [X.] die Kündigung der Umdeutung in eine Kündigung mit zutreffender Frist, gilt die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nach § 7 [X.] als rechtswirksam und beendet das Arbeitsverhältnis zum „falschen Termin“, wenn die zu kurze Kündigungsfrist nicht als anderer Rechtsunwirksamkeitsgrund binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege (§ 4 [X.]atz 1 [X.], § 6 [X.]) geltend gemacht worden ist.

a) Der Zweite [X.]enat des [X.] hat zwar seiner ersten Entscheidung zu dieser Problematik nach der am 1. Januar 2004 in [X.] getretenen Neufassung des § 4 [X.]atz 1 [X.] aufgrund des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 ([X.]l. I [X.]. 3002) in der Amtlichen [X.]ammlung den - die Entscheidungsgründe nur verkürzt wiedergebenden - Leitsatz vorangestellt, der Arbeitnehmer könne die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist außerhalb der fristgebundenen Klage nach § 4 [X.]atz 1 [X.] geltend machen (15. Dezember 2005 - 2 [X.] 148/05 - [X.]E 116, 336). Aus den Gründen der Entscheidung ergibt sich aber, dass auch der Zweite [X.]enat annimmt, die Nichteinhaltung der Kündigungsfrist müsse innerhalb der Klagefrist des § 4 [X.]atz 1 [X.] angegriffen werden, sofern der Kündigungstermin „integraler Bestandteil der Willenserklärung“ sei. Das sei der Fall, wenn sich nicht durch Auslegung ermitteln lasse, es solle eine fristwahrende Kündigung ausgesprochen sein. Dabei meint der Zweite [X.]enat, die Auslegbarkeit einer ordentlichen Kündigungserklärung mit fehlerhafter Kündigungsfrist als eine solche zum richtigen Kündigungstermin sei der Regelfall. Denn der Empfänger der Kündigungserklärung dürfe sich nicht einfach auf den wörtlichen [X.]inn der Erklärung verlassen, sondern müsse seinerseits unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände, die dafür von Bedeutung sein können, danach trachten, das Gemeinte zu erkennen. Bei einer ordentlichen Kündigung sei für den [X.] erkennbar, dass der Kündigende die einzuhaltende Kündigungsfrist grundsätzlich wahren wolle, weil er aufgrund gesetzlicher, tariflicher oder einzelvertraglicher Regelungen an sie gebunden sei (15. Dezember 2005 - 2 [X.] 148/05 - Rn. 25 ff., aaO).

Diese Auffassung hat der Zweite [X.]enat in seiner Entscheidung vom 6. Juli 2006 (- 2 [X.] 215/05 - Rn. 15, [X.] [X.] 1969 § 4 Nr. 57) bestätigt. Der [X.]echste [X.]enat hat sich dem angeschlossen (9. Februar 2006 - 6 [X.] 283/05 - Rn. 32, [X.]E 117, 68), während der Achte [X.]enat ausdrücklich offengelassen hat, ob der Rechtsprechung des Zweiten [X.]enats zu folgen sei (21. August 2008 - 8 [X.] 201/07 - Rn. 31, [X.] [X.] § 613a Nr. 353 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 95). Im [X.]chrifttum ist die Rechtsprechung des Zweiten [X.]enats teils auf Zustimmung, teils auf Ablehnung gestoßen (vgl. zum [X.] etwa [X.][X.]/Ascheid/[X.] 3. Aufl. § 4 [X.] Rn. 10b und [X.][X.]/[X.] § 622 [X.] Rn. 66 f.; von [X.]/[X.] § 4 Rn. 22; [X.]/Rost 9. Aufl. § 7 [X.] Rn. 3b und [X.]/[X.] § 13 [X.] Rn. 89; [X.]tahlhacke/[X.] Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 1833 - jeweils mwN).

b) Ob eine ordentliche Kündigung mit objektiv fehlerhafter Kündigungsfrist im Regelfall als eine solche mit der rechtlich zutreffenden Kündigungsfrist ausgelegt werden kann, bedarf keiner abschließenden Entscheidung des [X.]enats. Die Kündigung der [X.] vom 22. April 2008 zum 31. Juli 2008 kann nicht als eine Kündigung zum 30. [X.]eptember 2008 ausgelegt werden.

aa) Die vom [X.] unterlassene Auslegung dieser atypischen Willenserklärung kann der [X.]enat selbst vornehmen, weil der erforderliche [X.]achverhalt vollständig festgestellt und kein weiteres tatsächliches Vorbringen der Parteien zu erwarten ist (ständige Rechtsprechung, vgl. nur [X.] 11. Juli 2007 - 7 [X.] 501/06 - Rn. 35, [X.] HRG § 57a Nr. 12 = EzA TzBfG § 15 Nr. 2; 15. Dezember 2005 - 8 [X.] 106/05 - zu II 1 a der Gründe mwN, [X.] [X.] § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 36 = EzA [X.] 2002 § 611 Arbeitgeberhaftung Nr. 4).

bb) Gegen eine Auslegung als Kündigung zum 30. [X.]eptember 2008 spricht zunächst der Wortlaut der Kündigungserklärung, die ausdrücklich zum 31. Juli 2008 erfolgte, ohne dass die Kündigungserklärung selbst Anhaltspunkte dafür enthielte, die Beklagte habe die Kündigung (auch) zu einem anderen Termin gewollt oder das angegebene Datum sei nur das Ergebnis einer vorangegangenen Berechnung anhand mitgeteilter Daten. Außerhalb der Kündigungserklärung liegende Umstände dafür, die Beklagte habe eine Kündigung zum 30. [X.]eptember 2008 in für den Kläger erkennbarer Weise gewollt, haben die Parteien weder vorgetragen noch das [X.] festgestellt.

cc) [X.]elbst wenn man mit dem Zweiten [X.]enat für den Regelfall annähme, der kündigende Arbeitgeber wolle die einzuhaltende Kündigungsfrist grundsätzlich wahren, weil er aufgrund gesetzlicher, tariflicher oder einzelvertraglicher Regelungen an sie gebunden sei, kann jedenfalls die streitgegenständliche Kündigung nicht als eine solche zum 30. [X.]eptember 2008 ausgelegt werden. Mit der von ihr gewählten Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende wollte die Beklagte als Betriebsübernehmerin offensichtlich die sich unter Zugrundelegung der Beschäftigungsdauer aus dem Arbeitsvertrag des [X.] mit ihrer unmittelbaren Rechtsvorgängerin vom 1. Januar 1999 ergebende gesetzliche Kündigungsfrist (§ 622 Abs. 2 [X.]atz 1 Nr. 3 [X.]) wahren. Dabei lag die Beschäftigungsdauer des [X.] in Gänze nach dessen Vollendung des 25. Lebensjahrs, so dass bei der Berechnung der Kündigungsfrist § 622 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] ohne Bedeutung gewesen sein dürfte. Darüber hinaus liegen keine Indizien dafür vor, die Beklagte als Pächterin einer Tankstelle sei sich des damals vom [X.] noch nicht entschiedenen Problems einer Unanwendbarkeit des § 622 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] wegen Verstoßes gegen Unionsrecht auch nur im Ansatz bewusst gewesen und könnte deshalb eine Kündigung zum 30. [X.]eptember 2008 gewollt haben. Zudem wäre ein solcher Wille der [X.] dem Kläger als [X.] nicht erkennbar gewesen. Für die Annahme, der Kläger als Mitarbeiter an einer Tankstelle hätte die ausdrücklich zum 31. Juli 2008 erklärte Kündigung seiner Arbeitgeberin als eine wegen der - möglichen - Unvereinbarkeit von § 622 Abs. 2 [X.]atz 2 [X.] mit Unionsrecht zum 30. [X.]eptember 2008 gewollte Kündigung erkennen können, fehlt jeglicher Anhaltspunkt.

dd) Im Übrigen muss sich aus der Kündigungserklärung ergeben, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis beendet werden soll ([X.] 15. Dezember 2005 - 2 [X.] 148/05 - Rn. 24, [X.]E 116, 336). Ist eine ordentliche Kündigung ohne weiteren Zusatz zu einem bestimmten Datum erklärt worden, steht deshalb in Fällen wie dem vorliegenden auch das Bestimmtheitsgebot der Auslegung der Kündigungserklärung zu einem anderen Termin entgegen. Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitnehmers, darüber zu rätseln, zu welchem anderen als in der Kündigungserklärung angegebenen Termin der Arbeitgeber die Kündigung gewollt haben könnte.

c) Eine Kündigung der [X.] zum 30. [X.]eptember 2008 könnte nur im Wege der Umdeutung gewonnen werden.

aa) Grundsätzlich kann eine zu einem bestimmten Termin erklärte, nicht zu einem anderen Termin auslegbare und deshalb unwirksame Kündigung in eine solche zum nächstzulässigen Termin umgedeutet werden. Die Umdeutung nach § 140 [X.] erfordert die Ermittlung des hypothetischen Willens des Kündigenden, also dem, was er bei Kenntnis der Fehlerhaftigkeit der Kündigungsfrist und damit der Unwirksamkeit der Kündigung gewollt hätte ([X.][X.]/[X.] § 622 [X.] Rn. 66a; vgl. auch [X.]/[X.]pilger § 622 [X.] Rn. 140). Dabei steht die Überzeugung des Arbeitgebers, mit richtiger Frist gekündigt zu haben, der Annahme, er hätte bei Kenntnis der objektiven Fehlerhaftigkeit der seiner Kündigung zugrunde gelegten Frist das Arbeitsverhältnis nicht fortsetzen, sondern zum nächstzulässigen Termin beenden wollen, nicht entgegen.

bb) Im [X.] scheidet eine Umdeutung aus, weil § 140 [X.] ein nichtiges Rechtsgeschäft und damit die Unwirksamkeit der erklärten Kündigung erfordert. Eine Umdeutung kommt deshalb nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die fehlerhafte Kündigungsfrist mit der fristgebundenen Klage nach § 4 [X.]atz 1 [X.] angegriffen hat und nicht die Fiktionswirkung des § 7 [X.] eingetreten ist.

3. Dass die Fiktionswirkung des § 7 [X.] auch die Unwirksamkeit einer Kündigung wegen einer aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts zu kurzen Kündigungsfrist erfasst, verstößt nicht gegen den Effektivitätsgrundsatz.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ist die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung als Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit mit dem Unionsrecht vereinbar, sofern damit die Ausübung eines Rechts nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (8. Juli 2010 - [X.]/09 - [[X.]] Rn. 36, 42, [X.], 869; 12. Februar 2008 - C-2/06 - [[X.]] Rn. 58, [X.]lg. 2008, [X.]; 24. [X.]eptember 2002 - [X.]/00 - [Grundig Italiana] Rn. 34, [X.]lg. 2002, [X.]).

b) Bereits das [X.] vom 10. August 1951 ([X.]l. I [X.]. 499) hat den allgemeinen Kündigungsschutz an das Erfordernis geknüpft, die [X.]ozialwidrigkeit einer Kündigung innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung gerichtlich geltend zu machen. Mit Wirkung zum 1. Januar 2004 hat der Gesetzgeber das Erfordernis einer fristgebundenen Klage auf alle Unwirksamkeitsgründe für eine schriftlich zugegangene Kündigung erstreckt. Eine entsprechende Klagefrist gilt seit 1. Oktober 1996 für die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Befristung des Arbeitsverhältnisses (§ 1 Abs. 5 [X.], § 17 TzBfG). Die Befristung der Klagemöglichkeit und die nach Fristablauf eintretende Fiktion der Rechtswirksamkeit der Kündigung bezwecken die Herstellung alsbaldiger Klarheit über Fortbestand oder Ende des Arbeitsverhältnisses (allgemeine Ansicht, vgl. nur [X.] 22. Juli 2010 - 6 [X.] 480/09 - Rn. 8, [X.], 1142; von [X.]/[X.] § 4 Rn. 4 mwN). [X.]ie erschweren den Kündigungsschutz des Arbeitnehmers nicht übermäßig, zumal § 5 [X.] die nachträgliche Klagezulassung eröffnet, wenn ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden [X.]orgfalt verhindert war, Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben.

III. Der Kläger hat gem. § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Buschmann    

        

    Wolf    

                 

Meta

5 AZR 700/09

01.09.2010

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Stralsund, 11. März 2009, Az: 3 Ca 522/08, Urteil

§ 140 BGB, § 622 Abs 2 S 2 BGB, § 611 Abs 1 BGB, § 615 S 1 BGB, § 4 S 1 KSchG, § 7 KSchG, § 133 BGB, § 622 Abs 2 S 1 Nr 4 BGB, § 622 Abs 2 S 1 Nr 3 BGB, Art 1 EGRL 78/2000, Art 2 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 2 Abs 2 Buchst a EGRL 78/2000, § 1 AGG, § 10 S 1 AGG, § 2 Abs 4 AGG, Art 3 Abs 1 Buchst c EGRL 78/2000, Art 6 Abs 1 S 1 EGRL 78/2000, § 242 BGB, § 115 Abs 1 SGB 10, § 11 Abs 1 S 2 ArbGG, § 117 Abs 1 Nr 1 SGB 3

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01.09.2010, Az. 5 AZR 700/09 (REWIS RS 2010, 3671)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3671

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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