Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.06.2018, Az. 29 W (pat) 546/16

29. Senat | REWIS RS 2018, 7873

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "Priroda" – teilweise fehlende Unterscheidungskraft – teilweise Schutzfähigkeit


Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung 30 2015 107 115.7

hat der 29. Senat ([X.]) des [X.] aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2018 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Mittenberger-Huber, die Richterin [X.] und die Richterin Seyfarth

beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 35 des [X.] vom 20. Juni 2016 aufgehoben, soweit die Anmeldung bezüglich der Dienstleistungen

Einzelhandelsdienstleistungen in den Bereichen: Maschinen, Werkzeuge und Metallwaren, Elektrowaren und Elektronikwaren, Tonträger und Datenträger, sanitäre Anlagen, Fahrzeuge und Fahrzeugzubehör, Feuerwerkskörper, Musikinstrumente;

Online- oder [X.] in den Bereichen: Maschinen, Werkzeuge und Metallwaren, Elektrowaren und Elektronikwaren, Tonträger und Datenträger, sanitäre Anlagen, Fahrzeuge und Fahrzeugzubehör, Feuerwerkskörper, Musikinstrumente;

zurückgewiesen worden ist.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Das Wortzeichen

2

[X.]

3

ist am 21. Oktober 2015 zur Eintragung als Marke in das beim [X.] ([X.]) geführte Register für folgende Waren und Dienstleistungen angemeldet worden:

4

Klasse 29: Fleisch; Fisch; Geflügel; Wild; Fleischextrakte; konserviertes, tiefgekühltes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gallerten [Gelees]; Konfitüren; Kompotte; Eier; Milch; Milchprodukte; Speiseöle; Speisefette;

5

Klasse 32: Biere; Mineralwässer; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; [X.]; Fruchtsäfte; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken;

6

Klasse 35: Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten; Einzelhandelsdienstleistungen in den Bereichen: Chemische Erzeugnisse, [X.], [X.], Kosmetikwaren und Haushaltswaren, Brennstoffe und Treibstoffe, Waren des [X.], Maschinen, Werkzeuge und Metallwaren, Bauartikel, [X.] und Gartenartikel, Hobbybedarf und Bastelbedarf, Elektrowaren und Elektronikwaren, Tonträger und Datenträger, sanitäre Anlagen, Fahrzeuge und Fahrzeugzubehör, Feuerwerkskörper, Uhren und Schmuckwaren, Musikinstrumente, [X.], Papierwaren und Schreibwaren, Büroartikel, Täschnerwaren und Sattlerwaren, Einrichtungswaren und Dekorationswaren, Zelte, Planen, Bekleidungsartikel, Schuhe und Textilwaren, Spielwaren, Sportwaren, Lebensmittel und Getränke, landwirtschaftliche Erzeugnisse; gartenwirtschaftliche Erzeugnisse und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, Tabakwaren und sonstige Genussmittel; Online- oder Katalogversandhandelsdienstleistungen in den Bereichen: Chemische Erzeugnisse, [X.], [X.], Kosmetikwaren und Haushaltswaren, Brennstoffe und Treibstoffe, Waren des [X.], Maschinen, Werkzeuge und Metallwaren, Bauartikel, [X.] und Gartenartikel, Hobbybedarf und Bastelbedarf, Elektrowaren und Elektronikwaren, Tonträger und Datenträger, sanitäre Anlagen, Fahrzeuge und Fahrzeugzubehör, Feuerwerkskörper, Uhren und Schmuckwaren, Musikinstrumente, [X.], Papierwaren und Schreibwaren, Büroartikel, Täschnerwaren und Sattlerwaren, Einrichtungswaren und Dekorationswaren, Zelte, Planen, Bekleidungsartikel, Schuhe und Textilwaren, Spielwaren, Sportwaren, Lebensmittel und Getränke, landwirtschaftliche Erzeugnisse, gartenwirtschaftliche Erzeugnisse und forstwirtschaftliche Erzeugnisse, Tabakwaren und sonstige Genussmittel.

7

Mit Beschluss vom 20. Juni 2016 hat die Markenstelle für Klasse 35 des [X.]es die Anmeldung gemäß § 37 Abs. 1, 5 i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] wegen Bestehen eines Freihaltebedürfnisses teilweise, nämlich für alle angemeldeten Waren und Dienstleistungen, mit Ausnahme der Dienstleistungen

8

„Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten;“

9

zurückgewiesen.

Zur Begründung hat die Markenstelle ausgeführt, bei dem Wortzeichen „[X.]“ handele es sich um die [X.] Übersetzung für das [X.] Wort „Natur“, was von einem nicht unerheblichen Teil des nationalen Verkehrskreises als solches verstanden werde. Das Wort „Natur“ sei auf vielen [X.] eine wichtige Beschaffenheitsangabe und finde auch in werbemäßiger Herausstellung als besonderes Eigenschafts- und Werteversprechen Verwendung. Insbesondere im Lebensmittelbereich werde damit auf besonders frische, naturbelassene oder im Einklang mit der Natur produzierte Produkte hingewiesen. In Bezug auf die beanspruchten Waren sei „Natur“ daher lediglich ein Hinweis auf Beschaffenheit und Qualität. Dies gelte auch für die Einzelhandels-, Online- und Katalogversandhandelsdienstleistungen mit Lebensmitteln, da zwischen diesen und den gehandelten Waren eine funktionelle Nähe bestehe. Die Beschreibungseignung sei aber auch für die Handelsdienstleistungen mit „[X.]“ gegeben. Denn auch diese Waren könnten als „naturbelassen, ohne schädigende Zusätze, aus natürlichen Materialien bestehend“ etc. beworben werden.

Die Tatsache, dass es sich um die transliterierte Wiedergabe des [X.]n Wortes „[X.]“ handele, stehe dem nicht entgegen. Auch die Transliteration einer originär in fremden Schriftzeichen gehaltenen beschreibenden Angabe könne nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] vom Schutz ausgeschlossen sein, wenn von einem entsprechenden Verkehrsverständnis im Inland auszugehen sei.

Angesichts der [X.]kenntnisse beachtlicher inländischer Verkehrskreise – die muttersprachlich [X.] Bevölkerungsgruppe in [X.] habe im Jahr 2010 3,4 Millionen Menschen umfasst, [X.] werde als Fremdsprache in Schulen erlernt - sei davon auszugehen, dass nicht zu vernachlässigende Teile der angesprochenen Verkehrskreise die Bedeutung von „[X.]“ ohne Mühe erfassen könnten. Vor dem Hintergrund der beachtlichen Handelsbeziehungen zwischen dem [X.]n Sprachraum und [X.] würde eine Monopolisierung der Angabe die Konkurrenten in nichtvertretbarer Weise bei der [X.] behindern.

Die Frage, ob auch das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.], auf das sich die amtliche Beanstandung ebenfalls gestützt hatte, vorliegt, hat die Markenstelle dahingestellt sein lassen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie sinngemäß beantragt,

den Beschluss des [X.]s vom 20. Juni 2016 insoweit aufzuheben, als die Markenanmeldung zurückgewiesen wurde.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, das angemeldete Zeichen sei für keine der beanspruchten Waren und Dienstleistungen freihaltebedürftig. Die Prüfung der Schutzfähigkeit sei nicht auf Basis des angemeldeten Zeichens sondern unzulässiger Weise auf Basis des [X.]n Begriffs „Natur“ erfolgt. Bei „[X.]“ handele es sich aber nur um ein Synonymwort, das nicht unmittelbar mit  „Natur“ übersetzt werden könne. Ein Zusammenhang mit der [X.]n Schreibweise sei nicht erkennbar. Da es sich nicht um eine internationale Markenanmeldung handele, komme ausschließlich die [X.] Sprache in Betracht, doch im [X.] gebe es das Wort „[X.]“ nicht. Es könne somit auch nicht als Sachangabe dienen. Die Annahme, ein nicht unerheblicher Teil der nationalen Verkehrskreise spreche russisch, sei unbegründet. Der Gebrauch der [X.]n Sprache könne nicht mit dem Gebrauch der [X.] in [X.] verglichen werden. Der [X.]-Unterricht in den Schulen der ehemaligen [X.] sei zu lange her, als dass man von einer Beherrschung der [X.]n Sprache ausgehen könne. Zudem stelle die [X.] Bevölkerungsgruppe, welche sich auf 2,5 Prozent der Gesamtbevölkerung belaufe, eine Minderheit dar, was die Bekanntheit des Synonymwortes „[X.]“ als Begriffswort für „Natur“ ausschließe. Auch das Argument, es bestünde eine beachtliche Handelsbeziehung zwischen [X.] und dem [X.]n Sprachraum, sei nicht relevant, da die Anmelderin keine Tätigkeiten im Ausland beabsichtige.

Der [X.] hat auf Antrag der Beschwerdeführerin Termin zur mündlichen Verhandlung auf 13. Juni 2018 bestimmt. Die ordnungsgemäß geladene Beschwerdeführerin hat durch ihren Verfahrensbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 11. Juni 2018 jedoch mitteilen lassen, dass niemand zu diesem Termin erscheinen werde. Der [X.] hat daraufhin in der mündlichen Verhandlung seine Entscheidung verkündet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 [X.] zulässige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg. Der angegriffene Beschluss war daher im tenorierten Umfang aufzuheben. Für die übrigen angemeldeten Waren und Dienstleistungen hat die Markenstelle im Ergebnis zu Recht die Anmeldung zurückgewiesen. Ob der Eintragung ein Freihaltebedürfnis i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 2 [X.] entgegensteht, kann dahingestellt bleiben, da jedenfalls das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] vorliegt.

Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.] ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet ([X.] [X.] 2012, 304 Rn. 23 – Smart Technologies/[X.] [[X.] DAS [X.]]; [X.], 228 Rn. 33 – [X.]/ [X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.], 608 Rn. 66 f. – [X.]; [X.], 934 Rn. 9 – [X.]; [X.], 173 Rn. 15 – for you; GRUR 2013, 731 Rn. 11 – [X.]; [X.], 1143 Rn. 7 – [X.]). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten ([X.] a. a. [X.] – [X.]/ [X.] [Vorsprung durch Technik]; [X.] a. a. [X.] – [X.]; a. a. [X.] – for you). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden ([X.] a. a. [X.] – [X.]; a. a. [X.] – for you). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen ([X.] [X.], 428 Rn. 53 – [X.]; [X.] a. a. [X.] Rn. 10 – [X.]; a. a. [X.] Rn. 16 – for you; [X.] GRUR 2001, 1151 –marktfrisch; [X.] 2000, 420 – RATIONAL SOFTWARE CORPORATION).

Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt ([X.] GRUR 2013, 1143 Rn. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist ([X.] GRUR 2006, 411 Rn. 24 – Matratzen [X.]/[X.]; [X.], 943 Rn. 24 – SAT 2; [X.] WRP 2014, 449 Rn. 11 –[X.]). Insoweit können bereits die Kenntnisse eines relativ kleinen Teils aller beteiligten Verkehrskreise einer Markeneintragung entgegenstehen. [X.] in [X.]/[X.]/Thiering, [X.], 12. Auflage, § 8 Rn. 46).

Ausgehend hiervon besitzen Wortzeichen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die angesprochenen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen ([X.] [X.], 674, Rn. 86 – Postkantoor; [X.] [X.], 1143 Rn. 9 – [X.]; [X.], 270 Rn. 11 – Link economy) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der [X.]n oder einer bekannten Fremdsprache bestehen, die vom Verkehr - etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung - stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden ([X.], 934 Rn. 12 – [X.]; GRUR 2014, 872 Rn. 21 - [X.]; GRUR 2014, 569 Rn. 26 - [X.]; [X.], 1143 Rn. 9 - [X.]; [X.], 270 Rn. 11 - Link economy; [X.], 640 Rn. 13 - hey!; [X.], 952 Rn. 10 - [X.]Card). Darüber hinaus besitzen keine Unterscheidungskraft vor allem auch Zeichen, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird und die sich damit in einer beschreibenden Angabe erschöpfen ([X.] GRUR 2014, 1204 Rn. 16 – [X.]; a. a. [X.] Rn. 16 – [X.]; a. a. [X.] Rn. 23 – [X.]!). Hierfür reicht es aus, dass ein Wortzeichen, selbst wenn es bislang für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen nicht beschreibend verwendet wurde oder es sich gar um eine sprachliche Neuschöpfung handelt, in einer seiner möglichen Bedeutungen ein Merkmal dieser Waren und Dienstleistungen bezeichnen kann ([X.] [X.], 146 Rn. 32 – [X.]; a. a. [X.] Rn. 97 – Postkantoor; [X.], 680 Rn. 38 – BIOMILD).

Gemessen an diesen Grundsätzen verfügt das angemeldete Zeichen für die beanspruchten Waren und einen Teil der verfahrensgegenständlichen Dienstleistungen nicht über die erforderliche Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 [X.].

1. Maßgeblich bei der Beurteilung des Schutzhindernisses der Unterscheidungskraft ist die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise; dies sind alle [X.], in denen die fragliche Marke Verwendung finden oder Auswirkungen zeigen kann. Dabei kommt es nicht auf die subjektiven Vermarktungsstrategien der Anmelder an, sondern auf die objektiven Merkmale der beanspruchten Waren und Dienstleistungen ([X.] [X.], 411 Rn. 12 – [X.]). Die insoweit maßgeblichen Verkehrskreise sind der Handel und/oder der normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher ([X.] GRUR 2006, 411, Rdnr. 24 - Matratzen [X.]/[X.]). Die vorliegend beanspruchten Waren aus dem Nahrungsmittelbereich sowie die Einzelhandels-, Online- und Katalogversandhandelsdienstleistungen richten sich vorwiegend an den allgemeinen Verbraucher, der diese Waren erwirbt sowie an den Lebensmittel- und sonstigen Fachhandel.

2. Das in lateinischen Buchstaben angemeldete Wortzeichen „[X.]“ ist die [X.] Transliteration des aus kyrillischen Schriftzeichen gebildeten [X.]n und [X.] Wortes „Природа“ und bedeutet im [X.]en „Natur“, „Wesen“, „Beschaffenheit“ (https://de.pons.com/übersetzung?q=%D0%9F%D1%80%D0%B8%D1%80%D0%BE%D0%B4%D0%B0&l=deru&in=&lf=ru; [X.]); im [X.] „Natur“ (https://de.langenscheidt.com/bulgarisch-deutsch/search?term=natur&q_cat=%2Fbulgarisch-deutsch%2F). Das Wort „[X.]“ existiert auch in der [X.] und hat dort wiederum die Bedeutung „Natur“, „Wesen“ (https://de.langenscheidt.com/kroatisch-deutsch/priroda).  Auch aus dem [X.] wird „příroda“ mit „Natur“ übersetzt (https://de.wiktionary.org).

Der Verkehr wird diesen Ausdruck lediglich als werbende Anpreisung dahingehend verstehen, dass es sich um naturbelassene, aus natürlichen Roh- bzw. Inhaltsstoffen bestehende Waren ohne schädliche Zusätze handelt bzw. dass die Waren in einem die Natur schonenden Herstellungsprozess produziert werden. Diesem Verständnis widerspricht entgegen der Auffassung der Anmelderin nicht, dass es sich nicht um einen Begriff der [X.]n Sprache handelt.

Bei fremdsprachigen Begriffen kommt es entscheidend darauf an, ob die maßgeblichen inländischen Verkehrskreise im Stande sind, die Bedeutung dieses Wortes zu erkennen ([X.] a. a. [X.] Rn. 32 - Matratzen [X.]/[X.]). Bei den am internationalen Handelsverkehr beteiligten inländischen Fachkreisen kann unterstellt werden, dass sie grundsätzlich in der Lage sind, eindeutig beschreibende Angaben auch in fremden Sprachen zu erkennen ([X.] in [X.]/[X.]/Thiering, a. a. [X.] , § 8 Rn. 518). Davon kann vorliegend ausgegangen werden.

Abbildung

Dieser [X.] ist nicht verfügbar
Dieser [X.] ist nicht verfügbar

Hinzu kommt, dass zwischen der [X.] und [X.] Handelsbeziehungen in erheblichem Umfang bestehen, die seit dem Zusammenbruch der [X.] im Zuge der Öffnung der Grenzen erheblich intensiviert worden sind (vgl. [X.], Beschluss vom 01.02.2018, 28 W (pat) 529/17 - Национальное [X.]; Beschluss vom 06.04.2016, 28 W (pat) 27/13 – [X.]). Nach Angaben des [X.] belief sich das bilaterale Handelsvolumen im [X.] auf 51,733 Milliarden Euro, mit steigender Tendenz seit 2017 (https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Aussenwirtschaft/laendervermerk-[X.]-foerderation.html). Zwar schlagen sich Rohstoffe, wie Öl, Gas, Mineralerzeugnisse und Erze anteilsmäßig besonders stark in der Liste der von [X.] nach [X.] importierten Güter nieder, jedoch sind auch viele andere Produkte vom bilateralen Handel betroffen. Den Außenhandelszahlen von [X.] für den Import und Export mit der [X.]en Föderation (https://www.auwi-bayern.de/Europa/[X.]/export-import-statistik.html) ist zu entnehmen, dass insbesondere ein hoher Anteil chemischer Erzeugnisse, Erzeugnisse aus Landwirtschaft und Jagd, Holzwaren, Papier, Leder und Lederwaren, Nahrungsmittel und Futtermittel, Getränke, Textilien, Möbel und Bekleidung von [X.] nach [X.] importiert wird. Beispielsweise wurden in 2015 chemische Erzeugnisse für etwa 1,18 Mrd. € aus [X.] nach [X.] importiert. Für Holz und Holzerzeugnisse ohne Möbel betrug der Wert etwa 292 Mio. € und für Nahrungsmittel und Futtermittel lag der Wert bei etwa 143 Mio. €. Dementsprechend gibt es in [X.] eine Vielzahl [X.]r Geschäfte, nicht nur für Lebensmittel, sondern auch für Bücher, Kleidung, Haushaltsgeräte etc. (z. B. [X.]r Onlineshop [X.] den an diesem Handelsverkehr beteiligten inländischen Fachkreisen kann unterstellt werden, dass sie grundsätzlich in der Lage sind, eindeutig beschreibende Angaben auch in fremder Sprache zu erkennen ([X.], a. a. [X.] – [X.]; a. a. [X.] - Национальное [X.]).

Für dieses nach objektiven Kriterien zu ermittelnde Verkehrsverständnis kommt es, anders als die Anmelderin meint, nicht darauf an, ob sie selbst tatsächlich ein Tätigwerden im Ausland beabsichtigt.

3.

a) In Bezug auf die in Klasse 29 und 32 beanspruchten Waren „Fleisch; Fisch; Geflügel; Wild; Fleischextrakte; konserviertes, tiefgekühltes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gallerten [Gelees]; Konfitüren; Kompotte; Eier; Milch; Milchprodukte; Speiseöle; Speisefette“ ist „Natur“ ein werbender Hinweis auf positive Eigenschaften dieser Waren bzw. des Herstellungsprozesses, wie „naturbelassen“, „aus natürlichen Roh- bzw. Inhaltsstoffen“, „ohne schädliche Zusatzstoffe“, „unverarbeitet“ oder „ein die Natur schonender Herstellungsprozess“ etc. Insbesondere in Zusammenhang mit Bio-Lebensmitteln ist der Verkehr an die beschreibende werbemäßige Verwendung des Begriffes „Natur“ gewöhnt. Schlagworte wie „Naturkost“, „[X.]“, „[X.]“ sind gängige Begriffe, die z. B. von Metzgern, die sich zu einem sog. „[X.]“ zusammengeschlossen haben, folgendermaßen beschrieben werden: „Natürlicher Geschmack; höchster Genuss; regionale Herkunft; bäuerliche Familienbetriebe; besonders tierartgerechte Haltung; viel Stroh, Platz und Bewegung; kurzer regionaler Transport zum Schlachthof; keine präventiven Antibiotika, keine Leistungsförderer; ohne Gentechnik; schonende Schlachtung ohne Akkordarbeit; faire Preise und Löhne; transparenter Herkunftsnachweis; faire Bedingungen + Transparenz im Verbund vom Landwirt über den Schlachthof zum Metzger“ (https://naturverbund.de/natur-sortiment).

b) Auch in Bezug auf die Waren der Klasse 32 „Biere; Mineralwässer; kohlensäurehaltige Wässer; alkoholfreie Getränke; [X.]; Fruchtsäfte; Sirupe für die Zubereitung von Getränken; Präparate für die Zubereitung von Getränken“ ist der Begriff „Natur“ ein werbender Hinweis auf die oben genannten positiven Eigenschaften der Getränke. Allgemein bekannt ist z. B. die Bezeichnung „Natürliches Mineralwasser“, das nach § 2 Nr. 1 der Verordnung über natürliches Mineralwasser, Quellwasser und Tafelwasser (Mineral- und Tafelwasserverordnung) seinen Ursprung in unterirdischen, vor Verunreinigung geschützten Vorkommen und einen bestimmten Anteil an Mineralstoffen, Spurenelementen und sonstigen Bestandteilen enthalten muss. Auch Bier wird als aus „natürlichen Rohstoffen“ bestehendes „sicheres Genussmittel“ beworben ([X.]) Schließlich besteht das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft auch in Bezug auf den Großteil der beschwerdegegenständlichen Einzelhandelsdienstleistungen der Klasse 35.

aa) Die Tatsache, dass ein Zeichen für eine Ware beschreibend ist, führt in der Regel auch zur Schutzunfähigkeit in Bezug auf die entsprechenden Einzel- und Großhandelsdienstleistungen bzw. sonstigen Vertriebsdienstleistungen der Klasse 35 (vgl. [X.] Beschluss vom 27.05.2014, 29 W (pat) 41/12 – [X.]; Beschluss vom 18.01.2012, 29 W (pat) 525/10 – fashion.de). Denn zwischen diesen Tätigkeiten und den Waren, mit denen Handel getrieben werden soll, besteht eine funktionelle Nähe, soweit sich das Zeichen als Sortimentsbezeichnung eignet ([X.], Beschluss vom 27.05.2014, 29 W (pat) 41/12 – [X.]). Demnach ist das angemeldete Zeichen für die Einzelhandelsdienstleistungen und für die Online- oder Katalogversandhandelsdienstleistungen in den Bereichen der Waren der Klassen 29 und 32, bezüglich derer aus den oben genannten Gründen eine Schutzfähigkeit verneint worden ist, ebenfalls nicht schutzfähig. Denn der Begriff „Natur“ ist als Auswahlkriterium für eine auf Naturprodukte spezialisierte Sortimentszusammenstellung ohne weiteres geeignet.

bb) Mit Ausnahme der im Tenor genannten Einzel-, Online- und Katalogversandhandelsdienstleistungen besteht das Schutzhindernis auch für die Handelsdienstleistungen in den übrigen [X.], da „Natur“ auch in Bezug auf diese Waren ein werbender Hinweis auf natürliche Rohstoffe oder natürliche Herstellungsprozesse sein kann, und sich die Angabe als Sortimentsbezeichnung eignet.

„Chemische Erzeugnisse“ können durch Umwandlung natürlicher Rohstoffe entstehen, so gibt es z. B. Chemiefasern aus Stoffen pflanzlicher Herkunft, wie Cellulose oder Latex (vgl. [X.], [X.], 21. Auflage Bd. 5, S. 500, 506). Auch „[X.]“, wie Wandanstriche, Lacke und Öle, können aus natürlichen Materialien bestehen; sie werden dann im Handel als „Naturfarbe“ bezeichnet (https://www.chemie-schule.de/KnowHow/[X.]; https://de.wikipedia.org/wiki/Naturfarbe_ ([X.])). Kosmetik- und [X.] aus natürlichen Rohstoffen werden als „Naturkosmetik“ angeboten und ebenso wie Haushaltswaren aus natürlichen Rohstoffen in speziellen [X.] und Online Shops angeboten (vgl. „Naturkosmetik bei Hautbalance kaufen“, https://www.hautbalance-naturkosmetik.de/; „Dein Naturkosmetik Shop“, [X.]/; „[X.] Naturkosmetik Online Shop“, https://www.bio-naturel.de/). Schließlich werden auch Waren des [X.] entsprechend beworben (vgl. „Gesundheit aus der Natur: Alte Hausmittel und neue Naturarzneien“, https://www.amazon.de/Gesundheit-aus-Natur...Naturarzneien/dp/380943020X).

Des Weiteren können auch „Brenn- und Treibstoffe“ aus natürlichen Rohstoffen bestehen, wie z. B. Holzbriketts, Pellets, Kaminholz, oder aus anderen nachwachsenden Rohstoffen, die biologisch abbaubar sind, wie z. B. der sog. Biodiesel (vgl. https://naturbrennstoffe.com/;  [X.]). Auch für diese Waren ist der Begriff „Natur“ eine sachbezogene werbeanpreisende Angabe. Gleiches gilt für die Waren „Bauartikel, [X.] und Gartenartikel, Hobbybedarf und Bastelbedarf“ sowie „[X.], Papierwaren und Schreibwaren, Büroartikel“ und „Spielwaren“, die ebenso aus natürlichen Materialien hergestellt sein können und unter Hervorhebung dieser Eigenschaft angeboten werden („Naturmaterialien für Ihre herbstlichen Bastelideen“, https://www.vbs-hobby.com/; „Naturmaterialien im Angebot“, https://www.trendmarkt24.de/search?sSearch=Naturmaterialien; „Natur-bastelbedarf“, https://www.prodana.de/Basteln_1; „Nachhaltige Schreibwaren“,) https://www.prodana.de/Nachhaltige-Schreibwaren;) oder Motive aus der Natur beinhalten (https://www.ebay.de/b/Postkarten-Natur-in-Karten-und-Schreibwaren-fur-Besondere-Anlasse/170098/bn_7004985441; https://www.pollypaper.de/collections/karten-natur).

Auch bei Uhren- und Schmuckwaren kommt die Angabe „Natur“ als beschreibender und anpreisender Hinweis auf die Verwendung natürlicher Materialien in Betracht (z. B. Uhren mit einem „extra flachem Naturholzkorpus“, [X.]; „Schmuck aus Holz, Muscheln, Knochen, Samen, [X.]). Zudem werden Elemente aus der Natur als Motiv eingesetzt (vgl. „Schmuck inspiriert durch die Natur“, „[X.], [X.], [X.]“, [X.]). Da das Motiv ein wichtiges Auswahlkriterium ist, eignet es sich besonders zur Werbung für diese Waren.

Täschner- und Sattlerwaren werden aus Naturleder gefertigt, Einrichtungs- und Dekorationswaren können aus natürlichen Materialien bestehen oder die Natur als Motiv haben (z. B. Baumscheiben oder Tannenzapfen als [X.], [X.]) und auch entsprechend beworben werden („Wir sind ein qualitätsbewusstes Möbelhaus, das sehr viel Wert auf die Individualität, biologische Lebensweise und Nachhaltigkeit legt“, http://naturmoebelhaus.com/ueberuns.php).

Auch Zelte und Planen können aus natürlichen Rohstoffen, wie z. B Baumwolle, hergestellt sein („Baumwollstoff aus dem natürlich wachsenden Baumwolle Flusen“ als Zeltstoff, https://www.esvocampingshop.com/de/beratung/extra-de/tentdoek-caravanvoortenten-en-isabella/?sl=de).

Schließlich spielt der Einsatz natürlicher Stoffe und Herstellungsverfahren auch bei den Waren „Bekleidungsartikel, Schuhe und Textilwaren sowie Sportwaren“ eine große Rolle, was sich in der Werbung für diese Produkte niederschlägt (z. B. „Nachhaltige Sportkleidung / Bio Kleidung / Materialien umweltschonend hergestellt“ ,https://www.sportscheck.com/kleidung/themen/nachhaltige-sportkleidung/:; „Bio Sportbekleidung, https://www.bio-sportbekleidung.de/damen/).

In allen von den oben genannten Waren betroffenen Branchen eignet sich die Angabe „Natur“ daher als werbender Hinweis auf das Sortiment, da es viele Anbieter gibt, die ihr Sortiment gerade nach dem Kriterium der natürlichen Herkunft und Beschaffenheit beschränken (vgl. „[X.]“, „Naturprodukte.shop“, „Handel mit Naturprodukten“). Die angesprochenen Verkehrskreise werden das Anmeldezeichen deshalb insoweit nur als reinen Sachhinweis auffassen.

cc) Bezüglich der Waren „Maschinen, Werkzeuge und Metallwaren, Elektrowaren und Elektronikwaren, Tonträger und Datenträger, sanitäre Anlagen, Fahrzeuge und Fahrzeugzubehör, Feuerwerkskörper, Musikinstrumente“ kann jedoch ein beschreibender Bezug nicht festgestellt werden. Insoweit bietet sich das Zeichen „[X.]“ auch nicht als Merkmals- bzw. Sachangabe für die entsprechenden Handelsdienstleistungen der Klasse 35 an. Da das Zeichen auch nicht als Hinweis auf sonstige Modalitäten der Dienstleistungen in Frage kommt, kann ihm in diesem Umfang die Schutzfähigkeit nicht abgesprochen werden.

Meta

29 W (pat) 546/16

13.06.2018

Bundespatentgericht 29. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 13.06.2018, Az. 29 W (pat) 546/16 (REWIS RS 2018, 7873)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7873

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

29 W (pat) 510/12 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "Tv.de" – zur Einschränkung des Waren- und Dienstleistungsverzeichnisses - keine Hinweise des Senats …


24 W (pat) 522/13 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "geosysteme.de" – Unterscheidungskraft – Freihaltungsbedürfnis


29 W (pat) 523/13 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "LANDESSTIFTUNG MITEINANDER IN HESSEN (Wort-Bild-Marke)" – Unterscheidungskraft


29 W (pat) 541/10 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren – "Tv.de" – zur Prüfung der absoluten Schutzhindernisse: Würdigung aller beanspruchten Waren und Dienstleistungen …


26 W (pat) 540/16 (Bundespatentgericht)

Markenbeschwerdeverfahren - "Viva Home (Wort-Bild-Marke)/VIVA" – ungenügende Begründung der Entscheidung des DPMA – Aufhebung – …


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.